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Berufsunfähigkeitsversicherung – Verletzung von Mitwirkungs- und Untersuchungsobliegenheiten

Wahrung der Vertragspflichten: Tragweite von Mitwirkungs- und Untersuchungsobliegenheiten im Berufsunfähigkeitsversicherungsrecht

Der vorliegende Fall betrifft einen Konflikt im Berufsunfähigkeitsversicherungsrecht, bei dem die Kernfrage auf die Bedeutung und Gültigkeit von Mitwirkungs- und Untersuchungsobliegenheiten abzielt. In der zugrundeliegenden Auseinandersetzung hat das Oberlandesgericht (OLG) Hamm mit Beschluss vom 6. August 2020 (Az.: I-20 U 89/20) entschieden. Der Kläger, ein Versicherungsnehmer, ging gegen ein Urteil der 4. Zivilkammer des Landgerichts Paderborn vom 13. Mai 2020 in Berufung, das zu Ungunsten des Klägers ausfiel. Die hauptsächliche Streitigkeit bestand in der Frage, ob die vertraglich festgelegten Mitwirkungs- und Untersuchungsobliegenheiten auch bei fehlender Anpassung an das neue Versicherungsvertragsgesetz (VVG) wirksam bleiben.

Weiter zum vorliegenden Urteil Az.: I-20 U 89/20 >>>

Auswirkungen des fehlenden Anpassungsprozesses an das neue VVG

Im Verlauf des Rechtsstreits argumentierte der Kläger, dass die nicht durchgeführte Anpassung der Bedingungen an das neue VVG nicht nur die Unwirksamkeit der vertraglich festgelegten Rechtsfolgen einer Obliegenheitsverletzung nach sich ziehe, sondern auch die Unwirksamkeit der Obliegenheiten selbst. Das Gericht widersprach dieser Sichtweise und bekräftigte, dass die entsprechende Obliegenheit weiter wirksam bleibt und die Beklagte, die Versicherung, berechtigt ist, ihre Leistung vorerst zu verweigern.

Auslegung von Mitwirkungs- und Untersuchungsobliegenheiten

In der anschließenden Untersuchung der Mitwirkungs- und Untersuchungsobliegenheit urteilte das OLG Hamm, dass diese Obliegenheiten, entgegen der Annahme des Klägers, vertraglich vereinbart wurden und somit nicht als Ergebnis einer ergänzenden Vertragsauslegung anzusehen sind. Dies ist insbesondere relevant, da der Bundesgerichtshof (BGH) eine solche ergänzende Vertragsauslegung bei unterlassener Vertragsanpassung lediglich im Hinblick auf die Ergänzung der Rechtsfolgen des § 28 Abs. 2 VVG ablehnt.

Bedingungen für die Verwirkung des Anspruchs auf Versicherungsleistungen

Darüber hinaus stellte das Gericht fest, dass die Verwirkung des Anspruchs auf Versicherungsleistung auf besondere Ausnahmefälle beschränkt ist. Dabei müssen die Interessen des Versicherers in Bezug auf die Durchführung der Nachprüfung sowie die Folgen des Anspruchsverlustes für den Versicherungsnehmer berücksichtigt werden. Es wird eine Gesamtbetrachtung aller Umstände des Einzelfalls vorgenommen, in die das Verschuldungsmaß des Versicherungsnehmers, die Motivation des Versicherungsnehmers, der Gefährdungsgrad der schützenswerten Interessen des Versicherers und das Verhalten des Versicherers einfließen.

Konsequenzen für den Kläger und die Versichertengemeinschaft

Die Schlussfolgerungen des Gerichts unterstreichen, dass eine andere Beurteilung der Situation unvereinbar mit dem vertraglich festgelegten Interesse des Versicherers an der Durchführung der Nachprüfung wäre und zu einer für die Versichertengemeinschaft unzumutbaren Belastung führen würde, die der Kläger nicht erwarten durfte. Daher entspricht die Entscheidung des OLG Hamm der Senatsauffassung und entgegenstehende obergerichtliche Entscheidungen sind nicht bekannt.


Das vorliegende Urteil

OLG Hamm – Az.: I-20 U 89/20 – Beschluss vom 06.08.2020

Die Berufung des Klägers gegen das am 13.05.2020 verkündete Urteil der 4. Zivilkammer des Landgerichts Paderborn wird auf Kosten des Klägers zurückgewiesen.

Das angefochtene Urteil ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.

Der Vollstreckungsschuldner darf die Zwangsvollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Vollstreckungsgläubiger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 120 % des zu vollstreckenden Betrages leistet.

Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf bis zu 200.000,00 EUR festgesetzt.

Gründe

I.

Der Kläger macht Ansprüche aus zwei Berufsunfähigkeitszusatzversicherungen aus den Jahren 1986 und 1997 geltend. Die Beklagte lehnt die Fortzahlung trotz im Jahr 2013 anerkannter Leistungspflicht seit August 2019 als derzeit nicht begründet ab, weil der Kläger die von ihr eingeforderte ärztliche Untersuchung verweigert.

In § 7 Abs. 2 Satz 1 und § 8 Abs. 2 Satz 1 der jeweiligen Bedingungswerke heißt es insoweit (Anl. BLD1, elektronische Gerichtsakte Bl. 7 Anlagenband zur Klageerwiderung [im Folgenden: eAB-Erwiderung 7], und Anl. K1, elektronische Gerichtsakte Bl. 34 Anlagenband zur Klageschrift [im Folgenden: eAB-Klage 22 f.]):

„Zur Nachprüfung können wir auf unsere Kosten jederzeit sachdienliche Auskünfte und einmal jährlich eine Untersuchung / umfassende Untersuchungen des Versicherten durch einen von uns zu beauftragenden Arzt verlangen.“

Beide Bedingungswerke enthalten auch eine Regelung über die Rechtsfolgen der Verletzung dieser Obliegenheit nach VVG in der bis zum 31.12.2007 geltenden Fassung. Die Beklagte hat die Bedingungswerke nicht an das neue VVG angepasst.

Der Kläger meint deshalb – nach anwaltlicher Beratung -, nicht zur Mitwirkung gehalten zu sein, und fordert Zahlung rückständiger sowie zukünftiger Renten und Beitragsbefreiung.

Das Landgericht hat die Klage als derzeit unbegründet abgewiesen, weil sich die Beklagte aufgrund der Mitwirkungsverweigerung des Klägers jedenfalls auf § 242 BGB berufen könne. Es hat sich insoweit auch auf unveröffentlichte Entscheidungen des OLG Hamburg (14.11.2016 – 9 U 162/16) und des OLG Frankfurt (02.10.2019 – 12 U 25/19, NZB anhängig BGH IV ZR 286/19) gestützt.

Bezüglich des weiteren erstinstanzlichen Vortrages, der Anträge und der Entscheidungsgründe wird auf das Urteil des Landgerichts (Bl. 147 ff. der erstinstanzlichen elektronischen Akte [im Folgenden: eGA I-147 ff.] = GA 72 ff.) verwiesen.

Hiergegen wendet sich der Kläger mit seiner Berufung, mit der er die Verletzung materiellen Rechts rügt, und sein erstinstanzliches Klagebegehren – unter Wiederholung und Vertiefung seines erstinstanzlichen Vorbringens – weiterverfolgt.

Die fehlende Bedingungsanpassung an das neue VVG führe nicht nur zur Unwirksamkeit der vertraglichen Rechtsfolgen der Obliegenheitsverletzung, sondern auch zur Unwirksamkeit der Obliegenheit selbst. Der Kläger habe mithin nicht mitwirken müssen. Auf § 242 BGB könne sich die Beklagte nicht zurückziehen, weil sie sich durch die fehlende Bedingungsanpassung selbst ihrer Rechte begeben habe.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Berufungsbegründung vom 01.07.2020 (Bl. 32 ff. der zweitinstanzlichen elektronischen Akte [im Folgenden: eGA II-32 ff.]) Bezug genommen.

Der Kläger beantragt unter Abänderung des angefochtenen Urteils,

1. die Beklagte zu verurteilen, an ihn aus der Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherung zur Versicherungsnummer 0/000000-0009 einen Betrag in Höhe von 16.773,24 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz aus einem Teilbetrag von 4.193,31 EUR seit dem 02.08.2019 sowie aus weiteren Teilbeträgen von jeweils 4.193,31 EUR seit dem 03.09.2019, 02.10.2019 und 02.11.2019 zu zahlen sowie aus der Berufsunfähigkeit-Zusatzversicherung zur Versicherungsnummer 0/000000-0004 einen Betrag in Höhe von 1.602,29 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz aus einem Teilbetrag von 706,30 EUR ab dem 03.09.2019 und aus einem weiteren Teilbetrag in Höhe von 895,99 EUR ab dem 03.12.2019 zu zahlen.

2. die Beklagte zu verurteilen, an ihn aus der Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherung zur Versicherungsnummer 0/000000-0009 ab dem 03.12.2019 bis längstens zum 01.03.2029 eine Berufsunfähigkeitsrente in Höhe von derzeitig 3.635,90 EUR, monatlich im Voraus nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz ab jeweiliger Fälligkeit sowie aus der Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherung zur Versicherungsnummer 0/000000-0004 ab dem 01.03.2020 bis längstens zum 01.09.2049 eine vierteljährliche Berufsunfähigkeitsrente in Höhe von derzeitig 706,30 EUR, vierteljährlich im Voraus nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz ab jeweiliger Fälligkeit zu zahlen.

3. die Beklagte zu verurteilen, ihn von der Prämienzahlungspflicht für die Versicherungen zur Versicherungsnummer 0/000000-0009 ab dem 03.12.2019 bis längstens zum 01.03.2029 und für die Versicherungen zur Versicherungsnummer 0/000000-0004 ab dem 01.06.2020 bis längstens zum 01.09.2049 zu befreien.

Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Der Senat hat den Kläger durch Beschluss vom 06.07.2020 (eGA II-46 ff.) darauf hingewiesen, dass er beabsichtige, die Berufung durch Beschluss zurückzuweisen.

Der Kläger hat sich gegen diesen Hinweis gewandt. Im Einzelnen wird auf die Stellungnahme vom 16.07.2020 (eGA II-69 ff.) Bezug genommen.

II.

Der Senat ist einstimmig davon überzeugt, dass die Berufung offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat, die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung hat, weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung aufgrund mündlicher Verhandlung erfordern und eine mündliche Verhandlung auch sonst nicht geboten ist.

Zu Recht hat das Landgericht die Klage als derzeit unbegründet abgewiesen, da die Beklagte die Fortzahlung (jedenfalls) bis zur Nachholung der eingeforderten Mitwirkung durch den Kläger verweigern darf.

1.  Allerdings kommt eine Leistungsfreiheit / -kürzung wegen der Verletzung vertraglicher Obliegenheiten nicht in Betracht (vgl. BGH Urt. v. 12.10.2011 – IV ZR 199/10, BGHZ 191, 159 = r+s 2012, 9 Rn. 17 ff.), selbst bei Vorsatz oder gar Arglist (vgl. BGH Urt. v. 2.4.2014 – IV ZR 124/13, r+s 2014, 282 Rn. 18, 22).

2.  Die in Rede stehende Obliegenheit selbst ist aber vorliegend weiter wirksam; deren Verletzung durch den Kläger berechtigt die Beklagte, die Leistung bis auf weiteres zu verweigern (§ 242 BGB).

a)  Dabei bedarf es hier keiner Entscheidung, ob – wofür alles spricht – allgemein trotz fehlender Bedingungsanpassung und der damit einhergehenden Unwirksamkeit der vereinbarten Rechtsfolgen die vereinbarten Obliegenheiten selbst wirksam bleiben und darauf stets im Rahmen der Anwendung von §§ 81, 82 VVG und § 242 BGB abgestellt werden kann (vgl. dazu m. w. N. Felsch in Rüffer/Halbach/Schimikowski, HK-VVG, 4. Aufl. 2020, § 28 Rn. 258; Lehmann, r+s 2012, 320, 324; OLG Köln Urt. v. 17.8.2010 – 9 U 41/10, r+s 2010, 406 unter II.2.f = juris Rn. 58; bejahend z. B. OLG Köln Urt. v. 17.1.2014 – 20 U 208/12, r+s 2015, 150 = juris Rn. 29 m. w. N., wogegen der BGH die dagegen erhobene Nichtzulassungsbeschwerde des Versicherungsnehmers mit Formularbeschluss zurückgewiesen hat [vgl. Felsch in Rüffer/Halbach/Schimikowski, HK-VVG, 4. Aufl. 2020, § 28 Rn. 258 a. E.]).

b)  Denn jedenfalls im vorliegenden Fall bleibt die vereinbarte Mitwirkungs- und Untersuchungsobliegenheit trotz fehlender Bedingungsanpassung bestehen (so auch nicht veröffentlicht OLG Frankfurt Urt. v. 2.10.2019 – 12 U 25/19, unter Verweis auf OLG Hamburg, Anl. BLD20 zum Schriftsatz vom 17.03.2020, NZB anhängig BGH IV ZR 286/19; vgl. zur Wirksamkeit der Vereinbarung als solcher im Rahmen der Krankheitskostenversicherung BGH Urt. v. 13.7.2016 – IV ZR 292/14, r+s 2016, 472 Rn. 24 ff.).

Das ergibt sich aus Sinn und Zweck von Erstprüfung und Anerkenntnis einerseits und dem Recht zur Nachprüfung der Beklagten andererseits.

Im Rahmen der Erstprüfung besteht nach § 4 Abs. 2 / § 5 Abs. 2 der jeweiligen Bedingungen (Anl. BLD1, eAB-Erwiderung 6, und Anl. K1, eAB-Klage 22) eine Mitwirkungs- und Untersuchungsobliegenheit des Versicherungsnehmers. Wirkt er insoweit trotz Aufforderung des Versicherers nicht mit, wird sein Stammrecht nach § 14 Abs. 1 VVG nicht fällig (vgl. etwa Neuhaus, BU, 4. Aufl. 2020, Kap. 10 Rn. 163; siehe auch allgemein OLG Hamm Urt. v. 16.11.2018 – 20 U 50/18, r+s 2019, 102 = juris Rn. 36 ff. m. w. N.; OLG Saarbrücken Beschl. v. 27.8.2019 – 5 W 46/19, VersR 2019, 1546 = juris Rn. 6). Auf ein Verschulden des Versicherungsnehmers kommt es dabei nicht an, weil es nicht wie ihm Rahmen des § 28 Abs. 2 VVG um dauerhafte Leistungsfreiheit / -kürzung, sondern nur um vorübergehende Leistungsfreiheit geht. Auch eine Belehrung – entsprechend § 28 Abs. 4 VVG – ist nicht erforderlich, weil § 28 VVG nicht zur Anwendung kommt und § 14 VVG keine Belehrungspflicht vorsieht (vgl. Jungermann, r+s 2018, 356, 357 f.).

Gleiches muss im Ergebnis nach den jeweiligen Bedingungen (§ 7 Abs. 2, der in Satz 2 auf § 4 Abs. 2 Bezug nimmt, / nach § 8 Abs. 2, der in Satz 2 auf § 5 Abs. 2 Bezug nimmt) auch für den Fall der Nachprüfung und damit für die Ansprüche auf Einzelleistung aus dem Stammrecht gelten.

Denn der Gesetzgeber zwingt den Versicherer nach § 173 VVG grundsätzlich dazu, seine Leistungspflicht bei Fälligkeit des Stammrechts zeitlich unbegrenzt anzuerkennen. Dafür räumt er ihm aber in § 174 VVG – unter besonderen Voraussetzungen, auf die es hier im Hinblick auf Art. 4 Abs. 3 EGVVG nicht ankommt – das Recht zur Nachprüfung ein, das vorliegend vertraglich wirksam vorbehalten ist. Dieses Zusammenspiel setzt voraus, dass der im Nachprüfungsverfahren beweisbelastete Versicherer taugliche Erkenntnisquellen nutzen kann (vgl. BGH Urt. v. 17.2.1993 – IV ZR 228/91, r+s 1993, 197 = juris Rn. 16; Neuhaus, BU, 3. Aufl. 2014, Kap. K Rn. 161 f.).

Unerklärlich ist dem Senat der Einwand des Klägers auf den Senatshinweis, das VVG in seiner neuen Fassung sehe gar kein Nachprüfungsverfahren mehr vor und erlaube es auch nicht, u. a. weil § 31 Abs. 1 VVG nur eine Auskunftsobliegenheit vorsehe, so dass der Versicherer kein Nachprüfungsverfahren mit Untersuchungsobliegenheit statuieren dürfe.

Zum einen sieht doch § 174 VVG, ohne es als solches zu bezeichnen, ein Nachprüfungsverfahren gerade vor (in der Gesetzesbegründung BT-Drs. 16/3945 S. 106 ausdrücklich als solches bezeichnet).

Zum anderen ist das Recht der Nachprüfung bei vertraglicher Vereinbarung sowohl nach altem wie nach neuem Recht – soweit ersichtlich – von niemanden in Frage gestellt worden, im Gegenteil es ist unzweifelhaft anerkannt (vgl. nur BGH Urt. v. 17.2.1993 – IV ZR 206/91, VersR 1993, 562 und zuletzt BGH Urt. v. 18.12.2019 – IV ZR 65/19, VersR 2020, 276).

Und auch § 31 Abs. 1 VVG muss eine Untersuchungsobliegenheit nicht vorsehen. Denn § 31 Satz 1 VVG lässt doch gerade vertragliche Abweichungen zum Nachteil des Versicherungsnehmers in den Grenzen der §§ 305 ff. BGB, die hier keinesfalls überschritten wären, unzweifelhaft zu (vgl. zur Wirksamkeit der Vereinbarung als solcher im Rahmen der Krankheitskostenversicherung BGH Urt. v. 13.7.2016 – IV ZR 292/14, r+s 2016, 472 Rn. 24 ff.).

Die Mitwirkungs- und Untersuchungsobliegenheit ist damit entgegen dem Vorbringen des Klägers auf den Senatshinweis vertraglich vereinbart und nicht Ergebnis einer ergänzenden Vertragsauslegung, der der BGH bei unterlassener Vertragsanpassung im Übrigen nur im Hinblick auf die Ergänzung der Rechtsfolgen des § 28 Abs. 2 VVG eine Absage erteilt hat (vgl. BGH Urt. v. 12.10.2011 – IV ZR 199/10, BGHZ 191, 159 = r+s 2012, 9 Rn. 36), auf die es hier aber nicht ankommt.

c)  Darüber hinaus ist allgemein anerkannt, dass eine (ggf. dauernde) Verwirkung von Ansprüchen gemäß § 242 BGB in Betracht kommen kann (vgl. OLG Köln Urt. v. 17.1.2014 – 20 U 208/12, r+s 2015, 150 = juris Rn. 29 ff. [NZB zurückgewiesen: BGH Beschl. v. 10.12.2014 – IV ZR 59/14, zitiert nach Felsch in Rüffer/Halbach/Schimikowski, HK-VVG, 4. Aufl. 2020, § 28 Rn. 258 Fn. 400]; Schimikowski, r+s 2015, 350 f.; Felsch in Rüffer/Halbach/Schimikowski, HK-VVG, 4. Aufl. 2020, § 28 Rn. 258; siehe auch Wandt in MüKo-VVG, 2. Aufl. 2016, vor § 28 Rn. 26 ff.).

Entgegen der Stellungnahme des Klägers auf den Senatshinweis hat der BGH dem auch nicht in seiner grundlegenden Entscheidung vom 12.10.2011 oder nachfolgend eine Absage erteilt (vgl. BGH Urt. v. 12.10.2011 – IV ZR 199/10, BGHZ 191, 159 = r+s 2012, 9), sondern sich dazu nie ausdrücklich geäußert. Zudem hat er nachfolgend die Nichtzulassungsbeschwerde gegen die bereits zitierte Entscheidung des OLG Köln, die § 242 BGB anwendete, durch Formularbeschluss zurückgewiesen (vgl. Felsch in Rüffer/Halbach/Schimikowski, HK-VVG, 4. Aufl. 2020, § 28 Rn. 258 a. E.).

Die Verwirkung des Anspruchs auf die Versicherungsleistung ist dabei aber auf besondere Ausnahmefälle beschränkt, in denen es für den Versicherer unzumutbar wäre, sich an der Erfüllung der von ihm übernommenen Vertragspflichten festhalten zu lassen. Erforderlich ist dabei eine Gesamtschau aller Umstände des Einzelfalls, in die vor allem das Maß des Verschuldens des Versicherungsnehmers, die Motivation des Versicherungsnehmers, der Umfang der Gefährdung der schützenswerten Interessen des Versicherers, die Folgen des Anspruchsverlustes für den Versicherungsnehmer und das Verhalten des Versicherers einzubeziehen sind (vgl. BGH Urt. v. 8.7.1991 – II ZR 65/90, r+s 1992, 1 Ls. 2, 3 und unter 2.b = juris Rn. 15; BGH Urt. v. 14.10.1987 – IVa ZR 29/86, r+s 1987, 331 unter I. = juris Rn. 24 ff.).

d)  Dies zugrunde gelegt bestehen keinerlei Zweifel daran, dass die Beklagte sich bei Gesamtschau aller Umstände des Einzelfalls jedenfalls auf § 242 BGB berufen und die Leistung bis auf weiteres verweigern kann (vgl. Neuhaus, BU, 3. Aufl. 2014, Kap. K Rn. 158 ff.; nicht veröffentlicht OLG Frankfurt Urt. v. 2.10.2019 – 12 U 25/19, unter Verweis auf OLG Hamburg, Anl. BLD20 zum Schriftsatz vom 17.03.2020; siehe auch LG Berlin Urt. v. 22.6.2017 – 24 O 18/17, BeckRS 2017, 123016, wonach sich der Versicherer nicht auf fehlende Fälligkeit berufen muss, sondern auch ein formelles Nachprüfungsverfahren durchführen und sich wegen Beweisvereitelung ganz vom Anerkenntnis lösen kann), wenn nicht sogar – aufgrund der aufgezeigten vertraglichen Umständen (§ 271 Abs. 1 Hs. 1 Var. 2 BGB) – schon die Fälligkeit weiterer Einzelleistungen aus dem Stammrecht zu verneinen ist.

Der Kläger handelte mindestens bedingt vorsätzlich, da er trotz Aufforderung der Beklagten und damit in Kenntnis der vertraglichen Vereinbarung die Mitwirkung gezielt verweigerte (vgl. – in derartigen Fällen sogar Arglist annehmend – Neuhaus, BU, 3. Aufl. 2014, Kap. K Rn. 165).

Dem steht nicht entgegen, dass die Prozessbevollmächtigten des Klägers ihm gestützt auf Literatur und (im Übrigen nicht einschlägige) Rechtsprechung mitgeteilt haben, eine Untersuchungsobliegenheit bestehe mangels Bedingungsanpassung der Beklagten nicht.

Zwar handelt ein Versicherungsnehmer – selbst bei Kenntnis der Versicherungsbedingungen – regelmäßig nicht vorsätzlich oder grob fahrlässig, wenn er sich anwaltlichen Rat einholt und der Rechtsanwalt einen objektiv falschen Rat gibt (vgl. BGH Urt. v. 8.1.1981 – IVa ZR 60/80, NJW 1981, 1098 = juris Rn. 16 zur Anzeigeobliegenheit; OLG Saarbrücken Urt. v. 29.6.2011 – 5 U 297/09, r+s 2012, 189 = juris Rn. 31 ff. zur Mitwirkungs- und Untersuchungsobliegenheit).

Vorliegend trägt der Kläger aber bereits nicht vor, seine Prozessbevollmächtigten hätten keinen Zweifel an der Unwirksamkeit der Untersuchungsobliegenheit gelassen. Entsprechend ist der Kläger auch dem Senatshinweis insoweit nicht entgegen getreten, wonach er umfassend beraten war, d. h. er auch auf die abweichenden Rechtsansichten in Rechtsprechung und Literatur hingewiesen worden ist. Eine Falschberatung seiner Prozessbevollmächtigten behauptet der Kläger gerade nicht.

Damit ist der Senat aufgrund der Umstände im vorliegenden Einzelfall ohne erheblichen Zweifel davon überzeugt, dass dem Kläger klar war, dass er mit seiner Rechtsauffassung nicht zwingend durchdringen würde.

Er nahm damit auch mindestens billigend in Kauf, dass die Leistungspflicht der Beklagten (jedenfalls) temporär entfällt.

Unabhängig davon ist auch sonst kein Grund dafür ersichtlich, den Kläger nicht an seiner Mitwirkungs- und Untersuchungsobliegenheit festzuhalten. Ein solcher Grund ist der Beklagte insbesondere auch nicht etwa mit der anwaltlichen Verweigerung der Mitwirkung in der Email vom 11.07.2019 mitgeteilt worden, obwohl diese die Mitwirkungs- und Untersuchungsobliegenheit zuvor in hinreichendem Maße stufenweise eingefordert hatte (vgl. dazu BGH Urt. v. 22.2.2017 – IV ZR 289/14, r+s 2017, 232 Rn. 44-51, Ls. 2b und insb. Rn. 63; BVerfG Beschl. v. 23.10.2006 – 1 BvR 2027/02, VersR 2006, 1669 Rn. 56; Jungermann r+s 2018, 356, 360 f.; Wandt in MüKo-VVG, 2. Aufl. 2016, § 31 Rn. 67; Rixecker in Langheid/Rixecker, 6. Aufl. 2019, § 213 Rn. 20). Bezüglich der tatsächlichen Abläufe wird insoweit auf die Schilderungen in der Klageschrift und die zitierte Korrespondenz Bezug genommen.

Auch auf den Senatshinweis hat der Kläger keinerlei weiteren Gründe für seine Mitwirkungsverweigerung vorgetragen.

Die Beklagte hat mit der fehlenden Bedingungsanpassung ersichtlich nicht auf ihr gesetzlich vorgesehenes und vertraglich vereinbartes Nachprüfungsrecht und die gesetzlich vorgesehene und vertraglich vereinbarte Mitwirkungs- und Untersuchungsobliegenheit verzichtet. Sie hat allein von einer Bedingungsanpassung im Hinblick auf die Rechtsfolgen des § 28 Abs. 2 VVG abgesehen.

Eine andere Beurteilung wäre mit dem vertraglich vorgesehenen Interesse des Versicherers an der Durchführung der Nachprüfung unvereinbar und führte zu einer für die Versichertengemeinschaft nicht hinzunehmenden Belastung, die der Kläger nicht erwarten durfte (vgl. Neuhaus, BU, 3. Aufl. 2014, Kap. K Rn. 161).

Demgegenüber belastet die vorübergehende Leistungsfreiheit den Kläger nicht unangemessen. Er ist jederzeit in der Lage, sich untersuchen zu lassen und damit die Leistungspflicht – je nach Untersuchungsergebnis – rückwirkend wieder aufleben zu lassen. Wie dabei mit etwaigen Feststellungsnachteilung des Versicherers durch die verweigerte Mitwirkung umzugehen ist, braucht hier nicht entschieden zu werden.

Im Ergebnis stellt das Verhalten des Klägers mithin eine derart grobe Verletzung des in besonderem Maße von Treu und Glauben geprägten Versicherungsvertragsverhältnisses dar (vgl. dazu nur BGH Urt. v. 11.9.2019 – IV ZR 20/18, r+s 2019, 647 Rn. 23 m. w. N.), dass dies in jedem Fall jedenfalls zur vorübergehender Leistungsfreiheit führen muss.

3.  Ein Revisionszulassungsgrund, der eine Entscheidung nach § 522 Abs. 2 ZPO ausschlösse, besteht entgegen dem Vorbringen des Klägers auf den Senatshinweis nicht.

Insbesondere stehen auch die vom Kläger zuletzt zitierten Entscheidungen (BGH Urt. v. 2.4.2014 – IV ZR 58/13, r+s 2015, 347; OLG Frankfurt Urt. v. 20.2.2013 – 7 U 229/11, r+s 2013, 554; OLG Dresden Urt. v. 24.3.2015 – 4 U 1292/14, r+s 2015, 233) der Auffassung des Senats in keiner Weise entgegen.

Dass gegen eine der Auffassung des Senats entsprechende Entscheidung des OLG Frankfurt ein Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren beim BGH anhängig ist, begründet ebenfalls keinen Zulassungsgrund. Die Entscheidung des OLG Frankfurt entspricht gerade der Senatsauffassung. Entgegenstehende obergerichtliche Entscheidungen gibt es nicht.

Zudem hat der BGH sich zwar zu der maßgeblichen Frage noch nicht ausdrücklich geäußert, aber die Nichtzulassungsbeschwerde gegen die bereits mehrfach zitierte Entscheidung des OLG Köln, die § 242 BGB anwendete, durch Formularbeschluss zurückgewiesen (vgl. erneut Felsch in Rüffer/Halbach/Schimikowski, HK-VVG, 4. Aufl. 2020, § 28 Rn. 258 a. E.).

III.

Die Nebenentscheidungen folgen aus § 97 Abs. 1, § 708 Nr. 10 Satz 2, § 711  ZPO, die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung dieses Beschlusses unmittelbar aus § 794 Abs. 1 Nr. 3 ZPO.

 

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