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Betriebshaftpflichtversicherung – selbständigen Beweisverfahrens – Streitverkündung gegen Dritten

OLG Dresden – Az.: 4 U 492/22 – Urteil vom 20.12.2022

I. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Landgerichtes Leipzig vom 24.02.2022 – 3 O 1510/18 – aufgehoben und die Klage abgewiesen.

II. Die Kosten des Rechtsstreits beider Instanzen trägt die Klägerin.

III. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

Beschluss:

Der Gegenstandswert des Berufungsverfahrens wird auf 1.041.506,20 € festgesetzt.

Gründe

I. Die Klägerin, ein Bauunternehmen, begehrt Deckungsschutz und Ersatz von Rechtsverfolgungskosten aus einer Betriebshaftpflichtversicherung.

Sie hat zum 15.09.2005 bei der Beklagten unter Einbeziehung der damals geltenden Versicherungsbedingungen eine Betriebshaftpflichtversicherung abgeschlossen, wobei eine Versicherungssumme von 5.000.000,00 € vereinbart war und die Versicherung am 20.03.2010 enden sollte. Es wurde eine Verlängerungsoption um jeweils ein Jahr vereinbart, falls keine Kündigung erfolgt (Anlage K1). Der Versicherungsvertrag bestand zumindest bis zum 01.06. 2011.

Zum 01.06.2008 wurden neue Versicherungsbedingungen (H 61/00) einbezogen (Anlage B1, Bl. 80 ff. d. A.). Dort ist unter anderem Folgendes geregelt:

1.1. Die Haftpflichtversicherung bietet Ihnen Versicherungsschutz im Rahmen des versicherten Risikos für den Fall, dass Sie wegen eines während der Wirksamkeit der Versicherung eingetretenen Schadensereignisses (Versicherungsfall), das einen Personen-, Sach- oder sich daraus ergebenden Vermögensschaden zur Folge hatte, aufgrund gesetzlicher Haftpflichtbestimmungen privatrechtlichen Inhalts von einen Dritten auf Schadensersatz in Anspruch genommen werden. Schadensereignis ist das Ereignis, als dessen Folge die Schädigung des Dritten unmittelbar entstanden ist. Auf den Zeitpunkt der Schadensverursachung, die zum Schadensereignis geführt hat, kommt es nicht an.

6.6. Übersteigen die berechtigten Schadensersatzansprüche aus dem Versicherungsfall die Versicherungssumme, tragen wir die Prozesskosten im Verhältnis der Versicherungssumme zur Gesamthöhe dieser Ansprüche.

25.3. Wird gegen Sie ein Haftpflichtanspruch erhoben, ein staatsanwaltschaftliches, behördliches oder gerichtliches Verfahren eingeleitet, ein Mahnbescheid erlassen oder Ihnen gerichtlich der Streit verkündet, haben Sie dies ebenfalls unverzüglich anzuzeigen. …

3. Versicherungsfall ist gemäß Ziffer 1.1 AHB das Schadensereignis, das einen Personen-, Sach- oder sich daraus ergebenden Vermögensschaden zur Folge hatte.

Schadensereignis ist das Ereignis, als dessen Folge die Schädigung des Dritten unmittelbar entstanden ist. Auf dem Zeitpunkt der Schadensverursachung, die zum Schadensereignis geführt hat, kommt es nicht an.

Das V.-Center in C. wurde in den Jahren 1997 bis 1999 durch die I. GmbH als Generalunternehmerin errichtet. Letztere verschmolz in der Folgezeit mit der Firma S. AG. Im Jahr 2003 traten bauliche Mängel auf, die streitig waren. Zur Beilegung der Streitigkeiten verpflichtete sich die S. AG mit notariellem Vertrag vom 03.05.2007 (Anlage K2) Mängelbeseitigungsarbeiten an den Parkdecks xxx und yyy als Generalunternehmerin durchzuführen. Die S. AG beauftragte die Klägerin mit Vertrag vom 10.08.2005 mit der Ausführung von Abdichtungsarbeiten am Bauvorhaben V.-Center C. Parkhaus xxx zu einem Preis von 174.943,35 €. Die Klägerin führte die Arbeiten bis Anfang 2006 durch. Die Firma … V.-Center S.a.r.l. (im Folgenden: Eigentümerin) erwarb das Grundstück im Jahr 2007/2008 und stellte nach Erwerb Schäden an den Parkdecks fest. Sie beauftragte u. a. den Privatgutachter Dr. S., der im November und Dezember 2010 Schäden aufgenommen, Untersuchungen durchgeführt und Mängel festgestellt hat.

Am 27.12.2010 stellte die Eigentümerin gegen die S. AG einen Antrag auf Durchführung eines selbständigen Beweisverfahrens vor dem Landgericht München I (Anlage K7, 2 OH 24886/10). Sie rügte im Wesentlichen Feuchtigkeitsschäden, wie z. B. Farbabplatzungen. Die S. AG ihrerseits verkündete gegenüber der Klägerin mit Schriftsatz vom 28.02.2011 den Streit und führte aus, dass sie die Klägerin mit der Durchführung von Abdichtungsarbeiten im Jahre 2005 beauftragt habe und im Falle eines ungünstigen Ausgangs des Verfahrens ein Anspruch auf Gewährleistung oder Schadloshaltung gegen die Streitverkündete zu besorgen sei. Im Übrigen bestritt sie die Mängel. Die Klägerin trat im selbständigen Beweisverfahren mit Schriftsatz vom 18.04.2011 bei.

Der Sachverständige im selbständigen Beweisverfahren Prof. Dipl.-Ing. S. stellte in seinem Gutachten vom 03.06.2015 umfangreiche Mängel fest (feuchtebedingte Farbabplatzungen, Ablaufspuren, in die Betonkonstruktion eindringende Feuchtigkeit und Korrosion der dort befindlichen Bewehrung). Ursache seien ein fehlerhaftes Instandsetzungskonzept, die gefällelose Ausführung der Parkanlagen, die fehlerhafte Ausführung des Abdichtungssystems, die fehlerhafte Ausführung der Abdichtung und unterlassene Maßnahmen zur Aufnahme von Verformungen.

Mit anwaltlichem Schreiben vom 06.10.2015 (Anlage K14) zeigte die Klägerin den Schadensfall bei der Beklagten an. Die Beklagte lehnte ihre Eintrittspflicht mit Schreiben vom 21.10.2015 (Anlage K15) unter anderem wegen Verjährung ab.

Mit Schriftsatz vom 19.05.2016 erhob die Eigentümerin gegen die S. AG Klage vor dem Landgericht München I (Anlage K11, 2 O 8441/16). Die S. AG verkündete der Klägerin mit Schriftsatz vom 28.06.2016 den Streit. Das Verfahren vor dem Landgericht München I endete am 19.07.2021 durch Vergleich, in dem sich die S. AG verpflichtete, an die Eigentümerin einen Betrag von 1 Mio. Euro bei Kostenaufhebung zu zahlen. Den Streitwert setzte das Landgericht München I auf 21.109.501,90 € fest.

Die Beklagte hat erstinstanzlich die Einrede der Verjährung erhoben. Die Klägerin sei schon im Jahr 2011 durch die Streitverkündung im selbständigen Beweisverfahren in Anspruch genommen worden, weshalb Ansprüche zum Zeitpunkt der Geltendmachung gegenüber der Beklagten im Jahre 2015 verjährt gewesen seien. Der Versicherungsfall sei überdies nicht während der Zeit des Deckungsschutzes eingetreten, jedenfalls sei die Klägerin insoweit beweisfällig geblieben. Auch liege eine Obliegenheitsverletzung wegen der verspäteten Anzeige des Versicherungsfalles vor. Bei rechtzeitiger Anzeige hätte die Beklagte spezialisierte Anwälte eingeschaltet und einen Sachverständigen zur Prüfung eingesetzt.

Das Landgericht hat eine Zeugin vernommen, den Geschäftsführer der Klägerin angehört und der Klage mit Urteil vom 24.02.2022 – auf das wegen der weiteren Einzelheiten Bezug genommen wird – stattgegeben.

Hiergegen richtet sich die Berufung der Beklagten. Das Landgericht habe fälschlicherweise angenommen, dass der Versicherungsfall während der Zeit des Deckungsschutzes eingetreten sei und habe verkannt, dass die Beklagte wegen einer vorsätzlichen Obliegenheitsverletzung leistungsfrei sei. Es sei nicht nachvollziehbar, dass – wie die Klägerin behauptet – die Meldung an die Versicherung vergessen worden sei, denn die Klägerin sei über Jahre mit dem selbständigen Beweisverfahren beschäftigt gewesen. Den Kausalitätsgegenbeweis könne die Klägerin nicht führen. Das Landgericht sei unzutreffend davon ausgegangen, dass die Beklagte nicht hinreichend vorgetragen habe, was sie bei rechtzeitiger Schadensmeldung getan hätte. Fehlerhaft habe das Landgericht schließlich auch die Verjährung verneint. Für eine den Verjährungsbeginn auslösende ernstliche Inanspruchnahme genüge jede Erklärung, durch die von der Klägerin konkret eine Leistung gefordert werde. Dies sei mit der Streitverkündung der Fall gewesen. Die S. AG sei die einzige Antragsgegnerin im OH-Verfahren, die Klägerin die einzige Streitverkündete gewesen, weshalb es an der Ernsthaftigkeit der Inanspruchnahme der Klägerin nicht gefehlt habe. Keinesfalls schulde die Beklagte schließlich Kosten aus einem Streitwert von 21 Mio., denn der Betrag der Versicherungssumme sei auf 5 Mio. beschränkt.

Die Beklagte beantragt, das Urteil des Landgerichtes … vom 24.02.2022 zum Aktenzeichen 3 O 1510/18 abzuändern und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigt das landgerichtliche Urteil. Der Versicherungsfall sei nach dem 01.06.2008 eingetreten. Es müsse davon ausgegangen werden, dass die Eigentümerin nach dem Erwerb des Grundstücks die Schäden an der Abdichtung festgestellt habe, mithin Ende 2008/2009/Anfang 2010. Die Obliegenheitsverletzung sei als lediglich fahrlässig anzusehen. Erst bei Zustellung des Sachverständigengutachtens sei aufgefallen, dass die Anzeige von der Beklagten versäumt worden sei. Die Beklagte habe aber nicht dargelegt, wie sich diese Verletzung der Anzeigepflicht auf die Feststellung des Schadensereignisses ausgewirkt habe. Zu Recht habe das Landgericht auch den Eintritt der Verjährung verneint. Es sei fraglich, ob die Einleitung eines selbständigen Beweisverfahrens die ernsthafte Geltendmachung eines Anspruches der Eigentümerin gegenüber der S. AG dargestellt habe, weil die Mangelverantwortlichkeit der S. AG zu diesem Zeitpunkt noch überhaupt nicht festgestanden habe. Mit der allgemein formulierten Streitverkündung habe die S. AG gegenüber der Klägerin jedenfalls keine Gewährleistungsansprüche geltend gemacht und einen Regress nicht ernstlich angedroht. Mit einer Inanspruchnahme durch die S. AG, die bis zum heutigen Tag nicht erfolgt sei, habe die Klägerin daher im Jahr 2011 nicht rechnen müssen.

Wegen der Einzelheiten des Sach- uns Streitstandes wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie auf die Protokolle der mündlichen Verhandlungen Bezug genommen.

II. Die zulässige Berufung der Beklagten ist begründet.

Der Klägerin steht gegen die Beklagte kein Anspruch auf Deckungsschutz aus der Betriebshaftpflichtversicherung vom 15.09.2005 zu. Der Versicherungsfall ist während der Vertragslaufzeit (jedenfalls bis 01.06.2011) Ende des Jahres 2010, auf ihn sind die seit 01.06.2008 geltenden AHB (H61/00) anzuwenden (1). Der Anspruch ist jedoch verjährt (2).

1. Nach dem Wortlaut der Versicherungsbedingungen ist der Versicherungsfall mit dem Schadensereignis eingetreten. Dabei kommt es nicht darauf an, wann sich erstmals Mängel an der von der Klägerin erbrachten Abdichtungsarbeiten am Parkhaus xxx gezeigt haben. Entscheidend ist vielmehr, dass die Schadensentwicklung zum Zeitpunkt ihrer Inanspruchnahme noch fortbestand.

Allgemeine Versicherungsbedingungen sind so auszulegen, wie ein durchschnittlicher Versicherungsnehmer sie bei verständiger Würdigung, aufmerksamer Durchsicht und unter Berücksichtigung des erkennbaren Sinnzusammenhangs verstehen muss (vgl. BGH, Urteil vom 26.03.2014 – IV ZR 422/12, Rdnr. 37 – juris). Dabei kommt es auf die Verständnismöglichkeiten eines Versicherungsnehmers oder versicherungsrechtliche Spezialkenntnisse und damit auch auf seine Interessen an (BGH, a.a.O.). In erster Linie ist vom Bedingungswortlaut auszugehen. Der mit dem Bedingungswerk verfolgte Zweck und der Sinnzusammenhang der Klauseln sind zu berücksichtigen, soweit sie für den Versicherungsnehmer erkennbar sind (vgl. BGH, a.a.O.).

Der durchschnittliche Versicherungsnehmer wird den Versicherungsbedingungen entnehmen können, dass es auf den Zeitpunkt des Schadensereignisses ankommt. Auf den Zeitpunkt der Schadensverursachung und damit der Durchführung der Arbeiten kommt es nach dem Wortlaut der Bedingungen ebenso wenig an wie auf den Zeitpunkt der Inanspruchnahme der Klägerin. Der Schadenseintritt ist im vorliegenden Fall das Entstehen von Feuchtigkeitsschäden, die sich in Farb- und Betonabplatzungen und Feuchtigkeitserscheinungen manifestieren. Bei Schäden, die – wie hier – durch eine fortdauernde Schädigung eintreten, ist aber nicht das erstmalige Eindringen von Wasser maßgeblich, denn dieser Zeitpunkt ist im Nachhinein, insbesondere bei Feuchtigkeitsschäden durch Wassereintrag, kaum festzustellen. Der durchschnittliche Versicherungsnehmer kann den Versicherungsbedingungen auch nicht entnehmen, dass es auf den ersten Schädigungszeitpunkt ankommen soll, auch wenn zu diesem Zeitpunkt der Schaden nicht erkennbar ist. Eine solche zeitliche Einengung des Versicherungsschutzes lässt sich den Versicherungsbedingungen nicht entnehmen. Bei einer fortgesetzten Schädigung ist das Schadenereignis nicht auf einen bestimmten Zeitpunkt beschränkt, sondern umfasst einen längeren Zeitraum. Bei fortdauernder Schädigung kann der Versicherungsnehmer daher berechtigterweise darauf vertrauen, dass ein Schadenseintritt im Sinne der Versicherungsbedingungen solange vorliegt, wie die Schädigung fortdauert (vgl. BGH zum Leitungswasserschaden, Urteil vom 12.07.2017 – IV ZR 151/15, 30ff – juris). Dies gilt insbesondere im vorliegenden Fall, in dem eine – unterstellt mangelhafte Abdichtung und ein mangelhaftes Gefälle – bei Eindringen von Regenwasser und Schmelzwasser zu ständig neuen Schädigungen und zu Vertiefung des Schadens geführt hat. Das Geschehen erstreckt sich, insbesondere bei Feuchtigkeitsschäden, über einen längeren Zeitraum, bei dem sich der Schaden mit zunehmender Dauer infolge ständig neuen Wassereintrages vergrößert (vgl. BGH a.a.O.). Vor seiner Inanspruchnahme wird der Versicherungsnehmer hiervon jedoch regelmäßig keine Kenntnis erhalten und daher keine Veranlassung haben, an die Versicherung heranzutreten. Auch dies rechtfertigt es, bei einem sich immer weiter fortsetzenden Schaden für die Frage, wann ein Schadensereignis vorliegt und welches intertemporale Recht anwendbar ist, auf den Zeitpunkt der Inanspruchnahme durch einen Dritten abzustellen.

2. Der Anspruch der Klägerin ist jedoch verjährt. Die Klägerin ist durch die Streitverkündung vom 28.02.2011 im selbständigen Beweisverfahren vor dem Landgericht München I ernsthaft in Anspruch genommen worden. Die Verjährungsfrist begann am 01.01.2012 zu laufen und endete am 31.12.2014. Im Zeitpunkt der Schadensmeldung der Klägerin im Jahr 2015 war Verjährung bereits eingetreten.

Der Lauf der Verjährungsfrist beginnt gemäß § 199 Abs. 1 BGB, wenn der Anspruch entstanden, also wenn er fällig ist. Daher ist bei der Haftpflichtversicherung für den Beginn der Verjährungsfrist maßgeblich, wann der Versicherungsnehmer ernsthaft in Anspruch genommen wird und nicht, wann der Verstoß bei Ausübung der Versichertentätigkeit begangen wurde; denn vor der Inanspruchnahme kann ein Haftpflichtanspruch vom Versicherer nicht abgewehrt werden (vgl. hierzu KG Berlin, Beschluss vom 09.08.2016 – 6 U 166/15, Rdnr. 11 – juris).

Der Eintritt des Versicherungsfalles (hier: Schadensereignis) begründet nicht automatisch einen Deckungsanspruch. Vielmehr ist hierfür zusätzlich Voraussetzung, dass ein Dritter einen Haftpflichtanspruch gegen den Versicherten (ernstlich) geltend macht (vgl. OLG Celle, Urteil vom 01.02.2016 – 8 U 158/15 – BeckRS, 118598). Die Leistung in der Haftpflichtversicherung ist gemäß § 100 VVG die Prüfung der geltend gemachten Ansprüche mit anschließender Abwehr unbegründeter Ansprüche bzw. Freistellung von versicherten Ansprüchen. Dieser Rechtsschutz- und Abwehranspruch entsteht erst mit der Erhebung von Schadensersatzansprüchen wegen des Versicherungsfalles durch den Dritten (vgl. von Rintelen in Späte/Schimikowski in Haftpflichtversicherung, 2. Aufl. 2015, AHB 1 Rdnr. 26).

Für eine ernsthafte Inanspruchnahme des Versicherungsnehmers genügt jede Erklärung, durch die ernsthaft eine Leistung gefordert wird (vgl. BGH, Urteil vom 09.06.2004 – IV ZR 115/03 – juris). Allein daran bemisst sich, ob der Anspruch des Versicherungsnehmers auf Versicherungsleistungen aus der Haftpflichtversicherung fällig wird und die Verjährungsfrist für diesen Deckungsanspruch zu laufen beginnt. Entscheidend ist, dass sich der Gläubiger entschlossen hat, Schadensersatzansprüche gerade gegen den Versicherungsnehmer geltend zu machen und dass er diesen Entschluss in einer Art und Weise zu erkennen gibt, die als ernstliche Erklärung der Inanspruchnahme vom Versicherungsnehmer verstanden werden kann (so BGH, Urteil vom 09.06.2004 – IV ZR 115/03). Es ist grundsätzlich nicht erforderlich, dass der Gläubiger bereits gerichtliche Schritte einleitet. Andererseits löst aber regelmäßig gerade die gerichtliche Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen gegen den Versicherungsnehmer den Verjährungsbeginn aus, weil spätestens in diesem Moment die Verpflichtung des Versicherers einsetzt, ihm Rechtsschutz zu gewähren und den erhobenen Anspruch nach Möglichkeit abzuwehren, der Anspruch auf Versicherungsleistungen mithin fällig wird (so BGH, a.a.O.). Das ernsthafte Geltendmachen des Anspruches kann auch in einer Streitverkündung erfolgen (vgl. BGH, Urteil vom 21.05.2003 – IV ZR 209/02 – juris).

Die Streitverkündung im Februar 2011 im selbständigen Beweisverfahren gegenüber der Klägerin stellt eine solche ernsthafte Inanspruchnahme dar.

Ob bereits in der Einleitung eines selbständigen Beweisverfahrens das ernsthafte Geltendmachen eines Haftpflichtanspruches gegen den Versicherungsnehmer gesehen werden kann, das die Fälligkeit des Deckungsanspruches in der Haftpflichtversicherung begründet, hängt von den Umständen des Einzelfalles ab und kann nicht anhand des für Anzeigepflichten des Versicherungsnehmers geltenden Maßstabes aus § 153 VVG beantwortet werden (BGH, Urteil vom 09.06.2004 – IV ZR 115/03 – juris). Die Frage, ob auch das selbständige Beweisverfahren eine gerichtliche Geltendmachung in diesem Sinne darstellt, kann deshalb nicht generell beantwortet werden, weil die Gründe, aus denen heraus es vom Geschädigten angestrengt wird, unterschiedlich sein können (vgl. BGH a.a.O.): Besteht nach Lage der Dinge kein Zweifel daran, dass der Geschädigte allein den Versicherungsnehmer für einen eingetretenen Schaden verantwortlich machen will, und dient das selbständige Beweisverfahren lediglich dem Zweck, die Schadenshöhe festzustellen, so kann und muss der Versicherungsnehmer die Einleitung des Verfahrens als ernstliche Geltendmachung der Schadensersatzansprüche gegen ihn verstehen (so BGH, a.a.O.). Anders ist es aber dann, wenn mehrere Schädiger in Betracht kommen, das Schadensbild unklar ist und der Geschädigte sich mit den selbständigen Beweisverfahren Klarheit darüber schaffen will, welche Schäden eingetreten sind, was zur Schadensentstehung geführt hat und wer jeweils die Verantwortung dafür trägt (so BGH a.a.O.). In solchen Fällen soll das selbständige Beweisverfahren dem Gläubiger erst die Grundlage für eine Entscheidung verschaffen.

Im vorliegenden Fall wollte sich die Eigentümerin mit der Einleitung des selbständigen Beweisverfahrens nicht erst Klarheit darüber verschaffen, wer für die Schäden verantwortlich ist. Vielmehr kam aus ihrer Sicht allein die S. AG als Schadensverursacherin in Betracht. Diese hatte als Generalunternehmerin die Mangelbeseitigungsarbeiten im V.-Center in Chemnitz an den Parkdecks xxx und yyy übernommen. Die S. AG wiederum hatte für einen Teilbereich der Arbeiten die Klägerin beauftragt und im selbständigen Beweisverfahren (und auch im anschließenden Klageverfahren) nur ihr den Streit verkündet. Gegenstand des selbständigen Beweisverfahrens waren Feuchtigkeitsschäden in der Tiefgarage. Es konnte für die Klägerin bei dieser Sachlage daher kein Zweifel daran bestehen, dass sie – als dasjenige Unternehmen, das mit Abdichtungsmaßnahmen beauftragt worden war – für etwaige Mängel die Verantwortung trug und in Regress genommen würde, wenn sich herausgestellt hätte, dass die Schäden auf den von ihr ausgeführten Arbeiten beruht hätten. Das Schadensbild war im vorliegenden Fall auch nicht unklar. Denn welche Schäden eingetreten waren, hatte die Eigentümerin bereits im November und Dezember 2010 durch den von ihr beauftragten Privatgutachter Dr. S. konkret feststellen lassen.

Der Umstand, dass zum Zeitpunkt der Einleitung des selbständigen Beweisverfahrens die Schäden noch nicht unstreitig waren, steht der ernsthaften Inanspruchnahme der Klägerin durch die ihr gegenüber erfolgte Streitverkündung nicht entgegen. Wenn im selbständigen Beweisverfahren nur die Höhe des Schadens – nicht aber der Grund der Haftung des Antragsgegners – im Streit steht, ist eine ernsthafte Inanspruchnahme unzweifelhaft zu bejahen. Dies bedeutet aber nicht im Umkehrschluss, dass es an einer ernsthaften Inanspruchnahme bereits dann fehlt, wenn die Schadensursache und damit der Grund der Haftung offen ist. Entgegen der Auffassung der Klägerin kann der Entscheidung des Bundesgerichtshofes (Urteil vom 09.06.2002 – IV ZR 115/13 – juris) nicht entnommen werden, dass eine ernsthafte Inanspruchnahme nur dann vorliegt, wenn im selbständigen Beweisverfahren ausschließlich die Höhe von Mängelbeseitigungskosten streitig ist. Vielmehr werden dort lediglich die Grenzbereiche aufgezeigt, jenseits derer eine ernsthafte Inanspruchnahme unzweifelhaft gegeben ist oder eben nicht vorliegt. In aller Regel wird aber – insbesondere im Werkvertragsrecht – auch über die Schadensursachen gestritten, nicht nur über die Höhe der Mangelbeseitigungskosten. Das selbständige Beweisverfahren soll diesbezüglich Klarheit schaffen, den Hauptsacheprozess vorbereiten und die potentiellen Schädiger an die dort getroffenen Feststellungen binden. So liegt es auch hier. Im Auftrag der Eigentümerin hatte bereits am 17.08.2010 eine Begehung des Parkdeckes xxx durch einen Sachverständigen stattgefunden (Anlage der Antragstellerin 14 im selbständigen Beweisverfahren 2 OH 24886/10 Landgericht München I). Ablaufspuren und Farbabplatzungen wurden festgehalten. Des Weiteren hatte die Eigentümerin den Sachverständigen Dr. S. mit weiterführenden Untersuchungen beauftragt, der eine Ortsbegehung und Probeentnahmen durchgeführt und festgestellt hatte, dass über Risse und Fehlstellen im Gussasphalt und der Bitumen-Schweißbahn Wasser eingedrungen (S. 17 im Gutachten vom 10.12.2010, Anlage 17 der Antragstellerin im selbständigen Beweisverfahren) und die Bitumen-Schweißbahn in den Kontaktflächen nicht vollflächig mit dem Betonuntergrund verklebt war, so dass nicht nur Wasser, sondern auch Chlorid in die Konstruktion eingedrungen war, was er als deutliche Korrosionsgefährdung für die Bewehrung bezeichnet hatte. Nach seinen Ausführungen stellte das gefällelose Parkhaus keine normgerechte Ausführung da. Mit diesem durch Privatgutachten untermauerten konkreten Vorbringen hatte die Eigentümerin ihre Mängelbehauptungen im selbständigen Beweisverfahren schon sehr genau umrissen und auch die Ursache der Mängel abgeklärt. Unter diesen Umständen konnte auch die Klägerin nicht annehmen, dass das selbständige Beweisverfahren nur zur Abklärung dienen sollte, welche Schäden vorhanden sind. Vielmehr musste ihr klar sein, dass mit dem selbständigen Beweisverfahren ein Hauptsacheverfahren konkret vorbereitet werden und gegen die S. AG gerichtet werden sollte und dass sie durch die Streitverkündung mit der Gefahr einer Inanspruchnahme im Regressweg bedroht war.

Dass die Firma S. AG sich gegen ihre Inanspruchnahme und ihre Verantwortlichkeit zur Wehr gesetzt hat, rechtfertigt keine andere Beurteilung, denn grundsätzlich wird sich jeder Werkunternehmer gegen schwerwiegende Mängelvorwürfe, die erhebliche Konsequenzen nach sich ziehen können, zumindest solange verteidigen bis diese bewiesen sind. Dies lässt aber nicht den Rückschluss zu, dass der Klägerin im Falle eines Unterliegens der Streithelferin keine Inanspruchnahme drohte. Vielmehr hat S. AG in ihrer Streitverkündung klargestellt, dass die Klägerin für einen Teil der Arbeiten beauftragt war und sie sich im Falle des Unterliegens bei der Klägerin schadlos halten wolle. Die Tatsache, dass die S. AG bis heute keine Ansprüche gegen die Klägerin geltend gemacht hat, steht dem ebenfalls nicht entgegen. Denn es kommt insoweit nicht auf eine Betrachtung ex post an, sondern darauf, wie aus Sicht der Klägerin die Streitverkündung zum damaligen Zeitpunkt im Jahr 2011 zu verstehen war. Die Klägerin hat die Streitverkündung auch als konkrete Inanspruchnahme verstanden. Denn sie hat – nach ihrem eigenen Vortrag – bereits im Jahr 2011 eine Schadensmeldung an die Beklagte veranlassen wollen. Sie ist ferner mit Schriftsatz vom 18.04.2011 dem selbständigen Beweisverfahren beigetreten und hat sich daran beteiligt. Des Weiteren hat sie den Schaden im Oktober 2015 – nach Eingang des Sachverständigengutachtens im selbständigen Beweisverfahren – bei der Beklagten gemeldet, obwohl sich zu diesem Zeitpunkt der Sachstand nicht geändert hatte. Das selbständige Beweisverfahren war noch anhängig, eine Klage war noch nicht erhoben. Es ist auch nicht ersichtlich, dass die Firma S. AG noch weitere Erklärungen abgegeben hätte, die im Jahre 2015 aus Sicht der Klägerin nunmehr eine erstmalige ernstliche Inanspruchnahme hätten begründen können.

Dem steht auch nicht entgegen, dass der Streitverkündungsschriftsatz knapp gehalten ist und nicht darlegt, worin genau der Verursachungsbeitrag der Klägerin bestanden haben soll. In der Streitverkündung wird ausgeführt, dass die Klägerin im Auftrag der S. AG Abdichtungsarbeiten vorgenommen hat. Der Inhalt der konkreten Vertragspflichten war der Klägerin bekannt. Werden Mängel in Form von Feuchtigkeitserscheinungen von der Eigentümerin – wie hier – gerügt, so liegt auf der Hand, dass die Abdichtungsarbeiten dafür zumindest mitursächlich sein können.

3. Der Schriftsatz der Klägerin vom 05.12.2022 enthält kein neues tatsächliches Vorbringen. Die Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung war nicht veranlasst, § 156 ZPO.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 708 Nr. 10, 711 ZPO.

Die Revision war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 543 Abs. 2 ZPO nicht vorliegen.

Die Festsetzung des Streitwertes folgt § 3 ZPO. Für den Feststellungsantrag waren 800.000,00 € anzusetzen (80 % von 1.000.000,00 €).

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