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Insolvenz Schädiger – Recht auf abgesonderte Befriedigung der Versicherungsforderung gegenüber Insolvenzverwalter

LG Arnsberg, Az: 8 O 167/09, Urteil vom 02.12.2010

Die Klage wird als unzulässig abgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Rechtstreits und die der Streithelferin entstandenen Kosten.

Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.

Streitwert: 56.192,13 €.

transportversicherung

Tatbestand

Die Klägerin ist Assekuradeurin der Transportversicherer der Firma B. GmbH aus T. (Versicherungsnehmerin) und macht als solche aus abgetretenem Recht Ansprüche gegen den Beklagten als Insolvenzverwalter über das Vermögen der Firma W. GmbH (Insolvenzschuldnerin) geltend, die aus einem Transportvertrag der Versicherungsnehmerin mit der Insolvenzschuldnerin herrühren. Die Insolvenzschuldnerin ihrerseits war bei der Streithelferin gegen Diebstahlschäden versichert.

Zwischen der Versicherungsnehmerin der Klägerin, die Computer vertreibt, und der Insolvenzschuldnerin bestanden seit Jahren Geschäftsbeziehungen, in deren Rahmen die Insolvenzschuldnerin Computerwaren der Versicherungsnehmerin der Klägerin transportierte. Am 11.11.2008 beauftragte die Versicherungsnehmerin der Klägerin im Rahmen dieser Geschäftsbeziehung die Insolvenzschuldnerin mit der Beförderung von 6 Einwegpaletten ACER-PC, 182 Stück ACER-PC Veriton, verpackt in 182 Kartons zu einem Gewicht von 2.960 kg von T. zur Firma D. in den circa 200 km entfernt gelegenen M.. Die Insolvenzschuldnerin nahm den Auftrag an und übernahm die 6 Einwegpaletten mit Notebooks am 11.11.2008 in T.. Die Sattelzugmachine der Insolvenzschuldnerin hatte noch weitere Güter geladen, die an anderen Orten entladen werden mussten. Nach Übernahme der Notebooks in T. gegen 18:00 Uhr erreichte der Fahrer der Sattelzugmachine, der Zeuge E., wenig später die Bundesautobahn A…, wo er den Rastplatz C. in N. ansteuerte, um dort zu übernachten.

In der Nacht vom 11.11.2008 auf den 12.11.2008 wurde ein Teil der Notebooks (158 Stück) von dem Sattelzug des Zeugen E. entwendet, der dies gegen 06:15 Uhr bemerkte und zugleich feststellte, dass die Seitenplane an dem Auflieger mehrere Einschnitte aufwies. Der Zeuge E. erstattete Strafanzeige (Az. 80 UJs 1177/09, StA Hagen).

Mit Schreiben vom 13.11.2008 machte die Versicherungsnehmerin der Klägerin die Insolvenzschuldnerin für den Schaden haftbar (Anlage K5). Die Versicherungsnehmerin der Klägerin trat am 03.12.2008 sämtliche Ansprüche aus dem streitbefangenen Transport an die Klägerin ab, die mit Schreiben vom 26.01.2009 einen Warenschaden in Höhe von 55.910,00 gegenüber der Insolvenzschuldnerin geltend machte, und den sie nunmehr mit der Klage bei Erhöhung der Forderung um die anteilige Fracht (282,13 €) weiter verfolgt.

Durch Beschluss des Amtsgerichts Arnsberg (21 IN 324/08) wurde am 01.02.2009 das Insolvenzverfahren über das Vermögen der Insolvenzschuldnerin eröffnet.

Mit der am 02.10.2009 beim Landgericht eingegangenen und am 21.10.2009 zugestellten Klageschrift hat die Klägerin die Insolvenzschuldnerin auf Zahlung in Anspruch genommen. Auf Antrag der Klägerin ist das Passivrubrum dahingehend geändert worden, dass Beklagte nicht die Insolvenzschuldnerin, sondern der jetzige Beklagte ist; der entsprechende Schriftsatz der Klägerin ist dem neuen Beklagten spätestens am 30.11.2009 zugegangen.

Die Klägerin ist der Ansicht, aus § 110 VVG folge das Recht auf abgesonderte Befriedigung aus dem Freistellungsanspruch der Insolvenzschuldnerin gegenüber der Streithelferin, das die Klägerin gegen den nunmehr beklagten Insolvenzverwalter geltend mache, und zwar ohne Umweg über das insolvenzrechtliche Prüfungsverfahren.

Wegen der Klageforderung selbst ist die Klägerin der Ansicht, die Insolvenzschuldnerin treffe ein qualifiziertes Verschulden gemäß § 435 HGB. Angesichts der kurzen Entfernung sei eine Übernachtung auf einem Rastplatz nicht erforderlich gewesen, wodurch der Transport bereits sorgfaltswidrig geplant worden sei. Zudem sei trotz des Wertes der transportierten Güter lediglich ein Planen-LKW und kein Koffer-LKW verwendet worden.

Die Klägerin beantragt, den Beklagten zu verurteilen, an die Klägerin 56.192,13 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz aus 55.910,00 seit dem 07.03.2009 sowie aus 282,13 € seit dem 30.11.2009 zu zahlen und die Klägerin von Gebührenansprüchen der Sozietät I., A., in Höhe von 892,44 € freizuhalten, wobei der Anspruch auf Leistung aus der Entschädigungsforderung gegen die Haftpflichtversicherung der Insolvenzschuldnerin beschränkt ist.

Der Beklagte und die auf Beklagtenseite beigetretene Streithelferin beantragen, die Klage abzuweisen.

Sie haben der Änderung des Passivrubrums widersprochen und halten die Klage für unzulässig, weil die geltend gemachte Forderung vorrangig zur Insolvenztabelle angemeldet und festgestellt werden muss. Erst nach Feststellung eines Schadenersatzanspruches könne Zahlung der Entschädigung verlangt werden.

Ferner treten sie dem geltend gemachten Anspruch sowohl dem Grunde als auch der Höhe nach entgegen. Nach ihrer Auffassung scheidet eine Anwendung des § 435 HGB aus. Sie berufen sich auf ein Mitverschulden der Versicherungsnehmerin der Klägerin und auf eine Haftungsbegrenzung, die in dem Vertrag zwischen der Insolvenzschuldnerin und der Streithelferin vereinbart sei, und erheben schließlich die Einrede der Verjährung.

Wegen weiterer Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Parteien und der Streithelferin gewechselten Schriftsätze und deren Anlagen Bezug genommen. Durch Beschluss vom 16.09.2010 ist das Passivrubrum bei Annahme eines Parteiwechsels auf Beklagtenseite auf Antrag der Klägerin geändert worden. Ebenfalls durch Beschluss vom 16.09.2010 hat die Kammer umfangreiche rechtliche Hinweise erteilt; daraufhin haben die Klägerin und die Streithelferin mit Rechtsausführungen Stellung genommen.

Gründe

Die Klage ist unzulässig, sodass sie ohne Rücksicht auf die Frage der Begründetheit durch „Prozessurteil“ als unzulässig abzuweisen ist.

Die seitens der Klägerin ursprünglich gegen die Insolvenzschuldnerin erhobene Klage richtet sich mit Zugang des Schriftsatzes der Klägerin vom 17.11.2009 gegen den Beklagten als Insolvenzverwalter, dem dieser Schriftsatz spätestens am 30.11.2009 zugegangen ist. Insoweit ist auf Antrag der Klägerin das Passivrubrum geändert worden, wobei es um einen (zulässigen) Parteiwechsel auf Beklagtenseite handelte. Da eine Einwilligung der ursprünglichen Beklagten (der Insolvenzschuldnerin) nicht erforderlich war und aus Sicht der Kammer Sachdienlichkeit im Sinne von § 263 ZPO gegeben war, hat die Kammer dem Antrag der Klägerseite entsprochen.

Die Klage ist unzulässig, weil es an einem Rechtsschutzbedürfnis als allgemeine Prozessvoraussetzung fehlt. Denn die Klägerin kann einen Zahlungstitel auf einfacherem Wege erlangen, und zwar durch – nach § 87 InsO vorrangige – Anmeldung zur Insolvenztabelle (vgl. Zöller, ZPO, 28. Auflage, vor § 253, Rdnr. 18b).

Zur Frage der Zulässigkeit kann sich die Klägerin nicht mit Erfolg auf § 110 VVG berufen. Nach dieser Vorschrift kann ein Dritter, hier die Klägerin, wegen des ihr gegen den Versicherungsnehmer, hier die Insolvenzschuldnerin, zustehenden Anspruchs auf abgesonderte Befriedigung aus dem Freistellungsanspruch des Versicherungsnehmers verlangen, wenn über dessen Vermögen das Insolvenzverfahren eröffnet ist. Nach der von der Klägerin mehrfach zitierten Entscheidung des BGH zur Vorgängernorm § 157 VVG a. F. kann ein Geschädigter sein Recht auf abgesonderte Befriedung aus der Versicherungsforderung ohne Umweg über das insolvenzrechtliche Prüfungsverfahren durch unmittelbare Klage auf Zahlung gegen den Insolvenzverwalter geltend machen (BGH VersR 89, 730). Voraussetzung hierfür ist aber, dass der Haftpflichtanspruch des Geschädigten gem. § 106 VVG (§ 154 VVG a.F.) festgestellt worden ist, weil dieser durch die Regelung im VVG keine weitergehende Rechtsstellung als der Versicherungsnehmer erlangt.

Es kann zunächst dahingestellt bleiben, ob die Vorschrift des § 110 VVG überhaupt zu Gunsten der Klägerin zum Tragen kommt.

§ 110 VVG ist eine Vorschrift, die Ansprüche aus einer Haftpflichtversicherung betrifft. Das folgt aus der systematischen Stellung in Teil 2 Kapitel 1 des VVG. Der zwischen der Insolvenzschuldnerin und der Streithelferin geschlossene Versicherungsvertrag ist dagegen als „Transportversicherung“ bezeichnet. Diese Bezeichnung ist für die Einordnung einer Versicherung als Transportversicherung i.S.d. § 130 VVG jedoch nicht maßgeblich (vgl. Koller in Prölls/Martin, VVG, § 130, Rdnr 1), so dass eine Transporthaftpflichtversicherung keine Transportversicherung in diesem Sinne ist (zur Kasuistik vgl Koller a.a.O, Rdnr. 9). Im konkreten Fall ist die Einordnung daher nach dem versicherten Risiko vorzunehmen.

Nach dem von der Streithelferin vorgelegten Versicherungsvertrag ist zwar die verkehrsvertragliche Haftung als Frachtführer gemäß §§ 407 ff HGB versichert, allerdings sind dort unter Zif. 1.4 diebstahlgefährdete Produkte – wie vorliegend Notebooks – vorbehaltlich einer ausdrücklichen Vereinbarung gegen Diebstahl ausgenommen, so dass es im Hinblick auf den geltend gemachten Anspruch zweifelhaft erscheint, den Vertrag im Verhältnis zur Klägerin als Haftpflichtversicherung einzuordnen und § 110 VVG zur Anwendung kommen zu lassen, auch wenn es sich dabei primär um eine materiellrechtliche Frage handelt.

Selbst wenn § 110 VVG zur Anwendung käme, wäre es erforderlich, dass die Klägerin vor Erhebung einer Zahlungsklage die Feststellung des Anspruchs gegen den Versicherer betreibt.

Mit Urteil vom 17.03.2004 (VersR 2004, 634) hat der BGH zu § 157 VVG a. F. entschieden, dass Voraussetzung für einen unmittelbaren Zahlungsanspruch gegen den Versicherer – wie beim Zahlungsanspruch des Versicherungsnehmers – ist, dass ein solcher Haftpflichtanspruch festgestellt worden ist. Eine solche Feststellung kann beispielsweise durch ein Anerkenntnis der Schadenersatzforderung durch den Insolvenzverwalter erfolgen, entsprechendes lässt sich auch der Kommentierung von Lücke in Prölss/Martin, VVG, 28. Auflage 2010, § 110 Rdnr. 5 entnehmen, der zudem auf Entscheidungen des KG Berlin (VersR 2007, 349) und OLG Nürnberg (VersR 2008, 813) verweist; in beiden obergerichtlichen Entscheidungen wird für eine direkte Inanspruchnahme vorausgesetzt, dass der Schadenersatzanspruch des Geschädigten festgestellt und fällig ist. Dafür spricht auch eine Entscheidung des BGH vom 07.07.1993 (r+s 1993, S. 370). Danach kann ein Schadenersatzgläubiger im Insolvenzfall von dem Haftpflichtversicherer des Insolvenzschuldners nach Feststellung dieses Anspruchs unmittelbar Zahlung verlangen; in dem dort zugrunde liegenden Sachverhalt war der Anspruch unstreitig zur Tabelle festgestellt worden.

Die Annahme, dass der Geschädigte vor einer direkten Zahlungsklage zunächst die Feststellung seines Anspruchs gegen den Insolvenzverwalter betreiben muss, wird – soweit ersichtlich – auch im Schrifttum geteilt (vgl. Münzel, NZI 2007, S. 441; Gottwald Insolvenzrechts-Handbuch, 4. Auflage 2010, § 42 Absonderung, Rdnr. 67; Anmerkung zu OLG Nürnberg, VersR 2008, 813; in einem Aufsatz kommt Thume (VersR 2006, 1318) im Hinblick auf § 154 VVG a.F. ebenfalls zu dem Ergebnis, dass die Schadensersatzpflicht des Insolvenzschuldners zuerst festgestellt werden muss).

Die gegen diese Rechtsauffassung der Kammer vorgetragenen Bedenken der Klägerin vermögen nicht zu überzeugen. Die Klägerin nimmt den beklagten Insolvenzverwalter unmittelbar auf Zahlung, und gerade nicht auf Feststellung des Anspruchs zur Tabelle in Anspruch. Damit verlangt sie nicht eine abgesonderte Befriedigung aus dem Freistellungsanspruch, die durch § 110 VVG ermöglicht wird, sondern unmittelbar einen Zahlungstitel gegen den Insolvenzverwalter. Dass eine abgesonderte Befriedigung ermöglicht wird, ändert nichts daran, dass gleichwohl die Vorschriften der Insolvenzordnung als besondere Verfahrensordnung mit dem dort vorgesehenen Prüfungsverfahren anzuwenden sind, und zwar unabhängig von der Frage der Befriedigung der Forderung. Dafür spricht schließlich, dass bei der Haftpflichtversicherung stets zwischen dem Haftpflichtverhältnis und dem Deckungsverhältnis unterschieden wird, und – unabhängig von der Frage der Befriedigung – zuerst die Rechtsbeziehungen im Haftpflichtverhältnis zu klären sind, hier also im Wege der Feststellung zur Insolvenztabelle.

Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf den §§ 91, 101, 709 ZPO.

Der Streitwert beläuft sich auf 56.192,13 Euro.

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