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Unfallversicherung – Obliegenheitsverletzung wegen einer verspäteten Schadensanzeige

LG Dortmund – Az.: 2 O 42/15 – Urteil vom 05.10.2016

Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 15.312,50 EUR (in Worten: fünfzehntausenddreihundertzwölf 50/100 Euro) nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 20.03.2015 zu zahlen.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits nach einem Streitwert von 15.312,50 EUR.

Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

Der 1973 geborene Kläger unterhält bei der Beklagten unter anderem eine Unfallversicherung im Deckungskonzept Basis gemäß Ersatzversicherungsschein vom 22.01.2014. Versichert ist u.a. eine Invaliditätsgrundsumme von 87.500,00 EUR mit Progressionsstaffel 500 % Plus. Es gelten die allgemeinen Unfallversicherungsbedingungen MultiPlusmaximo (AUB-MPM 2009) sowie Klauseln für die Unfallversicherung MultiPlusmaximo der Beklagten.

Der Kläger zeigte der Beklagten mit Unfallanzeige vom 16.10.2013 an, dass er am 28.10.2012 gegen 23:00 Uhr einen Unfall am Arbeitsplatz im Rollenkeller erlitten habe. Er sei auf einer Rollenschiene ausgerutscht und mit dem linken Sprunggelenk umgeknickt. Laut Arztbericht des Dr. T vom 05.11.2012 wurde der Kläger an diesem Tage erstmalig behandelt mit dem Befund „das M Sprunggelenk ist schmerzhaft geschwollen, über der Achillessehne findet sich eine druckschmerzhafte Schwellung, die Bewegungen sind möglich aber endgradig schmerzhaft.“ Dr. T stellte die Diagnose Sprunggelenksdistorsion. Der Kläger wurde arbeitsunfähig krankgeschrieben. Laut ärztlicher Feststellung des Dr. T vom 27.02.2014 ist infolge der schweren Sprunggelenksdistorsion vom 28.10.2012 ein Dauerschaden am linken Sprunggelenk in Form von Schmerzen und Bewegungsstörung und Belastungsstörung eingetreten (Anlage 8 zur Klageschrift). Wegen fortbestehender Beschwerden wurde am 12.09.2013 ein Kernspintomogramm des linken Sprunggelenks gefertigt. Ein weiteres Kernspintomogramm sowie ein Computertomogramm wurde am 22.11.2013 in den Berufsgenossenschaftlichen Universitätsklinikum Bergmannsheil Bochum gefertigt, nachdem am 21.10.2013 dort Röntgenaufnahmen des linken Sprunggelenks erstellt worden waren.

Der Kläger behauptet, er leide infolge des Unfalls an einer schmerzhaften Bewegungseinschränkung beim Fußheben und beim Senken des Fußes, ebenso bei seitlichen und kreisenden Bewegungen. Die Achillessehne sei stark schmerzhaft seit dem Unfall und regelmäßig angeschwollen. Gehstrecken seien nur zwischen 200 bis 300 m am Stück möglich. Morgens benötige er eine lange Anlaufphase, um den Fuß belasten zu können. Nachts leide er unter starkem Ruheschmerz. Er müsse orthopädisches Schuhwerk tragen. Der Unfall habe sich so ereignet, dass er mit dem linken Sprunggelenk nach außen umgeknickt sei, als er auf eine im Boden versenkte Schiene getreten sei. Die Schiene sei sehr schnell weggerutscht.

Der Kläger beantragt, die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 15.312,50 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 20.03.2015 zu zahlen, die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 1.184,05 EUR an außergerichtlichen Kosten nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 20.03.2015 zu zahlen.

Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

Sie beruft sich auf eine vorsätzliche Obliegenheitsverletzung wegen einer verspäteten Schadenanzeige. Im Übrigen habe zu 100 % die am linken Sprunggelenk bestehende Vorschädigung des Klägers bei den Folgen des Unfallereignisses mitgewirkt. Sie meint, es komme allenfalls ein Gliedertaxwert in Höhe von 40 % für den Fußwert in Betracht. Da nur das Deckungskonzept „Basis“ vereinbart worden sei, sei nur die Klausel „AU 34“ vereinbart worden und nicht die Klausel „AU 004-verbesserte Gliedertaxe“ und auch nicht die Klausel „AU029“ aus der sich ergibt, dass ein Mitwirkungsanteil von Krankheiten und Gebrechen nur bei einem Grad in Höhe von mehr als 50 % zu berücksichtigen ist.

Wegen des weiteren Parteivortrags wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

Das Gericht hat den Kläger angehört sowie Beweis erhoben durch Vernehmung der Zeugen L und A sowie durch Einholung eines Gutachtens des Sachverständigen Dr. M. Wegen des Ergebnisses der Anhörung und der Beweisaufnahme wird auf die Sitzungsprotokolle vom 04.11.2015 und 14.09.2016 sowie das schriftliche Gutachten vom 16.02.2016 des Sachverständigen Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Klage ist begründet.

Dem Kläger steht aus dem Versicherungsvertrag in Verbindung mit § 178 Abs. 1 VVG ein Anspruch auf Invaliditätsleistung gegen die Beklagte zu.

1. Der Kläger hat am 28.10.2012 einen Unfall am Arbeitsplatz erlitten. Er hat nämlich durch ein plötzlich von außen auf seinen Körper einwirkendes Ereignis unfreiwillig eine Gesundheitsschädigung erlitten (Ziffer 1.3.1. AUB-MPM 2009, § 178 Abs. 2 VVG). Der Kläger hat plötzlich eine Gesundheitsschädigung erlitten, als er mit dem linken Fuß im Papierrollenkeller umknickte. Er hat die Verletzung am linken Sprunggelenk nicht durch eine ungeschickte Eigenbewegung, sondern durch ein Stolpern über eine der dort im Boden eingelassenen Schienen erlitten, so dass sie auch von außen eingetreten ist. Dies ergibt sich aus den glaubhaften Angaben des Klägers, die zum Randgeschehen von den Zeugen L und A bestätigt worden sind. Auch der Sachverständige Dr. M hat ausgeführt, dass der vom Kläger geschilderte Unfallhergang mit der nachfolgenden Verletzung, nämlich dem Distorsionstrauma am linken Sprunggelenk vereinbar ist. Für einen abweichenden Schadensablauf gibt es keinerlei Anhaltspunkte. Insbesondere hat der Kläger konsistent das Unfallereignis über einen längeren Zeitraum hinweg geschildert. Dass der Kläger in der ersten Zeit nach dem Unfall weiter arbeitete und erst am 05.11.2012 einen Arzt aufsuchte, steht dem Unfall nicht entgegen. Der Kläger und die Zeugen haben übereinstimmend bekundet, dass es unter den Kollegen üblich war, sich wegen des Personalmangels erst dann krankschreiben zu lassen, wenn es gar nicht mehr anders ging. Dementsprechend hat auch der Sachverständige ausgeführt, dass viele Patienten ein Distorsionstrauma zunächst in Eigenregie behandelten, etwa mit Salben und Schmerztabletten und erst dann, wenn die Beschwerden persistierten oder sich verschlimmerten, den Arzt aufsuchten.

2. Durch die schriftlichen und mündlichen Ausführungen des Sachverständigen Dr. M ist bewiesen, dass der Kläger unfallbedingt eine dauernde Funktionsbeeinträchtigung am linken Sprunggelenk erlitten hat. Der Sachverständige hat ausgeführt, dass der Kläger eine Außenbandteilruptur und eine Kontusion zwischen der inneren Sprungbeinkante und der Innenfläche des Innenknöchels erlitten habe. Da diese erst mit dem Kernspintomogramm und Computertomogramm vom 22.11.2013 festgestellt worden seien, könne nur mit überwiegender Wahrscheinlichkeit festgestellt werden, dass sie Folge des Unfalls vom 28.10.2012 seien. Da der Kläger jedoch in der Zwischenzeit keinen Unfall geschildert habe und insoweit auch wegen eines weiteren Unfalls nicht in ärztlicher Behandlung gewesen sei, sei anzunehmen, dass die festgestellten traumatischen Verletzungen ursächlich auf den Unfall vom 28.10.2012 zurückzuführen seien. Der Zustand bestehe jedenfalls seit Feststellung des Defekts am 22.11.2013 dauerhaft, da ein folgenloses Ausheilen dieses Defekts nicht mehr möglich ist. Diese Ausführungen des Sachverständigen, der sich auch mit dem Aufsatz des Prof. Dr. I, der dem Gutachten des Sachverständigen nicht widerspricht, auseinandergesetzt hat, waren überzeugend. Danach ist auch erklärlich, weshalb die Sprunggelenksdistorsion erst im weiteren Verlauf zu erheblichen Beschwerden entsprechend dem Erscheinungsbild einer Osteochondrosis dissecans führte. Es ist davon auszugehen, dass der Dauerzustand bereits zum 28.10.2013 eingetreten war, da sich der Kläger bereits im September 2013 wegen zunehmender Beschwerden in ärztliche Behandlung begab.

Die Höhe der Invaliditätsentschädigung bemisst sich nach der verbesserten Gliedertaxe nach einem Fußwert von 70 %. Aus dem Ersatzversicherungsschein ergibt sich nicht, dass die Klauseln für die Unfallversicherung MultiPlusmaximo (AU-MPM 2009) nicht vollumfänglich Vertragsbestandteil sind. Denn diese Klauseln sind unter dem Stichwort „Ihre Vertragsgrundlagen Unfall-Versicherung“, das links fettgedruckt ist, in vollem Umfang zitiert. Dort ist keine Einschränkung auf einzelne Klauseln ersichtlich. Der durchschnittliche Versicherungsnehmer kann die Einschränkung auf Seite 12 der Versicherungsbedingungen „jede dieser Klauseln ist nur dann Vertragsbestandteil, wenn sie im Versicherungsschein, in dessen Nachträgen bzw. Deckungskonzept ausdrücklich als vereinbart aufgeführt ist“, nur so verstehen, dass diese Klauseln in vollem Umfang Vertragsgrundlage sind, da sie als Vertragsgrundlage auch im Versicherungsschein genannt worden sind, zumal sich zum Deckungskonzept Basis keine nähere Erläuterung im Versicherungsschein findet. Der Sachverständige hat weiter ausgeführt, dass über die unfallbedingten Verletzungen hinaus beim Kläger degenerative Verschleißzustände am linken Sprunggelenk bestünden, die das normale Maß altersbedingter Verschleißzustände überschritten. Dies sei ebenfalls aus den Kernspinaufnahmen sowie aus den Röntgenaufnahmen und den computertomografischen Aufnahmen ersichtlich. Diese haben aber unberücksichtigt zu bleiben, da sie 50 % nicht übersteigen. Gemäß der Klausel AU029 unterbleibt die Minderung bei einem Mitwirkungsanteil von Krankheiten oder Gebrechen von bis zu 50 % abweichend von Ziffer 3 AUB-MPM 2009. Die vom Sachverständigen festgestellte Mitwirkung unfallunabhängiger Beschwerden von 1/3 war daher nicht zu berücksichtigen.

Dem Kläger steht mithin eine Leistung von 3/10 Fußwert gegen die Beklagte zu. 21 % (3/10 von 70 %) der Versicherungssumme von 87.500,00 EUR ergeben einen die Klageforderung übersteigenden Anspruch. Insoweit war der Klage in vollem Umfang zuzusprechen.

3. Der Beklagten ist es verwehrt, sich auf eine vorsätzliche Obliegenheitsverletzung wegen der verspäteten Schadenanzeige zu berufen. Es ist davon auszugehen, dass der Kläger seinen Versicherungsschutz nicht gefährden wollte, indem er die Schadenanzeige verspätet einreichte. Vielmehr hatte er erst nach Fertigung der Kernspintomogramme Kenntnis von der Dauerhaftigkeit der Verletzung. Die zitierte Entscheidung des OLG Rostock vom 19.2.2010 (5 U 197/09) ist zum VVG a.F. ergangen und daher hier nicht einschlägig. Im Übrigen ist der Kausalitätsgegenbeweis nach § 28 Abs. 3 VVG durch die Ausführungen des Sachverständigen, dass die dauernde Beeinträchtigung erst durch die Bildgebung festzustellen war, geführt.

Dem Kläger steht kein Anspruch auf Ersatz der vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten zu, da er sich bereits anwaltlich vertreten ließ, als sich die Beklagte noch nicht in Verzug befand.

Die prozessualen Nebenentscheidungen folgen aus §§ 91 Abs. 1, 709 ZPO.

 

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