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Krankenversicherung – craniomandibuläre Dysfunktion

Krankenversicherung: Versicherungsklausel lässt vorvertragliche Erkrankungen außen vor – Berufung gegen Urteil des Landgerichts zurückgewiesen

Das Gericht entschied, dass die Berufung des Klägers gegen ein vorheriges Urteil keine Aussicht auf Erfolg hat und unbegründet ist. Der Kläger hatte versucht, von seiner Krankenversicherung die Kosten für die Behandlung einer craniomandibulären Dysfunktion erstattet zu bekommen. Das Gericht urteilte, dass die medizinischen Probleme und die damit verbundenen Behandlungen bereits vor dem Abschluss der Versicherung bestanden und somit nicht vom Versicherungsschutz abgedeckt sind.

Weiter zum vorliegenden Urteil Az.: 6 U 195/21 >>>

✔ Das Wichtigste in Kürze

  • Das Gericht bestätigte die Entscheidung, dass die Krankenversicherung nicht für Behandlungen zahlen muss, die vor dem Abschluss der Versicherung nötig wurden.
  • Der Kläger hatte vor Vertragsbeginn bereits Symptome und Behandlungen für seine craniomandibuläre Dysfunktion.
  • Medizinisch notwendige Behandlungen sind nur versichert, wenn sie nach dem Abschluss der Versicherung notwendig werden.
  • Der Beginn des Versicherungsfalles setzt eine erstmalige ärztliche Diagnose oder Behandlung nach Vertragsbeginn voraus.
  • Eine vorher bestehende Fehlstellung der Zähne und die damit verbundene Abrasion waren bereits vor Vertragsabschluss bekannt.
  • Der Kläger hatte bereits vor Vertragsbeginn eine Schiene erhalten, was auf eine kontinuierliche Behandlungsbedürftigkeit hinweist.
  • Die Berufung gegen das ursprüngliche Urteil wurde als offensichtlich unbegründet zurückgewiesen.
  • Der Fall verdeutlicht die Bedeutung des Zeitpunkts des Versicherungsbeginns und der vorher bestehenden Zustände für den Versicherungsschutz.

Craniomandibuläre Dysfunktion: Versicherungsfragen in der Krankenversicherung

Craniomandibuläre Dysfunktion (CMD) ist eine Erkrankung der Kiefergelenke und umgebender Strukturen, die Beschwerden im Mund-Kiefer-Bereich verursachen kann. Wenn CMD-Betroffene diese Behandlungskosten bei ihrer Krankenversicherung geltend machen, stoßen sie oft auf rechtliche Fragen: Wann genau beginnt eine medizinisch notwendige Behandlung, die versichert ist? Ab wann greift der Versicherungsschutz bei einer solchen Erkrankung?

Juristische Auseinandersetzungen um den Versicherungsschutz bei CMD betreffen den Beginn des Versicherungsfalls und die Frage, ob bereits vor Vertragsschluss bestehende Zahnfehlstellungen oder -schäden die medizinisch notwendige Heilbehandlung begrenzen. Dies ist eine wichtige juristische und finanzielle Fragestellung für alle, die Versicherungsschutz für solche Erkrankungen suchen.

Der rechtliche Rahmen umfasst Bedingungen wie medizinische Notwendigkeit und Behandlungsbedürftigkeit, die während oder vor dem Versicherungsabschluss entstanden sind. Versicherte, die mit den Bedingungen der Krankenversicherung konfrontiert sind, profitieren von einer sorgfältigen Information über diese Rechtsfragen, um spätere mögliche Unstimmigkeiten mit dem Versicherer zu vermeiden.

Im Zentrum des juristischen Streits vor dem Kammergericht Berlin stand die Frage, ob eine Krankenversicherung für die Behandlung einer craniomandibulären Dysfunktion aufkommen muss, wenn die ersten Symptome bereits vor dem Abschluss des Versicherungsvertrages auftraten. Der Kläger, dessen Berufung vom Gericht abgewiesen wurde, hatte gegen ein früheres Urteil des Landgerichts Berlin Berufung eingelegt, in der Hoffnung, die Kosten für seine zahnärztliche Behandlung erstattet zu bekommen.

Kern des Streits: Versicherungsschutz für vorvertragliche Erkrankungen

Der Fall dreht sich um die Interpretation von Versicherungsbedingungen und den Beginn des Versicherungsfalles im Kontext der medizinisch notwendigen Behandlung einer versicherten Person. Gemäß den Allgemeinen Versicherungsbedingungen (AVB) der beteiligten Krankenversicherung, wird der Versicherungsfall durch die Notwendigkeit medizinischer Heilbehandlung aufgrund von Krankheit oder Unfallfolgen definiert, wobei ausdrücklich festgelegt ist, dass Erkrankungen, die bereits vor Beginn des Versicherungsschutzes bestanden, nicht abgedeckt sind.

Der spezifische Fall: craniomandibuläre Dysfunktion

Der Kläger machte geltend, dass bei ihm eine craniomandibuläre Dysfunktion vorliege, die durch eine Veränderung des Bisses und der Zahnstellung behandelt werden könne. Er argumentierte, dass die jetzt angedachte Behandlung von der Versicherung übernommen werden sollte. Das Landgericht Berlin folgte jedoch der Auffassung, dass der Versicherungsfall, also die Notwendigkeit der Behandlung, bereits vor Abschluss des Versicherungsvertrages eingetreten sei. Diese Einschätzung basierte unter anderem auf der langjährigen Vorgeschichte der Beschwerden, dokumentierten Behandlungsmaßnahmen und der Verwendung einer Zahnschiene, die schon Jahre vor Vertragsabschluss angepasst wurde.

Die rechtliche Herausforderung und Entscheidungsgrundlage

Eine zentrale Rolle in der rechtlichen Bewertung spielte die Definition und Feststellung des Versicherungsfalles im Kontext der AVB. Das Gericht verwies auf die ständige Rechtsprechung, wonach der Beginn einer Behandlung – selbst die erste ärztliche Untersuchung mit dem Ziel der Diagnose – den Versicherungsfall markiert, sofern diese aufgrund der betreffenden Krankheit erfolgt. Besonders hervorgehoben wurde, dass der Versicherungsnehmer nicht in der Lage sein soll, durch vorvertragliche Inanspruchnahme medizinischer Leistungen den Versicherungsschutz zu seinen Gunsten zu manipulieren. Im vorliegenden Fall wurde deutlich, dass der Kläger bereits vor Abschluss des Versicherungsvertrages aufgrund seiner Beschwerden ärztliche Hilfe in Anspruch genommen hatte.

Urteil und seine Begründung

Das Kammergericht Berlin entschied, die Berufung des Klägers zurückzuweisen, da keine Aussicht auf Erfolg bestehe. Die Urteilsbegründung stützte sich maßgeblich darauf, dass die behandlungsbedürftige Erkrankung des Klägers und die damit verbundenen medizinischen Maßnahmen bereits vor dem Abschluss des Versicherungsvertrages begonnen hatten. Dies machte den Anspruch auf Kostenerstattung für die spezifische Behandlung der craniomandibulären Dysfunktion nach den AVB der Krankenversicherung unzulässig.

Das Urteil bestätigt die Bedeutung der genauen Prüfung der Versicherungsbedingungen und des Zeitpunkts der Erstmanifestation von Erkrankungen im Hinblick auf den Versicherungsschutz. Es unterstreicht die Notwendigkeit einer transparenten Kommunikation zwischen Versicherungsnehmern und -gebern über bestehende Vorerkrankungen zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses.

§ Wichtige Gesetze und Paragraphen in diesem Urteil

  • § 522 Abs. 2 ZPO: Regelt die Möglichkeit, eine Berufung ohne mündliche Verhandlung durch Beschluss zurückzuweisen, wenn diese keine Aussicht auf Erfolg hat. Im vorliegenden Fall wurde dies angewandt, da die Berufung des Klägers als offensichtlich unbegründet angesehen wurde.
  • § 513 ZPO: Bestimmt die Zulässigkeit der Berufung und die Gründe, auf die sie gestützt werden kann. Hier relevant, da das Gericht feststellte, dass die Berufung des Klägers weder auf einer Rechtsverletzung beruht noch dass zu berücksichtigende Tatsachen eine andere Entscheidung rechtfertigen.
  • § 1 Nr. 2 AVB (Allgemeine Versicherungsbedingungen): Definiert den Versicherungsfall als medizinisch notwendige Heilbehandlung wegen Krankheit oder Unfallfolgen. Im Urteil wurde erörtert, dass der Versicherungsfall bereits vor Abschluss des Versicherungsvertrages eingetreten ist.
  • § 2 Nr. 1 S. 2 AVB: Schließt Leistungen für Versicherungsfälle, die vor Beginn des Versicherungsschutzes eingetreten sind, aus. Dies war zentral für die Entscheidung des Gerichts, da es den Anspruch des Klägers auf Versicherungsleistungen für die Behandlung seiner craniomandibulären Dysfunktion verneinte.
  • BGH, Beschluss vom 17. Dezember 2014 – IV ZR 399/13: Wird zitiert zur Klärung, wann eine medizinisch notwendige Heilbehandlung vorliegt und wie der Beginn und das Ende eines Versicherungsfalles zu bestimmen sind. Das Urteil nutzt diese Rechtsprechung, um zu begründen, dass die Behandlungsmaßnahmen des Klägers noch Teil des vor Vertragsabschluss begonnenen Versicherungsfalles sind.
  • Prölss/Martin/Voit, Kommentar zum Versicherungsvertragsgesetz: Wird herangezogen, um die fortbestehende Behandlungsbedürftigkeit bei chronischen Grunderkrankungen und die Abgrenzung zu neuen Versicherungsfällen zu erläutern. Im Urteil dient dies der Argumentation, dass die vom Kläger gewünschten Behandlungen als Fortführung des ursprünglichen Versicherungsfalles anzusehen sind.


Das vorliegende Urteil

KG Berlin – Az.: 6 U 195/21 – Beschluss vom 28.02.2023

Der Senat beabsichtigt, die Berufung des Klägers gegen das Urteil der Zivilkammer 23 des Landgerichts Berlin vom 3. September 2021 auf seine Kosten durch einstimmigen Beschluss gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen.

Gründe

I.

Die zulässige Berufung des Klägers bietet keine Erfolgsaussicht und ist offensichtlich unbegründet.

Gemäß § 513 ZPO kann die Berufung nur darauf gestützt werden, dass die angefochtene Entscheidung auf einer Rechtsverletzung beruht oder gemäß § 529 ZPO zu berücksichtigende Tatsachen eine andere Entscheidung rechtfertigen. Beide Voraussetzungen liegen nicht vor.

1) Das Landgericht hat mit zutreffenden Erwägungen, auf die verwiesen werden kann, angenommen, dass der Versicherungsfall vorliegend bereits vor dem Abschluss des Versicherungsvertrages eingetreten ist und die jetzt geplanten Behandlungsmaßnahmen noch Teil dieses Versicherungsfalles sind.

a) Gemäß § 1 Nr. 2 der hier vereinbarten CSS-Grundbedingungen Teil I (im Folgenden: AVB) ist Versicherungsfall die medizinisch notwendige Heilbehandlung einer versicherten Person wegen Krankheit oder Unfallfolgen. Der Versicherungsfall beginnt mit der Heilbehandlung; er endet, wenn nach medizinischem Befund eine Behandlungsbedürftigkeit nicht mehr besteht. Muss die Heilbehandlung auf eine Krankheit oder Unfallfolge ausgedehnt werden, die mit der bisher behandelten nicht ursächlich zusammenhängt, so entsteht ein neuer Versicherungsfall.

Gemäß § 2 Nr. 1 S. 2 AVB leistet die Beklagte nicht für Versicherungsfälle, die vor Beginn des Versicherungsschutzes eingetreten sind.

b) Mit dem Begriff „medizinisch notwendige“ Heilbehandlung wird – auch für den Versicherungsnehmer erkennbar – nicht an den Vertrag zwischen ihm und dem behandelnden Arzt und die danach geschuldete medizinische Heilbehandlung angeknüpft. Vielmehr wird zur Bestimmung des Versicherungsfalles ein objektiver, vom Vertrag zwischen Arzt und Patient unabhängiger Maßstab eingeführt. Diese objektive Anknüpfung bedeutet zugleich, dass es für die Beurteilung der medizinischen Notwendigkeit der Heilbehandlung nicht auf die Auffassung des Versicherungsnehmers und auch nicht allein auf die des behandelnden Arztes ankommen kann. Gegenstand der Beurteilung können vielmehr nur die objektiven medizinischen Befunde und Erkenntnisse im Zeitpunkt der Vornahme der Behandlung sein. Demgemäß liegt eine medizinisch notwendige Heilbehandlung i.S. des § 1 Nr. 2 AVB vor, wenn es nach den objektiven medizinischen Befunden und Erkenntnissen im Zeitpunkt der Vornahme der ärztlichen Behandlung vertretbar war, sie als notwendig anzusehen (BGH, Beschluss vom 17. Dezember 2014 – IV ZR 399/13 –, Rn. 13, juris, m. w. Nachw.).

Der Versicherungsfall beginnt mit der Heilbehandlung. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs gehört zur „Behandlung“ einer Krankheit nicht nur die unmittelbare Heiltätigkeit, sondern auch schon die erste ärztliche Untersuchung, die auf die Erkennung des Leidens abzielt, ohne Rücksicht darauf, ob sofort oder erst nach weiteren Untersuchungen eine endgültige und richtige Diagnose gestellt und mit den eigentlichen Heilmaßnahmen begonnen worden ist. Bei schon bekannten Krankheiten, bei denen es Arzt und Patient darum geht, nach in sich abgeschlossener erster Behandlungsphase verbliebene Krankheitsfolgen zu beheben oder zu lindern, ist zwar eine ärztliche Untersuchung zur Erkennung des Leidens oft gar nicht mehr notwendig. Aber auch in diesen Fällen beginnt die Heilbehandlung mit der ersten Inanspruchnahme jeglicher ärztlicher Tätigkeit, die durch die betreffende Krankheit verursacht worden ist, sofern die Tätigkeit des Arztes von ihrer Art her in den Rahmen der medizinisch notwendigen Krankenpflege fällt. Diese Auslegung trägt dem Umstand Rechnung, dass es dem Versicherungsnehmer anderenfalls möglich wäre, zunächst eine ärztliche Diagnose und Beratung über mögliche Behandlungsformen einzuholen, sodann eine Krankenversicherung abzuschließen bzw. eine bestehende Krankenversicherung zu erhöhen, um danach die Heilbehandlung in Anspruch nehmen zu können. Sobald nämlich der Versicherte wegen einer Krankheit einen Arzt einmal in Anspruch genommen hat, hindert ihn die Klausel daran, den Versicherungsfall willkürlich abzubrechen und einen neuen zu einem ihm geeignet erscheinenden Zeitpunkt zu beginnen, obwohl es sich tatsächlich um die Weiterbehandlung der früheren Krankheit handelt (BGH, Beschluss vom 17. Dezember 2014 – IV ZR 399/13 –, Rn. 16, juris, m. w. Nachw.). Der Versicherungsfall endet erst dann, wenn nach medizinischem Befund keine Behandlungsbedürftigkeit mehr besteht (BGH, Beschluss vom 17. Dezember 2014 – IV ZR 399/13 –, Rn. 18, juris, m. w. Nachw.). Die Behandlungsbedürftigkeit in diesem Sinne kann fortbestehen, wenn ein pathologischer Zustand fortbesteht, der zwar keine aktuellen Beschwerden verursacht, aber regelmäßig überwacht werden muss (vgl. BGH, a. a. O.). Anders kann der Sachverhalt zu beurteilen sein, wenn eine chronische Grunderkrankung vorliegt, die nicht (mehr) behandelt werden muss bzw. behandelbar ist, es aber zu akuten behandlungsbedürftigen Schüben kommt (vgl. Prölss/Martin/Voit, 31. Aufl. 2021, MB/KK 2009 § 1 Rn. 13).

c) Unter Krankheit im Sinne der Bedingungen ist nach dem maßgebenden Verständnis eines durchschnittlichen Versicherungsnehmers ein objektiv nach ärztlichem Urteil bestehender anormaler, regelwidriger Körper- oder Geisteszustand zu verstehen Dabei ergibt sich die Einstufung als „anormal“ aus einem Vergleich mit der normalen biologischen Beschaffenheit des Menschen, die Einstufung als „regelwidrig“ aus der ergänzenden medizinischen Bewertung eines anormalen Zustandes (BGH, Urteil vom 29. März 2017 – IV ZR 533/15 –, Rn. 10, juris, m. w. Nachw.). Ein solcher Versicherungsnehmer wird zunächst vom Wortlaut der Bedingung ausgehen, wobei für ihn der Sprachgebrauch des täglichen Lebens und nicht etwa eine Terminologie, wie sie in bestimmten Fachkreisen üblich ist, maßgebend ist (BGH, Urteil vom 29. März 2017 – IV ZR 533/15 –, Rn. 13, juris). Eine Krankheit nach dem gewöhnlichen Sprachgebrauch ist auch dadurch gekennzeichnet, dass sie eine nicht ganz unerhebliche Störung körperlicher oder geistiger Funktionen mit sich bringt und deshalb die Notwendigkeit einer Heilbehandlung begründet (BGH, Urteil vom 29. März 2017 – IV ZR 533/15 –, Rn. 15, juris; BGH, Urteil vom 17. Februar 2016 – IV ZR 353/14 –, Rn. 17, juris).

2) Es ist unstreitig, dass die aktuell angedachte zahnärztliche Behandlung des Klägers gemäß den hier eingereichten Heil- und Kostenplänen (K 5 und K 6) medizinisch notwendig im Sinne der Bedingungen ist.

a) Der Kläger trägt insoweit vor, dass bei ihm eine craniomandibuläre Dysfunktion vorliege, die behandelt werden könne durch eine Veränderung des Bisses und der Zahnstellung (Bl. 4, 8 d. A.). Eine medizinisch notwendige Veränderung der Zahnstellung kommt nur bei Vorliegen eines pathologischen Zustandes in Betracht, der nach der oben angeführten Definition eine nicht ganz unerhebliche Störung der Gebissfunktion zur Folge hat und die Notwendigkeit einer Heilbehandlung begründet. Diesbezüglich räumt der Kläger selbst ein, dass eine pathologisch fehlerhafte Zahnstellung im Frontzahnbereich bereits seit der Jugendzeit vorlag. Er beschreibt diese Fehlstellung im Schriftsatz vom 16. September 2020 auf Seite 3 (Bl. 103 d. A.). Danach ragten bei dem Kläger die unteren Frontzähne nach außen und die oberen Frontzähne nach innen. Auf Anraten eines Zahnarztes, den er in seiner Jugend aufgesucht habe, habe er immer wieder mit einem Gegenstand wie einem Stift, einem Lineal oder Finger die Oberkieferfrontzähne nach vorne schieben sollen. In der Zeit, in der die oberen Frontzähne über den unteren Frontzähnen in der gleichen Position lagen, sei die Abnutzung (Abrasion) am größten gewesen. Damit bestätigt der Kläger auch eine erhebliche Störung der Gebissfunktion, weil es zu einer Abnutzung der Frontzähne durch einen biologisch nicht normalen Kontakt der Zähne kam. Wie sich diese Fehlstellung der Zähne, die jetzt korrigiert werden soll – die von der Beklagten beauftragten Zahnärzte Dres. E bezeichnen diese als „Mesialbisslage“ (vgl. Gutachten vom 5. Juli 2017 = B 3) –, von dem vorvertraglichen Zustand des Gebisses unterscheiden soll, ergibt sich aus dem Vortrag des Klägers nicht. Es ist von einer bereits bei Vertragsschluss bestehenden pathologischen Fehlstellung der Zähne beim Kläger auszugehen, die seit Jugendzeiten vorlag.

Bereits vor Vertragsschluss war auch eine dadurch bedingte Abrasion der Oberkieferfrontzähne gegeben, die jetzt im Zuge der Behandlung überkront werden sollen. Dabei spielt es keine Rolle, in welchen Umfang die Abrasionen auf Schleifmaßnahmen des Dr. D im Jahr 2005 beruhten. Denn dieser soll lediglich scharfe Zahnkanten beseitigt haben. Diese scharfen Zahnkanten „könnten“ nach dem Vortrag des Klägers durch die Abnutzung in Folge der Fehlstellung der Frontzähne entstanden sein (Bl. 103 d. A.). Auch insoweit hätte sich im Ergebnis die Zahnfehlstellung im Frontzahnbereich kausal für den Verlust an Zahnsubstanz erwiesen. Keinen Erfolg hat der Kläger mit seinem erstmals in der Berufungsbegründung vorgebrachten Argument, Dr. C könnte im Jahr 2007 einen Fehlbefund erhoben haben (Bl. 181 d. A.). Denn der Kläger legt nicht dar, wie sich der Zustand seines Gebisses im Frontzahnbereich des Oberkiefers im Jahr 2007 von dem Zustand, der durch Röntgenaufnahmen vom November 2013 belegt ist, unterscheiden soll.

b) Zusätzlich war dem Kläger bereits vor Vertragsschluss eine Schiene zum Schutz der Zähne verordnet worden, die bereits im Jahr 2007 kontrolliert und eingeschliffen wurde. Auch dies zeigt, dass Schutzmaßnahmen zugunsten der Zähne des Klägers durch eine fehlstellungsbedingte Störung der Gebissfunktion erforderlich waren, deren Wirksamkeit auch regelmäßig kontrolliert werden mussten. Damit lag eine fortlaufende Heilbehandlung im Sinne der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs vor, weil die Ursache der Abnutzung – die Fehlstellung der Frontzähne – nicht durch entsprechende zahnärztliche oder sonstige Maßnahmen korrigiert wurden.

In diesem Zusammenhang ist nach dem eigenen Vortrag die Überzeugungsbildung als Ergebnis der Beweisaufnahme gerechtfertigt, dass nicht die Verwendung einer bestimmten Zahnpasta die Zahnabnutzung verursacht hat. Die Sachverständige Prof. Dr. P begründet dies überzeugend damit, dass dann alle Zähne und insbesondere die Zahnhälse hätten betroffen sein müssen. Eine Schädigung der Zähne durch ein Reiben mit der Zunge hat die Sachverständige ausgeschlossen. Ebenso überzeugt die Ausführung der

Sachverständigen, dass eine Verordnung der Schiene zum Schutz der Prothetik bei der Versorgung des Zahns 24 mit einer Krone im Mai 2007 nur erklärbar ist, wenn die Befürchtung bestand, dass diese durch einen Zahnkontakt beschädigt wird. Daraus ergibt sich, dass die Fehlstellung der Zähne im Frontzahnbereich des Klägers nicht der ausschließliche Grund für das Verordnen der Schiene gewesen sein kann, sondern dass auch weitere Zähne – wie etwa der neu überkronte Zahn 24 – durch unbewusste Kaubewegungen oder Zähneknirschen in ihrer Substanz gefährdet waren. Diese Entwicklung hatte sich bis zum Jahr 2013 leider verschlimmert. Es spielt dabei keine Rolle, ob der Kläger an seinem Arbeitsplatz im Jahr 2011 besonderem Stress ausgesetzt war und ob er die Schiene regelmäßig trug, wie er vorträgt (Bl. 52 d. A.). Jedenfalls waren im November 2013 (vgl. SVGA, S. 4 oben) auch die Unterkieferfrontzähne röntgenologisch als abradiert zu erkennen, wenn auch in geringerem Umfang als bei den Oberkieferfrontzähnen. Die Sachverständige hat hierzu auch ausgeführt, dass durch einen Bruxismus zunächst die Frontzähne im Ober- und Unterkieferbereich betroffen sind, wobei dies nicht in gleicher Weise der Fall sein muss (Bl. 131 d. A.). Die Sachverständige hat auch die weitere Entwicklung überzeugend in der Weise geschildert, dass es in Folge des Abriebs der Frontzähne zu einer Veränderung der Bisslage komme, so dass bei einem Bruxismus auch die Seitenzähne betroffen sind. Hier zeigt sich deshalb im Verlauf, dass die im Jahr 2007 verordnete Zahnschiene ihre Funktion, weiteren Abrieb der Zahnsubstanz zu verhindern, nicht erfüllt hat, sondern sich eine fortlaufende Verschlechterung zeigte. Dies zeigt auch, dass die Heilbehandlung aus dem vorvertraglichen Bereich gerade nicht durch das einmalige Verordnen einer Schiene beendet war, weil nichts weiter zu veranlassen war. Vielmehr hätten die Funktion und die Qualität der Schiene regelmäßig kontrolliert werden müssen. Es hätte auch weiterhin überwacht werden müssen, ob die Versorgung mit einer Schiene ausreichend war, um den weiteren Verlust an Zahnsubstanz beim Kläger aufzuhalten.

c) Aus den vorstehenden Gründen kommt es auch nicht darauf an, ob bestimmte Diagnosebegriffe der den Kläger behandelnden Zahnärzte wie Bruxismus oder craniomandibuläre Dysfunktion in den ärztlichen Unterlagen genannt werden und ob und wann die Diagnosen zu stellen waren. Entscheidend ist, dass nach dem eigenen Vortrag des Klägers eine pathologische Zahnfehlstellung vorlag, die bereits unstreitig vor Vertragsbeginn zu einer Zahnschädigung mit Substanzverlust geführt hatte. Da die Zahnfehlstellung nicht korrigiert war, blieb zur Verhinderung der weiteren Zahnschädigung die Versorgung mit einer Schiene, deren Funktion aber, weil sie nicht die Ursache des Zahnsubstanzabriebs beseitigte, regelmäßig auf Verschleiß und Funktion überprüft werden musste. Damit dauerte die Behandlungsbedürftigkeit des Gebisses des Klägers an, auch wenn er möglicherweise zwischenzeitlich beschwerdefrei war. Er behauptet auch selbst nicht, dass ihm von einem behandelnden Zahnarzt zu irgendeinem Zeitpunkt mitgeteilt worden sei, dass er die Schiene nicht mehr benötige. Es käme auch auf dessen subjektive Sicht nicht an, entscheidend wäre – auf die obigen Ausführungen wird verwiesen – der objektive Befund. Aus diesem Grund kann auch der Kläger mit seinem Argument nicht überzeugen, eine Schienenbehandlung habe über Jahre nach der Verordnung im Jahr 2007 nicht stattgefunden (Bl. 180 d. A.). Denn die Sachverständige Prof. Dr. P hat in der mündlichen Erläuterung vor dem Landgericht (Bl. 132 d. A.) überzeugend erklärt, dass der Zustand der Schiene regelmäßig überprüft werden muss.

3) Der Kläger hat selbst vorgebracht, dass auch die Erneuerung des vorhandenen Zahnersatzes im Seitenzahnbereich erforderlich sei, um eine Bisshebung zu erreichen (Bl. 4

d. A.). Er behauptet nicht, dass die vorliegenden Defekte wie Randspaltdefizite sowie beginnende Sekundärkariesdefekte (vgl. B 3 zu 1.) einen Ersatz medizinisch notwendig machen. Soweit es um die Bisshebung geht, räumt der Kläger selbst ein, dass im Zusammenhang mit dem Entfernen der Amalgam-Füllungen im Jahr 1995 Kronen eingesetzt worden seien (Bl. 179 d. A.). Da dabei die Kau- und Kieferbewegungen des Klägers nicht ermittelt wurden, könne es durch einen nicht optimal angepassten Zahnersatz ebenfalls zu einer Abrasion gekommen sein. Auch danach wäre diese vorvertragliche Zahnbehandlung nicht beendet gewesen, weil eine korrekte Anpassung des Zahnersatzes zur geschuldeten Leistung des Zahnarztes gehört. War durch eine fehlende Anpassung des Zahnersatzes die Ursache für eine spätere Schädigung des Zahnersatzes bereits 1995 vor Abschluss des Versicherungsvertrages angelegt, so bestünde keine Leistungspflicht der Beklagten, weil die ursprüngliche Heilbehandlung nicht vollständig zu Ende geführt worden ist. Im Übrigen hat die Beklagte mit dem Schreiben vom 4. August 2017 (K 10) auch Leistungszusagen für einen Teil der geplanten Behandlungsmaßnahmen erteilt. Dass dem Kläger darüber hinaus Ansprüche zustehen, ist nicht erkennbar.

4) Die Einwände des Klägers gegen die Beweiswürdigung des Landgerichts greifen aus den vorstehenden Gründen nicht durch. Er stellt seine Auffassung schlicht gegen die Ausführungen der Sachverständigen, ohne damit Zweifel an der Richtigkeit der Tatsachenfeststellung durch das Landgericht zu wecken. Auch eine persönliche Untersuchung des Klägers durch die Sachverständige Prof. Dr. P war nicht erforderlich, denn der aktuelle Zahnstatus des Klägers ist unstreitig. Es ging um den Zustand des Gebisses und Kiefers in der Zeit vor Vertragsschluss. Dieser lässt sich nur aus den Befunderhebungen und Unterlagen der bisher behandelnden Zahnärzte ermitteln.

5) Auch die weiteren Voraussetzungen für eine Zurückweisung der Berufung im Beschlusswege liegen vor. Die Sache hat keine grundsätzliche Bedeutung, denn die maßgeblichen Rechtsfragen sind durch die zitierte Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs geklärt.

Schon der Bundesgerichtshof hat in seinem Beschluss vom 17. Dezember 2014 – IV ZR 399/13 – die Entscheidung des OLG Stuttgart, die der Kläger nennt, zitiert und darauf verwiesen, dass sie sich auf einen anderen Sachverhalt bezog, bei dem die Funktionsfähigkeit des Gebisses durch Extraktion eines Zahnes und Wurzelkanalbehandlungen an weiteren Zähnen wieder hergestellt war. Dieser Sachverhalt ist mit dem hier vorliegenden deswegen nicht vergleichbar. Ohnehin geht es hier um die Beweiswürdigung im Einzelfall. Eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung ist deswegen nicht erforderlich. Zur Rechtsfortbildung eignet sich der Sachverhalt nicht.

II.

Dem Kläger wird Gelegenheit zur Stellungnahme binnen einer Frist von drei Wochen gegeben.

Aus Kostengründen sollte die Rücknahme der Berufung in Erwägung gezogen werden.

 

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