Gericht entscheidet über Leistungspflicht der Krankenversicherung
In einem Rechtsstreit zwischen einem Kläger und seiner Krankheitskostenvollversicherung hat das LG Nürnberg-Fürth entschieden, dass die Versicherung die Kosten für einen individuell angepassten Rollstuhl samt Zubehör und Folgekosten für den schwerbehinderten Sohn des Klägers übernehmen muss, während der Anspruch auf einen elektrischen Antrieb für den Rollstuhl abgelehnt wurde, da dieser nicht als medizinisch notwendig erachtet wurde.
Übersicht
- Gericht entscheidet über Leistungspflicht der Krankenversicherung
- ✔ Das Wichtigste in Kürze
- ➜ Der Fall im Detail
- Streit um Hilfsmittelkosten führt zu richtungsweisendem Urteil
- Das Gerichtsurteil: Ein Sieg für die Patientenrechte
- Die Begründung des Gerichts
- Folgen des Urteils für die Versicherungslandschaft
- Die Anerkennung der individuellen Bedürfnisse schwer behinderter Menschen
- Zusammenfassung des rechtlichen Durchbruchs
- ✔ Häufige Fragen – FAQ
- § Relevante Rechtsgrundlagen des Urteils
- Das vorliegende Urtei
Weiter zum vorliegenden Urteil Az.: 8 O 3675/13 >>>
✔ Das Wichtigste in Kürze
- Das Landgericht Nürnberg-Fürth hat entschieden, dass eine Krankheitskostenvollversicherung die Kosten für einen individuell angepassten Rollstuhl inklusive Zubehör und zukünftige Folgekosten für einen schwerbehinderten Versicherten übernehmen muss.
- Ein elektrischer Antrieb für den Rollstuhl wurde nicht als medizinisch notwendig angesehen und daher kein Anspruch darauf festgestellt.
- Der Versicherte hat Anspruch auf ein Hilfsmittel, das individuell auf seine Bedürfnisse zugeschnitten ist, wobei die Versicherung für Reparaturen aufkommen muss, solange diese wirtschaftlich sind.
- Die Versicherung darf den Versicherten nicht auf ein günstigeres, aber nicht individuell angepasstes Modell verweisen.
- Die Kostenverteilung im Rechtsstreit folgt dem Ausmaß des Obsiegens und Unterliegens, wobei der Kläger 33% und die Beklagte 67% der Kosten tragen.
- Der Versicherungsnehmer hat Anspruch auf Erstattung vorgerichtlicher Anwaltskosten durch die Versicherung.
Kostenübernahme bei Hilfsmitteln
Die Krankheitskostenvollversicherung übernimmt in der Regel die Kosten für medizinisch notwendige Hilfsmittel wie Rollstühle, Prothesen oder Hörgeräte. Diese sollen dem Versicherten ein möglichst selbstbestimmtes Leben ermöglichen. Oft stellt sich jedoch die Frage, ob ein bestimmtes Hilfsmittel tatsächlich notwendig ist und zu welchem Anteil die Kosten übernommen werden müssen.
Kompliziert wird es, wenn der Versicherte individuell angepasste oder teurere Hilfsmittel benötigt. Dann prüft die Versicherung genau, ob die Mehrkosten angemessen sind und von der Vertragspflicht umfasst sind. Fallstricke lauern auch bei Folgekosten wie Reparaturen und beim Vorwurf einer möglichen Obliegenheitsverletzung seitens des Versicherten.
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➜ Der Fall im Detail
Streit um Hilfsmittelkosten führt zu richtungsweisendem Urteil
In einem aufsehenerregenden Rechtsstreit zwischen einem Kläger und seiner Krankenversicherung, dem LG Nürnberg-Fürth unter dem Aktenzeichen 8 O 3675/13, stand die Übernahme der Kosten für eine speziell angefertigte Sitzschale und deren Zubehör im Mittelpunkt. Der Versicherungsnehmer vertrat seinen schwer behinderten Sohn, für den diese Hilfsmittel als medizinisch notwendig erachtet wurden. Die Versicherung weigerte sich jedoch, die Kosten zu übernehmen, was eine tiefgreifende juristische Auseinandersetzung zur Folge hatte.
Das Gerichtsurteil: Ein Sieg für die Patientenrechte
Das Gericht stellte fest, dass die Krankenversicherung zur Kostenübernahme verpflichtet ist, da die Hilfsmittel medizinisch notwendig und somit im Versicherungsvertrag abgedeckt sind. Das Urteil betont die Pflicht der Versicherungen, für medizinisch erforderliche Hilfsmittel aufzukommen, selbst wenn diese eine individuelle Anfertigung erfordern. Diese Entscheidung stellt einen wichtigen Präzedenzfall dar, der die Rechte von Versicherten mit besonderen medizinischen Bedürfnissen stärkt.
Die Begründung des Gerichts
Die zentrale Frage war, ob die spezifischen Hilfsmittel als erstattungsfähig gemäß den Allgemeinen Versicherungsbedingungen anzusehen sind. Das Gericht folgte der Argumentation des Klägers, dass aufgrund der einzigartigen Bedürfnisse seines Sohnes standardisierte Hilfsmittel nicht ausreichend wären. Ein Fachgutachten bestätigte die medizinische Notwendigkeit der angeforderten Hilfsmittel, was die Entscheidung des Gerichts weiter untermauerte.
Folgen des Urteils für die Versicherungslandschaft
Das Urteil hat weitreichende Implikationen für die Praxis der Krankenversicherungen. Es verdeutlicht, dass Versicherer nicht pauschal Leistungen für individuell angepasste Hilfsmittel ablehnen können, wenn diese eine medizinische Notwendigkeit darstellen. Die Entscheidung stärkt somit die Position von Versicherten, die auf spezielle Hilfsmittel angewiesen sind, und setzt ein klares Zeichen für eine patientenorientierte Auslegung von Versicherungsleistungen.
Die Anerkennung der individuellen Bedürfnisse schwer behinderter Menschen
Dieses Urteil ist ein bedeutender Schritt hin zu einer gerechteren Behandlung von Menschen mit schweren Behinderungen im Gesundheitssystem. Es anerkennt, dass die medizinische Versorgung individuell angepasst sein muss, um den tatsächlichen Bedürfnissen der Betroffenen gerecht zu werden. Versicherungen sind nun gefordert, ihre Leistungspraxis entsprechend anzupassen und den Zugang zu notwendigen Hilfsmitteln zu erleichtern.
Zusammenfassung des rechtlichen Durchbruchs
Das LG Nürnberg-Fürth hat mit seinem Urteil einen wichtigen Beitrag zum Schutz der Rechte von Versicherten geleistet. Indem es die Kostenübernahme für individuell angepasste Hilfsmittel bestätigt, setzt es ein klares Signal für die Notwendigkeit einer patientenorientierten und bedürfnisgerechten medizinischen Versorgung. Dieser Fall unterstreicht die Bedeutung der richterlichen Überprüfung von Versicherungsentscheidungen und stärkt das Vertrauen in das Rechtssystem als Wächter der Patientenrechte.
✔ Häufige Fragen – FAQ
Was sind Obliegenheiten in einem Krankheitskostenvollversicherungsvertrag?
Obliegenheiten in einem Krankheitskostenvollversicherungsvertrag sind Pflichten des Versicherungsnehmers, die neben der Beitragszahlung bestehen und deren Einhaltung für den Erhalt des Versicherungsschutzes entscheidend ist. Diese Pflichten sind sowohl in den gesetzlichen Bestimmungen als auch in den vertraglichen Vereinbarungen festgelegt und umfassen verschiedene Aspekte vor und nach dem Abschluss des Vertrages sowie vor und nach dem Eintritt eines Versicherungsfalles.
Zu den Obliegenheiten vor Vertragsabschluss gehört beispielsweise die Anzeigepflicht, bei der der Versicherungsnehmer verpflichtet ist, alle relevanten Risikofaktoren, wie etwa Vorerkrankungen, wahrheitsgemäß zu offenbaren. Nach Vertragsabschluss und vor Eintritt des Versicherungsfalles kann es Obliegenheiten geben, die sich auf die Mitteilung von Veränderungen im Risikoumfeld beziehen.
Nach Eintritt des Versicherungsfalles sind Obliegenheiten wie die fristgerechte Meldung einer Krankenhausbehandlung innerhalb von 10 Tagen, die Auskunftserteilung auf Verlangen des Versicherers zur Feststellung des Versicherungsfalles, oder die Untersuchung durch einen vom Versicherer beauftragten Arzt zu nennen. In der Pflegepflichtversicherung müssen beispielsweise jede Krankenhausbehandlung und das Ende der beitragsfreien Mitversicherung der Kinder gemeldet werden.
Verletzt der Versicherungsnehmer diese Obliegenheiten vorsätzlich oder grob fahrlässig, kann dies zum Verlust des Versicherungsschutzes führen. Es ist auch wichtig zu beachten, dass Obliegenheitsverletzungen einer mitversicherten Person dem Versicherungsnehmer zugerechnet werden können.
Die Rechte des Versicherungsnehmers umfassen unter anderem das Kündigungsrecht, das Verpfändungsrecht, den Leistungsanspruch im Versicherungsfall und das Informationsrecht.
Bei einer Obliegenheitsverletzung kann der Versicherer je nach Schwere der Verletzung unterschiedlich reagieren, von einer Kürzung der Leistungen bis hin zur vollständigen Verweigerung der Leistung. Bei einer vorsätzlichen Obliegenheitsverletzung, die sich direkt auf den Eintritt oder Umfang des Schadens ausgewirkt hat, besteht keine Leistungspflicht des Versicherers.
Wann darf eine Krankenversicherung die Leistung verweigern?
Eine Krankenversicherung darf die Leistung verweigern, wenn der Versicherte seine Obliegenheiten verletzt hat. Obliegenheiten sind Verhaltensvorgaben, die der Versicherungsnehmer einhalten muss, um im Schadensfall Leistungen zu erhalten. Diese können sowohl gesetzlich als auch vertraglich festgelegt sein. Die Verletzung dieser Obliegenheiten kann dazu führen, dass die Versicherung keine Leistung erbringen muss. Es wird zwischen gesetzlichen und vertraglichen Obliegenheiten unterschieden, wobei die Einhaltung der Obliegenheiten im Interesse des Versicherungsnehmers liegt, da die Verletzung einer Obliegenheit zur Leistungsfreiheit der Versicherung führen kann.
Die Leistungsverweigerung tritt jedoch nicht automatisch ein. Das Versicherungsunternehmen muss diese geltend machen, und es muss dem Versicherungsnehmer Vorsatz oder zumindest eine grobe Fahrlässigkeit nachgewiesen werden. Eine leichte Fahrlässigkeit hat keine negativen Konsequenzen für den Versicherungsnehmer. Die Rechtsfolge der Leistungsfreiheit kann nur eintreten, wenn sie ausdrücklich in den Allgemeinen Versicherungsbedingungen (AVB) vereinbart wurde.
Ein Beispiel für eine Obliegenheitsverletzung ist die nicht fristgerechte Meldung eines Schadens oder die Nichtbeachtung der Anzeigepflicht bei Vertragsabschluss, wie etwa das Verschweigen von Vorerkrankungen. Auch die Nichtbeachtung von Schadenminderungspflichten, wie beispielsweise das Abstellen des Hauptwasserhahns bei einem Wasserrohrbruch, kann als Obliegenheitsverletzung gewertet werden.
Je nach Schwere der Obliegenheitsverletzung kann der Versicherer die Leistung kürzen oder vollständig verweigern. Bei einer einfach fahrlässigen Obliegenheitsverletzung bleibt der Versicherer leistungspflichtig, während bei grober Fahrlässigkeit oder vorsätzlicher Verletzung der Obliegenheiten die Leistung gekürzt oder verweigert werden kann.
Es ist wichtig zu beachten, dass der Versicherungsnehmer die Möglichkeit hat, den sogenannten Kausalitätsgegenbeweis zu führen. Dies bedeutet, dass er nachweisen kann, dass der Versicherungsfall auch ohne die Verletzung der Obliegenheit eingetreten wäre. In diesem Fall muss der Versicherer trotz der Obliegenheitsverletzung leisten, es sei denn, es liegt arglistiges Verhalten vor.
Wie kann man sich gegen eine Leistungsverweigerung der Krankenversicherung wehren?
Wenn eine Krankenversicherung die Leistung verweigert und man dies als ungerecht empfindet, gibt es mehrere Schritte, die man unternehmen kann, um sich dagegen zu wehren:
- Widerspruch einlegen: Zunächst sollte man bei der Krankenkasse schriftlich Widerspruch gegen den ablehnenden Bescheid einlegen. Dies muss innerhalb eines Monats nach Erhalt des Bescheides geschehen. Es ist ratsam, den Widerspruch per Einschreiben mit Rückschein oder per Fax zu versenden, um den fristgerechten Eingang nachweisen zu können.
- Beratungsstellen aufsuchen: Man kann sich an verschiedene Beratungsstellen wenden, um Unterstützung zu erhalten. Dazu gehören Verbraucherzentralen, die Unabhängige Patientenberatung Deutschland (UPD), das Bürgertelefon des Bundesministeriums für Gesundheit oder Sozialverbände wie den VDK oder den SoVD.
- Klage vor dem Sozialgericht: Wird der Widerspruch von der Krankenkasse abgelehnt, kann man Klage vor dem Sozialgericht erheben. Das Verfahren vor dem Sozialgericht ist in der Regel kostenfrei, es können jedoch Anwaltskosten anfallen, für die man gegebenenfalls Prozesskostenhilfe beantragen kann.
- Ombudsmann kontaktieren: Bei Problemen mit einer privaten Krankenversicherung kann man sich an den Ombudsmann für Private Kranken- und Pflegeversicherung wenden, der als Schlichtungsstelle fungiert.
- Aufsichtsbehörden informieren: Man kann sich auch an die zuständigen Aufsichtsbehörden wenden, um eine Beschwerde über die Krankenkasse einzureichen. Für gesetzliche Krankenkassen ist dies je nach Bundesland das Bundesamt für Soziale Sicherung oder die entsprechende Landesbehörde.
- Rechtliche Beratung einholen: Es kann sinnvoll sein, einen Fachanwalt für Sozialrecht zu konsultieren, um die eigenen Chancen und das weitere Vorgehen zu besprechen.
Es ist wichtig, alle Schritte sorgfältig zu dokumentieren und Fristen einzuhalten. Zudem sollte man sich nicht ausschließlich auf mündliche Zusagen verlassen, sondern immer auf schriftliche Bestätigungen bestehen.
§ Relevante Rechtsgrundlagen des Urteils
- § 1 VVG (Versicherungsvertragsgesetz) – Versicherungsfall und Leistungspflicht: Erläutert die Grundlagen des Versicherungsvertrages, einschließlich was einen Versicherungsfall darstellt und unter welchen Bedingungen die Versicherung zur Leistung verpflichtet ist. Dies ist zentral, da der Klagegegenstand die Leistungspflicht der Versicherung für die Kosten spezifischer Hilfsmittel betrifft.
- § 4 Nr. 3.3 AVB (Allgemeine Versicherungsbedingungen) – Erstattungsfähige Hilfsmittel: Spezifiziert, welche Hilfsmittel unter die Versicherungsleistung fallen. In diesem Fall waren die Bedingungen für die Übernahme der Kosten für ein Sitzschalenuntergestell und eine Sitzschale nach Maß entscheidend.
- § 256 Abs. 1 ZPO (Zivilprozessordnung) – Feststellungsklage: Erläutert die Voraussetzungen und Zulässigkeit einer Feststellungsklage. Dies ist relevant, da der Kläger eine Feststellung der Kostentragungspflicht durch die Versicherung begehrt hat.
- § 9 Nr. 4, § 10 Nr. 1 und Nr. 3 MB/KK (Musterbedingungen der Krankenversicherer) – Obliegenheiten des Versicherungsnehmers: Definiert die Pflichten des Versicherungsnehmers zur Schadensminderung und die Folgen bei deren Verletzung. In diesem Zusammenhang war relevant, ob der Kläger seine Obliegenheiten verletzt hat, was die Leistungsfreiheit der Versicherung beeinflussen könnte.
- § 28 Abs. 2 VVG – Leistungsfreiheit bei Obliegenheitsverletzung: Bestimmt, unter welchen Umständen die Versicherung aufgrund einer Obliegenheitsverletzung durch den Versicherungsnehmer von der Leistungspflicht befreit ist. Dies war im Kontext des Schadens am zur Verfügung gestellten Rollstuhl und der nicht gemeldeten Reparaturkosten bedeutend.
- § 192 Abs. 2 VVG – Begrenzung der Leistungspflicht: Erläutert die Grenzen der Leistungspflicht der Versicherung, insbesondere im Hinblick auf Übermaßversorgung und auffällige Missverhältnisse zwischen Aufwendungen und erbrachten Leistungen. Relevant im Zusammenhang mit der Argumentation der Versicherung gegen die Erstattung bestimmter Hilfsmittel.
Das vorliegende Urtei
LG Nürnberg-Fürth – Az.: 8 O 3675/13 – Urteil vom 23.04.2015
1.Es wird festgestellt, dass die Beklagte gegenüber dem Kläger verpflichtet ist, die Kosten für die Sitzschale nach Maß mit Zubehör (Abduktionskeil, Beckenfixierung, Thoraxpelotten, Armlehnen, Therapietisch, Inkontinenzbezug) gemäß Kostenvoranschlag der Firma B.S. GmbH Nr. K2 v. 26.09.2012 über 4.983,53 € und für das Sitzschalenuntergestell Sch. Mod. F. mit Zubehör für Sitzschale nach Maß gemäß Kostenvoranschlag der Firma B.S. GmbH Nr. K3 v. 27.02.2013 über 4.591,37 für den mitversicherten Sohn J K, geb. …1997, zu übernehmen und den Kläger von sämtlichen Folgekosten für den vorgenannten Rollstuhl, Sitzschale und Sitzschalenuntergestell abzüglich einer etwaigen zum Leistungszeitpunkt noch nicht erbrachten Selbstbeteiligung des Klägers über 1.280,00 € freizustellen.
2.Die Beklagte wird verurteilt, den Kläger von außergerichtlichen Rechtsverfolgungskosten in Höhe von 729,23 € gegenüber dem Klägervertreter freizustellen.
3.Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
4.Von den Kosten des Rechtsstreits haben der Kläger 33% und die Beklagte 67% zu tragen.
5.Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.
Der Streitwert wird bis zum 27.12.2014 auf 22.046,22 € und für die Zeit danach auf 22.155,34 € festgesetzt.
Tatbestand
Die Parteien streiten um Leistungsansprüche aus einem Krankheitskostenvollversicherungsvertrag.
Der Kläger hält bei der Beklagten als Versicherungsnehmer einen Krankheitskostenvollversicherungsvertrag. In diesem ist (u.a.) der Sohn des Klägers, J, geb. am …1997 (im Folgenden: der Versicherte) im Tarif GS3 mitversichert. Dem Versicherungsvertrag liegen die „Allgemeinen Versicherungsbedingungen für die Krankheitskosten- und Krankenhaustagegeldversicherung“ (im Folgenden: AVB) zugrunde (Anlage K 4). Diese bestehen in Teil I aus den Musterbedingungen MB/KK 2009 und in Teil II aus den zugehörigen Tarifbedingungen. Zusätzlich gelten als Teil III weitere Bedingungen für den Krankheitskostentarif GS (Anlage K 3). Der Versicherte ist seit seiner Geburt mehrfach schwer behindert und leidet unter anderem an Epilepsie. Er lebt überwiegend in einer Behinderteneinrichtung für Kinder und Jugendliche. Der Versicherte ist auf die Benutzung eines Rollstuhls angewiesen, da seine motorischen Fähigkeiten eingeschränkt sind und er sich nur eingeschränkt bewegen kann. Nach § 4 Nr. 3.3 AVB sind vom Versicherungsschutz u.a. erfasst Hilfsmittel, die von näher bestimmenden Behandlern verordnet werden. Als Hilfsmittel aufgeführt sind in § 4 Nr. 3.3 AVB u.a. Krankenfahrstühle. Die Beklagte stellte dem Kläger im Dezember 2010 über ihren Kooperationspartner einen Rollstuhl zu Verfügung. An diesem Rollstuhl trat ein Rahmenbruch ein. Im Dezember 2011 stellte die Beklagte dem Kläger einen „Fallpauschalenrollstuhl“ zu Verfügung. Mit Verordnung des Dr. Bettendorf vom 08.10.2012 wurde dem Versicherten ein „Sitzschalenuntergestell mit Zubehör, für Sitzschale nach Maß“, eine „Sitzschale nach Maß mit Zubehör“ und „ein Radnabenantrieb“ verschrieben (Anlage K 9 bis K 10).
Der Kläger ist der Ansicht, dass auch für die Folgekosten des Rollstuhls ein Feststellungsinteresse bestehe, da die Beklagte bestreite, dass aufgrund des individuellen Krankheitsbildes des Versicherten und der Tatsache, dass dessen Wachstum noch nicht abgeschlossen sei, Anpassungen und Folgekosten zwangsweise entstünden. Diese Folgekosten könnten innerhalb von drei Jahren die Kosten einer Neuanschaffung erreichen. Der Kläger meint, dass aufgrund der Erkrankung des Versicherten für diesen die Nutzung eines individuell angepassten Rollstuhls, bestehend aus Sitzschalenuntergestell und einer individuell angepassten Sitzschale medizinisch erforderlich sei. Eine solche medizinisch notwendige Ausstattung sei durch das im Klageantrag näher bezeichnete Sitzschalenuntergestell der Firma Sch. und die entsprechende Sitzschale gewährleistet, wie sie sich im Einzelnen aus den Kostenvoranschlägen der Firma S. ergäbe. Der begehrte Rollstuhl mit Radnabenantrieb sei ein Krankenfahrstuhl im Sinne der Tarifbedingungen. Auch der Elektroantrieb, der eine Schiebehilfe für den Rollstuhlfahrer selbst sei, sei medizinisch erforderlich. Bei der Sitzschale nebst Sitzschalenuntergestell handle es sich jedenfalls um ein sogenanntes Freistehgerät, das als „Stützapparat“ dem Hilfsmittelkatalog unterfalle. Obliegenheiten habe der Kläger durch den Schaden am überlassenen Rollstuhl nicht verletzt; der Rahmenbruch sei durch Materialermüdung eingetreten. Dass die Gerätschaften einer hohen Beanspruchung ausgesetzt seien, führe nicht zum Ausschluss der Leistungspflicht der Beklagten. Auf eine Übermaßversorgung nach § 5 Nr. 2 MB/KK könne sich die Beklagte nicht berufen, da Kostengesichtspunkte bei der Beurteilung der medizinischen Notwendigkeit außer Betracht zu bleiben hätten. Der Kläger trägt außerdem vor, dass am 15.11.2012 die Reparatur des Rollstuhls des Versicherten notwendig gewesen sei. Dabei seien zur Erneuerung eines Bowdenzugs und eines Bremsgriffs Kosten von 109,12 EUR entstanden. Diese Kosten sind dem Kläger mit Rechnung des Sanitätshauses S. vom 28.11.2012 (Anlage K 25) in Rechnung gestellt worden.
Mit Schriftsatz vom 27.12.2014, eingegangen bei Gericht am selben Tag und der Beklagten zugestellt am 13.01.2015, hat der Kläger die Klage um den nachfolgenden Antrag III. erweitert.
Der Kläger beantragt zuletzt:
I.Es wird festgestellt, dass die Beklagte gegenüber dem Kläger verpflichtet ist, die Kosten für den Rollstuhl A. Mod E 25 nebst Zubehör gemäß Kostenvoranschlag der Firma B.S. GmbH Nr. K1 v. 26.09.2012 über 6.218,94 €, für die Sitzschale nach Maß mit Zubehör (Abduktionskeil, Beckenfixierung, Thoraxpelotten, Armlehnen, Therapietisch, Inkontinenzbezug) gemäß Kostenvoranschlag der Firma B.S. GmbH Nr. K2 v. 26.09.2012 über 4.983,53 €, für das Sitzschalenuntergestell Sch. Mod. F. mit Zubehör für Sitzschale nach Maß gemäß Kostenvoranschlag der Firma B.S. GmbH Nr. K3 v. 27.02.2013 über 4.591,37 für den mitversicherten Sohn J K, geb. …1997, zu übernehmen und den Kläger von sämtlichen Folgekosten für den vorgenannten Rollstuhl, Sitzschale und Sitzschalenuntergestell abzüglich einer etwaigen zum Leistungszeitpunkt noch nicht erbrachten Selbstbeteiligung des Klägers über 1.280,00 € freizustellen.
hilfsweise:
Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 18.557,77 € (Kosten für den Rollstuhl A. Mod E 25 nebst Zubehör gemäß Kostenvoranschlag der Firma B.S. GmbH Nr. K1 v. 26.09.2012 über 6.218,94 €, Kosten für die Sitzschale nach Maß mit Zubehör (Abduktionskeil, Beckenfixierung, Thoraxpelotten, Armlehnen, Therapietisch, Inkontinenzbezug) gemäß Kostenvoranschlag der Firma B.S. GmbH Nr. K2 v. 26.09.2013 über 4.983,53 €, Kosten für das Sitzschalenuntergestell Sch. Mod. F. mit Zubehör für Sitzschale nach Maß gemäß Kostenvoranschlag der Firma B.S. GmbH Nr. K3 v. 27.02.2013 über 4.591,37) für den mitversicherten Sohn J K, geb. …1997, zu bezahlen und den Kläger von sämtlichen Folgekosten für den vorgenannten Rollstuhl, Sitzschale und Sitzschalenuntergestell abzüglich einer etwaigen zum Leistungszeitpunkt noch nicht erbrachten Selbstbeteiligung des Klägers über 1.280,00 € freizustellen.
II.Die Beklagte wird verurteilt, den Kläger von außergerichtlichen Rechtsverfolgungskosten über 1.196,43 € freizustellen.
III.Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 109,12 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 %-Punkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu bezahlen.
Die Beklagten beantragen: Die Klage wird abgewiesen.
Die Beklagten sind der Ansicht, dass die Klage hinsichtlich der begehrten Freistellung von Folgekosten unzulässig sei. Mangels Bestimmbarkeit der freizustellenden Forderung handle es sich dabei tatsächlich um einen Feststellungsantrag. Insoweit fehle aber das Feststellungsinteresse, da die Folgekosten nur eventuell und in ferner Zukunft überhaupt entstehen könnten. Die genaueren Voraussetzungen der Erstattungsgrundlagen für etwaige Folgekosten seien nicht erkennbar und bestimmbar. Zumindest sei die Klage aber unbegründet. Der Anspruch des Klägers scheitere schon daran, dass es sich bei den begehrten (Haupt-)Leistungen nicht um erstattungsfähige Hilfsmittel handele. Der begehrte Rollstuhl mit Elektroantrieb, Sitzschale und Sitzschalenuntergestell unterfalle nicht der abschließend definierten Aufzählung der Tarifbedingungen. Zumindest das Sitzschalensystem und der elektrische Antrieb seien jedenfalls keine „Krankenfahrstühle“ im Sinne der Bedingungen. Die elektrische Antriebshilfe sei auch nicht erforderlich, da es sich hierbei lediglich um eine Unterstützung der Fremdbedienung für eine leichtere Bewegung durch Pflege- und Betreuungspersonal handle. Insoweit sei der elektrische Antrieb unnötig, weil ein Rollstuhl auch manuell geschoben werden könne. Eine medizinische Notwendigkeit für eine solche Versorgung bestehe nicht. Allenfalls könne eine Erstattungspflicht für eine elektrische Schiebehilfe zur reinen Fremdbedienung bestehen. Allerdings könne der Versicherte aufgrund seiner Erkrankung den Elektroantrieb gar nicht selbst bedienen. Ein Elektroantrieb stelle deshalb eine Übermaßversorgung nach § 5 Nr. 2 MB/KK dar. Auch eine Indikation für eine individuell angepasste Sitzschale bestehe nicht, weil die Anpass- und Verstellmöglichkeiten von Standard- oder Leichtgewichtrollstühlen ausreichend seien. Aufgrund des konkreten Krankheitsbildes sei eine individuell angepasste Sitzschale tatsächlich sogar kontraproduktiv. Erforderlich – und ausreichend – sei tatsächlich ein punktuell verstärkter Rollstuhl mit individueller Sitzeinheit. Zudem seien aufgrund der zu erwartenden extrem hohen Beanspruchung einer individuell angepassten Sitzschale durch den Versicherten in Folge epileptischer Anfälle ein erheblicher Reparaturbedarf und eine frühzeitige neue Versorgung wahrscheinlich. Auch das vom Kläger begehrte Sitzschalenuntergestell sei aufgrund der enormen Kräfte, die bei Spastiken wirken würden, wenn der Versicherte im Gestell fixiert sei, den Belastungen nicht gewachsen und würde nicht auf Dauer funktionsfähig bleiben können und Materialschwäche zeigen. Die Beklagte ist der Ansicht, dass der Kläger auch deshalb keinen Anspruch auf einen anderen Rollstuhl habe, da er seine Obliegenheit zur Schadensminderung nach § 9 Nr. 4 MB/KK verletzt habe. Der Kläger habe den sachgemäßen Gebrauch des von der Beklagten zur Verfügung gestellten Rollstuhls nicht sichergestellt und auch nicht geschildert, wie es zu dem Totalschaden an diesem Rollstuhl gekommen sei. Die Beklagte sei deshalb nach § 28 Abs. 2 VVG leistungsfrei. Die Beklagte bestreitet außerdem, dass die vom Kläger aus dem Jahr 2012 geltend gemachten Reparaturkosten für einen Rollstuhl erforderlich seien. Die Beklagte habe dem Kläger am 12.03.2012 über ihren Kooperationspartner SMB einen Rollstuhl zur Verfügung gestellt. Damit sei auch eine Übernahme sämtlicher Reparaturkosten für vier Jahre (bis 02.12.2015) verbunden. Der Kläger habe einen etwaigen Reparaturbedarf deshalb gegenüber dem Kooperationspartner SMB geltend machen müssen. Einen gesonderten Anspruch auf Zahlung der 109,12 EUR habe er somit nicht.
Es wurde zunächst Beweis erhoben mit Beweisbeschluss vom 19.08.2013 i.V.m. Beschluss vom 23.09.2013 durch Erholung eines schriftlichen fachorthopädischen Gutachtens. Auf entsprechendes Ablehnungsgesuch der Beklagten vom 10.01.2014 hat das OLG Nürnberg nach entsprechender sofortiger Beschwerde der Beklagten die Ablehnung der Sachverständigen Dr. T für begründet erklärt. Mit Beweisbeschluss vom 03.07.2014 (Gerichtsakte S. 141) wurde sodann die Sachverständige Dr. B mit der (neuerlichen) Erstellung eines Gutachtens beauftragt. Auf das schriftliche Gutachten der Sachverständigen vom 28.11.2014 (Gerichtsakte S. 159 ff.) wird Bezug genommen. Des Weiteren wird zur Ergänzung des Tatbestandes auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 19.08.2013 (Gerichtsakte S. 32 ff.) sowie im Übrigen auf die gewechselten Schriftsätze samt Anlagen Bezug genommen.
Mit Beschluss vom 05.03.2015 wurde mit Zustimmung der Parteien die Entscheidung im schriftlichen Verfahren beschlossen, wobei die Frist zu Einreichung von Schriftsätzen auf den 02.04.2015 bestimmt war.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Klage ist überwiegend begründet.
A.
Die Klage ist im Hauptantrag zulässig.
I. Die vom Kläger im Hauptantrag erhobene Feststellungsklage auf Kostentragungspflicht der Beklagten für ein Sitzschalenuntergestell, eine Sitzschale nach Maß und einen Elektroantrieb ist als Feststellungsklage nach § 256 Abs. 1 ZPO zulässig.
1. Nach st. Rspr. des BGH kann bei einer Krankheitskostenversicherung auf Feststellung der Eintrittspflicht des Versicherers für die Kosten einer Behandlung geklagt werden, wenn die Feststellung ein gegenwärtiges Rechtsverhältnis in dem Sinne betrifft, dass die zwischen den Parteien des Rechtsstreits bestehenden Beziehungen schon zur Zeit der Klageerhebung wenigstens die Grundlage bestimmter Ansprüche bilden. Das ist der Fall, wenn das Begehren nach der Behauptung des Klägers nicht nur auf künftige, mögliche, sondern auf bereits aktualisierte, ärztlich für notwendig erachtete, bevorstehende Behandlungen gerichtet ist (BGH VersR 2006, 1351). Außerdem muss ein Feststellungsinteresse dahingehend bestehen, dass durch ein Feststellungsurteil eine sachgemäße und erschöpfende Lösung des Streits über die Erstattungspflichten zu erwarten ist (BGH VersR 2006, 535 m.w.N.). Diese Erwägungen gelten in gleicher Weise für einen Antrag auf Feststellung der Kostentragungspflicht für ein Hilfsmittel (anstatt einer Behandlung).
2. Gemessen daran ist die Zulässigkeit hier zu bejahen.
Die Beklagte stellt zwar nicht grundsätzlich ihre vertragliche Leistungspflicht in Abrede, soweit es um die Anschaffung eines Rollstuhls für den Versicherten geht. Sie bestreitet aber zum einen ihre Einstandspflicht mit dem Argument, dass die begehrten Leistungen keine tariflich vereinbarten Hilfsmittel seien; zum anderen stellt sie die medizinische Notwendigkeit eines elektrischen Hilfsantriebes und einer individuell angepassten Sitzschale in Abrede. Der Kläger richtet sein Feststellungsbegehren zudem auf ganz konkrete Hilfsmittel, die durch individuelle Kostenvoranschläge der Firma S. (Anlagen K 5 bis K 7) individualisiert sind. Es geht um einen aktuellen Bedarf für den Versicherten, den grundsätzlich auch die Beklagte nicht in Abrede stellt. Keinesfalls ist es so, dass es nur um eine mögliche, gegebenenfalls überhaupt nicht virulent werdende Versorgung mit Hilfsmitteln geht. Gegenüber der Beklagten als großem Krankenversicherer kann im Übrigen erwartet werden, dass im Falle einer rechtskräftigen Verurteilung dem Feststellungsausspruch Folge geleistet wird, ohne dass ein weiterer Rechtsstreit erforderlich ist (vgl. BGH VersR 2006, 830 m.w.N.).
Hinsichtlich der Hilfsmittelversorgung ist die Feststellungsklage deshalb zulässig.
II. Die Feststellungsklage ist aber auch zulässig, soweit der Kläger die Freistellung von Folgekosten aus der Anschaffung des Hilfsmittels begehrt.
Der Beklagten ist insoweit allerdings zuzustimmen, dass es sich bei diesem Antrag nicht um einen (zulässigen) Freistellungsantrag handelt. Eine Freistellung wäre nur bei einer hinreichend bestimmten Forderung möglich. Der Freistellungsantrag setzt die bestimmte Angabe von Grund und Höhe der Schuld voraus, von der freigestellt zu werden der Kläger begehrt (BGH NJW-RR 2005, 494, 497 f.). Soweit der Gläubiger Grund und Höhe nicht bezeichnen kann, ist ein Freistellungsantrag unzulässig und stattdessen auf Feststellung zu klagen (vgl. BGH NJW 2013, 155, 158 a.E.). Der unbestimmte Leistungsantrag kann aber in einen Feststellungsantrag umgedeutet werden (BGH NJW-RR 2005, 494, 498).
Insoweit ist das Feststellungsinteresse gegeben: Der Kläger weist zutreffend daraufhin, dass die Beklagte ihre Einstandspflicht für etwaig zukünftig entstehende Reparaturen des Hilfsmittels in Abrede stellt. Nach Ansicht der Beklagten muss sich der Kläger auf ein bestimmtes – nach Ansicht der Beklagten genauso gut geeignetes und weniger folgekostenanfälliges – Rollstuhlmodell verweisen lassen. Dies ist indes nicht zutreffend (dazu noch sogleich). Es besteht deshalb ein gegenwärtiges rechtliches Interesse, die aus dem Versicherungsvertrag resultierende Leistungspflicht der Beklagten auch hinsichtlich etwaiger Folgekosten für die Reparatur und Instandhaltung des Rollstuhls klären zu lassen.
Damit ist die Freistellungsklage als Feststellungsklage im Sinne des § 256 Abs. 1 ZPO zulässig.
B.
Die Klage ist begründet, soweit mit ihr die Einstandspflicht der Beklagten für eine Sitzschale nach Maß mit Sitzschalenuntergestell und die Übernahme von Folgekosten festgestellt werden soll.
I. Der Kläger hat bedingungsgemäß Anspruch auf das im Klageantrag I. näher bezeichnete Sitzschalenuntergestell samt Sitzschale nach Maß (§ 1 S. 1 VVG).
1. Das Sitzschalenuntergestell und die Sitzschale sind als Hilfsmittel nach § 4 Nr. 3.3 AVB vom Leistungsumfang erfasst.
a) Hilfsmittel i.S.d. der Versicherungsbedingungen sind technische Mittel, die körperliche Defekte über längere Zeit auszugleichen suchen und damit unmittelbar eine Ersatzfunktion für ein krankes Organ wahrnehmen sollen, ohne dessen Funktionsfähigkeit wiederherzustellen (BGH VersR 2009, 1106). Dabei begegnet eine Beschränkung der erstattungsfähigen Hilfsmittel durch eine – wie hier – abschließende Aufzählung keinen rechtlichen Bedenken (BGH VersR 2004, 1035).
b) Sitzschalenuntergestell und Sitzschale stellen als Einheit einen „Krankenfahrstuhl“ im Sinne der Aufzählung des § 4 Nr. 3.3 AVB dar.
Wie sich aus dem vorgelegten Kostenvoranschlag für das Sitzschalenuntergestell (Anlage K 7) i.V.m. dem zu Anlage K 18 vorgelegten Prospektauszug bzw. Kostenvoranschlag der Firma Sch. ersehen lässt, stellt das streitgegenständliche Sitzschalenuntergestell Sch. „Modell F.“ ein Fahrgestell für den Außenbereich dar, das neben verschiedenen Anbauteilen zu seiner Verwendbarkeit noch des Aufbaus bzw. der Montage einer Sitzschale (i.e. Sitzauflage bzw. Sitzkissen) bedarf. Es kann keinem vernünftigen Zweifel begegnen, dass es sich bei der Kombination von Sitzschale und Sitzschalenuntergestell um einen Krankenfahrstuhl im Sinne der Tarifbedingungen handelt. Dies ist auf den ersten Blick für jeden durchschnittlichen Versicherungsnehmer erkennbar, auf den es auch bei der Auslegung des Begriffs des „Krankenfahrstuhls“ als Teil der Versicherungsbedingungen ankommt (st. Rspr. BGH; vgl. zu diesem Auslegungsmaßstab zuletzt BGH, Urteil vom 01. April 2015 – IV ZR 104/13).
2. Nach der durchgeführten Beweisaufnahme steht fest, dass das streitgegenständliche Sitzschalenuntergestell und die Sitzschale nach Maß (je mit Zubehör) medizinisch notwendig im Sinne der Definition des Versicherungsfalls in § 1 Nr. 2 Satz 1 MBKK sind.
a) Versicherungsfall ist danach die medizinisch notwendige Heilbehandlung einer versicherten Person wegen Krankheit oder Unfallfolgen. Medizinisch notwendige Heilbehandlung ist nach st. Rspr. anhand eines objektiven Maßstabes zu ermitteln. Die Beurteilung hängt nicht allein von der Auffassung des Versicherungsnehmers oder des ihn behandelnden Arztes ab, sondern von den objektiven medizinischen Befunden und Erkenntnissen im Zeitpunkt der Vornahme der Behandlung (BGH r+s 2014, 25; BGH VersR 1996, 1224). Es genügt insoweit, wenn die medizinischen Befunde und Erkenntnisse es im Zeitpunkt der Behandlung vertretbar erscheinen lassen, die Behandlung als notwendig anzusehen (BGH r+s 2014, 25). Ob dies der Fall ist bzw. gegenwärtig bereits geklärt werden kann, lässt sich nur anhand der im Einzelfall maßgeblichen objektiven Gesichtspunkte mit Rücksicht auf die Besonderheiten der jeweiligen Erkrankung und der auf sie bezogenen Heilbehandlung bestimmen (BGH VersR 2006, 535; BGH VersR 2005, 1673, jew. mwN).
b) Die bestellte Sachverständige ist nach persönlicher Untersuchung des Versicherten zu dem Ergebnis gekommen, dass der Versicherte selbst nicht in der Lage ist adäquat zu kommunizieren oder Kontakt aufzunehmen. Er sitze im Rollstuhl, artikuliere sich mit lautem Brummen, gestikuliere ungerichtet und mache teils heftige, unkontrollierte und amotorische und ruckartige Bewegungen mit den Armen oder auch dem ganzen Körper im Rollstuhl, indem er beispielsweise mehrfach hintereinder mit dem Oberkörper vor und zurück wippe. Die von den Eltern im Rahmen der Fremdanamnese geschilderten Umstände ließen sich aufgrund der eigenen durchgeführten klinischen Untersuchungen nachvollziehen. Der Versicherte sei nach alledem nicht in der Lage, sich selbstständig und selbstbestimmt mit dem Rollstuhl fortzubewegen. Er verbringe bis auf die Ruhezeiten den ganzen Tag im Rollstuhl, da er nicht geh- oder stehfähig sei oder sich selbst ausreichend stabilisieren könne. Es bestünden körperliche Einschränkungen, wie Fehlstellungen, Fehlhaltungen und Kontrakturen.
Vor diesem Hintergrund sei eine Rollstuhlausstattung erforderlich, die individuell und im Verlauf der sich erwartungsgemäß immer wieder verändernden Gegebenheiten angepasst werden sollte. Ein „Gerät von der Stange“ sei nicht geeignet, sondern ein individuell angepasster Rollstuhl sei notwendig. Hinsichtlich der Grundvorraussetzungen, die der Rollstuhl für den Versicherten konkret erfüllen müssen, wird auf die Ausführungen der Sachverständigen im Gutachten S.15 ff. (Gerichtsakte S. 166 ff.) Bezug genommen. Hervorzuheben ist, dass die Sachverständige feststellt, dass eine Sitzschale nach Maß, ein Kaltschaumkissen oder eine Kombination aus Kaltschaum mit viskoelastischem Schaum erforderlich sei, um hierdurch ein Optimum an kongruenter Auflagefläche für den Versicherten zu gewährleisten. Alle großen Rollstuhlhersteller böten entsprechende Möglichkeiten einer Rollstuhlausstattung. Dabei müsse es sich aber immer um eine Rollstuhlversorgung nach individuellem Maß und medizinischer Notwendigkeit des Versicherten handeln.
Diesen schlüssigen und nachvollziehbaren Ausführungen der Sachverständigen sind die Parteien in inhaltlicher Hinsicht nicht entgegen getreten. Sie überzeugen auch den Richter, insbesondere vor dem Hintergrund der beigefügten Fotoaufnahmen des Versicherten. Zusammenfassend ist deshalb festzuhalten, dass der Kläger als Versicherungsnehmer für den Versicherten Anspruch auf einen individuell angepassten Rollstuhl nach Maß hat.
c) Die vorgenannten Hilfsmittel sind wie nach § 4 Nr. 3 i.V.m. § 4 Nr. 2 AVB erforderlich auch ärztlich verordnet. Auf die vorgelegten ärztlichen Verordnungen (Rezepte) der Anlagen K 9 bis K 10 kann insoweit Bezug genommen werden.
3. Die Beklagte ist von ihrer Erstattungspflicht für das Sitzschalenuntergestell samt Sitzschale nicht wegen einer Obliegenheitsverletzung des Klägers nach § 9 Nr. 4, § 10 Nr. 1 und Nr. 3 MBKK befreit.
a) Danach hat die versicherte Person nach Möglichkeit für die Minderung des Schadens zu sorgen. Wird diese Obliegenheit verletzt, ist der Versicherer mit den in § 28 Abs. 2 bis 4 VVG vorgeschriebenen Einschränkungen ganz oder teilweise von der Verpflichtung zur Leistung frei. Die Beklagte gründet ihren Einwand auf die Tatsache, dass der von ihr dem Versicherten zur Verfügung gestellte Rollstuhl als „Totalschaden“ mit gebrochenem Rahmen zurückgegeben worden sei.
b) Nach der durchgeführten Beweisaufnahme – wie auch bereits auch durch Einsatz gesunden Menschenverstandes – ist aber klar, dass dem Versicherten ein Schuldvorwurf hinsichtlich der Beschädigung bzw. Zerstörung des durch die Beklagten mittels ihres Kooperationspartners zur Verfügung gestellten Rollstuhls – wie auch sämtlichen weiteren von der Beklagten noch zu erstattenden Krankenfahrstühlen – nicht ansatzweise gemacht werden kann. Die Sachverständige hat das im Rahmen der Exploration des Versicherten, also durch eigene Beobachtung gemachte Verhalten des Versicherten mit motorischer Unruhe, die häufig auftritt und mit heftigen Bewegungen des Oberkörpers nach vorne und hinten geschildert. Hierdurch bringe der Versicherte den gesamten Rollstuhl zum Wackeln bzw. Wanken. Auch bei epileptischen Anfällen komme es nach Angaben der Sachverständigen durch die auftretenden Streckspasmen dazu, dass erhebliche Kräfte auf die Konstruktion des Rollstuhls einwirkten. Wörtlich die Sachverständige: „Der Versicherte selbst ist weder kognitiv noch motorisch in der Lage entsprechend schonend mit dem Rollstuhl umzugehen,…“.
Dies bedeutet, dass für einen Verschuldensvorwurf gegenüber dem Versicherten mangels Schuldfähigkeit i.S.d. § 827 S. 1 BGB von vornherein kein Raum ist (zur Anwendbarkeit des § 827 BGB im Rahmen der Leistungsfreiheit bei Obliegenheitsverletzung bereits BGH VersR 1967, 944). Wer wie der Versicherte dauerhaft schon nicht in der Lage ist, die zu eventuellen Obliegenheitsverletzungen führenden Körperhandlungen zu steuern oder zu beeinflussen, kann begriffsnotwendig die Obliegenheit nicht schuldhaft verwirklichen. Für eine Leistungsfreiheit der Beklagten ist deshalb kein Raum.
c) Auch der Hinweis der Beklagten darauf, dass der Kläger nicht geschildert habe, wie es zu dem Totalschaden an dem Rollstuhl gekommen sei, trägt im Ergebnis eine Leistungsfreiheit wegen Obliegenheitsverletzung nicht.
Zum einen handelt es sich bei diesen verlangten Informationen nicht um eine Auskunft i.S.d. § 9 Nr. 2 MB/KK, „die zur Feststellung des Versicherungsfalles oder der Leistungspflicht des Versicherers und ihres Umfanges erforderlich ist.“ Zum anderen hat der Kläger die gewünschte Auskunft jedenfalls mit Schriftsatz vom 31.07.2013 (aaO S. 7; Gerichtsakte S. 29) erteilt, indem er darauf hingewiesen hat, dass der Rahmenbruch durch die erhöhte Belastung des Rollstuhls infolge des Krankheitsbildes des Versicherten eingetreten sei. Damit wäre zumindest ab diesem Zeitpunkt Fälligkeit der Leistung nach § 6 Nr. 1, 2 MBKK – als Voraussetzung der streitgegenständlichen Feststellung – eingetreten. Schließlich scheiterte eine Leistungsfreiheit aber auch schon daran, dass seitens der insoweit vortrags- und beweisbelasteten Beklagten (Prölss/Martin/Armbrüster, VVG 29. Aufl. § 28 Rn. 270) nichts dafür vorgetragen ist, dass der Kläger durch gesonderte Mitteilung in Textform auf die Rechtsfolge der Leistungsfreiheit hingewiesen worden ist (§ 10 Nr. 1 MB/KK i.V.m. § 28 Abs. 4 VVG).
d) Im Übrigen kann sich die Beklagte auf eine etwaige Obliegenheitsverletzung aber auch schon deshalb nicht berufen, da sie bereits dem Grunde nach ihre Einstandspflicht ablehnt.
Allen Obliegenheiten des § 9 MB/KK ist gemein, dass ihre Verletzung nach § 10 Nr. 1 MB/KK jedenfalls dann folgenlos bleibt, wenn – und solange – der Versicherer seine Leistungspflicht abschließend verneint und der Versicherungsnehmer auch eine weitere Überprüfung dieser Entscheidung anstrebt. Die Obliegenheiten sollen lediglich dem erfüllungsbereiten Versicherer dazu dienen, die Prüfung seiner Leistungspflicht zu ermöglichen und zu erleichtern (BGH r+s 2013, 273; BGH VersR 1999, 1535).
4. Schließlich kann die Beklagte auch nicht mit dem Einwand durchdringen, dass sich der Kläger auf das von der Beklagten vorgelegte „Alternativangebot“ für einen Rollstuhl mit Gesamtkosten in Höhe von 5.445,91 EUR (Anlage zu S. 199) verweisen lassen muss.
a) Zum einen ist dieser Rollstuhl nach „Alternativangebot“ schon der streitgegenständlichen „Kombination“ nicht vergleichbar, da es sich bei dieser um einen individuellen, auf die (Körper-)Größe des Versicherten angepassten Rollstuhl bzw. eben eine „Sitzschale nach Maß“ handelt, während das „Alternativangebot“ ein Kissen mit fest vorgegebenen Standardmaßen (wenngleich anatomisch geformt) enthält. Nach den Ausführungen der Sachverständigen, die insoweit eindeutig und auch von der Beklagten nicht in Zweifel gezogen worden sind, ist für den Versicherten jedoch ein „Gerät von der Stange“ nicht geeignet, sondern es ist tatsächlich ein individuell angepasster Rollstuhl notwendig. Der Rollstuhl muss nach den Worten der Sachverständigen „so gut wie möglich individuell angepasst sein“. Dem wird das von der Beklagten vorgelegte „Alternativangebot“ nicht gerecht.
Zum anderen ist es aber auch so, dass die zwischen den Parteien maßgeblichen Versicherungsbedingungen wie auch die Gesetzeslage keine Grundlage für die Verweisung des Klägers als Versicherungsnehmer auf ein konkretes, von diesem zu beschaffendes Hilfsmittel hergeben. Der Versicherungsnehmer hat nach den maßgeblichen Versicherungsbedingungen Anspruch auf einen medizinisch notwendigen Krankenfahrstuhl. Welches konkrete Modell welchen konkreten Herstellers der Versicherungsnehmer dann – im Rahmen der medizinischen Notwendigkeit – auswählt, bleibt diesem selbst vorbehalten. Dies muss jedenfalls dann gelten, wenn – wie hier – die Versicherungsbedingungen keinerlei Einschränkungen hinsichtlich der Art des erstattungsfähigen Hilfsmittels formulieren (z.B. LG Dortmund NJW-RR 2011, 903: Begrenzung auf Hilfsmittel „in einfacher Ausführung“ – allerdings wegen Intransparenz unwirksam).
Schließlich ist es dem Wesen der Krankheitskostenversicherung als Passivenversicherung immanent, dass der Versicherungsnehmer mit der Anschaffung eines konkreten Hilfsmittels in Vorleistung tritt und dann die hierfür erforderlichen Kosten bei seinem Krankenversicherer einfordert. Die private Krankheitskostenversicherung, so wie sie dem streitgegenständlichen Versicherungsvertrag zugrunde liegt, ist nicht wie die Gesetzliche Krankenversicherung auf eine Realversorgung gerichtet („Sachleistungsprinzip“: z.B. BSG, Urteil vom 18. November 2014 – B 8 SO 23/13 R, juris Rn. 14), in deren Rahmen die Beklagte ein Auswahlrecht für das konkrete Hilfsmittel im Sinne eines „ersten Zugriffs“ hätte.
b) Auch wenn man den Einwand der Beklagten zu ihrem „Alternativangebot“ als einen generellen Verweis auf ein günstigeres Hilfsmittel verstehen wollte, hätte die Beklagte damit keinen Erfolg.
Den MB/KK lässt sich keine Beschränkung der Leistungspflicht des Versicherers auf die kostengünstigste Behandlung bzw. das kostengünstigste Hilfsmittel entnehmen (BGH VersR 2003, 581). § 5 Nr. 2 S. 1 MB/KK berechtigt nur im Falle einer sog. medizinischen Übermaßbehandlung zur Kürzung, wenn also die Behandlung bzw. Ausstattung mit einem Hilfsmittel in vollem Umfang schon gar nicht medizinisch notwendig i.S.d. § 1 Nr. 2 S. 1 MB/KK war. Ein solcher Fall ist hier nicht gegeben.
Die Beklagte könnte den Kläger deshalb lediglich auf der Grundlage des § 5 Nr. 2 S. 2 MBKK bzw. § 192 Abs. 2 VVG einer „Kostenkontrolle“ unterwerfen. Danach ist der Versicherer insoweit nicht zur Leistung verpflichtet, als die Aufwendungen für die Heilbehandlung oder sonstigen Leistungen in einem auffälligen Missverhältnis zu den erbrachten Leistungen stehen. Der Regelungsgehalt beschränkt sich auf ein Verbot der Übermaßvergütung (Prölss/Martin/Voit, VVG 29. Aufl. § 192 Rn. 153; HK-VVG/Rogler, 2. Aufl. § 192 Rn. 20). Dass die vom Kläger konkret geforderte Rollstuhlversorgung ein unangemessenes „Preis-Leistungs-Verhältnis“ aufweist, hat die Beklagte jedoch nicht behauptet.
Ein allgemeines Wirtschaftlichkeitsgebot, das zur Verweisung auf ein günstigeres – gleichwertiges – Hilfsmittel berechtigen würde, enthalten hingegen weder die MB/KK, noch § 192 Abs. 2 VVG (HK-VVG/Rogler, 2. Aufl. § 192 Rn. 19 f.).
c) Nach dem Vorstehenden spielt es deshalb auch keine Rolle, dass die Sachverständige im Rahmen ihres schriftlichen Gutachtens nicht konkret auf die streitgegenständlichen Hilfsmittel eingeht. Die Sachverständige beschreibt in ihrem Gutachten die medizinisch-orthopädischen Voraussetzungen, die ein Rollstuhl für den Versicherten erfüllen muss. Die Sachverständige hat dazu jedenfalls festgestellt, dass eine Sitzschale nach Maß ein Optimum an kongruenter Auflagefläche für den Versicherten ermöglicht und deshalb für den Versicherten, der bis auf die Ruhezeiten den ganzen Tag im Rollstuhl verbringt, die medizinisch gebotene Versorgung darstellt.
Dass die Sachverständige in ihrem Gutachten ausführt, dass mit einer Sitzschale nach Maß noch abgewartet werden „könnte“, bis der Versicherte endgültig ausgewachsen ist, ändert an der medizinischen Notwendigkeit des streitgegenständlichen Modells mit individuell angepasster Sitzschale zum jetzigen Zeitpunkt nichts. Der Streitfall nötigt nicht dazu, durch Auslegung der Versicherungsbedingungen zu ermitteln, wie oft der Kläger bei wachstumsbedingter Änderung der Anforderungen an den Rollstuhl eine Neuversorgung verlangen könnte. Betrachtet man nämlich zum einen den Zeitraum, der seit dem Zurverfügungstellen des aktuell vom Versicherten verwendeten Rollstuhls durch die Beklagte seit 03.12.2011 vergangen ist, zum anderen die Fotos der Sachverständigen, die den Versicherten zeigen, wie er in diesem größenmäßig völlig unpassenden Rollstuhl buchstäblich „hängt“, bedarf es keiner weiteren Ausführungen dazu, dass jedenfalls im Zeitpunkt der Urteilsverkündung dem Kläger für den Versicherten ein Anspruch auf einen exakt passenden Rollstuhl zusteht.
II. Die Feststellungsklage ist nicht begründet, soweit der Kläger auch die Erstattungsfähigkeit „für den Rollstuhl A. Mod E 25 nebst Zubehör gemäß Kostenvoranschlag der Firma B.S. GmbH Nr. K1 v. 26.09.2012 über 6.218,94 €“ festgestellt wissen will.
Hinter dieser Formulierung verbirgt sich ausweislich des auf den Klagebetrag von 6.218,94 EUR lautenden Kostenvoranschlags (Anlage K 6) letztlich nichts anderes als ein elektrischer Antrieb für einen Rollstuhl. Dies wird aus den dort genannten Positionen wie „Radnabenantrieb“, „Akkubox“, etc. deutlich.
Nach den Erkenntnissen der Sachverständigen ist es jedoch so, dass der Versicherte aufgrund seines individuellen Krankheitsbildes selbst nicht in der Lage ist, den Rollstuhl mittels eines Elektroantriebes zu bedienen und zu steuern. In der Person des Versicherten liegt deshalb keine medizinische Notwendigkeit einer entsprechenden (technischen) Versorgung vor. Der Umstand, dass der elektrische Antrieb eines Rollstuhls für eine dritte Person, die den Versicherten mit dem Rollstuhl bewegt, eine Erleichterung darstellt bzw. darstellen kann, begründet für sich keine medizinische Notwendigkeit des Hilfsmittels in der Person des Versicherten (auf den es insoweit ankommt).
Da der elektrische Antrieb des Rollstuhls somit schon nicht medizinisch notwendig ist, kommt es auf die Frage einer Übermaßversorgung, die die Beklagte – ausdrücklich nur hinsichtlich gerade des elektrischen Antriebes – nach § 5 Nr. 2 MBKK erhoben hat, nicht (mehr) an.
Da betreffend den elektrischen Antrieb des Rollstuhls keine Leistungspflicht der Beklagten besteht, ist die Klage insoweit auch im – auf Zahlung statt Feststellung gerichteten – Hilfsantrag unbegründet.
III. Die Feststellungsklage ist auch insoweit begründet, als der Kläger die Feststellung der Einstandspflicht der Beklagten für Folgekosten für den streitgegenständlichen Rollstuhl samt Sitzschale begehrt.
Welchen konkreten „Krankenfahrstuhl“ der Versicherungsnehmer erstattet verlangt werden kann, wird in den Tarifbedingungen nicht näher konkretisiert (s.o.). Damit sind grundsätzlich sämtliche Krankenfahrstühle, die die übrigen Voraussetzungen – vor allem einer medizinischen Notwendigkeit – der Versicherungsbedingungen erfüllen, vom Anspruch des Versicherungsnehmers umfasst. Auch die Zahl der vom Versicherungsnehmer für den Versicherten zu beanspruchenden Krankenfahrstühle ist in den Versicherungsbedingungen nicht näher bestimmt. Jedem verständigen Versicherungsnehmer wird jedoch einleuchten, dass – bei im Übrigen unveränderten Bedingungen, insbesondere in der Person des Versicherten (z.B. Wachstum) – ein Anspruch auf einen neuen Rollstuhl nicht etwa jährlich besteht. Die Schadensminderungsobliegenheit des § 9 Nr. 4 MB/KK bzw. § 82 Abs. 1 VVG gebietet, dass unnötige Kosten vermieden werden. Schaden i.d.S ist die Belastung mit einer Verbindlichkeit, denn bei der Schadensversicherung wie sie die streitgegenständliche Krankheitskostenversicherung ist, wird die Leistung des Versicherers durch die Höhe des Schadens bestimmt und begrenzt (vgl. BGH VersR 1969, 1036). Damit wird auch der verständige Versicherungsnehmer, auf den es bei der Auslegung der Versicherungsbedingungen ankommt (st. Rspr. BGH, Urteil vom 01. April 2015 – IV ZR 104/13 m.w.N.) nicht zu dem Schluss gelangen, dass „Schaden“ i.S.d. § 9 Nr. 4 MB/KK der Gesundheitsschaden, also die Krankheit ist (ebenso Bach/Moser/Sauer, Private Krankenversicherung 4. Aufl. § 10 MBKK Rn. 22 f.; a.A. wohl Prölss/Martin/Voit, VVG 29. Aufl. § 9 MB/KK 2009 Rn. 12).
Der Versicherte hat sich also so zu verhalten, wie er sich verhalten würde, wenn er nicht versichert wäre (Langheid/Wandt/Kalis, VVG § 194 VVG Rn. 21; Bach/Moser/Sauer, Private Krankenversicherung 4. Aufl. § 10 MBKK Rn. 23; HK-VVG/Rogler, 2. Aufl. § 9 Rn. 6). Dies geschieht bei der Versorgung mit Hilfsmitteln jedenfalls auch dadurch, dass etwaige Schäden am Hilfsmittel durch eine – sofern kostengünstiger – Reparatur und nicht eine Ersatz- bzw. Neuanschaffung beseitigt werden.
Dies bedeutet dann aber wiederum, dass die Beklagte auch für erforderliche und wirtschaftliche Reparaturkosten von zu erstattenden Hilfsmitteln leistungspflichtig ist. Die Sachverständige hat in ihrem Gutachten ausgeführt, dass aufgrund der krankheitsbedingten Belastung des Rollstuhls durch den Versicherten „damit zu rechnen (ist), dass immer wieder Reparaturen fällig werden, die mit entsprechenden Folgekosten verbunden sind“. Nachdem die Beklagte diese Verpflichtung jedoch grundsätzlich, wenngleich unter Hinweis auf die fehlende medizinische Erforderlichkeit, in Abrede stellt, ist die auf Feststellung der entsprechenden Einstandspflicht gerichtete Klage begründet.
IV. Soweit der Kläger klageerweiternd (zulässig: §§ 263, 267 ZPO) die Erstattung von Reparaturkosten in Höhe von 109,12 EUR begehrt, ist die Klage unbegründet.
Einem solchem Leistungsanspruch steht jedenfalls der Einwand einer Obliegenheitsverletzung nach § 9 Nr. 4 MB/KK entgegen. Die Beklagte hat darauf hingewiesen, dass Reparaturkosten betreffend den durch den Kooperationspartner der Beklagten zur Verfügung gestellten Rollstuhl in der entsprechenden Fallpauschale enthalten sind. Dem ist der Kläger nicht entgegengetreten (§ 138 Abs. 3 ZPO). Aus dem vorgelegten Abrechnungsschreiben vom 25.02.2013 lässt sich dies auch entnehmen. Damit handelte der Kläger insoweit vorsätzlich, so dass nach § 28 Abs. 2 VVG Leistungsfreiheit der Beklagten besteht. Einer Belehrung bedurfte es insoweit nicht (§ 28 Abs. 4 VVG).
Nach alledem hätte es dem Kläger zur Geringhaltung des Schadens oblegen, nicht Reparaturkosten bei Dritten zu verursachen, sondern die bereits im Rahmen der Fallpauschale gedeckten Kosten durch die Inanspruchnahme des Kooperationspartners der Beklagten für die entsprechenden Reparaturen zu vermeiden.
V. Der Kläger hat schließlich Anspruch auf Ersatz seiner vorgerichtlich entstanden Rechtsanwaltskosten.
Die Beklagte hat sich durch die unberechtigte Leistungsverweigerung gegenüber dem Kläger schadensersatzpflichtig gemacht (§ 280 Abs. 1 BGB). Wie sich aus dem als Anlage K 20 vorgelegten Schreiben des Klägervertreters ergibt, hat der Kläger die Beklagte im Vorfeld selbst zu einer Erklärung zu den streitgegenständlichen Hilfsmitteln aufgefordert, ohne dass es zu einer entsprechenden (positiven) Reaktion gekommen wäre. Die daraufhin erfolge Einschaltung des Klägervertreters ist deshalb kausaler Schaden. Der geforderte Schadensersatzanspruch geht auf Freistellung von den erforderlichen Rechtsanwaltskosten in Höhe des letztlich berechtigten Gegenstandswertes (vgl. BGH NJW 2005, 1112). Dieser errechnet sich nach dem Vorstehenden auf insgesamt 7.659,92 EUR (s. B.), so dass bei einer 1,3 Verfahrensgebühr zzgl. Auslagenpauschale 19 % Mehrwertsteuer von 729,23 € freizustellen ist.
B.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs. 1 ZPO. Dabei war der Feststellungsantrag mit 80% der bezifferten Kosten anzusetzen. Die Folgekosten sind nach dem Hinweis des Klägers, dass diese sich in einem Zeitraum von vier Jahren auf den Wert einer Neuanschaffung belaufen können, mit weiteren 9.000,00 EUR (abzgl. Abschlag 20%) zu bewerten. Unter Berücksichtigung des klageerweiternd geltend gemachten Betrages sind damit für den Streitwert 22.155,34 € festzusetzen.