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Unfallversicherung – Wirbelkörperbruch nach Eigenbewegung beim Transport eines Tisches

Eigenbewegung und Unfallversicherung: Ein Wirbelkörperbruch beim Tischtransport stellt keine versicherte Leistung dar

In einem kürzlich ergangenen Urteil des Versicherungsrechts in Siegen wurde ein komplexer Fall rund um die Unfallversicherung und Eigenbewegung verhandelt. Die Klägerin hatte beim Transport eines schweren Tisches einen Wirbelkörperbruch erlitten und forderte Leistungen aus ihrer Unfallversicherung. Die Versicherung weigerte sich jedoch, den Vorfall als „Unfallereignis“ im Sinne des Vertrages anzuerkennen. Das Hauptproblem des Falles lag in der Frage, ob die Verletzung der Klägerin durch eine „Eigenbewegung“ verursacht wurde, die nicht durch äußere Einflüsse beeinflusst war, und somit nicht unter den Versicherungsschutz fällt.

Weiter zum vorliegenden Urteil Az.: 24 O 608/20 >>>

Die Position der Versicherung: Kein versichertes Ereignis

Unfallversicherung - Wirbelkörperbruch nach Eigenbewegung beim Transport eines Tisches
Versichertes Unfallereignis? Nein, sagt das Gericht: Verletzung durch Eigenbewegung beim Tischtransport fällt nicht unter den Versicherungsschutz. (Symbolfoto: fizkes /Shutterstock.com)

Die Versicherung argumentierte, dass die Verletzung der Klägerin nicht durch ein versichertes Ereignis verursacht wurde. Nach ihrer Auffassung war die Bewegung der Klägerin vollständig willensgesteuert und nicht durch äußere Einflüsse beeinflusst. Sie betonte, dass die Klägerin den Tisch bewusst und gezielt angehoben hatte und dass es keine unerwarteten äußeren Einflüsse gab, die die Verletzung verursacht haben könnten.

Die Sicht des Gerichts: Keine äußere Einwirkung

Das Gericht stellte fest, dass die Verletzung der Klägerin nicht durch eine äußere Einwirkung verursacht wurde. Es wurde argumentiert, dass eine Verletzung nur dann als Unfall gilt, wenn sie durch eine unerwartete äußere Einwirkung verursacht wird. In diesem Fall war die Bewegung der Klägerin jedoch vollständig willensgesteuert. Das Gericht führte weiter aus, dass der Tisch keine unvorhersehbare Eigendynamik entwickelte, die zu der Verletzung hätte führen können.

Die Rolle der Eigenbewegung: Keine unerwartete Ausweichbewegung

Das Gericht ging auf die Bedeutung der „Eigenbewegung“ ein und stellte fest, dass die Verletzung der Klägerin durch eine vollständig willensgesteuerte und beherrschbare Eigenbewegung verursacht wurde. Es gab keine unerwartete Ausweichbewegung oder andere äußere Einflüsse, die die Verletzung verursacht haben könnten. Die Klägerin hatte den Tisch bewusst in einer bestimmten Weise angehoben und es gab keine unvorhersehbaren äußeren Umstände, die zu der Verletzung geführt haben könnten.

Schlussgedanken: Ein Fall von körperlicher Anstrengung, nicht von Unfall

Das Gericht kam zu dem Schluss, dass die Verletzung der Klägerin nicht durch ein versichertes Unfallereignis verursacht wurde. Die Verletzung wurde allein durch die körperliche Anstrengung der Klägerin verursacht, die den Tisch bewusst und gezielt angehoben hatte. Es gab keine unerwarteten äußeren Einflüsse oder eine unvorhersehbare Eigendynamik des Tisches, die zu der Verletzung hätten führen können. Daher wurde die Klage der Klägerin abgewiesen.

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Das vorliegende Urteil

LG Amberg – Az.: 24 O 608/20 – Endurteil vom 25.03.2021

1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Die Klägerin hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen

3. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.

Beschluss

Der Streitwert wird auf 6.000,00 € festgesetzt, gemäß § 3 ZPO.

Tatbestand

Die Parteien streiten um Ansprüche aus privater Unfallversicherung.

Die Klägerin ist Versicherungsnehmerin einer Unfallversicherung bei der Beklagten. Eine Invaliditätsgrundsumme von 100.000,00 € ist Vertragsbestandteil.

Am 20.02.2020 gegen 15.30 Uhr transportierte die Klägerin zusammen mit S. W. einen Schreibtisch in die Garage. Hierbei verwendeten sie zur Hilfe einen Rollteller zum Schieben. Die Garage wies eine einzelne Stufe auf. Die Klägerin verspürte einen plötzlichen Schmerz im Rücken. Die Lendenwirbelsäule der Klägerin war angebrochen. Die Klägerin befindet sich heute noch in Behandlung. Die angebrochene Lendenwirbelsäule wird zu einem Dauerschaden in Form einer Bewegungseinschränkung führen. Das Maß der Bewegungseinschränkung steht noch nicht abschließend fest.

Die Klägerin zeigte den Unfall am 06.03.2020 bei der Beklagten an.

Eine Regulierung durch die Beklagte erfolgte nicht.

Daher beauftragte die Klägerin den Klägervertreter mit der Geltendmachung der Forderung. Mit Schreiben vom 12.06.2020 wurde die Beklagte unter Fristsetzung bis 26.06.2020 aufgefordert, den geltend gemachten Anspruch dem Grund nach anzuerkennen.

Mit Schreiben vom 17.06.2020 lehnte die Beklagte den geltend gemachten Anspruch ab.

Der Klägervertreter behauptet ein mit dem Absetzen des Schreibtisches verbundenes Stolpern über die Treppe in der Garage.

Der Klägervertreter geht davon aus, dass es sich beim Ereignis um einen Unfall im Sinne des § 178 Abs. 2 Satz 1 VVG und im Sinne der Unfallversicherungsbedingungen AUB 2008 handle.

Das Absetzen des Schreibtischs und damit verbundene Stolpern über die Treppe stelle ein von außen auf den Körper einwirkendes Ereignis dar. Durch dessen mechanische Einwirkung habe sich die Klägerin verletzt.

Als Erst-recht-Schluss müsse von der Auch-Unfall-Definition auch eine Fraktur der Lendenwirbelsäule erfasst sein.

Außergerichtliche Rechtsanwaltskosten berechnet der Klägervertreter aus einem Gegenstandwert von 6.000,00 € aus einer 1,3-Geschäftsgebühr zzgl. 20 € Auslagenpauschale zzgl. 19% Mehrwertsteuer.

Die Klägerin beantragt:

1. Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, gegenüber der Klägerin anlässlich des Unfallereignisses vom 20.02.2020 Leistungen aus dem Unfallversicherungsvertrag, Police-Nr.: …, zu erbringen.

2. Die Beklagte wird verurteilt, die bei der Rechtsanwälten N1. und H. angefallenen außergerichtlichen Kosten in Höhe von 571,44 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu bezahlen.

Mit Schriftsatz vom 19.10.2020 beantragte der Klägervertreter für den Fall, dass der Klagantrag in Ziffer 1. unschlüssig wäre und die bezifferte Forderung geltend gemacht werden müsste, hilfsweise:

Es wird festgestellt, dass das Unfallereignis vom 20.02.2020 ein Unfallereignis im Sinne den Parteien bestehenden Unfallversicherungsvertrages, Police-Nr.: …, darstellt.

Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

Die Beklagte hält den Feststellungsantrag wegen fehlender Bestimmtheit und fehlendem Feststellungsinteresse für unzulässig.

Es werde zum Vorliegen der Anspruchs- und Fälligkeitsvoraussetzungen nicht substantiiert vorgetragen. Unklar sei auch, welche versicherten Leistungen in welcher Höhe begehrt würden.

Nach Auffassung der Beklagten stelle der Vorfall vom 20.02.2020 schon nach dem eigenen Vortrag der Klägerin kein versichertes Ereignis dar. Es liege keine Einwirkung von außen vor. Auch sei keine erhöhte Kraftanstrengung gegeben, da die Klägerin nach dem eigenen Vortrag lediglich spontan einen Schmerz im Rücken verspürt habe. Ein Zusammenhang mit einer erhöhten Kraftanstrengung sei nicht ersichtlich. Die Fraktur der Lendenwirbelsäule falle nicht unter die in Ziffer 1.4. AUB 2008 genannten Verletzungsarten. Ein Erst-recht-Schluss auf eine Fraktur der Lendenwirbelsäule sei unzutreffend. Andere Verletzungen und auch Frakturen, die durch eine erhöhte Kraftanstrengung hervorgerufen werden würden, seien nicht erfasst.

Zum weiteren Parteivortrag wird ergänzend auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

Das Gericht hat Beweis erhoben durch die uneidliche Einvernahme der Zeugin S. W. Zum Ergebnis der Beweisaufnahme wird auf das Protokoll der Sitzung vom 04.03.2021, Blatt 54 ff. der Akte, Bezug genommen.

Weiter hat es im Termin vom 04.03.2021 die Klägerin informatorisch befragt. Zum Ergebnis der informatorischen Anhörung wird ebenfalls auf das Protokoll der Sitzung vom 04.03.2021, Blatt 54 ff. der Akte, Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die Klage ist jedenfalls unbegründet und musste daher abgewiesen werden. Ein versichertes Ereignis im Sinne des § 178 VVG, Ziffern 1.3, 1.4 der AUB 2008 liegt nicht vor.

A.

Ob die Klage hinsichtlich des Feststellungsbegehrens in Ziffer 1 der Klageanträge zulässig ist, kann offen bleiben, da die Klage jedenfalls unbegründet ist. In derartigen Fällen kann die Entscheidung über das Bestehen eines Feststellungsinteresses unentschieden bleiben (vgl. Münch-Komm-ZPO/Becker-Eberhard, 5. Aufl., 2016, § 256 Rn. 38 m.w.N.).

B.

Ein versichertes Ereignis im Sinne des § 178 VVG, Ziffern 1.3, 1.4 der AUB 2008 ist nicht gegeben. Die Klägerin kann daher im Zusammenhang mit dem Vorfall vom 20.02.2020 keine Ansprüche gegen die Beklagte aus der streitgegenständlichen Versicherung geltend machen.

I.

In den allgemeinen Unfallversicherungsbedingungen, AUB 2008, Stand 01/2008, welche auch die Klagepartei für maßgebend erachtet, Bl. 84 R der Akte, heißt es unter anderem:

„…

1.1 Wir bieten Versicherungsschutz bei Unfällen, die der versicherten Person während der Wirksamkeit des Vertrages zustoßen.

.3 Ein Unfall liegt vor, wenn die versicherte Person durch ein plötzlich von außen auf ihren Körper wirkendes Ereignis (Unfallereignis) unfreiwillig eine Gesundheitsschädigung erleidet.

1.4 Als Unfall gilt auch, wenn durch eine erhöhte Kraftanstrengung an Gliedmaßen oder Wirbelsäule

– ein Gelenk verrenkt wird oder

– Muskeln, Sehnen, Bänder oder Kapseln gezerrt oder gerissen werden.

…“

II.

Die informatorische Befragung der Klägerin zum streitgegenständlichen Ereignis und die Einvernahme der Zeugin W. haben Folgendes ergeben:

1. Die Klägerin erklärte in ihrer informatorischen Anhörung vom 04.03.2021 unter anderem Folgendes (auf das Protokoll der Sitzung vom 04.03.2021, Blatt 54 ff. der Akte, wird Bezug genommen):

Sie habe einen Schreibtisch im Ganzen in die Garage transportieren wollen. Sie habe einen Rollteller mit vier Rädern geholt und den Tisch mit ihrer Freundin, der Zeugin W., darauf gestellt. Sie hätten diesen dann gemeinsam in den Hausflur gerollt. Bei der Haustüre sei ein Sockel, welchen sie mit dem Rollteller nicht hätten überwinden können. Der Rollteller habe zur Seite geschafft werden müssen und der Tisch habe angehoben werden müssen. Das habe sie dann gemacht. Beim Absetzen des Rolltellers habe sie dann den Schmerz im Rücken gespürt. Frau W. sei schon eine Stufe runter gegangen, also rückwärts mit dem Tisch runtergegangen. Der Tisch habe dann vom Rollteller runter gemusst. Sie habe den Rollteller mit dem Fuß weggestoßen und habe den Tisch dann mit beiden Händen gehabt. Sie habe ihn dann mit beiden Händen hochgehoben und sei dann mit dem Tisch in beiden Händen die eine Stufe runter. Dann sei der stechende Schmerz gekommen. Es sei also so gewesen, dass der Rollteller mit dem Tisch oben auf der Stufe gestanden sei. Sie habe dann den Tisch mit zwei Händen hochgehoben und mit dem Fuß den Rollteller unten weggestoßen und sei dann mit dem Tisch in beiden Händen die eine Stufe runtergegangen und dann sei der Schmerz gekommen. Das Rollteller zur Seite schieben, Tisch heben und den Schritt machen, das sei alles zur selben Zeit gewesen. Es sei alles in einem Vorgang gewesen. Als der Rollteller weg gewesen sei, habe sie die Kraft des Tisches verspürt. Dieser sei sehr schwer gewesen. Sie habe den schwereren Teil mit den Schubladen dran gehabt.

2. Die Zeugin W. teilte in ihrer Zeugenvernehmung vom 04.03.2021 unter anderem Folgendes mit (auf das Protokoll der Sitzung vom 04.03.2021, Blatt 54 ff. der Akte, wird Bezug genommen:

Sie hätten den Schreibtisch mit dem Blumenroller bis zur Haustüre gerollt. An der Haustüre sei eine Stufe. Der Schreibtisch sei zum Teil auf dem Roller drauf gewesen. Es sei trotzdem noch ein Gewicht vorhanden gewesen. Sie hätten ihn dort bis zu der Stufe gerollt. Er sei schwer gewesen. Dann habe man den Schreibtisch vor das Garagentor rüber tragen müssen. Sie hätten beide dann den Schreibtisch hochgehoben, eine an der einen Seite und eine an der anderen Seite. Sie denke, dass ihre Freundin zuerst zur Haustür mit dem Schreibtisch rückwärts raus gegangen sei. Dann habe sie ihn abgesetzt, weil er ihr zu schwer gewesen sei. Die Klägerin habe „au au“ gesagt, beim Hochheben vom Rollteller. Sie denke, dass die Klägerin den Rollteller zur Seite geschoben habe, weil sie ja nicht darüber gestolpert sei. Man hätte auch seitlich am Rollteller vorbeigehen können, ohne ihn wegzuschieben. Sie könne dazu jetzt nichts sagen. Das „au au“ sei bei Hochheben vom Rollteller gewesen. Die Klägerin habe nach dem „au au“ den Schreibtisch dann wieder abgesetzt. Dann habe ihn die Klägerin wieder hochgenommen und dann hätten sie ihn zur Garage rüber getragen. Auf Nachfrage des Klägervertreters bejahte sie, dass sie das Eigengewicht des Schreibtisches gespürt habe, als der Rollteller weg gewesen sei und sich das Eigengewicht dann in Richtung der Klägerin hinbewegt habe.

III.

Ein Unfall nach o.g. Ziffer 1.3 AUB 2008 liegt nicht vor, da es an einem von außen auf den Körper wirkenden Ereignis mangelt. Für den Unfallbegriff muss ein von außen auf den Körper einwirkendes Ereignis vorliegen. Ein solches ist vorliegend jedoch nicht gegeben.

1. Das Ereignis selbst darf nicht nur ein innerer Körpervorgang sein, z.B. ein Spontanbruch. Vorausgesetzt wird ein Einwirken der Außenwelt (Person oder Sache) auf den Körper des Verletzten, z.B. durch einen Zusammenstoß oder Sturz, wobei die Art der Einwirkung beliebig ist, wenn er auch für Dritte wahrnehmbar wird. Die Art der Einwirkung auf den Körper ist beliebig; sie kann mechanischer, elektrischer, chemischer und auch anderer Art sein. Ein Körperkontakt ist nicht erforderlich (zum Ganzen: Prölss/Martin-Knappmann, VVG, 30. Aufl., 2018, § 178 Rn. 3).

Auch eigene Bewegungen des Verletzten, wenn sie in ihrem Verlauf nicht gänzlich willensgesteuert sind, können Unfälle bewirken, wenn sie die Gesundheitsbeschädigung zusammen mit einer äußeren Einwirkung ausgelöst haben, z.B. beim Stoß gegen ein (nicht oder zu spät gesehenes) Hindernis, beim Sturz als Folge einer ungeschickten Bewegung, beim Umknicken eines Fußes an einer Bordsteinkante oder infolge einer Bodenvertiefung, beim Auftreten auf eine Bodenunebenheit (zum Ganzen: Prölss/Martin-Knappmann, VVG, 30. Aufl., 2018, § 178 Rn. 4 m.w.N.).

2. Die Arbeit mit oder an einem Gegenstand – wie vorliegend gegeben – ist keine Einwirkung in diesem Sinne, solange diese ausschließlich Objekt von Bemühungen bleibt, also keine Eigendynamik entwickelt und auch der Geschädigte nicht stürzt oder umknickt. Verletzungen bei einem solchen Vorfall beruhen nicht auf einen Unfall, können aber in Einzelfällen auf ein nach den Bedingungen gleichgestelltes Ereignis (erhöhtes Kraftanstrengung) zurückzuführen zu sein (siehe hierzu sogleich 2.). Nicht mehr Objekt von Bemühungen ist ein Gegenstand, der aus dem Gleichgewicht zu geraten oder umzustürzen droht, erst recht, wenn er bereits in Bewegung ist (zum Ganzen: Prölss/Martin-Knappmann, VVG, 30. Aufl., 2018, § 178 Rn. 4 m.w.N.).

Tritt im Zuge der Aktion der Versicherten ein irregulärer Zustand der Außenwelt hinzu, der der willensgesteuerten Bewegung eine andere Richtung gibt und damit dem Handlungsverlauf eine Eigendynamik verleiht, die diesen für den Versicherten nicht mehr beherrschbar macht, begründet dies eine Einwirkung von außen (BeckOK/VVG-Jacob, 10. Ed., Stand: 01.02.2021, § 178 Rn. 16). Erforderlich ist immer, dass die geplanten Bewegungsabläufe nicht programmgemäß bzw. dass sie irregulär verlaufen. Die Bewegung muss anders als gewollt verlaufen oder abgeschlossen werden. Ein Unfallereignis setzt also gewissermaßen stets die irreguläre Unterbrechung eines normalen „Ablaufs der Eigenbewegungen“ voraus (Langheid/Rixecker-Rixecker, VVG, 5. Aufl., 2016, § 178 Rn. 7).

Unter einer reinen Eigenbewegung als Verletzungsursache versteht man ein rein willensgesteuertes, planmäßig verlaufendes, vom Versicherungsnehmer beherrschtes Geschehen, das schon als solches und ohne jeden Kontakt mit der Außenwelt zu einer gesundheitlichen Schädigung führt (Langheid/Rixecker-Rixecker, VVG, 5. Aufl., 2016, § 178 Rn. 6).

3. Die Rechtsprechung hat ebenfalls Grundsätze entwickelt, die bei Arbeiten an oder mit einem Gegenstand zu beachten sind (hierzu u.a. auch OLG Karlsruhe, Urteil vom 20.12.2018, 12 U 106/18, NJOZ 2019, 891):

Führt eine vom Willen des Versicherten getragene und gesteuerte Eigenbewegung zu einer plötzlichen Einwirkung von außen, wie es bei einer ursprünglich zwar gewollten und bewusst eingeleiteten, hinsichtlich des Tritts in eine Vertiefung neben dem Plattenweg dann aber unerwarteten Ausweichbewegung mit nachfolgendem Straucheln der Fall ist, wobei die vom Kläger bis dahin willentlich und problemlos getragene Last von 40 kg eine ebenfalls unerwartete Eigendynamik entfaltet hat und vom Kläger aufgefangen bzw. abgestützt werden musste, war die anfänglich willensgesteuerte Eigenbewegung in ihrem weiteren Verlauf nicht mehr gezielt und für den Kläger beherrschbar, sodass Eigenbewegung und äußere Einwirkung zusammengetroffen sind, wobei die äußere Einwirkung ihrerseits Einfluss auf die veränderte und nicht mehr beherrschbare Eigenbewegung genommen hat (BGH, NJW-RR 2009, 679).

Der Ablauf oder Abschluss der Eigenbewegung muss von außen gestört oder behindert werden, wie etwa bei Umknicken des Fußes auf Grund einer Bodenunebenheit (OLG Hamm, r+s 2007, 518), bei Verletzungen nach dem Abspringen vom Fahrrad (OLG Hamm, NJW-RR 1996, 863) oder bei einem ungeschickten und unerwartet harten Aufkommen nach einem Sprung (BGH, NJW 1985, 1398).

Es genügt nicht, dass der Geschädigte im Rahmen einer gewollten Bewegung eine Verletzung erleidet. Als für einen bedingungsgemäßen Unfall nicht ausreichend erachtet wurden demgemäß Schäden aufgrund einer ungeschickten, aber gewollten und planmäßig verlaufenen Eigenbewegung (OLG Frankfurt a.M., r+s 2016, 481; OLG Karlsruhe, r+s 2013, 141; OLG Jena, r+s 2016, 142).

Allein die Arbeit mit oder an einem Gegenstand ist keine Einwirkung in diesem Sinne, solange dieser ausschließlich Objekt von Bemühungen bleibt, also keine unvorhergesehene Eigendynamik entwickelt und aufgrund dessen auf den Körper des Geschädigten dahingehend einwirkt, dass dieser stürzt, umknickt oder abgleitet (BGH, NJW-RR 1989, 217; OLG Frankfurt a.M., NJOZ 2014, 254; OLG Hamm, r+s 2013, 512; OLG Düsseldorf, r+s 2012, 509). Hierbei erlittene Verletzungen beruhen nicht auf einen Unfall.

Entscheidend ist, dass in einem derartigen Fall die Bewegung in ihrem ganzen Verlauf willensgesteuert erfolgt und es allein vom Willen des Geschädigten abhängt, ob und wie stark er in Einwirkung auf den Gegenstand seine Kräfte entfaltet (BGH, NJW-RR 1989, 217).

Demgegenüber ist nicht nur Objekt von Bemühungen ein Gegenstand, der aus dem Gleichgewicht zu geraten oder umzustürzen droht und der beim Gegensteuern des Versicherungsnehmers dessen Gesundheitsschädigung nach sich zieht (BGH, NJW-RR 2009, 679; OLG Frankfurt a.M., r+s 2009, 32; OLG Koblenz, r+s 2006, 297; OLG Nürnberg, r+s 2001, 217).

4. Nach diesen Grundsätzen liegt hier insgesamt kein von außen auf den Körper der Klägerin wirkendes Ereignis vor.

Nach den eigenen informatorischen Angaben der Klägerin kam der Schmerz, als sie den Tisch mit beiden Händen hochgehoben, mit dem Fuß den Rollteller unten weggestoßen habe und dann mit dem Tisch in beiden Händen eine Stufe hinuntergegangen sei, was alles in einem Vorgang gewesen sei. Als der Rollteller weg gewesen sei, habe sie die Kraft des Tisches verspürt, der sehr schwer gewesen sei, zumal sie den schwereren Teil mit den Schubladen dran gehabt habe. Sie gab an, dass ihre Freundin W. mit dem Schreibtisch rückwärts zur Haustür bzw. Garage hin vorausgegangen war.

Die Zeugin W. schilderte den Vorfall so, dass der Schreibtisch zum Teil auf dem Roller gewesen sei, aber trotzdem noch ein Gewicht vorhanden gewesen sei. Beide hätten beide dann den Schreibtisch hoch gehoben, eine an der einen Seite und eine an der anderen Seite. Sie denke, dass ihre Freundin zuerst zur Haustür mit dem Schreibtisch rückwärts raus gegangen sei. Die Klägerin habe die Schmerzen beim Hochheben vom Rollteller geäußert. Auf Nachfrage des Klägervertreters bejahte sie, das Eigengewicht des Schreibtisches gespürt zu haben, als der Rollteller weg gewesen sei, und dass sich das Eigengewicht dann in Richtung der Klägerin hinbewegt habe.

Von einem Stolpern über die Treppe (vgl. S. 4 der Klageschrift, Bl. 5 d.A.) berichteten weder die Klägerin selbst noch die Zeugin. Auch in der Unfallschilderung in der Schadensanzeige, bei den klägerischen Anlagen befindlich, ist hiervon keine Rede, vielmehr von einem spontanen Schmerz im Rücken beim Absetzen des Schreibtischs an der einzelnen Stufe zur Garage.

Nach den vorstehenden Maßstäben handelte es sich bei dem von der Klägerin durchgeführten Transport des Schreibtisches entsprechend den Schilderungen im Termin um eine von deren Willen getragene und gesteuerte Eigenbewegung, die gezielt und planmäßig verlief und für die Klägerin grundsätzlich durchgängig beherrschbar war. Dementsprechend liegt keine unerwartete Ausweichbewegung vor. Nach den Schilderungen der Klägerin selbst und der Zeugin W. kam es nicht zu einem unerwarteten Straucheln, Schleudern, Abrutschen, Abgleiten o.ä.; vielmehr ereignete sich der Transport – bis auf den Schmerz der Klägerin – plangemäß und wie vorgestellt und beabsichtigt.

Auch eine Verschiebung des Gewichts des Schreibtisches muss dabei außer Betracht bleiben, da insofern kein irregulärer Zustand der Außenwelt hinzugetreten ist und das Gewicht des Schreibtisches vielmehr von vornherein in dieser Form existierte und von der Klägerin beim Anheben bewusst auch in dieser Form in Kauf genommen wurde. Überdies kann das Gericht nicht von einer Bewegung des Gewichts des Schreibtischs zur Klägerin hin ausgehen, weil die Klägerin selbst äußerte, dass ihre Freundin rückwärts über die Stufe vorausgegangen sei und sich das Gewicht dann ohnehin nur in deren Richtung, also nach unten hin, hätte verlagern oder verschieben können. Es entfaltete sich aber ohnehin keine unerwartete Eigendynamik; vielmehr war diese Bewegung voraussehbar, planbar und man konnte sich darauf einstellen. Es kam zu keinem unvorhergesehenen Sturz, Umknicken etc. Der Schreibtisch war ganz unabhängig von jeglicher menschlicher oder sonstiger Einwirkung einfach vorhanden. Dieser blieb ausschließlich das Objekt von Bemühungen. Vorliegend trafen nicht, wie erforderlich, Eigenbewegung und äußere Einwirkung dergestalt zusammen, dass die hinzugetretene äußere Einwirkung ihrerseits Einfluss auf eine veränderte und nicht mehr beherrschbare Eigenbewegung genommen hätte. Vielmehr ist die Eigenbewegung unter Nutzung der von Anfang an unveränderten äußeren Rahmenbedingungen erfolgt, die ihrerseits nicht Einfluss auf die unveränderte und nach wie vor beherrschbare Eigenbewegung genommen haben, sondern lediglich in Folge sonstiger Umstände, bspw. der körperlichen Konstitution der Klägerin, zur erlittenen Verletzung führten. Der Schreibtisch hat nicht auf die Klägerin, sondern die Klägerin hat durch das Hochheben auf den Schreibtisch, eingewirkt. Dementsprechend erfuhr der Schreibtisch durch das Hochheben als willensgesteuerte Bewegung der Klägerin keine andere Richtung und wurde auch nicht irregulär unterbrochen.

Dass letztlich mit der Schädigung der Wirbelsäule ein unerwünschtes Ergebnis vorliegt, begründet zwar die bedingungsgemäß erforderliche Unfreiwilligkeit, mag aber nichts daran ändern, dass es sich hierbei um einen durch gewollte und planmäßig verlaufene Eigenbewegung erlittenen Schaden handelt (so auch OLG Karlsruhe, Urteil vom 20.12.2018, 12 U 106/18, NJOZ 2019, 891).

Es ist weder vorgetragen noch ersichtlich, dass der Schreibtisch aus der Balance geraten wäre und die Klägerin versucht hätte, ihn aufzufangen, dass ein anderer Widerstand als erwartet gegeben gewesen und dies eine Eigendynamik hervorgerufen hätte o.ä.; vorliegend ist die Gesundheitsschädigung vielmehr allein auf Grund der körperlichen Anstrengung eingetreten. Ein Unfall ist nicht gegeben, wenn sich die versicherte Person beim Transport eines (zu) schweren Gegenstands verletzt (zum Ganzen: BeckOK/VVG-Jacob, 10. Ed., Stand: 01.02.2021, § 178 Rn. 18 m.w.N.).

Nach alledem mangelt es vorliegend in einer Gesamtschau also am Vorliegen eines von außen auf den Körper der Klägerin einwirkenden Ereignisses.

IV.

Auch ist kein gleichgestelltes Ereignis im Sinne der o.g. Ziffer 1.4 der AUB 2008 gegeben (Gelenksverrenkung oder Zerrung bzw. Zerreißung von Muskeln, Sehnen, Bändern oder Kapseln durch eine erhöhte Kraftanstrengung an Gliedmaßen oder Wirbelsäule). Ein Erst-recht-Schluss, wie klägerseits gezogen, ist nicht möglich.

1. Erhöhte Kraftanstrengung an Gliedmaßen oder Wirbelsäule besagt, dass der mit einer normalen körperlichen Bewegung naturgemäß verbundene Kraftaufwand nicht ausreicht. Erforderlich ist ein erhöhter Einsatz von Muskelkraft in der konkreten Situation, der nicht plötzlich und auch nicht auf eine äußere Einwirkung zurückzuführen sein muss. Typische Fälle einer erhöhten Kraftanstrengung sind das Hantieren mit schweren Gegenständen oder sonstige gesteigerte körperliche Tätigkeit (zum Ganzen: Prölss/Martin-Knappmann, VVG, 30. Auflage, 2018, AUB 2010 Ziffer 1 Rn. 8).

Eine solche ist vorliegend gegeben. Das Verbringen bzw. Heben des Tischs war mit einer erhöhten Kraftanstrengung an der Wirbelsäule verbunden.

2. Die Kraftanstrengung muss nach den o.g. Bedingungen kausal für Verrenkungen eines Gelenks (d.h. nicht normale Entfernung von Gelenkflächen voneinander) bzw. Zerrungen (d.h. Überbeanspruchung, ohne dass mehr als einzelne Faserbündeln zerrissen werden) oder Zerreißungen (d.h. Substanztrennung) von Muskeln, Sehnen, Bändern oder Kapseln sein (zum Ganzen: Prölss/Martin-Knappmann, VVG, 30. Auflage, 2018, AUB 2010 Ziffer 1 Rn. 12).

Dies ist auch unter Zugrundelegung des Klagevortrags nicht der Fall. Es kam vorliegend zu einem (An-)Bruch der Lendenwirbelsäule. Ein solcher ist von der o.g. Definition nicht erfasst.

Zum einen stellt ein Bruch eines Wirbelkörpers schon keine Zerreißung dar, da er nicht das Ergebnis zweier entgegengesetzter Kräfte ist (OLG Hamm, VersR 1988, 242; OLG Oldenburg, VersR 1985, 35). Zum anderen ist der Versicherungsschutz aber ohnehin auf die Verletzung der in den Bedingungen ausdrücklich aufgeführten Gewebe beschränkt und derartige (An-)Brüche sind damit nicht erfasst (Prölss/Martin-Knappmann, VVG, 30. Auflage, 2018, AUB 2010 Ziffer 1 Rn. 12).

3. Auch kann kein Erst-recht-Schluss auf den (An-)Bruch der Lendenwirbelsäule gezogen werden und es kann auch keine analoge Anwendung stattfinden.

Der Versicherungsschutz ist auf die ausdrücklich genannten Verletzungen beschränkt. Es ist ohnehin schon eine Ausnahme bzw. Erweiterung des Unfallbegriffs in Form eines Wie-Unfalls gegeben, da es am Merkmal der äußerlichen Einwirkung mangelt; eine weitere ausdehnende Auslegung ist insofern nicht zulässig (Prölss/Martin-Knappmann, VVG, 30. Auflage, 2018, AUB 2010 Ziffer 1 Rn. 12).

C.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit basiert auf § 709 ZPO.

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