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Krankenversicherung – Krankenfahrstuhl in AVB als notwendiges Hilfsmittel

LG Berlin – Az.: 7 S 27/11 – Beschluss vom 01.09.2011

1. Es wird gemäß § 522 Abs. 2 Satz 2 ZPO darauf hingewiesen, dass die Kammer nach Vorberatung beabsichtigt, die Berufung der Beklagten gegen das am 18. Februar 2011 verkündete Urteil des Amtsgerichts Lichtenberg – 114 C 113/10 – durch einstimmigen Beschluss zurückzuweisen.

2. Die Beklagte erhält Gelegenheit zur Stellungnahme hierzu binnen drei Wochen seit Zustellung dieses Beschlusses.

Gründe

Die Berufung hat keine Aussicht auf Erfolg.

Nach § 513 Abs. 1 ZPO kann die Berufung erfolgreich nur darauf gestützt werden, dass die angefochtene Entscheidung auf einer Rechtsverletzung beruht (§ 546 ZPO) oder nach § 529 ZPO zu Grunde zu legende Tatsachen eine andere Entscheidung rechtfertigen.

Beides ist hier nicht der Fall. Die Kammer folgt vielmehr im Ergebnis der angefochtenen Entscheidung. Zu Recht hat das Amtsgericht den geltend gemachten Erstattungsanspruch bejaht. Nach § 1 Nr. 1a AVB (Anlage 3, Bl. 12 d. A.) umfasst der Versicherungsschutz im Versicherungsfall Ersatz von Aufwendungen für Heilbehandlung und sonst vereinbarte Leistungen. Zu den Aufwendungen für sonst vereinbarte Leistungen gehören nach dem Tarif 420, Teil III B,  (Anlage A 5, Bl. 24 d. A.) auch die Aufwendungen für Hilfsmittel. Als Hilfsmittel gelten nach § 4 Nr. 11 Abs. 3 Ziff. 7 AVB auch Krankenfahrstühle. Der Versicherungsfall umfasst nach § 1 Nr. 2 AVB die medizinisch notwendige Heilbehandlung.

Hilfsmitteln sind dadurch definiert, dass mit ihnen körperliche Defekte über einen längeren Zeitraum und nicht wie bei den Heilapparaten auf die Dauer einer medizinischen Anwendung begrenzt ausgeglichen werden. Mit einem Krankenfahrstuhl wird – für den Einsatz von Hilfsmitteln kennzeichnend – unmittelbar eine Ersatzfunktion für ein krankes Organ wahrgenommen, ohne dessen Funktionsfähigkeit wieder herzustellen (vgl. BGH Urt. v. 19.05.2004 – IV ZR 176/03 – NSW AGBG § 3, zitiert nach juris; BGH Urt. v. 17.12.1986 – IVa ZR 78/85 – VersR 1987, 287, zitiert nach juris: Rz. 25). Wenn wie hier ein Krankenfahrstuhl bedingungsgemäß ausdrücklich als Hilfsmittel aufgeführt wird, reicht es, wenn er dazu dient, eine ausgefallene Körperfunktion mittelbar auszugleichen, und hierzu nötig ist (vgl. OLG Köln, Urt. v. 29.06.1989 – 5 U 264/88 – VersR 1989, 1142, zitiert nach juris). Die danach noch für die Annahme des Versicherungsfalles entscheidende Frage der medizinischen Notwendigkeit kann beim Hilfsmittel nicht dadurch beantwortet werden, dass mit ihm eine Krankheit behandelt oder gelindert werden kann, sondern nur danach, ob das Hilfsmittel die Funktionsbeeinträchtigung ausgleicht und hierzu nötig ist.

Eine derartige Notwendigkeit ist im vorliegenden Fall anzunehmen. Ausgefallen sind beim Versicherten die körperlichen Bewegungsfunktionen und damit die Möglichkeit, im Sinne einer Mobilität am sozialen Leben teilzunehmen. Hierzu gehören im modernen Leben auch Transporte mit einem Kraftfahrzeug, um zum Beispiel Verwandte, Bekannte und Ärzte aufzusuchen. Diese Mobilitätsfunktion konnte mit Hilfe des bereits vorhandenen Rollstuhls nicht umfassend erreicht werden, da dieser nicht zusammenklappbar ist und sich deshalb für Autotransporte nicht hinreichend eignet.

Das von der Beklagten bereits in der Klageerwiderung (Seite 4, Bl. 56 d. A.) und der Berufungsbegründung (6, Bl. 137 d. A.) vorgebrachte Argument, nämlich dass die Klappbarkeit des erheblich leichteren neuen Fahrstuhls nicht den Versicherten, sondern nur die Klägerin begünstige, hält die Kammer nicht für überzeugend. Wenn dadurch nämlich Autotransporte durch die Klägerin oder andere Hilfspersonen erheblich erleichtert werden, kommt dies dem Versicherten offensichtlich unmittelbar zu Gute, da es um seinen Transport geht. Mit der Beklagten ist nämlich davon auszugehen, dass der Versicherte sich auch mit dem ersten Rollstuhl nicht selbst fortbewegen konnte, sondern insoweit auf fremde Hilfe angewiesen war. Dies gilt auch für Autotransporte. Insofern kommt es darauf an, dass der Rollstuhl sich für die Hilfsperson hinreichend leicht in ein Kraftfahrzeug verstauen lässt. Dies ist beim streitgegenständlichen Rollstuhl der Fall, da er klappbar und erheblich leichter ist. Der frühere Rollstuhl konnte zwar nach den Darlegungen in der Klageschrift (Seite 4) ebenfalls mit dem Pkw transportiert werden, aber nur sehr schwer, weil er nicht klappbar ist und ein hohes Eigengewicht hatte. Der streitgegenständliche Rollstuhl ist daher für Autotransporte besser geeignet. Für diese Feststellung kommt es auch nicht entscheidend auf die körperliche Situation der betreuenden Mutter an, so dass – mit Blick auf die Einwendungen der Beklagten – offen bleiben kann, ob dies der richtige Maßstab wäre. Die Kammer hält nämlich auf der Grundlage des Kostenvoranschlages vom 20. Oktober 2009 (Anlage A 9, Bl. 29 d. A.) dafür, dass für jede Hilfsperson der streitgegenständliche Rollstuhl wegen seiner Klappbarkeit und wegen seines leichteren Gewichts für Autotransporte erheblich besser geeignet ist und dadurch die Mobilität des Versicherten gesteigert wird.

Es kann auch offen bleiben, ob allein der Umstand, dass ein weiteres, in bestimmten Beziehungen besser geeignetes Hilfsmittel auf dem Markt ist, den Versicherten, der bereits ein Hilfsmittel hat, stets und allgemein berechtigt, Kostenerstattung für das für bestimmte Bereiche besser geeignete Hilfsmittel zu beanspruchen. Jedenfalls bei einer erheblich besseren Eignung des neuen Hilfsmittels – wie hier u. a. für Autotransporte – ist der Kostenerstattungsanspruch zu bejahen; die Versicherungsbedingungen enthalten insofern nämlich keine Begrenzung.

Keiner Entscheidung bedarf es, ob der klappbare Rollstuhl auch deshalb erforderlich ist, weil ihn der Versicherte – wie die Klägerin behauptet – alleine bewegen kann.

Darauf, ob der klappbare Rollstuhl darüber hinaus noch therapeutischen Zwecken – Vorbeugung einer Skoliose – dient und damit als Teil einer Heilbehandlung medizinisch notwendig ist, kommt es nicht an, da er nach alledem bereits als Hilfsmittel unabhängig von weiteren Voraussetzungen notwendig und damit erstattungsfähig ist.

Im Übrigen hat die Sache weder grundsätzliche Bedeutung noch ist eine Entscheidung der Kammer zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich, § 522 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 und 3 ZPO.

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