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Fahrzeugentwendung – Herausgabe über Kaufpreiszahlungsbeleg an Kasko-Versicherung

Oberlandesgericht Saarbrücken – Az.: 5 U 94/19 – Urteil vom 02.09.2020

I. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Landgerichts Saarbrücken vom 10.10.2019 – Az. 14 O 161/18 – abgeändert.

Die Klage wird abgewiesen.

II. Der Kläger trägt die Kosten des Rechtsstreits beider Instanzen.

III. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

V. Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 10.245 € festgesetzt.

Gründe

I.

Die Parteien streiten um die Entschädigungspflicht des beklagten Versicherers aus einer bei ihm unterhaltenen Fahrzeugversicherung für einen BMW X6, amtl. Kennzeichen …-… … Dem Versicherungsvertrag liegen die Allgemeinen Bedingungen der Beklagten für die Kfz-Versicherung (Stand 01.03.2018) zu Grunde (im Folgenden: AKB). Das nach dem Vorbringen des Klägers im Januar 2018 gekaufte Fahrzeug wurde am 24.04.2018 auf ihn zugelassen und am selben Tag bei der Beklagten versichert. Der Kläger behauptet, unbekannte Täter hätten während seiner Urlaubsabwesenheit im Mai 2018 eine Seitenscheibe des in einer verschlossenen Garage abgestellten BMW eingeschlagen und verschiedene Fahrzeugteile ausgebaut und entwendet. Die Beklagte zweifelt dies an.

In einem Einsatzbericht des in der Diebstahlssache ermittelnden Polizeikommissars M. vom 22.05.2018 ist unter anderem festgehalten, der Wert des Fahrzeugs bei Ankauf durch den Geschädigten habe 22.500 € betragen und dieser habe angegeben, er habe es vor ca. ein bis eineinhalb Monaten bei mobile.de inseriert, sich dann aber entschlossen, es doch nicht zu verkaufen.

Im Rahmen der Leistungsprüfung der Beklagten erklärte der Kläger zunächst, er könne den Kaufvertrag nicht auffinden. Die Beklagte wies ihn mit Schreiben vom 28.05.2018 darauf hin, dass zum Nachweis von Schadensgrund und -höhe auch die Erwerbsmodalitäten zählten. Daraufhin übersandte der Kläger eine Vertragsurkunde vom 16.01.2018, die einen Kaufpreis von 35.000 € auswies. Unter dem 06.06.2018 bat die Beklagte den Kläger um Erläuterung, wieso er mitgeteilt habe, er habe das Fahrzeug vor dem Schadensfall für 26.000 € über mobile.de weiterverkaufen wollen, wenn er selbst es kurz zuvor für 35.000 € erworben habe. Der Kläger antwortete, er sei zum Zeitpunkt der Mitteilung psychisch instabil gewesen und habe sich wohl versprochen; tatsächlich habe er für 37.000 € verkaufen wollen. Mit Schreiben vom 26.06.2018 forderte die Beklagte den Kläger unter Bezugnahme auf die vertraglich festgelegten Aufklärungsobliegenheiten auf, zu belegen, dass er 35.000 € besessen und diesen Betrag an den Fahrzeugverkäufer ausgezahlt habe. Sie wiederholte diese Aufforderung mit Schreiben vom 26.06.2018, in dem sie überdies die Übersendung aller Fahrzeugschlüssel erbat, damit die Fahrzeugdaten ausgelesen werden könnten. Sie verwies auf die vertraglichen Vereinbarungen zu den Aufklärungs- und Auskunftsobliegenheiten des Versicherungsnehmers und belehrte über die Folgen vorsätzlicher oder grob fahrlässiger Obliegenheitsverletzungen. Mit Anwaltsschreiben vom 30.08.2018 ließ der Kläger mitteilen, die Beklagte habe alle für die Schadensabwicklung notwendigen Informationen erhalten, weitere seien grundsätzlich nicht einzufordern, was nunmehr gerichtlich zu prüfen sein werde.

Auf der Grundlage eines von der Beklagten eingeholten Dekra-Gutachtens verlangt der Kläger mit seiner am 27.08.2018 beim Landgericht Saarbrücken erhobenen Klage als Vorschuss auf die Reparaturkosten die Differenz zwischen Wiederbeschaffungswert (25.000 €) und Restwert (14.255 €).

Der Kläger hat beantragt, die Beklagte zu verurteilen, an ihn 10.245 € nebst außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten in Höhe von 958,19 €, jeweils zzgl. 5 % Zinsen über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 13.07.2018 zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.

Nach ihrer Einschätzung hat der Kläger aus mehreren Gründen schon das äußere Bild eines Diebstahls nicht bewiesen. Sie verweist darauf, dass die als gestohlen gemeldeten Bauteile – unstreitig – sorgfältig und fachgerecht aus dem alarmgesicherten Fahrzeug ausgebaut wurden. Im Hinblick auf den damit verbundenen Arbeits- und Zeitaufwand und das Entdeckungsrisiko hat sie ein solches Vorgehen für diebstahlsuntypisch gehalten. Zudem hat sie die unstimmigen Angaben des Klägers zum Ankaufs- und zum avisierten Wiederverkaufspreis hervorgehoben. Unabhängig von all dem hat sie sich auf ihre Leistungsfreiheit gemäß Ziff. E.1.2., E.7.1 AKB berufen. Sie hat in der Verweigerung der Auskünfte über die Herkunft der für das Fahrzeug angeblich aufgewendeten 35.000 € und dem fehlenden Barzahlungsbeleg sowie im Zurückhalten der Fahrzeugschlüssel eine vorsätzliche Obliegenheitsverletzung gesehen.

Das Landgericht Saarbrücken hat die vom Kläger für den Nachweis des äußeren Bilds eines Diebstahls benannten Zeugen vernommen. Eine Vernehmung der von der Beklagten zu den widersprüchlichen Wert-/Preisangaben des Klägers benannten Zeugen (Zeugin N. und Zeuge PK M.) ist unterblieben. Mit Urteil vom 10.10.2019, auf dessen tatsächlichen Feststellungen der Senat gemäß § 540 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO Bezug nimmt, hat das Landgericht der Klage in der Hauptsache stattgegeben. Von einem fingierten Diebstahl sei nicht auszugehen. Die Beklagte sei auch nicht wegen vorsätzlicher Obliegenheitsverletzung leistungsfrei, denn die erbetenen Auskünfte zur Herkunft und Zahlung des Kaufpreises und die herausverlangten Fahrzeugschlüssel seien nicht entschädigungsrelevant.

Die Beklagte hat Berufung eingelegt.

Sie bleibt bei ihrer Einschätzung, unter den Umständen des Streitfalls liege eine Vortäuschung des Diebstahls nahe. Zur Frage der vom Landgericht verneinten Leistungsfreiheit wegen Obliegenheitsverletzung rügt die Beklagte, es sei verkannt worden, dass sie anhand der vom Kläger zurückgehaltenen Fahrzeugschlüssel den tatsächlichen Kilometerstand des Fahrzeugs hätte klären können sowie etwaige mit dem behaupteten Geschehen nicht in Einklang zu bringende Bewegungsvorgänge. Ebenso habe das Landgericht ihr berechtigtes Interesse an der Klärung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit des Klägers übersehen. Ein nachvollziehbarer Grund, ihr die erbetenen Gegenstände und Informationen vorzuenthalten, sei nicht ersichtlich.

Die Beklagte beantragt, das Urteil des Landgerichts Saarbrücken vom 10.10.2019, Az. 14 O 161/18 – aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Er verteidigt das angefochtene Urteil. Inkonsistente Angaben zum Wert/Preis des Fahrzeugs hält er für unbedeutend. Der Kläger meint, die Finanzierung des Kaufpreises brauche er nicht nachzuweisen. Was die Fahrzeugschlüssel anbelangt, behauptet er, sie hätten dem Schadensgutachter zur Verfügung gestanden und das hierauf bezogene spätere Verlangen der Beklagten habe nur der Verzögerung gedient. Dass die Beklagte aus den Schlüsseln Daten zur Bewegung des Fahrzeugs hätte entnehmen können, bestreitet er mit Nichtwissen.

Hinsichtlich des Sachverhalts und des Parteivortrags wird Bezug genommen auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen, die Sitzungsniederschriften des Landgerichts vom 25.04.2019 und vom 19.09.2019 und des Senats vom 17.07.2020, auf die Ablichtungen aus der Ermittlungsakte 09 Js 640/18 der Staatsanwaltschaft Saarbrücken, insbesondere den polizeilichen Einsatzbericht des PK M. vom 22.05.2018 (lose in die Akte eingelegt), sowie auf das Urteil des Landgerichts vom 10.10.2019.

II.

Die Berufung ist begründet. Das angefochtene Urteil ist rechtsfehlerhaft. Die nach § 529 Abs. 1 ZPO zugrunde zu legenden Tatsachen gebieten die vollständige Abweisung der Klage.

1.

Dem Kläger steht kein Anspruch auf eine Kaskoentschädigung wegen der behaupteten Entwendung von Fahrzeugteilen zu. Die Beklagte kann sich auf bedingungsgemäße Leistungsfreiheit wegen arglistiger Obliegenheitsverletzung berufen.

a.

Ob der Versicherungsfall der Entwendung von Fahrzeugteilen im Sinne der Ziff. A.2.2.2.a AKB eingetreten ist, braucht nicht entschieden zu werden.

Die Beklagte hebt verschiedene Umstände hervor, die ein vorgetäuschtes Diebstahlsgeschehen indizieren könnten. Dazu gehören Unstimmigkeiten im Zusammenhang mit den Wertangaben des Klägers. So behauptet dieser, er habe das Fahrzeug im Januar 2018 für 35.000 € erworben, andererseits ist im Einsatzbericht des ermittelnden Polizeibeamten M. vom 22.05.2018 von einem – ihm offensichtlich vom Kläger mitgeteilten – Ankaufswert von nur 22.500 € die Rede. Nur dieser geringere Wert würde wirtschaftlich nachvollziehbar erklären, wieso das Fahrzeug z.B. über Ebay für nur 24.500 € zum Weiterverkauf inseriert wurde (Anlage B 11 zur Berufungsbegründung) bzw. wieso der Kläger – wie von ihm selbst in seiner Beantwortung der Frage 3 des Schreibens vom 06.06.2018 eingeräumt und mit psychischer Instabilität erklärt (Anlage B5) – gegenüber der Sachbearbeiterin der Beklagten N. am 22.05.2018 telefonisch mitteilte, er habe das Fahrzeug bei mobile.de für 26.000 € zum Verkauf angeboten. Hinzu kommt, dass die angeblich entwendeten Fahrzeugteile unstreitig sorgfältig und fachmännisch ausgebaut wurden, obgleich das Fahrzeug über eine Alarmanlage verfügte und zum Diebstahlszeitpunkt in einer engen Garage (siehe hierzu die Lichtbilder Seite 8 und Seite 10 der Ablichtungen aus der Ermittlungsakte) abgestellt gewesen sein soll (vgl. zu einem insoweit ähnlichen Sachverhalt OLG Hamm, VersR 2012, 1165). Schließlich wecken die Verweigerung von Auskünften über die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit und das Zurückhalten der Fahrzeugschlüssel (in Form zweier „Smart Keyless Entry“-Fernbedienungen), aus denen die Beklagte Daten auszulesen beabsichtigte, Zweifel an der prinzipiell für den Versicherungsnehmer sprechenden Redlichkeitsvermutung.

b.

Der Senat kann offenlassen, inwieweit all diese Umstände die Feststellung des Landgerichts in Frage stellen, wonach der Kläger das äußere Bild eines Diebstahls bewiesen habe und es der Beklagten nicht gelungen sei, ihrerseits die erhebliche Wahrscheinlichkeit einer vorgetäuschten Entwendung zu belegen (zur gestuften Beweisführung beim Fahrzeugdiebstahl Senat, Urteil vom 08.08.2018 – 5 U 2/18 – NJW-RR 2018, 1304, m.w.N.). Die Vernehmung der von der Beklagten benannten Zeugen (PK M. und N.) braucht nicht nachgeholt zu werden. Denn jedenfalls hätte das Landgericht die Klage unabhängig vom Nachweis des behaupteten Diebstahlsgeschehens deshalb abweisen müssen, weil die Beklagte infolge arglistiger Obliegenheitsverletzungen des Klägers gemäß Ziff. E.7.1 Satz 1, E.7.2 Satz 2 AKB keine versicherungsvertraglichen Leistungen zu erbringen braucht.

(1)

Bei vertraglichen Obliegenheiten tritt die Leistungsfreiheit grundsätzlich nur ein, wenn sie in den Vertragsbedingungen als Folge der Obliegenheitsverletzung vereinbart ist (Maier in: Stiefel/Maier, Kraftfahrtversicherung, 19. Auflage 2017, AKB 2015 E.1, Rdn. 22). Erforderlich ist eine ausdrückliche und wirksame Vereinbarung, die insbesondere nicht gegen halbzwingende Vorgaben des Gesetzes verstoßen darf (Senat, Urteil vom 19.06.2019 – 5 U 99/18 – VersR 2019, 1289; BGH, Urteil vom 12.10.2011 – IV ZR 199/10 – BGHZ 191, 159). Dafür genügt, wenn die Vereinbarung klar und eindeutig an die Verletzung der Obliegenheit die Rechtsfolge der (vollständigen oder teilweisen) Leistungsfreiheit knüpft (Senat, Urteil vom 19.06.2019 – 5 U 99/18 – VersR 2019, 1289).

Die dem streitgegenständlichen Vertrag zu Grunde liegenden Bedingungen tragen diesen Anforderungen Rechnung. In Ziff. E.7.1 Satz 1 AKB ist geregelt, dass der Versicherer nicht leistet, wenn der Versicherungsnehmer im Schadensfall vorsätzlich eine der unter Ziff. E.1 bis E.6 AKW geregelten Pflichten verletzt. Für die Verletzung von Auskunfts- oder Aufklärungspflichten ist – was für die Wirksamkeit der Klausel nach der Rechtsprechung des Senats nicht erforderlich gewesen wäre (siehe auch dazu Senat, Urteil vom 19.06.2019 – 5 U 99/18 – VersR 2019, 1289) – in Ziff. E.7.1 Satz 4 AKB klargestellt, dass die Leistungsfreiheit grundsätzlich nur dann eintritt, wenn durch gesonderte Mitteilung in Textform auf diese Rechtsfolge hingewiesen wurde. Außerdem ist in Ziffer E.7.2 AKB die gesetzliche Regelung des § 28 Abs. 3 VVG zur Möglichkeit des Kausalitätsgegenbeweises wiedergegeben.

Zu den von Ziff. E.7.1 Satz 1 AKB in Bezug genommenen „Pflichten im Schadensfall“ gehört die Obliegenheit, alles zu tun, was zur Feststellung des Schadensfalls und des Umfangs der Leistungspflicht des Versicherers erforderlich ist. Der Versicherungsnehmer ist insbesondere gehalten, die Fragen zu den Umständen des Schadensereignisses, zum Umfang des Schadens und zur Leistungspflicht wahrheitsgemäß und vollständig zu beantworten und die Untersuchungen zu den Umständen des Schadensereignisses, zu den Ursachen und der Höhe des Schadens und der Leistungspflicht zu erlauben, soweit ihm dies zumutbar ist (Ziff. E.1.2 AKB).

(2)

Der Kläger hat die vertragliche Obliegenheit des Ziff. E.1.2 AKB verletzt.

(a)

Er wurde von der Beklagten aufgefordert, zu belegen, dass er zum Zeitpunkt des Kaufs über die Mittel zur Entrichtung des Kaufpreises verfügt habe und dass die 35.000 € tatsächlich an den Verkäufer des Pkw geflossen seien. Überdies wurde er um Übersendung der Fahrzeugschlüssel gebeten, damit die darin gespeicherten Daten ausgelesen werden könnten. Beidem kam er nicht nach. Stattdessen ließ er mit Anwaltsschreiben vom 30.081018 erklären, alle für die Schadensabwicklung notwendigen Informationen seien erteilt, weitere seien nicht einzufordern, was nunmehr gerichtlich zu prüfen sei.

(b)

Zu Unrecht hat das Landgericht angenommen, eine Obliegenheitsverletzung scheitere daran, dass die Aufklärungsmaßnahmen der Beklagten zur Feststellung des Schadensfalls und des Umfangs der Leistungspflicht nicht erforderlich gewesen seien (Ziff. E.1.2 Satz 1 AKB i.V.m. § 31 VVG).

Fahrzeugentwendung – Herausgabe über Kaufpreiszahlungsbeleg an Kasko-Versicherung
(Symbolfoto: Von Maridav/Shutterstock.com)

Die Einschätzung, welche Angaben zur Ermittlung des Sachverhalts erforderlich sind, um über die Leistungspflicht auf ausreichender und gesicherter Tatsachengrundlage entscheiden zu können, ist grundsätzlich Sache des Versicherers. Er kann auch solche Umstände aufklären, die lediglich Anhaltspunkte für oder gegen das Vorliegen eines Versicherungsfalls liefern können. Die Frage der Erforderlichkeit der erbetenen Auskünfte ist ex ante zu beurteilen, wobei dem Versicherer ein erheblicher Beurteilungsspielraum zuzubilligen ist (vgl. BGH, Urteil vom 22.02.2017 – IV ZR 289/14 – BGHZ 214, 127; Urteil vom 22.10.2014 – IV ZR 242/13 – VersR 2015, 45; Rixecker in: Langheid/Rixecker, VVG, 6. Auflage 2019, § 31 Rdn. 6; Schimikowski, Versicherungsvertragsrecht, 6. Auflage 2017, Rdn. 227).

Im Streitfall hatte die Beklagte ein nachvollziehbares Interesse an der Aufklärung, ob der Kläger wirtschaftlich in der Lage war, den behaupteten Kaufpreis von 35.000 € für das Fahrzeug zu zahlen, und ob er es tatsächlich tat (vgl. Rixecker in: Langheid/Rixecker, VVG, 6. Auflage 2019, § 31 Rdn. 7: der für ein entwendetes oder beschädigtes Kfz gezahlte Kaufpreis dürfe natürlich erforscht werden). Denn aus den Vermögensverhältnissen des Versicherungsnehmers können sich Anhaltspunkte dafür ergeben, inwieweit der Eintritt des Versicherungsfalls und die damit verbundene Entschädigungsleistung der finanziellen Interessenlage des Versicherungsnehmers entsprechen (vgl. BGH, Urteil vom 16.11.2005 – IV ZR 307/04 – VersR 2006, 258; siehe auch Schimikowski, Versicherungsvertragsrecht, 6. Auflage 2017, Rdn. 227; OLG Brandenburg, Urteil vom 14.05.2008 – 13 U 34/06 – BeckRS 2010, 8328, mit Zweifeln schon am äußeren Bild einer Entwendung für einen Fall, in dem die Vermögensverhältnisse des Klägers den Erwerb und die Unterhaltung eines Fahrzeugs gehobener Kategorie als ausgeschlossen erscheinen ließen). Abgesehen davon darf der Versicherer auch zur Abklärung einer etwaigen Leistungsfreiheit, etwa wegen des Verdachts einer Diebstahlsvortäuschung, nachprüfen, ob Zweifel an der Glaubhaftigkeit der Angaben zu den Umständen des Fahrzeugerwerbs bestehen. Auch solche Tatsachen muss der Versicherungsnehmer wahrheitsgemäß und vollständig offenbaren, selbst wenn die Erfüllung der Auskunftsobliegenheit eigenen Interessen widerstreitet, weil sie dem Versicherer ermöglicht, sich auf Leistungsfreiheit zu berufen (BGH, Beschluss vom 13.04.2016 – IV ZR 152/14 – VersR 2016, 793; siehe auch BGH, Urteil vom 22.02.2017 – IV ZR 289/14 – BGHZ 214, 127; Meier in: Stiefel/Meyer, Kraftfahrtversicherung, AKB 2015 E.1, Rdn. 33).

Auch in Bezug auf das Verlangen nach den elektronischen Fahrzeugschlüsseln scheitert die bedingungsgemäße Erforderlichkeit der Aufklärungsmaßnahmen entgegen der Einschätzung des Landgerichts nicht daran, dass nicht das Fahrzeug insgesamt, sondern nur Teile davon als gestohlen gemeldet wurden. Es ging der Beklagten nicht um die Entdeckung etwaiger Kopierspuren, sondern darum, aus den elektronischen Fahrzeugschlüsseln Daten auszulesen. Dem Kläger war dies im Schreiben vom 16.08.2018 unter Bezugnahme auf eine von ihm selbst unterzeichnete Einverständniserklärung erläutert worden. Es war aus der maßgeblichen Sicht der Beklagten ohne weiteres vertretbar, anhand der gespeicherten Daten z.B. nachvollziehen zu wollen, ob der Pkw im Zeitraum des behaupteten Teilediebstahls möglicherweise mit dem Schlüssel geöffnet und aus der Garage bewegt wurde, und außerdem den tatsächlichen Kilometerstand zu ermitteln, nachdem gerade auch der Wegstreckenzähler entwendet worden sein soll. Aus dem vom Beklagtenvertreter in der Berufungsverhandlung vom 17.07.2020 vorgelegten Dekra-Gutachten ergibt sich, dass der Sachverständige deshalb die Angaben des Klägers zur Laufleistung (220.000 km) übernahm. Dass gewisse Fahrzeugdaten wie etwa Benutzungsvorgänge oder der Kilometerstand aus elektronischen Fahrzeugschlüsseln prinzipiell ausgelesen werden können, ist allgemein bekannt (vgl. die – mit den Parteien in der Berufungsverhandlung besprochene – Website https://lock-expert.de/mit-know-how-gegen-manipulation, dort Nr. 34), damit offenkundig und nach § 291 ZPO nicht beweisbedürftig.

(3)

Die Beklagte wurde infolge der Weigerung des Klägers, ihr die geforderten Informationen zu erteilen und die Fahrzeugschlüssel zur Verfügung zu stellen, gemäß Ziff. E.7.1 Satz 1 AKB i.V.m. § 28 Abs. 2 S. 1 VVG leistungsfrei, denn der Kläger verletzte seine Aufklärungsobliegenheit vorsätzlich, sogar arglistig.

(a)

Vorsatz erfordert den Willen zur Obliegenheitsverletzung im Bewusstsein des Vorhandenseins der Verhaltensnorm. Es genügt, dass der Versicherungsnehmer den Obliegenheitsverstoß für möglich hält und ihn billigend in Kauf nimmt. Er muss die Merkmale der Obliegenheit im Kern kraft einer „Parallelwertung in der Laiensphäre“ kennen (Armbrüster in: Prölss/Martin, VVG, 30. Auflage 2018, § 28 Rdn. 188). Im Fall der Auskunfts- und Aufklärungsobliegenheiten ist diese Kenntnis im Allgemeinen anzunehmen, da nach allgemeiner Lebenserfahrung jeder Versicherungsnehmer weiß, dass er weder unmittelbar noch mittelbar die Feststellungen des Versicherers erschweren darf, sondern ihn nach besten Kräften bei der Aufklärung unterstützen muss (Armbrüster in: Prölss/Martin, VVG, 30. Auflage 2018, § 31 Rn. 49; siehe auch Koch in: Bruck/Möller, VVG, 9. Auflage 2018, E. Rdn. 180).

(b)

Gemessen daran liegt der Vorsatz des Klägers im Streitfall auf der Hand. Mit Schreiben vom 26.06.2018 wies die Beklagte ihn zum wiederholten Male explizit darauf hin, dass er nach dem Vertrag jede zumutbare Untersuchung über die Ursache und Höhe des Schadens zu gestatten habe und darüber hinaus jede hierzu dienliche Auskunft erteilen müsse. Zuvor war ihm mit Schreiben vom 28.05.2018 erläutert worden, dass es zum Nachweis von Grund und Höhe des Schadens auch darauf ankomme, zu welchem Preis das Fahrzeug erworben worden sei. Schließlich wurde unter dem 16.08.2018 an das Fehlen der angeforderten Informationen erinnert. Darüber hinaus wurde das Anfordern der Fahrzeugschlüssel damit begründet, dass diese zum Zweck des Auslesens von Daten benötigt würden. Damit wusste der Kläger im Detail, was er zu tun hatte (zur Nichtherausgabe von Fahrzeugschlüsseln siehe auch BGH, Urteil vom 07.07.2004 – IV ZR 265/03 – VersR 2004, 1117).

Die lapidare Antwort im Anwaltsschreiben vom 30.08.2018, die Beklagte habe alles, was sie brauche, und es sei gerichtlich zu klären, ob sie Weiteres einfordern dürfe, offenbarte den Willen des Klägers, sich über die vertraglichen Aufklärungsobliegenheiten schlicht und ohne plausiblen Grund hinwegzusetzten. Der Kläger selbst behauptet nicht, dass sein Rechtsanwalt insoweit eigenmächtig und ohne Rücksprache mit ihm gehandelt hätte. Selbst wenn dies der Fall gewesen wäre, müsste er sich dessen Verschulden entsprechend § 166 BGB zurechnen lassen, weil der Rechtsanwalt, nachdem der Kläger ihn mit der Schadensregulierung und den damit zusammenliegenden Erklärungen betraut hatte, die Stellung eines Wissenserklärungsvertreters erlangte (vgl. OLG Koblenz, VersR 2000, 180; OLG Hamm NJW-RR 1997, 91; Rixecker in: Langheid/Rixecker, VVG, 6. Auflage 2019, § 28 Rdn. 53; Maier in: Stiefel/Maier, Kraftfahrtversicherung: AKB, 19. Auflage 2017, AKB 2015 F, Rdn. 82).

(4)

Der Leistungsfreiheit der Beklagten steht § 28 Abs. 3 Satz 1 VVG (Kausalitätsgegenbeweis) nicht entgegen.

Gemäß § 28 Abs. 3 Satz 1 VVG bleibt der Versicherer zur Leistung verpflichtet, soweit die Verletzung der Obliegenheit weder für den Eintritt oder die Feststellung des Versicherungsfalls noch für die Feststellung oder den Umfang der Leistungspflicht des Versicherers ursächlich ist. Inwieweit diese Voraussetzungen hier vorliegen, ist hier nicht entscheidungsrelevant. Dem Kläger ist der Kausalitätsgegenbeweis nämlich abgeschnitten, weil er seine Obliegenheit arglistig verletzt hat (§ 28 Abs. 3 Satz 2 VVG; Ziff. E.7.2 Satz 2 AKB).

(a)

Eine arglistige Verletzung der Aufklärungsobliegenheit setzt voraus, dass der Versicherungsnehmer einen gegen die Interessen des Versicherers gerichteten Zweck verfolgt und weiß, dass sein Verhalten die Schadensregulierung beeinflussen kann. Dies muss im Wege einer einzelfallbezogenen Betrachtung des Handelns des Versicherungsnehmers geprüft werden (Senat, Urteil vom 01.02.2017 – 5 U 26/16 – VersR 2018, 415). Einer betrügerischen Absicht bedarf es nicht. Es genügt, wenn der Versicherungsnehmer Beweisschwierigkeiten vermeiden, die Regulierung beschleunigen, nicht „unnötig Sand ins Getriebe“ der Regulierung bringen (OLG Hamm VersR 2012, 356) oder allgemein auf die Entscheidung des Versicherers Einfluss nehmen will (Marlow in: Marlow/Spuhl, VVG, Stand: 15.03.2020, § 28 Rdn. 201-203 mit Rspr.-Nachw.). Die Annahme von Arglist verlangt nicht zwingend eine Komponente der Täuschung oder Verheimlichung. Vielmehr ist es der Arglist gleichzustellen, wenn der Versicherungsnehmer sich der Notwendigkeit, die Obliegenheit korrekt zu erfüllen, verschließt, um seinen Versicherungsschutz nicht zu gefährden (Rixecker in: Langheid/Rixecker, VVG, 6. Auflage 2019, § 28 Rdn. 104), auch wenn er dem Versicherer seine Verweigerungshaltung unverhohlen kommuniziert, etwa indem er dessen Fragen hartnäckig unbeantwortet lässt (vgl. Senat, Urteil vom 01.02.2017 – 5 U 26/16 – VersR 2018, 415: Verweigern der Benennung des Fahrers eines beschädigten Fahrzeugs nach unerlaubtem Entfernen vom Unfallort) oder indem er ihm eine (Nach-)Untersuchung des versicherten Gegenstands verwehrt (OLG Hamm, VersR 2017, 1332: Weigerung des Versicherungsnehmers, das versicherte Fahrzeug nach einem behaupteten Teilediebstahl und nach einer ersten Dekra-Begutachtung nochmals untersuchen zu lassen). Denn wenn der Versicherungsnehmer weiß, dass er den erkennbaren Informationsbedarf des Versicherers nicht befriedigt hat, wird der Grund dafür meistens in dem bewussten und gewollten Versuch einer dem Versicherungsnehmer günstigen Beeinflussung der Regulierung liegen (Rixecker, a.a.O., § 28 Rdn. 105).

(b)

Gemessen daran, hat der Kläger arglistig gehandelt, wobei er sich auch insoweit für den – von ihm selbst nicht behaupteten – Fall, dass das Verweigern der weiteren Auskünfte mit ihm nicht abgesprochen gewesen sein sollte, das Verhalten seines bei der Schadensabwicklung als Wissenserklärungsvertreter agierenden Rechtsanwalts zurechnen lassen muss (zur Zurechnung der Arglist des Wissenserklärungsvertreters Senat, Urteil vom 06.10.2010 – 5 U 88/10 – VersR 2011, 1511; OLG Rostock, VersR 2020, 690; OLG Köln, VersR 2014, 1452).

Für die nachdrückliche Weigerung, die Fahrzeugschlüssel zur Datenerhebung zur Verfügung zu stellen oder nähere Angaben zum Aufbringen eines Kaufpreises von 35.000 € zu machen, ist kein plausibler, mit redlichem Verhalten des Versicherungsnehmers vereinbarer Grund erkennbar. Indem der Kläger die Bitte, an einer weiteren Aufklärung mitzuwirken, mit dem Hinweis ausschlagen ließ, die Beklagte habe bereits alles, was sie brauche, und sie auf eine gerichtliche Klärung verwies, belegte er selbst, dass er einen gegen ihr legitimes Interesse an einer ordnungsgemäßen Schadensregulierung gerichteten Zweck verfolgte. Der Senat ist ohne vernünftigen Zweifel davon überzeugt, dass es dem Kläger, der insbesondere durch die wiederholten ausdrücklichen Hinweise seine versicherungsvertraglichen Obliegenheiten genau kannte, darum ging, der Beklagten – aus welchem Motiv auch immer – einen Nachteil bei der Aufklärung des Sachverhalts zuzufügen. Er konnte nicht ausschließen, dass sie bei einer Auswertung der erbetenen Informationen über die Herkunft und Bezahlung der nach seiner Behauptung aufgebrachten 35.000 € sowie beim Auslesen der elektronischen Fahrzeugschlüssel entschädigungsrelevante Tatsachen aufdecken würde. Solche Tatsachen hätten etwaige Anhaltspunkte zur Entkräftung der für ihn sprechenden Redlichkeitsvermutung betreffen können, zudem solche zur (In-)Kompatibilität des behaupteten Diebstahlsgeschehens mit Öffnungs- und Bewegungsvorgängen des Fahrzeugs oder zu dessen wertrelevanter Laufleistung.

All dies rechtfertigt den Vorwurf arglistigen Verhaltens (vgl. OLG Hamm, VersR 2017, 1332). Entgegen der Einschätzung des Klägers kann unter anderem im Hinblick auf seine widersprüchlichen und klärungsbedürftigen Wertangaben auch nicht die Rede davon sein, dass die Beklagte zum Zeitpunkt der Klageerhebung (27.08.2018) die Prüfung ihrer Leistungspflicht sachwidrig hinausgezögert hätte. Das vom Prozessbevollmächtigten des Klägers in der Berufungsverhandlung geäußerte Argument, irgendwann müsse „ja mal Schluss sein“, trägt vor diesem Hintergrund nicht.

Ergänzend merkt der Senat an, dass dem Kläger unabhängig von der Frage der Arglist der Kausalitätsgegenbeweis auch nicht gelungen ist. Zeugen hat er nur im Zusammenhang mit der behaupteten Entrichtung des Kaufpreises angeboten. Die Fahrzeugschlüssel hält er nach wie vor zurück. Da die Aufdeckung möglicher Auffälligkeiten im Zusammenhang mit der Schilderung des Diebstahlsgeschehens und dem Kilometerstand infolgedessen nicht möglich ist, stehen nach wie vor Feststellungsnachteile des Versicherers im Raum. Dies hindert den Kausalitätsgegenbeweis (vgl. Senat, Urteil vom 19.06.2019 – 5 U 99/18 – VersR 2019, 1289, m.w.N.).

(5)

Einer Belehrung nach § 28 Abs. 4 VVG bedurfte es im Hinblick auf die Arglist des Klägers nicht (Senat, Urteil vom 06.10.2010 – 5 U 88/10 – VersR 2011, 1511; OLG Rostock, VersR 2020, 690). Sie ist vorliegend – zulässigerweise gegenüber dem Rechtsanwalt des Klägers (vgl. dazu Rixecker in: Langheid/Rixecker, VVG, 6. Auflage 2019, § 28 Rdn. 114) – im Schreiben der Beklagten vom 16.08.2018 aber auch erfolgt.

c.

Die Leistungsfreiheit der Beklagten besteht endgültig. Im Hinblick auf das arglistige Verhalten des Klägers und nach dem Rechtsgedanken des § 28 Abs. 3 Satz 2 VVG würde daran auch eine nachträgliche Erteilung der verlangten Auskünfte nichts mehr ändern (vgl. – zur Korrektur arglistiger Falschangaben – Senat, Urteil vom 30.04.2008 – 5 U 614/07 – VersR 2008, 1643).

2.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit aus § 713 ZPO.

Die Revision ist nicht zuzulassen. Die Rechtssache ist nicht von grundsätzlicher Bedeutung (§ 543 Abs. 2 Nr. 1 ZPO). Die Entscheidung des Revisionsgerichts ist zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung nicht erforderlich (§ 543 Abs. 2 Nr. 2 ZPO).

Der Streitwert für das Berufungsverfahren beträgt 10.245 €.

 

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