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Berufsunfähigkeitsversicherung – Umorganisation des Betriebes

OLG Dresden – Az.: 4 U 1585/21 – Urteil vom 22.02.2022

I. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Landgerichts Dresden vom 25.06.2021 – 8 O 2896/15 – wird mit der Maßgabe, dass der Tenor klarstellend wie folgt gefasst wird, zurückgewiesen:

1.

Es wird festgestellt, dass die Beklagte seit 01.12.2015 und danach für die Dauer der bedingungsgemäßen Berufsunfähigkeit des Klägers, längstens bis zum Vertragsende zum 31.01.2027, zur monatlichen Zahlung der vertraglich vereinbarten Berufsunfähigkeitsrente in Höhe von 1.091,00 € zuzüglich 545,50 € Bonusrente verpflichtet ist.

2.

Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger eine Rentennachzahlung in Höhe von 6.546,00 € nebst 5 Prozent Zinsen über dem Basiszinssatz seit dem 18.11.2015 zu zahlen.

3.

Es wird festgestellt, dass die Beklagte den Kläger von der Pflicht zur Beitragszahlung während der Dauer der Berufsunfähigkeit seit August 2015 freizustellen und die für die Zeit seit Eintritt der Berufsunfähigkeit gezahlten Beträge in Höhe von 146,49 € monatlich an den Kläger zurückzuerstatten hat.

4.

Die Beklagte wird verurteilt, den Kläger von den vorgerichtlichen Anwaltskosten in Höhe von 867,45 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozent über dem Basiszinssatz hieraus seit dem 18.11.2015 durch Zahlung an die Prozessbevollmächtigte des Klägers freizustellen.

II. Die Kosten des Rechtsstreites beider Instanzen trägt die Beklagte.

III. Das Urteil sowie das angefochtene Urteil sind vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 Prozent des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

Beschluss:

Der Gegenstandswert des Berufungsverfahrens wird auf 81.389,58 € festgesetzt (1.635,50 € x 42 Monate = 68.691,00 €, 146,49 € x 42 Monate = 6.152,58 €, Zahlungsanspruch 6.546,00 €).

Gründe

I.

Der am 21.10.1966 geborene Kläger ist von Beruf Friseurmeister und schloss mit der Rechtsvorgängerin der Beklagten zum 01.02.2002 eine Berufsunfähigkeitsversicherung ab, die zum 31.01.2027 planmäßig endet. Der Kläger ist seit 1993 als selbständiger Friseurmeister tätig. Zuletzt betrieb er von 2003 bis 2015 einen Salon, in dem er wechselnd ca. 15 bis 19 Mitarbeiter beschäftigte, darunter durchschnittlich drei Lehrlinge pro Jahr, zwei Rezeptionistinnen und eine Kosmetikerin. Zuletzt zahlte er Beiträge in Höhe von 146,49 € monatlich und hatte eine Berufsunfähigkeitsrente in Höhe von 1.091,00 € zzgl. 545,50 € Bonusrente zu erwarten. Die Versicherungsbedingungen (Anlage K9) enthalten unter anderem folgende Regelungen:

§ 1

(1) Berufsunfähigkeit im Sinne dieser Bedingungen liegt vor, wenn die versicherte Person infolge Krankheit, Körperverletzung oder Kräfteverfall die ärztlich nachzuweisen sind, voraussichtlich mindestens sechs Monate ununterbrochen zu mindestens 50 % außerstande ist, ihrem zuletzt vor Eintritt dieses Zustandes ausgeübten Beruf nachzugehen.

(2) Übt die versicherte Person jedoch nach Eintritt dieses Zustandes eine andere, ihre Ausbildung und Erfahrung sowie bisherigen Lebensstellung entsprechende Tätigkeit aus und ist sie dazu aufgrund ihrer gesundheitlichen Verhältnisse zu mehr als 50 % in der Lage, liegt keine Berufsunfähigkeit vor.

(4) Wird uns nachgewiesen, dass ein in Absatz 1 oder 3 beschriebener Zustand für einen Zeitraum von sechs Monaten ununterbrochen vorgelegen hat, gilt dieser Zustand von Beginn an als Berufsunfähigkeit.

Im Januar 2004 wurde der Kläger an der linken Hand wegen Fibromatose der Strecksehnen (gutartige Bindegewebswucherung) operiert. Am 18.07.2014 stellte er sich u. a. wegen Schmerzen in beiden Armen, die von der Halswirbelsäule bis in die Hände zögen und links stärker seien, bei seinem Hausarzt vor. Es wurde Arbeitsunfähigkeit festgestellt, und seine Krankentagegeldversicherung erbrachte daraufhin Leistungen. Diese teilte im Juli 2015 mit, dass sie die Zahlungen wegen Vorliegens von Berufsunfähigkeit einstellen werde (Anlage K 3). Der Kläger stellte daraufhin um Juli 2015 einen Antrag bei der Beklagten auf Zahlung von Berufsunfähigkeitsrente. Die Beklagte beauftragte die Firma G……, die eine Befragung des Klägers durchführte (Anlage K9). Sie lehnte ihre Eintrittspflicht mit Schreiben vom 28.09.2015 (Anlage K4) mit der Begründung ab, es sei dem Kläger eine Umorganisation seiner beruflichen Tätigkeiten möglich.

Der Kläger hat behauptet, er habe montags zwei Stunden und samstags alle vier Wochen drei Stunden für Bürotätigkeiten aufgewandt. An Dienstagen, Donnerstagen und Freitagen habe er jeweils acht Stunden am Kunden gearbeitet. Samstags habe er alle zwei Wochen von 8.00 Uhr bis 14.00 Uhr am Kunden gearbeitet, manchmal auch häufiger, wenn Vertretungsfälle vorgelegen hätten. Mittwochs habe er regelmäßig die Lehrlinge von 9.00 Uhr bis 18.00 Uhr geschult. Er habe Wert auf ein hohes Niveau gelegt und habe daher selbst häufig an Fortbildungen teilgenommen und auch betriebsinterne Fortbildungen und Qualitätsmanagement durchgeführt. Er habe einen sehr guten Kundenstamm aufgebaut und seine Mitarbeiter gut geschult. Überwiegend habe er an Kunden gearbeitet und Damen- sowie Herrenschnitte gemacht, Farben aufgetragen, Strähnen gemacht, Haarverlängerungen, Hochsteckfrisuren sowie auch Haarwäsche und Föhnen habe er selbst vorgenommen. Er sei jedenfalls seit August 2015 berufsunfähig. Einige Jahre nach der Handoperation seien Verwachsungen und Schmerzen wieder aufgetreten. Die hierdurch hervorgerufene Behinderung bei den Arbeiten habe im Laufe der Zeit stark zugenommen. Insbesondere das Färben, Strähnen der Haare, das Haareschneiden sowie das Einlegen der Lockenwickler sei schmerzhaft gewesen. Zudem habe er auch die Ausbildung der Lehrlinge und Juniorstylisten nicht mehr leisten können. Die Fibromatose an den Strecksehnen der Hände, die Nervenentzündung im linken Arm sowie Hand und Schulter sowie ein Wurzelreizsyndrom an der Halswirbelsäule hätten dazu geführt, dass er alle handwerklichen Tätigkeiten seines Berufes nicht mehr habe durchführen können. Die weiter festgestellte chronische Herzkrankheit mit absoluter Arrhythmie sowie zeitweise auftretendem Vorhofflimmern habe seine Leistungsfähigkeit zusätzlich eingeschränkt. Eine Umorganisation sei ihm nicht möglich gewesen, denn einen personellen Ersatz für das handwerklich hohe Niveau zu finden, sei nahezu unmöglich. Denn bei hoher Qualifikation machten sich Friseure selbständig. Die Kundenpflege und die persönliche Betreuung durch ihn sei von entscheidender Bedeutung, eine Delegation hätte nicht erfolgen können. Wegen seiner Arbeitsunfähigkeit und Abwesenheit im Friseursalon sei es zu Unsicherheiten unter den Mitarbeitern und bei Kunden gekommen. Die Kunden hätten auf eine persönliche Betreuung Wert gelegt und seien abgewandert. Die Mitarbeiter hätten gewechselt oder sich zum Teil selbständig gemacht. Er habe den Salon daher Anfang 2016 schließen müssen.

Das Landgericht hat eine Zeugin vernommen und ein Gutachten des orthopädischen Sachverständigen Prof. Dr. B…… eingeholt. Mit Urteil vom 25.06.2021 hat es sodann der Klage stattgegeben.

Hiergegen wendet sich die Beklagte. Sie meint, der Vortrag des Klägers zu den Möglichkeiten einer Umorganisation sei zu unsubstantiiert und habe keine Grundlage für eine entsprechende Entscheidung geboten. Er hätte darlegen müssen, welche Teiltätigkeiten er noch ausüben könne und welche wegen der behaupteten gesundheitlichen Einschränkungen von seinen Mitarbeiter hätten übernommen werden können. Dem Kläger verbleibe ein zumutbares Tätigkeitsfeld von mehr als 50 %. So hätte er den fachlich-modischen Bereich betreuen, Gespräche führen, die Qualitätssicherung im Auge behalten, die Ausbildung durchführen, die Mitarbeiter motivieren und ein Vorbild sein können. Des Weiteren hätte er die Aufgaben einer Rezeptionistin in vollem Umfang übernehmen und die vorhandene Rezeptionistin entlassen können. Es liege im Übrigen schon keine Berufsunfähigkeit vor, denn der Kläger habe nicht dargelegt, welche Teiltätigkeiten er beim Frisieren mit welcher Hand wie lange ausgeübt habe. Zudem sei das Gutachten des Sachverständigen Prof. Dr. B…… mangelhaft. Es fehle an einer kritischen Auseinandersetzung mit den ärztlichen Vorberichten. Der Sachverständige habe nicht einmal angegeben, welche Diagnosen er beim Kläger gestellt habe. Eine gründliche Untersuchung der Hände habe er nicht durchgeführt. Es fehle zudem eine Auseinandersetzung mit dem Befund des Dr. Be…… vom 16.02.2015 (Anlage K10), der eine Neurofibromatose ausgeschlossen habe. MRT- oder Röntgenbilder der linken Hand seien gleichfalls nicht vorgelegt worden. Das Gutachten sei insbesondere auch deshalb mangelhaft, weil nicht ausgeführt werde, ob und in welchem Umfang dem Kläger Tätigkeiten in seinem Beruf noch möglich seien. Der Sachverständige habe es verabsäumt, die Schmerzschilderungen des Klägers durch Tests, wie zum Beispiel einen EFL-Test, zu objektivieren. Aufgrund der Unklarheiten hätte der Sachverständige zumindest zur Erläuterung geladen werden, vorzugsweise hätte ein anderer Gutachter beauftragt werden müssen.

Die Beklagte beantragt, das Urteil des Landgerichts Dresden vom 25.06.2021, Az.: 8 O 2896/15, abzuändern und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Er verteidigt das landgerichtliche Urteil. Eine Umorganisation sei ihm nicht zumutbar gewesen. Er hätte schon nicht durch einen Mitarbeiter ersetzt werden können, weil bei entsprechender Qualifikation für einen Festangestellten ein Gehalt von 3.500,00 € bis 4.000,00 € monatlich gezahlt werden müsse. Friseurmeister mit einer solchen Qualifikation würden sich mit einem eigenen Salon selbständig machen. Wenn der Inhaber nicht mehr als Friseur tätig sei, wandere aber ohnehin der Kundenstamm ab.

Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie die Protokolle der mündlichen Verhandlungen Bezug genommen. Eine Beweisaufnahme durch den Senat hat nicht stattgefunden.

II.

Die zulässige Berufung ist nicht begründet.

A

Zu Recht hat das Landgericht einen Anspruch des Klägers gemäß §§ 1, 3 AVB BUV gegen die Beklagte auf Zahlung einer Berufsunfähigkeitsrente aus der Berufsunfähigkeitsversicherung vom 10.01.2002 in Höhe von 1.636,50 € monatlich (1.091,00 € und Bonusrente von 545,50 €) sowie auf Rückzahlung der monatlichen Beiträge in Höhe von 146,49 € für die Zeit der Berufsunfähigkeit seit dem 01.08.2015 bejaht. Dem Kläger ist der Beweis dafür, dass bei ihm Berufsunfähigkeit im Juli 2015 eingetreten ist, gelungen.

1.

Er hat sein Berufsbild ebenso wie die Einschränkungen in der Berufsausübung, die sich aus seiner Erkrankung ergeben, schlüssig dargelegt und auch zur Überzeugung des Senats i.S.d. § 286 ZPO bewiesen.

Grundsätzlich ist hierfür die letzte konkrete Berufsausübung maßgebend, so wie sie „in gesunden Tagen“ ausgestaltet war, d. h. solange die Leistungsfähigkeit des Versicherten noch nicht eingeschränkt war (vgl. BGH, Urteil vom 14.12.2016 – IV ZR 527/15 – juris; vgl. Senat, Urteil vom 27.03.2018 – 4 U 1519/17 – juris). Dazu muss bekannt sein, wie das Arbeitsumfeld des Versicherten tatsächlich beschaffen ist und welche Anforderungen es an ihn stellt (vgl. Senat, a.a.O.). Als Sachvortrag genügt dazu nicht die Angabe des Berufsbildes und der Arbeitszeit, vielmehr muss eine ganz konkrete Arbeitsbeschreibung verlangt werden, mit der die anfallenden Tätigkeiten ihrer Art, ihres Umfangs und ihrer Häufigkeit nach für einen Außenstehenden nachvollziehbar werden (so Senat, a.a.O.). Es darf dabei nicht aus dem Blick geraten, dass die Klärung des Berufsbildes vornehmlich den Zweck verfolgt, dem Sachverständigen die notwendigen tatsächlichen Vorgaben zur medizinischen Beurteilung bedingungsgemäßer Berufsunfähigkeit in die Hand zu geben (vgl. Senat, Urteil vom 27.03.2018 – 4 U 1519/17 – juris).

Der Kläger hat eine typische Arbeitswoche beschrieben, die vom Landgericht vernommene Zeugin F…… hat seine Angaben bestätigt. Darüber hinaus hat er in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat seine Berufstätigkeit überzeugend geschildert. Er hat montags von 9.00 Uhr bis 11.00 Uhr organisatorische Fragen mit den Mitarbeitern besprochen und alle vier Wochen von 15.00 Uhr bis 18.00 Uhr Büroarbeiten ausgeführt. Des Weiteren hat er Dienstag, Donnerstag und Freitag für jeweils acht Stunden am Kunden Friseurarbeiten durchgeführt. Er hat alle zwei Wochen, meist sogar häufiger wegen Vertretungsfällen, von 8.00 Uhr bis 14.00 Uhr an Samstagen am Kunden gearbeitet. Im wöchentlichen Durchschnitt ergeben sich hier mindestens drei Stunden, wegen der Vertretungsfälle können hier vier Stunden angesetzt werden. Mittwochs hat er die Ausbildung der Lehrlinge für acht Stunden übernommen. In diesem Zeitraum hat er zumindest für eine Stunde dabei auch handwerkliche Tätigkeiten ausführte. Dies ergibt eine wöchentliche Arbeitszeit von 38,75 Stunden, wovon 29 Stunden auf handwerkliche Friseurarbeiten entfallen. Daraus errechnet sich ein Anteil von 76 % handwerklicher Tätigkeit an der Gesamtarbeitszeit. Des Weiteren hat der Kläger auch nachvollziehbar dargelegt, mit welchen handwerklichen Tätigkeiten (Schneiden, Färben, Strähnen, Lockenwickler und zum Teil auch Waschen) er im Einzelnen beschäftigt war. Dem ist die Beklagte im Berufungsverfahren nicht mehr entgegengetreten.

2.

Dem Kläger ist auch der Beweis dafür gelungen, dass er seit August 2015 bedingungsgemäß berufsunfähig und zu mindestens 50 % außerstande ist, seinem zuletzt vor Eintritt dieses Zustands ausgeübten Beruf nachzugehen. Der Sachverständige Prof. Dr. B…… hat auch für den Senat überzeugend Berufsunfähigkeit als Friseurmeister in medizinischer Sicht festgestellt. Er hat hierfür den Kläger untersucht und eine MRT-Untersuchung an den Sehnen der Hand veranlasst und auf dieser Grundlage morphologisch Rezidive der Knoten in den Strecksehnen D 3 und D 4 von erheblicher Größe dokumentiert. Die Verdickung der Sehne mit dem sich einschließenden Sehnenhäubchen über dem Gelenk führe zwar nicht unbedingt zu einer Bewegungseinschränkung, solange die Sehne in der Kontinuität intakt bleibe. Das Problem sei aber die Schmerzhaftigkeit durch die Umgebungsreaktion. Die Verdrehung der Hand, die Beugung und das Öffnen und Schließen der Finger, z. B. beim Halten von längeren Haaren in Portionen, könnten schmerzhafte Zustände verursachen, die auch auf die Nerven zurückwirkten. Es müsse dann von einem Friseur eine andere Position eingenommen werden, um derartige Schmerzen zu vermeiden, was wiederum zu Wirbelsäulenbeschwerden, vor allem an der Halswirbelsäule und der unteren Lendenwirbelsäule führe. So sei der Zusammenhang zwischen den Tumoren an den Sehnen der linken Hand, der Einengung des Spinalkanals an der Halswirbelsäule und den degenerativen Veränderungen am mittleren Teil der Lendenwirbelsäule herzustellen. Die Situation sei im Jahr 2014 dekompensiert und habe zu einer vollständigen Arbeitsunfähigkeit geführt. Die jetzige Situation habe sich zwar gebessert (Begutachtung im Sommer 2019). Eine Neuaufnahme der Tätigkeit als Friseurmeister würde aber dazu führen, dass die Probleme von neuem aufträten. Die Prüfung der Schmerzbelastung sei durch Betastung und Druck sowie mit Widerstandsübungen erfolgt, zudem sei eine Vigorimetrie zur Messung der Handkraft eingesetzt worden. Das Ergebnis sei wiederholbar konstant gewesen. Anhaltspunkte für Simulation habe es nicht gegeben. Die von ihm gefundenen Befunde seien konsistent und stimmten mit den Vorbefunden überein. Zudem sei die Diagnose mit einem aktuellen MRT gesichert worden. Die Schmerzen würden bei Belastung entstehen und je länger die Belastung sei, umso mehr entstünden Schmerzen, Ausweichbewegungen und Fehlbelastungen der Gelenke in der Nachbarschaft. Es sei davon auszugehen, dass bei einer erneuten Belastung durch den Beruf eine ähnliche Reaktion im Körper mit psychischem Stress entstehe. Hieraus resultiere eine andauernde Berufsunfähigkeit.

Diese Ausführungen des Sachverständigen sind – entgegen der Auffassung der Beklagten – nicht allein deshalb unzureichend, weil sich ihnen nicht entnehmen lässt, ob und in welchem Umfang es dem Kläger noch möglich ist, trotz seiner konkreten krankheitsbedingten Leistungsminderung Tätigkeiten eines Friseurs auszuüben. Nach den Ausführungen des Sachverständigen Prof. Dr. B…… kann der Kläger nämlich überhaupt keine handwerklichen Tätigkeiten als Friseur mehr ausüben. Der Zustand des Klägers mag sich bis zum Untersuchungszeitraum gebessert haben. Gleichwohl besteht nach den überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen die Berufsunfähigkeit fort. Denn die Schmerzen treten nicht bei Ruhe auf, sondern bei Bewegung der Hände. Dass die Tätigkeit als Friseur den kontinuierlichen Einsatz beider Hände erfordert, ist offensichtlich. Eine detaillierte Erläuterung des Klägers, bei welcher konkreten Handbewegung Schmerzen auftreten, ist daher nicht erforderlich. Es ist allgemein und auch den Senatsmitgliedern bekannt, welche Handbewegungen Friseure bei den Einzeltätigkeiten ausüben. Keine der Teiltätigkeiten eines Friseurs kann einhändig ausgeübt werden. Selbst wenn eine Hand nur als Unterstützung wie zum Beispiel beim Festhalten von Strähnen oder zum Föhnen eingesetzt wird, ist auch bei diesen Bewegungen ein Kraftaufwand und eine Bewegung erforderlich.

Ohne Erfolg beanstandet die Beklagte auch, dass sich der Sachverständige nicht kritisch mit den vorliegenden ärztlichen Berichten auseinandergesetzt habe. Aus dem Gutachten und seinen ergänzenden Angaben ist ersichtlich, dass für den Sachverständigen die Vorbefunde im Einklang mit seinen eigenen Feststellungen stehen und er daher keinen Anlass gesehen hat, an deren Richtigkeit zu zweifeln. Im Übrigen zeigt auch die Beklagte nicht auf, welche Vorbefunde im Widerspruch zu den Feststellungen des Sachverständigen stehen sollen. Der Bezug auf den Bericht des Dr. Be…… vom 16.02.2015 (Anlage K10), der eine Neurofibromatose ausgeschlossen hatte, verfängt nicht, weil auch der Sachverständige beim Kläger keine Neurofibromatose diagnostiziert hat. Bei der Neurofibromatose handelt es sich um eine Gruppe von genetisch bedingten Krankheiten, die unterschiedliche Symptome, insbesondere an der Haut und am Nervensystem ausbilden. Hieran leidet der Kläger unstreitig nicht. Vielmehr handelt es sich bei der bei ihm vorliegenden Fibromatose um eine Bindegewebswucherung, die aggressiv wächst und die Umgebung infiltriert (vgl. Wikipedia.org/wiki/Fibromatose; www.onmeda.de/Krankheite/Neurofibromatose.html).

Zwar trifft zu, dass der Sachverständige keine Diagnose nach dem ICD-Schlüssel festgehalten hat. Aus dem Gesamtinhalt des Gutachtens lässt sich aber unschwer entnehmen, dass er die von Vorbehandlern festgestellten Diagnosen bestätigt. In seinem Ergänzungsgutachten vom 28.05.2020 führt er auf Seite 3 aus: „Die Befunde der zuvor behandelnden Kollegen sind übereinstimmend, das Krankheitsbild ebenso. Bildgebend ist die Diagnose mit einem aktuellen MRT, dem empfindlichsten Verfahren nachgewiesen worden.“ Ohnehin kommt es nach § 1 Abs. 1 AVB primär auf die Unfähigkeit zur Berufsausübung und nur sekundär auf das genaue Krankheitsbild an.

Soweit die Beklagte beanstandet, dass aus der vom Sachverständigen veranlassten Bildgebung vom 20.08.2019 nicht auf den in der Vergangenheit liegenden Zeitraum von August 2015 bis zur Bildgebung geschlossen werden könne, lässt sie auch insoweit die Vorbefunde (Anlagenkonvolut K 10) unberücksichtigt. Bereits aus dem Befundbericht vom 20.01.2004 der Klinik für Plastische, Mund-, Kiefer-, Gesichts- und rekonstruktive Chirurgie ergibt sich, dass eine Fibromatose der Strecksehnen beide Hände vorlag und eine Tumorresektion im dritten und vierten Strahl der linken Hand vorgenommen wurde. Der MRT-Befund der Universitätsklinik Dresden vom 15.08.2014 ergibt, dass u. a. eine breitbasige Bandscheibenprotrusion HWK5/6 mit rechtsbetonter und links geringer Einengung der Neuroforamina vorlag. Aus dem Arztbericht des Städtischen Klinikums G…… vom 11.11.2014 ergibt sich, dass klinisch an der linken Hand derbe, mäßig verschiebliche Tumoren im Bereich der Streckerhauben mit Betonung des dritten und vierten Strahls festgestellt wurden. Der Befund an der rechten Hand war etwas geringer ausgeprägt. Es hat sich das progrediente Bild einer diffusen Fibromatose im Bereich der Strecksehnen der Langfinger linksbetont gezeigt. Im Befundbericht vom 15.03.2015 des Dr. A…… wird festgestellt, dass sich aktuell im Nativ CT der HWS ein älterer nach links intraforaminaler reichender NPP HWK6/7 mit deutlicher Bedrängung der Nervenwurzel darstellt. Außerdem sind dort Wirbelgelenkveränderungen in den benachbarten Segmenten HWK4 bis BWK1 dokumentiert. Ähnliche Gelenkveränderungen zeigen sich besonders in den Fingern 3 und 4 (Grundgelenke links) aber auch rechts und andere Finger betreffend. Diese Vorbefunde stehen im Einklang mit dem von dem Sachverständigen getroffenen Befund und den auch im Jahr 2019 festgestellten Beschwerden.

Ohne Erfolg beanstandet die Beklagte auch, dass der Sachverständige es verabsäumt habe, die Schmerzschilderungen des Klägers durch Tests zu objektivieren. Der Sachverständige hat in seiner ergänzenden Stellungnahme nachvollziehbar dargestellt, wie er die Schmerzbelastung durch Betastung und Druck sowie Widerstandsübungen überprüft hat. Zudem hat er die Handkraft durch einen Vigorimeter-Test und durch mehrfache Wiederholungen zum Handschluss überprüft. Das Ergebnis sei wiederholbar konstant gewesen. Der Sachverständige hat auch nachvollziehbar geschildert, dass vor Beginn der Bewegungen keine Schmerzen vorhanden waren, diese jedoch bei Bewegung sehr stark gewesen seien, so dass keine Kraft mehr habe entwickelt werden können (Seite 3 des Ergänzungsgutachtens). Bei nachlassender Kraftanstrengung sei der Schmerz zurückgegangen. Angesichts dieses Beschwerdebildes war nach Auffassung des Senats auch eine weitere Objektivierung der physischen Beschwerden durch einen sogenannten EFL-Test nicht erforderlich. Der Kläger arbeitet als Friseurmeister mit seinen Händen. Es ist daher nicht erforderlich, einen umfassenden Leistungstest durchzuführen, der unter anderem auch das Heben, Tragen, Über-Kopf-Arbeiten, in die Hocke gehen und Auf-Leitern-Steigen beinhaltet. Die Einschränkung betrifft seine Hände und daraus resultierend die Arme und die Wirbelsäule.

Nachdem die Beklagten mit Schriftsatz vom 07.08.2020 (Seite 11) ausdrücklich und bewusst darauf verzichtet hatte, dem Sachverständigen Ergänzungsfragen zu stellen, war das Landgericht schließlich auch nicht gehalten den Sachverständigen von Amts wegen zu laden. Eine Verletzung des rechtlichen Gehörs der Beklagten liegt hierin nicht. Eine ergänzende Beweisaufnahme war hiernach auch durch den Senat nicht geboten.

3.

Zur Überzeugung des Senats ist dem Kläger auch eine Umorganisation seines Betriebes nicht zumutbar gewesen.

Der mitarbeitende Betriebsinhaber hat zur Möglichkeit der Umorganisation vorzutragen. Zu seiner Vortrags- und Beweislast gehört auch, dass ihm eine zumutbare Betriebsumorganisation keine von ihm gesundheitlich noch zu bewältigenden Betätigungsmöglichkeiten eröffnet, die bedingungsgemäße Berufsunfähigkeit ausschließen würden (so BGH, Urteil vom 12.06.1996 – IV ZR 118/95; BGH, Urteil vom 26.02.2003 – IV ZR 238/01 – juris). Die berufliche Tätigkeit des mitarbeitenden Betriebsinhabers wird zum einen dadurch gekennzeichnet, dass er ein bestimmtes betriebliches Arbeitsfeld durch eigene Tätigkeit ausfüllt, zum anderen – und vor allem – aber auch dadurch, dass ihm das betriebliche Direktionsrecht, die Weisungsbefugnis gegenüber seinen Mitarbeitern zukommt. Dieses Direktionsrecht, das auch die Möglichkeit einer Umverteilung der Arbeit einschließt, gibt seiner Stellung im Betrieb das Gepräge. Sein „Beruf“ ist daher die Leitung des Betriebes unter seiner Mitarbeit an einer von ihm bestimmten Stelle (so BGH, Urteil vom 12.06.1996 – IV ZR 118/95 – juris).

Die Umorganisation muss aber für ihn zumutbar sein. Die Beurteilung der Zumutbarkeit verlangt eine Gesamtbetrachtung der dem Betriebsinhaber nach einer – betrieblich sinnvollen – Umorganisation trotz seiner gesundheitlichen Einschränkungen noch verbleibenden Tätigkeitsfelder (vgl. BGH, Urteil vom 12.06.1996 – IV ZR 118/95 – juris). An der Zumutbarkeit fehlt es, wenn die Umorganisation mit auf Dauer ins Gewicht fallenden Einkommenseinbußen verbunden ist (vgl. BGH, Urteil vom 26.02.2003 – IV ZR 238/01 – juris). Nach Durchführung der Umorganisation muss noch ein adäquater Arbeitsplatz im Sinne einer „vernünftigen Arbeit“ im Unternehmen verbleiben (Saarländisches OLG, Urteil vom 27.03.2019 – 5 U 44/17 – juris). Auf eine Umorganisation muss er sich nicht verweisen lassen, wenn er damit nur noch einer „Verlegenheitsbeschäftigung“ nachgehen könnte (so Saarländisches OLG, Urteil vom 27.03.2019 – 6 U 44/17 – juris). Ebenso wenig ist es ihm zumutbar, eine Veränderung seines Arbeitsfeldes vorzunehmen, wenn dadurch die Arbeit ihre prägenden Merkmale völlig verliert (vgl. Senat, Urteil vom 27.03.2018 – 4 U 1519/17, Rdnr. 28 – juris).

Der Kläger kann ausweislich des Gutachtens des Sachverständigen Prof. Dr. B…… die handwerklichen Leistungen eines Friseurmeisters nicht erbringen und damit 76 % der Leistungen, die er bislang erbracht hat. Eine Umorganisation seines Arbeitsfeldes und Beschränkung seiner Betätigung auf organisatorische Aufgaben und die Rezeption ist ihm nicht zumutbar. Anders als bei anderen handwerklichen Berufen ist der Beruf des Friseurs geprägt durch ein persönliches Vertrauensverhältnis zwischen Kunden und Friseur. Es handelt sich um eine körpernahe Dienstleistung, die ein gewachsenes Vertrauen erfordert. Anders als bei anderen handwerklichen Tätigkeiten ist es dem Kunden daher nicht gleichgültig, von welchem der im Friseursalon tätigen Friseure er bedient wird. In der Regel bleibt der Kunde an einen Friseur gebunden, mit dem er zufrieden ist. Darüber hinaus ist es dem Kläger nicht möglich, seine Mitarbeiter zu schulen, qualifiziert fortzubilden und auf die Einhaltung von Qualitätsstandards, insbesondere bei neuen Modetrends, zu achten, wenn er selbst praktisch nicht mehr tätig ist und allenfalls theoretische Anweisungen erteilen kann. Die Akzeptanz als Chef sowie eine Vorbildfunktion kann unter diesen Umständen – wie er selbst überzeugend in der mündlichen Verhandlung darlegt hat – nicht ausgefüllt werden. Dies schließt eine Umorganisation, für die der zuvor ausschließlich als Friseur tätige Betriebsinhaber auf ausschließlich organisatorische Tätigkeit zurückgeworfen würde, in der Regel aus (vgl. OLG Karlsruhe, Urteil vom 03.04.2008, 12 U 151/07 – juris). Der Kläger kann auch nicht auf eine Tätigkeit ausschließlich als Rezeptionist verwiesen werden. Dadurch verlöre seine Arbeit als Friseurmeister ihre prägenden Merkmale, selbst wenn dem Kläger das Direktionsrecht verbliebe. Der Kläger hätte dann zwar noch Kunden beraten, organisatorische Aufgaben ausführen, Gespräche führen und Mitarbeiter motivieren können. Übt er aber den Friseurberuf nicht mehr aus, verliert er zunehmend an Kompetenz und Glaubwürdigkeit. Der von der Beklagten bemühte Vergleich mit dem Starfriseur Udo Walz greift nicht, denn insoweit handelt es sich um einen deutschlandweit bekannten Starfriseur mit mehreren Salons. Damit ist der Friseurbetrieb des Klägers mit lediglich bis zu zehn festangestellten Friseuren nicht vergleichbar. Ob die Erweiterung des Berufsbildes durch eine solche Pflicht zur Umorganisation in den Versicherungsbedingungen gesondert zum Ausdruck gebracht werden muss, kann angesichts dessen dahinstehen.

4.

Der Tenor war klarstellend dahingehend zu ergänzen, dass bedingungsgemäße Berufsunfähigkeit seit 01.08.2015 vorliegt, was sich den Entscheidungsgründen des angefochtenen Urteils hinreichend deutlich entnehmen lässt. Der Zahlungsanspruch für die Zukunft aus Ziffer I.1. des Tenors beginnt ab Dezember 2015, da die zurückliegenden Leistungen im Zahlungsanspruch Ziffer II. 2. enthalten sind.

5.

Dem Kläger steht neben dem Feststellungsanspruch ein Anspruch auf Zahlung rückständiger Renten für die Zeit von August 2015 bis einschließlich November 2015 in Höhe von 6.546,00 € zu.

6.

Der Zinsanspruch ergibt sich aus §§ 286, 288 BGB.

Der Kläger hat auch Anspruch auf Freistellung der ihm entstandenen vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten nebst Zinsen gemäß §§ 280, 286, 288 BGB.

B

Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

Die Festsetzung des Streitwertes folgt aus §§ 3, 9 ZPO.

Die Revision war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 543 Abs. 2 ZPO nicht vorliegen.

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