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Versicherungsnehmeranspruch auf Herausgabe von Nachträgen zum Versicherungsschein 

Datenschutzrecht behindert Herausgabe von Versicherungsnachträgen

Im Zentrum rechtlicher Auseinandersetzungen im Versicherungswesen steht oft die Frage nach dem Umfang und der Grenze von Informationspflichten zwischen Versicherungsunternehmen und Versicherungsnehmern. Besonders brisant wird diese Thematik, wenn es um die Herausgabe von Nachträgen zu Versicherungsscheinen geht, die wesentliche Informationen über Änderungen in Versicherungsverträgen, wie Beitragsanpassungen, enthalten. Hierbei kollidieren regelmäßig das Auskunftsinteresse des Versicherungsnehmers und die Schutzinteressen des Versicherers.

Die Rechtslage wird zusätzlich durch die einschlägigen Bestimmungen des Datenschutzrechts, wie die Datenschutzgrundverordnung (DS-GVO), und durch allgemeine zivilrechtliche Grundsätze, wie Treu und Glauben gemäß § 242 BGB, beeinflusst. Diese Konstellation führt zu komplexen rechtlichen Herausforderungen, in denen die Auslegung und Anwendung von Normen wie dem Versicherungsvertragsgesetz (VVG) und der Zivilprozessordnung (ZPO), speziell im Kontext der Stufenklage, eine entscheidende Rolle spielen.

Weiter zum vorliegenden Urteil Az.: 13 O 185/22 >>>

Das Wichtigste in Kürze


Das Landgericht Potsdam hat in einem Urteil den Anspruch eines Versicherungsnehmers auf Herausgabe von Nachträgen zum Versicherungsschein abgewiesen, da die Klage teilweise unzulässig und unbegründet war.

Zentrale Punkte aus dem Urteil:

  1. Abweisung der Klage: Das Gericht hat die Klage der Versicherungsnehmerin abgewiesen, die die Herausgabe von Nachträgen zu ihrem Versicherungsschein forderte.
  2. Unzulässigkeit der Stufenklage: Die Klägerin hatte eine Stufenklage gemäß § 254 ZPO eingereicht, welche als unzulässig eingestuft wurde, da die begehrte Auskunft nicht der Bestimmung eines konkreten Leistungsanspruchs diente.
  3. Kein Auskunftsanspruch gemäß DS-GVO: Der geforderte Auskunftsanspruch konnte nicht auf Art. 15 Abs. 1 DS-GVO gestützt werden, da er nicht den Datenschutzbelangen, sondern vermögensrechtlichen Interessen diente.
  4. Kein Anspruch aus dem VVG: Die Klägerin konnte keinen Auskunftsanspruch aus § 3 Abs. 3 S. 1, Abs. 4 VVG geltend machen, da keine konkreten Angaben zum Abhandenkommen der Unterlagen gemacht wurden.
  5. Grundsätze von Treu und Glauben: Die Anwendung der Grundsätze von Treu und Glauben gemäß § 242 BGB unterstützte den Anspruch der Klägerin nicht.
  6. Verantwortung der Vertragspartei: Das Gericht stellte fest, dass es grundsätzlich Sache der Vertragspartei ist, ihre Unterlagen sorgfältig aufzubewahren.
  7. Kein Urkunden-/Akteneinsichtsrecht: Ein Auskunftsanspruch konnte auch nicht über das Urkunden-/Akteneinsichtsrecht aus § 810 BGB hergeleitet werden.
  8. Kosten des Rechtsstreits: Die Klägerin wurde zur Übernahme der Kosten des Rechtsstreits verurteilt, und das Urteil wurde für vorläufig vollstreckbar erklärt.

Konflikt um Herausgabe von Versicherungsdokumenten: Ein detaillierter Blick

In einem kürzlich ergangenen Urteil des Landgerichts Potsdam (Az.: 13 O 185/22 vom 28. Juli 2023) wurde eine Klage, die sich auf den Versicherungsnehmeranspruch auf Herausgabe von Nachträgen zum Versicherungsschein bezog, abgewiesen. Dieser Fall drehte sich um eine private Krankenversicherung und die Frage, ob die Klägerin Anspruch auf die Herausgabe von Dokumenten hatte, die ihre Beitragsanpassungen über einen Zeitraum von 2009 bis 2022 betrafen. Die Klägerin vertrat die Auffassung, dass ihr die entsprechenden Unterlagen nicht vorlagen und sie daher einen berechtigten Anspruch auf diese Informationen habe. Die Beklagte hingegen verneinte eine solche Rechtsgrundlage und argumentierte, dass die Stufenklage unzulässig sei.

Die rechtliche Komplexität der Stufenklage

Das Gericht erörterte ausführlich die rechtlichen Grundlagen und die Zulässigkeit der Stufenklage gemäß § 254 ZPO. Diese Art der Klage ist ein Sonderfall der objektiven Klagehäufung und ermöglicht es, einen auf Auskunft gerichteten Klageantrag mit einem noch unbezifferten Leistungs- und/oder Feststellungsantrag zu verbinden. Im vorliegenden Fall stellte das Gericht jedoch fest, dass die von der Klägerin geforderte Auskunft nicht der Bestimmung eines Leistungsanspruchs diente, sondern der Beschaffung von Informationen zur möglichen Rechtsverfolgung. Dies führte zur Unzulässigkeit der Stufenklage, woraufhin sie in eine objektive Klagehäufung umgedeutet wurde, die jedoch ebenfalls unzulässig war.

Datenschutzrechtliche Aspekte und deren Auswirkungen

Ein zentraler Aspekt des Urteils waren die datenschutzrechtlichen Überlegungen, insbesondere im Hinblick auf Art. 15 DS-GVO. Das Gericht stellte klar, dass der Auskunftsanspruch nach dieser Vorschrift sich nicht auf die Verfolgung zivilrechtlicher Ansprüche erstreckt, sondern auf die Klärung datenschutzrechtlicher Belange des Betroffenen ausgerichtet ist. Die Klägerseite verfolgte mit ihrem Auskunftsbegehren primär vermögensrechtliche Interessen, was nach Ansicht des Gerichts außerhalb des Anwendungsbereichs des Art. 15 DS-GVO lag.

Schlussfolgerungen und Implikationen des Urteils

Abschließend urteilte das Gericht, dass die Klägerin keinen Anspruch auf die Herausgabe der Nachträge zum Versicherungsschein hatte. Es wurden verschiedene rechtliche Grundlagen, wie § 3 Abs. 3 S. 1, Abs. 4 VVG und die Grundsätze von Treu und Glauben gemäß § 242 BGB, herangezogen, die jedoch alle zu dem Schluss führten, dass die Klage unbegründet war. Dieser Fall wirft ein Licht auf die Komplexität von Rechtsstreitigkeiten im Bereich des Versicherungsrechts und zeigt auf, wie Datenschutzbestimmungen die Rechtsansprüche von Versicherungsnehmern beeinflussen können.

Insgesamt bietet dieser Fall wichtige Einblicke in die rechtlichen Herausforderungen und Überlegungen, die mit Ansprüchen auf Herausgabe von Versicherungsdokumenten verbunden sind. Er unterstreicht die Notwendigkeit einer sorgfältigen rechtlichen Prüfung und Beratung in solchen Situationen und hebt die Bedeutung des Datenschutzrechts in der modernen Rechtspraxis hervor.

Wichtige Begriffe kurz erklärt


Welche Rolle spielt die Datenschutzgrundverordnung (DS-GVO) bei Auskunftsansprüchen?

Die Datenschutzgrundverordnung (DS-GVO) spielt eine zentrale Rolle bei Auskunftsansprüchen. Sie gewährt Einzelpersonen das Recht auf Auskunft über ihre personenbezogenen Daten, die von Unternehmen und Organisationen verarbeitet werden. Dieses Recht ist in Artikel 15 der DS-GVO festgelegt.

Gemäß Artikel 15 DS-GVO hat jede betroffene Person das Recht, von dem Verantwortlichen eine Bestätigung darüber zu verlangen, ob sie betreffende personenbezogene Daten verarbeitet werden. Wenn dies der Fall ist, hat die betroffene Person ein Recht auf Auskunft über diese personenbezogenen Daten und auf bestimmte weitere Informationen. Dazu gehören die Verarbeitungszwecke, die Kategorien der personenbezogenen Daten, die verarbeitet werden, und die Empfänger oder Kategorien von Empfängern, gegenüber denen die personenbezogenen Daten offengelegt worden sind oder noch offengelegt werden, insbesondere bei Empfängern in Drittländern oder bei internationalen Organisationen.

Darüber hinaus hat die betroffene Person das Recht, eine Kopie der personenbezogenen Daten, die Gegenstand der Verarbeitung sind, zu erhalten. Für alle weiteren Kopien, die die betroffene Person verlangt, kann der Verantwortliche ein angemessenes Entgelt auf der Grundlage der Verwaltungskosten verlangen.

Die DS-GVO legt auch fest, dass die betroffene Person das Recht hat, vom Verantwortlichen unverzüglich die Berichtigung sie betreffender unrichtiger personenbezogener Daten zu verlangen. Unter Berücksichtigung der Zwecke der Verarbeitung hat die betroffene Person das Recht, die Vervollständigung unvollständiger personenbezogener Daten zu verlangen.

Diese Bestimmungen der DS-GVO stärken die Kontrolle der Einzelpersonen über ihre personenbezogenen Daten und fördern die Transparenz in Bezug auf die Verarbeitung dieser Daten durch Unternehmen und Organisationen.


Das vorliegende Urteil

LG Potsdam – Az.: 13 O 185/22 – Urteil vom 28.07.2023

1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Die Klägerin hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann die Vollstreckung der Beklagten durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrags leistet.

Beschluss

Der Streitwert wird auf 6.700,00 € festgesetzt.

Tatbestand

Die Klägerseite begehrt im Wege der Stufenklage Auskunft über von der Beklagten vorgenommenen Prämienanpassungen in den Jahren 2009 bis 2022 in Gestalt der Herausgabe der Nachträge zum Versicherungsschein.

Die Klägerseite unterhält bei der Beklagten eine private Krankenversicherung zur Versicherungsnummer …. Die Beklagte passte die klägerseits zu zahlenden Beiträge für die Klägerin letztmalig zum 01.05.2018 in Form einer Beitragssenkung um 2,77 Euro an. Für den mitversicherten T. R. erfolgte eine Beitragsanpassung lediglich zum 01.05.2016 in Höhe von 1,47 Euro.

Die Klägerseite behauptet, ihr lägen die geforderten Unterlagen nicht vor. Sie ist der Auffassung, sie habe einen Anspruch gegen die Beklagte auf die begehrte Auskunft. Die Stufenklage sei zulässig, da die Auskunft der Bestimmbarkeit des Leistungsanspruches diene.

Die Klägerseite hat zunächst beantragt, die Beklagte zu verurteilen, Nachträge zum Versicherungsschein betreffend den Zeitraum 2009 bis 2021 an sie herauszugeben und an sie die sich aus der Auskunft ergebende Gesamtsumme an zu Unrecht geleisteten Beitragserhöhungen zu zahlen.

Die Klägerseite beantragt zuletzt,

1. die Beklagte zu verurteilen, Nachträge zum Versicherungsschein der Versicherungsnummer … betreffend die Beitragsanpassungen in dem Tarif “GPXOB“ zum 01.01.2009, zum 01.01.2010, zum 01.01.2011, zum 01.01.2012, zum 01.01.2013, zum 01.01.2014, zum 01.01.2015, zum 01.01.2016, zum 01.01.2017, zum 01.01.2018, zum 01.01.2019, zum 01.01.2020, zum 01.01.2021, zum 01.01.2022 an die Klägerseite herauszugeben,

2. die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerseite, die sich aus der Unterlage des Antrags zu 1. ergebende Gesamtsumme an zu Unrecht geleisteten Beitragserhöhungen nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

Die Beklagte ist der Ansicht, dass es an einer Rechtsgrundlage für den geltend gemachten Auskunftsanspruch fehle und ein Vorgehen im Wege der Stufenklage bereits unzulässig sei. Im Übrigen trage keine der von Klägerseite genannten Normen ihr Auskunftsverlangen.

Für den weiteren Vortrag der Parteien wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

A.

Die Klage ist nur teilweise zulässig.

I.

Die geltend gemachte Stufenklage gemäß § 254 ZPO ist unzulässig.

§ 254 ZPO regelt einen privilegierten Sonderfall der objektiven Klagehäufung. Die Stufenklage ermöglicht die Verbindung eines auf Auskunft gerichteten Klageantrags mit einem noch unbezifferten bzw. noch unbestimmten Leistungs- und/oder Feststellungsantrag. Die einstweilige Befreiung von der Bezifferungspflicht des § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO setzt jedoch voraus, dass die auf erster Stufe begehrte Auskunft als bloßes Hilfsmittel (nur) der konkreten Bestimmung des Leistungsanspruchs dient. Sie kommt daher nicht in Betracht, wenn die Auskunft der Beschaffung von sonstigen Informationen über die Rechtsverfolgung des Klägers dienen soll (st. Rspr.; vgl. BGH, Urt. v. 18.04.2002 – VII ZR 260/01, NJW 2002, 2952, 2953 und vom 29.03.2011 – VI ZR 117/10, NJW 2011, 1815 Rn. 8 jeweils m.w.N.; hierzu insgesamt auch OLG Nürnberg, Endurt. v. 14.03.2022 – 8 U 2907/21, BeckRS 2022, 7415 Rn. 17). Dies ist der Fall, wenn Versicherungsnehmer:innen Auskunft über Beitragsanpassungen begehren, um prüfen zu können, ob Sie bereicherungsrechtliche Ansprüche haben (vgl. Brandenburgisches Oberlandesgericht, B.v. 04.05.2022, 11 U 239/21, juris).

So liegt der Fall auch hier: Die von der Klägerin begehrte Auskunft in Gestalt der Herausgabe der Nachträge zum Versicherungsschein dient der erstmaligen Prüfung, ob und wann in den angegebenen Jahren überhaupt Beitragsanpassungen erfolgt sind und infolgedessen ein möglicher Anspruch gegen die Beklagte bestehen könnte. Zwar benennt die Klägerin im Klageantrag zu 1. Beitragsanpassungen zu bestimmten Daten in einem bestimmten Tarif. Allerdings ergibt sich aus dem Tatsachenvortrag der Klägerin nicht, dass sie Beitraganpassungen im Tarif GPXOB zum 01.01.2009, zum 01.01.2010, zum 01.01.2011, zum 01.01.2012, zum 01.01.2013, zum 01.01.2014, zum 01.01.2015, zum 01.01.2016, zum 01.01.2017, zum 01.01.2018, zum 01.01.2019, zum 01.01.2020, zum 01.01.2021, zum 01.01.2022 tatsächlich auch behauptet. Im Schriftsatz vom 19.07.2023 mit dem die Klägerin den Klageantrag stellt, trägt sie hierzu überhaupt nicht vor. Mit der Klageschrift trägt sie lediglich vor, die Beklagte erhöhe die Tarife der Klägerin regelmäßig. Daraus ergibt sich nicht, ob sie auch eine Anpassung zu den im Klageantrag zu 1 aufgeführten Zeitpunkten im Tarif GPXOB behauptet. Darüber hinaus bestreitet die Klägerin den Vortrag der Beklagten zu den letztmaligen Beitragsanpassungen 2016 und 2018 nicht. Hinsichtlich der geforderten Nachträge zum Versicherungsschein für die Jahre 2019 bis 2022 kann somit in keinem Fall davon ausgegangen werden, dass die Klägerin eine Beitragsanpassung behauptet. Ihr Auskunftsantrag dient mithin nicht der Bezifferung eines Leistungsantrages.

Die im Streitfall unzulässige Stufenklage ist in eine von der Stufung unabhängige objektive Klagehäufung nach § 260 ZPO umzudeuten. Bei dem Klageantrag zu 1. handelt es sich demnach um ein selbständiges Auskunftsbegehren und bei dem Klageantrag zu 2. um einen unbezifferten Leistungsantrag. Diese ist wegen Verstoßes gegen das Bestimmtheitsgebot gemäß § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO unzulässig.

B.

Die Klage ist, soweit sie zulässig ist, unbegründet.

Die Klägerseite hat keinen Anspruch auf die mit dem Antrag zu 1. verlangte Auskunft in Gestalt der Herausgabe der Nachträge zum Versicherungsschein.

I.

Der Auskunftsanspruch folgt nicht aus Art. 15 Abs. 1, 3 S. 1 DS-GVO. Nach Art. 15 Abs. 1 DS-GVO hat die betroffene Person das Recht, von dem Verantwortlichen eine Bestätigung darüber zu verlangen, ob sie – die betroffene Person – betreffende personenbezogene Daten verarbeitet werden; ist dies der Fall, so hat sie ein Recht auf Auskunft über diese personenbezogenen Daten. Gemäß Art. 15 Abs. 3 S. 1 DS-GVO stellt der Verantwortliche eine Kopie der personenbezogenen Daten, die Gegenstand der Verarbeitung sind, zur Verfügung.

Art. 15 Abs. 1 DS-GVO ist im Wege einer der Anwendung der Rechtsmissbrauchskontrolle nach den Grundsätzen von Treu und Glauben gemäß § 242 BGB vorgehenden richterlichen Rechtsfortbildung in seinem Anwendungsbereich teleologisch zu reduzieren bzw. einschränkend auszulegen. Artikel 20 Abs. 3 GG verpflichtet die Gerichte, nach Gesetz und Recht zu entscheiden. Eine reine Wortinterpretation schreibt die Verfassung nicht vor. Der Wortlaut des Gesetzes zieht im Regelfall daher keine starre Auslegungsgrenze (st. Rspr., vgl. BVerfG, Beschluss vom 25.04.2016, Az. 1 BvR 1147/12; BGH, Urteil vom 07.12.2011, Az. IV ZR 50/11). Die teleologische Reduktion ist dann vorzunehmen, wenn die auszulegende Vorschrift auf einen Teil der vom Wortlaut erfassten Fälle nicht angewandt werden soll, weil insbesondere Sinn und Zweck der Norm sowie gegebenenfalls auch ihre Entstehungsgeschichte und der Gesamtzusammenhang der einschlägigen Regelungen gegen eine uneingeschränkte Anwendung sprechen (BVerfG, Urteil vom 31.10.2016, Az. 1 BvR 871/13 u.a.; BGH, Urteil vom 07.05.2014, Az.: IV ZR 76/11). So liegt der Fall hier.

Nach Art. 1 Abs. 2 DS-GVO sowie Erwägungsgrund 1 bestehen Anlass und Regelungsziel der DS-GVO in der Umsetzung und Sicherstellung des gemäß Art. 8 Abs. 1 GRCh und Art. 16 Abs. 1 AEUV gewährleisteten Schutzes natürlicher Personen bei der Verarbeitung der sie betreffenden personenbezogenen Daten. Schon nach Art. 8 Abs. 2 S. 2 GRCh besteht das Recht jeder Person, Auskunft über die sie betreffenden erhobenen Daten zu erhalten und die Berichtigung der Daten zu erwirken. Ausweislich von Erwägungsgrund 7 S. 2 zur DS-GVO soll der Einzelne selbst über die Preisgabe und Verwendung seiner persönlichen Daten bestimmen können, natürlichen Personen soll die Kontrolle über ihre eigenen Daten zukommen. Zu diesem Zweck räumen Art. 8 Abs. 2 GRCh und Art. 15 Abs. 1 DS-GVO der betroffenen Person ein Auskunftsrecht darüber ein, welche personenbezogenen Daten von Dritten erhoben worden sind. Ziel ist es, dass sich der Betroffene der Verarbeitung bewusst ist und auf dieser Grundlage deren Rechtmäßigkeit überprüfen kann (Erwägungsgrund 63 S. 1 zur DS-GVO). Das Auskunftsrecht aus Art. 15 Abs. 1 DS-GVO und – damit korrespondierend – das Recht auf Kopie gemäß Abs. 3 der Vorschrift stellen subjektive Datenschutzrechte dar. Erst die Kenntnis darüber, ob und in welchem Umfang ein Verantwortlicher personenbezogene Daten verarbeitet, versetzt die betroffene Person in die Lage, weitere Rechte auszuüben. Der Auskunftsanspruch soll für den Betroffenen Transparenz schaffen und ihm das für die Durchsetzung dieses Grundrechts notwendige Wissensfundament an die Hand geben. Er ist seiner Natur nach ein Instrument zur Durchsetzung der weiteren Betroffenenrechte wie Berichtigung (Art. 16 DS-GVO), Löschung (Art. 17 DS-GVO) oder dem datenschutzrechtlichen Schadensersatz (Art. 82 DS-GVO). Sekundäres Gemeinschaftsrecht, dass – wie hier – der Achtung und Gewährleistung von unionalen Grundrechten dient, ist nach gefestigter Rechtsprechung in deren Lichte auszulegen.

Die von der Klägerseite begehrte Auskunft wird von der aufgezeigten Zielrichtung ersichtlich nicht erfasst. Der Anspruch aus Art. 15 DS-GVO ist, wie sein systematischer Zusammenhang im Gefüge der DS-GVO sowie der erklärte Wille des europäischen Verordnungsgebers zeigen, gerade nicht zur Verfolgung insb. auch zivilrechtlicher Ansprüche, sondern in einem konkreten Verwendungszusammenhang zur Klärung und in Abgrenzung bestimmter datenschutzrechtlicher Belange des Betroffenen geschaffen worden. Die Klägerseite bezweckt mit ihrem Auskunftsverlangen erklärtermaßen ausschließlich die Verfolgung vermögensrechtlicher Interessen; sie möchte auf der Grundlage der Auskunft die Beitragsanpassungen der Beklagten tarifmäßig beziffern können sowie sie im Hinblick auf ihre Wirksamkeit überprüfen und fordert daran anknüpfend die Rückzahlung etwaiger unwirksam erhöhter Beiträge ein (vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 15.11.2021 – I-20 U 269/21 -, Rn. 11).

II.

Ein Auskunftsanspruch folgt auch nicht aus § 3 Abs. 3 S. 1, Abs. 4 VVG.

Diese Vorschriften beziehen sich nur auf abhanden gekommene oder vernichtete Versicherungsscheine sowie auf die eigenen Erklärungen des Versicherungsnehmers, die er in Bezug auf den Vertrag abgegeben hat. Zwar werden mit etwaigen Beitragserhöhungen vom Versicherer Nachträge zum Versicherungsschein erteilt, die grundsätzlich in den Anwendungsbereich von § 3 VVG fallen. Die Klägerseite hat zum Abhandenkommen jedoch nicht Konkretes vorgetragen. Der pauschale Vortrag, ihr lägen die Nachträge nicht mehr vor, ist nicht ausreichend (vgl. OLG Nürnberg BeckRS 2022, 7415 Rn. 25).

III.

Auch die Grundsätze von Treu und Glauben aus § 242 BGB tragen das Auskunftsbegehren nicht. Die zwischen den Parteien bestehende Rechtsbeziehung bringt es nicht mit sich, dass die Klägerseite in entschuldbarer Weise über Bestehen und/oder Umfang ihres Rechts im Unklaren ist (vgl. Grüneberg, BGB, 81. Auflage 2022, § 260 Rn. 4, 7); denn es ist typisch für die zwischen den Parteien bestehende Rechtsbeziehung in Gestalt eines Krankenversicherungsvertrages, dass die Beklagte als Versicherer die Klägerseite als Versicherungsnehmerin über Beitragsanpassungen und deren Gründe informiert und informiert hat. Dementsprechend hat die Klägerseite auch ausgeführt, die Beklagte habe regelmäßig die Tarife erhöht und die entsprechenden Versicherungsscheine und Erhöhungsschreiben lägen ihr, der Klägerseite, nicht mehr vor. Letztere Behauptung schließt die Möglichkeit eines vorsätzlichen – auf Vernichtung oder anderweitiger Entsorgung beruhenden – Verlustes der Unterlagen ein und erlaubt damit auch nicht die Feststellung, jedenfalls derzeit habe sie in entschuldbarer Weise keine Kenntnis vom Bestehen oder Umfang ihres Rechts. Es ist grundsätzlich Sache der Vertragspartei, die ihr übersendeten Unterlagen sorgfältig aufzuheben, wenn sie diese in Zukunft zur Information über ihre Rechte und Pflichten aus dem Vertrag benötigen kann.

IV.

Letztendlich kann der Klägerseite auch das Urkunden-/Akteneinsichtsrecht aus § 810 BGB einen entsprechenden Auskunftsanspruch nicht verschaffen (vgl. Brandenburgisches Oberlandesgericht, B.v. 04.05.2022, 11 U 239/21, juris Rn. 13).

C.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 S. 1 ZPO und der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf §§ 708 Nr. 11, 711, 709 S. 2 ZPO.

D.

Das Gericht folgt bei der Streitwertberechnung der Klägerseite in der Klageschrift. Der Streitwert der Stufenklage richtet sich nach dem Interesse der Klägerseite, wie von ihr beziffert.

 

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