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Berufsunfähigkeitsversicherung – Nachprüfungsverfahren – Verweisung

Ansprüche aus Berufsunfähigkeitszusatzversicherung: Klage abgewiesen

In einem kürzlich ergangenen Urteil des Landgerichts Arnsberg (Az.: 1 O 452/20) wurde die Klage eines Bäckers abgewiesen, der Ansprüche aus einer Berufsunfähigkeitszusatzversicherung (BUZ) geltend gemacht hatte. Der Kläger hatte aufgrund eines sogenannten Bäckerasthmas Leistungen aus der BUZ angemeldet, die von seinem früheren Arbeitgeber, einer Bäckerei, als Trägerunternehmen bei der beklagten Versicherung abgeschlossen worden war. Die BUZ war zur Sicherung der betrieblichen Altersversorgung des Klägers verpfändet worden.

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Vertragsbedingungen und Berufsunfähigkeitsdefinition

Die Definition der Berufsunfähigkeit in den Bedingungen für die Berufsunfähigkeitszusatzversicherung (BUZB) sieht unter anderem vor, dass der Versicherte voraussichtlich mindestens zwei Jahre außerstande sein muss, die bisherige Tätigkeit auszuüben. Eine Berufsunfähigkeit liegt jedoch nicht oder nicht mehr vor, wenn die versicherte Person eine andere Tätigkeit ausübt, die ihrer bisherigen Lebensstellung entspricht – die sogenannte konkrete Verweisung. Die finanzielle und soziale Lebensstellung vor Eintritt der gesundheitlichen Beeinträchtigungen ist hierbei ausschlaggebend.

Anmeldung der Berufsunfähigkeit und Fragebogen

Der Kläger meldete im Oktober 2019 Leistungen wegen Berufsunfähigkeit aufgrund seines Bäckerasthmas an. Im Fragebogen gab er an, zuletzt als Bäcker mit einer Arbeitszeit von täglich 8-9 Stunden an 6-7 Arbeitstagen pro Woche und einem monatlichen Einkommen von 3000-3200 EUR brutto tätig gewesen zu sein. Darüber hinaus teilte er mit, dass er zuvor als Steuerfachangestellter, Bürokaufmann und Betriebswirt HWK gearbeitet hatte.

Entscheidung des Gerichts

Das Gericht wies die Klage des Bäckers ab, da es der Auffassung war, dass die Voraussetzungen für eine Berufsunfähigkeit gemäß den Vertragsbedingungen nicht gegeben waren. Es wurde insbesondere betont, dass der Kläger aufgrund seiner vorherigen beruflichen Tätigkeiten als Steuerfachangestellter, Bürokaufmann und Betriebswirt HWK in der Lage wäre, eine andere Tätigkeit auszuüben, die seiner bisherigen Lebensstellung entsprechen würde. Daher lag nach Ansicht des Gerichts keine Berufsunfähigkeit im Sinne der BUZB vor.

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Das vorliegende Urteil

LG Arnsberg – Az.: 1 O 452/20 – Urteil vom 12.01.2022

Die Klage wird abgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits trägt der Kläger.

Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung i.H.v. 110 % des jeweils beizutreibenden Betrages vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

Der Kläger macht Ansprüche aus einer Berufsunfähigkeitszusatzversicherung geltend, die bei dem Beklagten besteht.

Die frühere Arbeitgeberin des Klägers, die Bäckerei K, unterhält als Trägerunternehmen bei dem Beklagten unter der Vers.-Nr. xxxxx.xxx/x xxxxx eine Rentenversicherung mit Berufsunfähigkeitszusatzversicherung als Rückdeckungsversicherung. Sämtliche Rechte und Ansprüche der Rückdeckungsversicherung wurden von der Bäckerei K an den Kläger, der bei ihr als Bäcker angestellt war, zur Sicherung seiner Versorgungsansprüche im Rahmen der betrieblichen Altersversorgung verpfändet. Der Kläger nahm die Verpfändung an.

Vertragsbestandteil sind laut Versicherungsschein die „Bedingungen für die Berufsunfähigkeit-Zusatzversicherung“ (Fassung 10/2008, nachfolgend BUZB).

§ 2 Abs. 1 BUZB enthält die Definition der Berufsunfähigkeit, zu der auch gehört, dass der Versicherte voraussichtlich mindestens zwei Jahre außerstande sein muss, die bisherige Tätigkeit auszuüben. Nach § 2 Abs. 3 BUZB liegt Berufsunfähigkeit nicht oder nicht mehr vor, wenn die versicherte Person eine andere Tätigkeit ausübt, die ihrer bisherigen Lebensstellung entspricht (sogenannte konkrete Verweisung). Dazu wird näher ausgeführt:

„Unter der bisherigen Lebensstellung ist die Lebensstellung in finanzieller und sozialer Hinsicht zu verstehen, die vor Eintritt der gesundheitlichen Beeinträchtigungen gemäß Abs. 1 bestanden hat. Die dabei für die versicherte Person zumutbare Einkommensreduzierung wird von uns je nach Lage des Einzelfalles auf eine Größe von 10 % – 30 % im Vergleich zum jährlichen Bruttoeinkommen im zuletzt ausgeübten Beruf, vor Eintritt der gesundheitlichen Beeinträchtigungen, begrenzt.“

§ 6 BUZB regelt das Nachprüfungsverfahren nach Anerkennung oder Feststellung der Leistungspflicht u.a. wie folgt:

„Wir sind berechtigt, das Bestehen der Berufsunfähigkeit oder der Pflegebedürftigkeit nachzuprüfen. Dabei können wir erneut prüfen, ob die versicherte Person eine andere Tätigkeit im Sinne von § 2 Abs. 3 ausübt.“

Die vereinbarte Berufsunfähigkeitsrente beläuft sich auf 1000,28 EUR monatlich. Die Versicherungsdauer bzw. Leistungsdauer der versicherten Berufsunfähigkeitsrente sowie der Beitragsbefreiung endet am 01.12.2051.

Der Kläger meldete bei dem Beklagten im Oktober 2019 Leistungen wegen Berufsunfähigkeit aufgrund eines bestehenden Bäckerasthmas an. In dem ihm übersandten Fragebogen gab er unter dem 21.12.2019 die zuletzt vor Eintritt der Berufsunfähigkeit ausgeübte Tätigkeit als die eines Bäckers mit einer Arbeitszeit von täglich 8-9 Stunden an 6-7 Arbeitstagen pro Woche und einem monatlichen Einkommen von 3000-3200 EUR brutto an. Zudem teilte er mit, dass er von 2003-2005 als Steuerfachangestellter, von 2005-2008 als Bürokaufmann und von Oktober 2011 bis Januar 2012 als Betriebswirt HWK gearbeitet hatte. Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf den Fragebogen (Anl. B1, Bl. 82 ff. der Akten) Bezug genommen.

Der unstreitig unter dem sog. Bäckerasthma leidende Kläger nahm am 01.02.2020 eine berufliche Tätigkeit als Regierungsbeschäftigter in der Geschäftsstelle des Finanzamtes in Soest auf, wo er seither in der Besoldungsgruppe E 6 monatlich 2601,- Euro brutto verdient. Hinsichtlich der dort ausgeübten Tätigkeit des Klägers wird auf die Anlage K11 (Bl. 161 ff. der Akten) Bezug genommen.

Mit Schreiben vom 27.04.2020 erkannte der Beklagte für den befristeten Zeitraum vom 01.10.2019 bis 01.02.2020 seine Leistungspflicht an und nahm eine Einstellungsmitteilung wegen einer konkreten Verweisung nach § 6 Abs. 1 i.V.m. § 2 Abs. 3 BUZB auf die ab dem 01.02.2020 ausgeübte berufliche Tätigkeit beim Finanzamt vor (Anl. K5).

Der Kläger ist der Auffassung, dass seine Tätigkeit als Regierungsbeschäftigter in der Geschäftsstelle des Finanzamtes kein geeigneter Verweisungsberuf ist. Seine neue Tätigkeit entspreche nicht seiner bisherigen Lebensstellung vor Eintritt der Berufsunfähigkeit.

Dazu behauptet er, er verdiene statt ca. 3300 EUR monatlich nur noch 2601 Euro brutto und habe damit einen Einkommensverlust von 21,2 % gegenüber seiner ursprünglichen Tätigkeit erlitten.

Es fehle ihm zudem an beruflichen Entwicklungsmöglichkeiten und Aufstiegschancen. Seine Hauptaufgabe als Mitarbeiter des Finanzamtes bestehe in der Bearbeitung von Gleitzeit- und Urlaubskonten sowie Krankmeldungen der Finanzbeamten. Dabei sei er kein Finanzbeamter, sondern „nur“ Angestellter im öffentlichen Dienst mit relativ beschränkten Entwicklungsmöglichkeiten. Er habe nicht einmal im Ansatz eine Vorgesetztenfunktion inne.

Ganz anders hingegen habe sich seine Situation als angestellter Bäcker im väterlichen Betrieb dargestellt. Dort habe er durch persönliches Engagement und entsprechende Fortbildungen eine Tätigkeit ausgeübt, die sich deutlich von der der übrigen Bäckereimitarbeiter abgehoben habe. So habe er bereits Funktionen wahrgenommen, die ihn als „Juniorchef“ hätten erkennen lassen. Er habe Mitarbeiter eingeteilt, Teige selbst produziert und weiterverarbeitet, eine Qualitätskontrolle der Backwaren vorgenommen und Mitarbeiterbesprechungen durchgeführt. Ferner habe er kurz vor dem Abschluss seiner Ausbildung zum Bäckermeister gestanden; ihm habe lediglich noch das Zertifikat für die Ausbildereignungsprüfung gefehlt. Die Übernahme des Familienbetriebes von seinem Vater sei konkret beabsichtigt gewesen, was bereits durch entsprechende Schulungen vorbereitet worden sei. Seine hervorgehobene Stellung im Betrieb habe sich auch daran gezeigt, dass seine Altersvorsorge das 10-fache der übrigen Mitarbeiter betragen habe.

Der Kläger beantragt,

1. den Beklagten zu verurteilen, an ihn 12.002,24 EUR nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen;

2. den Beklagten zu verurteilen, an ihn ab dem 01.11.2020 bis längstens zum 01.12.2051 aus dem Versicherungsvertrag mit der Vers-Nr. xx.xxx.xxx/x xxxxx eine monatliche, im Voraus eines jeden Monats zu zahlende Berufsunfähigkeitsrente i.H.v. 1000,28 EUR pro Monat nebst gestaffelter Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz aus einem monatlichen Betrag von 1000,28 EUR, beginnend mit dem 01.11.2020, zu zahlen;

3. festzustellen, dass der Beklagte aufgrund der Berufsunfähigkeit des Klägers für die Zeit vom 01.11.2020 bis längstens zum 01.12.2051 verpflichtet ist, die Versicherungsnehmerin (K) von der Beitragspflicht zu dem Versicherungsvertrag mit der Vers.-Nr. xx.xxx.xxx/x xxxxx freizustellen;

4. festzustellen, dass der Beklagte aufgrund der Berufsunfähigkeit des Klägers für die Zeit vom 01.03.2020 bis längstens zum 01.12.2051 verpflichtet ist, an den Kläger für den Versicherungsvertrag mit der Vers.-Nr. xx.xxx.xxx/x xxxxx Überschussanteile zu zahlen;

5. den Beklagten zu verurteilen, an ihn außergerichtliche Rechtsanwaltskosten i.H.v. 1137,64 EUR zu zahlen.

Der Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

Er ist der Ansicht, eine bedingungsgemäße Berufsunfähigkeit liege aufgrund der konkreten Verweisung im Nachprüfungsverfahren wegen der vom Kläger aufgenommenen neuen beruflichen Tätigkeit beim Finanzamt nicht vor.

Die aktuell ausgeübte berufliche Tätigkeit des Klägers wahre in jeder Hinsicht seine Lebensstellung. Dabei dürften hinsichtlich der Vergleichbarkeit der ausgeübten Tätigkeiten nur diejenigen Informationen dem Nachprüfungsverfahren zugrunde gelegt werden, die der Kläger im Erstprüfungsverfahren erteilt habe.

Der Beklagte bestreitet in diesem Zusammenhang eine Einkommensabsenkung beim Kläger gegenüber seinem früher ausgeübten Beruf von 21,2 % und verweist darauf, dass nach § 2 Abs. 3 BUZB eine Einkommensabsenkung bis 30 % zumutbar sein könne. Dabei komme eine nicht mehr hinnehmbare Niveauabsenkung in der Regel erst ab Verlusten von 25 % in Betracht. Das derzeitige Einkommen des Klägers hingegen liege gegenüber dem früheren Bruttogehalt ohne Zulagen nur um 7,5 % niedriger und gegenüber dem früheren Bruttogehalt mit Zulagen um rund 17,7 %.

Auch die berufliche und soziale Wertschätzung des Klägers sei durch seine Tätigkeit als Regierungsbeschäftigter nicht beeinträchtigt. Der Beklagte bestreitet, dass eine Übernahme des Familienbetriebes durch den Kläger bereits konkret geplant gewesen sei. Bei der Übernahme des Betriebes vom Vater habe es sich um eine ungesicherte Perspektive gehandelt, die in der Berufsunfähigkeitsversicherung keine Rolle spiele. Rein theoretische Aussichten und Chancen seien jedenfalls dann nicht geeignet den Status des Versicherten zu prägen, wenn offen sei, ob sie sich tatsächlich hätten verwirklichen lassen.Hinsichtlich der Ausbildung und der geforderten Fertigkeiten bleibe die Tätigkeit des Klägers beim Finanzamt ebenfalls nicht hinter dem früher ausgeübten Beruf des Bäckers zurück. Auch der heutige Beruf des Klägers erfordere Gründlichkeit und Genauigkeit und beinhalte eine gewisse Verantwortung. Anhaltspunkte für eine Absenkung des sozialen Status bzw. der Wertschätzung seien nicht gegeben. Dabei sei auch zu berücksichtigen, dass von den meisten Menschen die frühen Arbeitszeiten von Bäckern und die körperlich belastenden Tätigkeiten als unangenehm empfunden würden. Die Ausübung einer Leitungsposition durch den Kläger im elterlichen Betrieb bestreitet der Beklagte ebenso wie fehlende Entwicklungsmöglichkeiten und Aufstiegschancen bei dem derzeit ausgeübten Beruf.

Schließlich bestreitet der Beklagte für den Klageantrag zu 4) das Bestehen eines Feststellungsinteresses.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

Die Kammer hat Beweis erhoben durch uneidliche Vernehmung der Zeugen L und Y. Hinsichtlich des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf die Sitzungsniederschrift vom 23.06.2021 (Bl. 191 ff. der Akten) Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

I.

Die Klage ist unbegründet.

1.

Der Kläger hat keinen weiteren Anspruch auf Leistungen aus der beim Beklagten bestehenden Berufsunfähigkeitszusatzversicherung gemäß § 178 VVG i.V.m. dem Versicherungsvertrag.

Der Beklagte hat die Leistungen aus der bestehenden Berufsunfähigkeitszusatzversicherung wirksam im Nachprüfungsverfahren zum 01.02.2020 nach § 6 Abs. 1 i.V.m. § 2 Abs. 3 BUZB eingestellt, weil der Kläger auf den von ihm seither ausgeübten Beruf des Regierungsbeschäftigten konkret verweisbar ist.

Gemäß § 2 Abs. 3 BUZB liegt eine bedingungsgemäße Berufsunfähigkeit nicht mehr vor, wenn der Versicherte eine andere Tätigkeit ausübt, die seiner bisherigen Lebensstellung entspricht.

Da der Kläger die vom Beklagten als Vergleichsberuf in Anspruch genommene Tätigkeit tatsächlich schon ausübt, muss er vortragen und beweisen, dass und warum diese Tätigkeit den bedingungsgemäßen Anforderungen an eine Vergleichstätigkeit nicht genügt. Er muss daher aufzeigen und nachweisen, dass und warum sie mit dem zuvor ausgeübten Beruf nicht vergleichbar ist (BGH, Urteil vom 12.01.2000 -IV ZR 85/99- juris Rn. 15). Eine Verweisung des Versicherten kommt dabei nach den Versicherungsbedingungen des Beklagten nur dann in Betracht, wenn die andere Tätigkeit seiner bisherigen Lebensstellung entspricht. Diese wird vor allem durch die zuletzt ausgeübte Tätigkeit geprägt.

Ein solcher Nachweis ist dem Kläger nicht gelungen.

Es kann dabei dahinstehen, ob im Rahmen des Zweitprüfungsverfahrens bei der Frage der Verweisung nur diejenigen Informationen zugrunde gelegt werden dürfen, die der Kläger im Erstprüfungsverfahren erteilt hat. Denn auch nach den im Rechtsstreit überreichten Unterlagen und dem Ergebnis der Beweisaufnahme hat der Beklagte den Kläger zutreffend auf seinen aktuell ausgeübten Beruf als Regierungsbeschäftigter verwiesen, weshalb er weitere Leistungen in Form einer Rentenzahlung und Beitragsbefreiung nicht schuldet. Es kann nicht festgestellt werden, dass die aktuell vom Kläger ausgeübte Tätigkeit den bedingungsgemäßen Anforderungen an eine Vergleichstätigkeit nicht genügt, weil sie seine Lebensstellung nicht wahrt.

Die bisherige Lebensstellung des Klägers wird durch die von ihm zuletzt ausgeübte Tätigkeit als Bäcker geprägt. Ihre Berücksichtigung sondert nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes Tätigkeiten aus, deren Ausübung deutlich geringere Erfahrungen und Fähigkeiten erfordern als der bisherige Beruf. Die Lebensstellung eines Erwerbstätigen wird von der Qualifikation seiner Erwerbstätigkeit bestimmt und diese orientiert sich – ebenso wie die Vergütung dieser Tätigkeit- wiederum daran, welche Kenntnisse und Fähigkeiten die ordnungsgemäße und sachgerechte Ausübung dieser Tätigkeit voraussetzt. Eine Vergleichstätigkeit ist demnach dann gefunden, wenn die aufgezeigte Erwerbstätigkeit keine deutlich geringeren Kenntnisse und Fähigkeiten erfordert und auch in ihrer Vergütung wie in ihrer Wertschätzung nicht spürbar unter das Niveau des bislang ausgeübten Berufes absinkt (BGH VersR 2010, 1023, 1024; VersR 1997, 436; VersR 1986, 1113).

a)

Nach der vom Kläger zu den Akten gereichten Tätigkeitsdarstellung als Regierungsbeschäftigter sowie nach dem Ergebnis der durchgeführten Beweisaufnahme kann nicht festgestellt werden, dass die neue Tätigkeit des Klägers als Regierungsbeschäftigter deutlich geringere Kenntnisse und Fähigkeiten erfordert als sein früherer Beruf des Bäckers.

Nach der Tätigkeitsdarstellung als Regierungsbeschäftigter handelt es sich um eine Bürotätigkeit, im Rahmen derer der Kläger überwiegend Aufgaben im Zusammenhang mit der Personal- und Sachmittelverwaltung wahrnimmt. Diese Tätigkeit setzt eine Ausbildung in der Verwaltung oder einem kaufmännischen Beruf voraus. Aufgrund seiner Qualifikation als Betriebswirt und seiner Ausbildung zum Bürokaufmann verfügt der Kläger über die notwendigen kaufmännischen und organisatorischen Kenntnisse, die für die Ausübung seiner aktuellen Tätigkeit beim Finanzamt erforderlich sind. Denn auch hier ist ein sorgfältiges Arbeiten im kaufmännisch-verwaltenden Bereich unter Anwendung von EDV-Kenntnissen auf der Grundlage einer entsprechenden Ausbildung gefordert. Wie bei der Tätigkeit als Bäcker übt der Kläger dabei sowohl Tätigkeiten mit höheren und weniger hohen Anforderungen aus. Auch als Bäcker hat der Kläger bei Personalengpässen Tätigkeiten ungelernter Mitarbeiten, etwa bei der Belieferung der Filialen mit Backwaren, ausgeübt.

Diese Kenntnisse und Fähigkeiten liegen nicht deutlich unter denjenigen für eine Tätigkeit als angestellter Bäcker im väterlichen Betrieb. Denn nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme hat der Kläger vormals als Bäcker im Wesentlichen typische Tätigkeiten eines Bäckers im Bereich der Teigproduktion wahrgenommen. Nach den Bekundungen des Zeugen Y bestand ein wesentlicher Teil der Arbeit des Klägers in der Teigzubereitung. Diese Angaben hat auch der Zeuge L, der Vater des Klägers, bestätigt. Darüber hinaus ist der Kläger nach den Bekundungen der Zeugen bei Personalengpässen und -ausfällen eingesprungen und hat in diesem Zusammenhang verschiedene Tätigkeiten, auch von ungelernten Mitarbeitern, vertretungsweise wahrgenommen.

Diese für einen gelernten Bäcker typischen Arbeiten erfordern zwar ebenfalls eine berufliche Ausbildung, aber keine deutlich höheren Kenntnisse und Fähigkeiten als die eines Angestellten im öffentlichen Dienst in der jetzigen Position des Klägers. Über einen Meistertitel im Bäckerhandwerk verfügte der Kläger zum Zeitpunkt des Eintritts der Berufsunfähigkeit noch nicht. Ihm fehlte es hierzu unstreitig an einer Ausbildereignungsprüfung.

Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme steht nicht zur Überzeugung der Kammer fest, dass der Kläger als Juniorchef im elterlichen Betrieb bereits in nennenswertem Umfang Führungsaufgaben wahrgenommen hat. Denn nach den Angaben des unabhängigen Zeugen Y hat der Kläger zwar Arbeitsabläufe koordiniert, war Ansprechpartner etwa bei Problemen in der Produktion und der Urlaubsplanung. Hierbei handelt es sich nach Ansicht der Kammer jedoch nicht um Führungsaufgaben, für die Kenntnisse und Fähigkeiten erforderlich waren, die über diejenigen eines gelernten angestellten Bäckers hinausgehen. So ist es etwa auch für einen mehrere Jahre im Betrieb tätigen angestellten Bäckergesellen nicht unüblich, dass dieser die Arbeitsabläufe koordiniert und ungelernte und in der Ausbildung befindliche Mitarbeiter einsetzt. Hieran ändert auch nichts der Umstand, dass der Zeuge L seinen Sohn bei Personal- oder Investitionsentscheidungen einbezogen hat.

b)

Nach den eingereichten Verdienstbescheinigungen hat der Kläger während seiner Tätigkeit als angestellter Bäcker im Jahr 2019 ein Jahresbruttoentgelt von 37.944,09 EUR mit Zulagen verdient, was einem monatlichen Bruttoverdienst von ca. 3200 EUR entspricht. Entsprechend seiner zur Akte gereichten Bescheinigung verdient der Kläger derzeit als Regierungsbeschäftigter 2601 EUR brutto monatlich.

Der derzeitige Verdienst ist dementsprechend rund 18 % geringer als sein früheres Gehalt.

Entgegen der Auffassung des Beklagten sind bei der Vergleichsbetrachtung der Entgelte die Zulagen, die der Kläger in seinem Beruf als Bäcker erhalten hat, zu berücksichtigen, weil es sich um regelmäßig gezahlte Zulagen, etwa für Nachtarbeit gehandelt hat, welche den Verdienst und damit die Lebensstellung des Klägers vor seiner Erkrankung dauerhaft geprägt haben.

Darüber hinaus sind entgegen der Ansicht der Beklagten ein höherer Freizeitanteil und Arbeitserleichterungen im Nachprüfungsverfahren bei der Frage der Verweisungstätigkeit nicht zu berücksichtigen (BGH, Urteil vom 07.12.2016 -IV ZR 434/15- juris). Denn eine solche Verrechnung von Freizeit und Arbeitserleichterungen mit der Einkommensdifferenz ist mit dem Zweck der Berufsunfähigkeitsversicherung nicht vereinbar. Zwar bildet nicht allein die Gleichheit des durch Arbeit erzielten Einkommens den Vergleichsmaßstab, sondern die Vergleichbarkeit der Lebensstellung, die sich ein Versicherter aufgrund seiner beruflichen Tätigkeit verschafft oder verschaffen kann. Durch das Fehlen von Erschwernissen, wie etwa Nachtarbeit oder Überstunden, wird die Lebensstellung in diesem Sinne aber ebenso wenig geprägt wie durch zusätzliche Freizeit. Beim Einkommensvergleich kommt es entscheidend auf die Sicherstellung der bisherigen Lebensumstände an. Die Berufsunfähigkeitszusatzversicherung soll für den Versicherten erkennbar seinen individuellen und sozialen Abstieg im Berufsleben und in der Gesellschaft verhindern. Ein solcher Abstieg wird nicht durch mehr Freizeit und das Fehlen von Erschwernissen am Arbeitsplatz vermieden, sondern dadurch, dass dem Versicherten weiterhin die finanziellen Mittel zur Verfügung stehen, die die Aufrechterhaltung des in gesunden Tagen durch den früheren Beruf erreichten Lebensstandards ermöglichen. Demnach ist der Vorteil größerer Freizeit angesichts des Zwecks der Berufsunfähigkeitsversicherung, den Unterhalt des Versicherten und gegebenenfalls seiner Familie auch in Zeiten der Krankheit sicherzustellen, nicht zu berücksichtigen (BGH, am angegebenen Ort, juris Rn. 25 mit weiteren Nachweisen).

Gleichwohl steht die Einkommensabsenkung von 17,7 % einer Verweisung des Klägers nicht entgegen. Dabei kann dahinstehen, ob die in § 2 Abs. 3 BUZB getroffene Regelung hinsichtlich der zumutbaren Einkommensreduzierung wegen der dort genannten starren Prozentgrenzen gemäß § 307 BGB eine unangemessene Benachteiligung des Versicherungsnehmers darstellt und deshalb unwirksam ist. Denn für die Frage der Zumutbarkeitsgrenze bei Einkommenseinbußen im Verweisungsberuf haben sich in der Rechtsprechung grobe Richtwerte herausgebildet. So wird bei einer Absenkung des Lohnniveaus von 10 % eine Gleichwertigkeit der Lebensstellung in der Regel bejaht. Bei einer Absenkung von bis zu 20 % ist die Gleichwertigkeit der Lebensstellung fraglich, wobei eine deutliche Tendenz zur Gleichwertigkeit besteht. Bei einer Absenkung um bis zu 30 % gilt dasselbe mit einer deutlichen Tendenz zur Ungleichwertigkeit (vgl. OLG Celle, Urt. v. 22.05.2017 -8 U 59/17- juris Rn 32 m.w.N.)

Die Zumutbarkeit ist dabei vom jeweiligen Einzelfall, insbesondere der Einkommenshöhe, abhängig.

Bei einem durchschnittlichen Bruttoverdienst von ca. 3200 EUR monatlich hält die Kammer eine Absenkung auf 2601 EUR zur Wahrung der Lebensstellung noch für zumutbar. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Berufsunfähigkeitszusatzversicherung weder ein unveränderliches Einkommens- und Lohnniveau noch eine in allen Beziehungen dem bisherigen Beruf entsprechende Erwerbstätigkeit garantiert. Da der Kläger nach den Versicherungsbedingungen auf die Ausübung eines Vergleichsberufes verwiesen werden kann, müssen gewisse Umstellungen – auch finanzieller Art- hingenommen werden (vgl. BGH VersR 86, 1113, 1115). Im vorliegenden Fall ist die Einkommensabsenkung für den Kläger zwar spürbar, jedoch nicht so gravierend, dass sie mit einem sozialen Abstieg verbunden ist.

c)

Schließlich bedeutet die Tätigkeit als Regierungsbeschäftigter für den Kläger auch kein spürbares Absinken der sozialen Wertschätzung.

Insoweit ist das soziale Ansehen des Klägers als Regierungsbeschäftigter im öffentlichen Dienst mit dem seiner Tätigkeit als Bäcker zu vergleichen. Dabei kommt es auf die Sicht der Öffentlichkeit an (OLG Düsseldorf, Urteil vom 09.11.2010 -4 U 51/10-, juris).

Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme steht zur Überzeugung der Kammer fest, dass konkrete Aussichten für den Kläger bestanden haben, die vom Zeugen L geführte Bäckerei zu übernehmen. Denn der Zeuge L hat glaubhaft bekundet, dass er aus Altersgründen beabsichtigt habe, sich aus der Leitung des Familienbetriebes zurückzuziehen und die Bäckerei seinem Sohn, dem Kläger, zu übertragen. Aus diesem Grunde sei für seinen Sohn eine hervorgehobene Altersversorgung abgeschlossen und dieser auf seine Rolle als künftiger Betriebsinhaber vorbereitet worden. Zwar hat der Zeuge als naher Angehöriger des Klägers ein gewisses Interesse am Ausgang des Rechtsstreits. Dieses bietet jedoch für sich genommen noch keinen Anlass an der Richtigkeit der Aussage zu zweifeln. Denn auch der weitere Zeuge Y hat bekundet, dass für ihn bei Aufnahme seiner Tätigkeit im Betrieb im Jahre 2018 bereits klar gewesen sei, dass der Kläger die Betriebsnachfolge übernehmen werde. Dies habe sich insbesondere daraus ergeben, dass der Kläger seinen Vater bei Abwesenheit vertreten, organisatorische Angelegenheiten geregelt habe und bei Personalengpässen auch nach Arbeitsschluss überall eingesprungen sei.

Der Kläger hatte damit nach Überzeugung der Kammer real die Möglichkeit, den elterlichen Betrieb zu übernehmen.

Allerdings hat der Kläger keine mit dieser Position verbundenen konkreten Aufgaben wahrgenommen, die ihn auch nach außen als künftigen Betriebsinhaber hätten erkennen lassen. Seine Position im Familienbetrieb beschränkte sich nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme darauf, dass er als Sohn des Betriebsinhabers im Zeitpunkt des Eintritts der Berufsunfähigkeit die konkrete Aussicht darauf hatte, den Betrieb zu einem späteren Zeitpunkt übernehmen zu können. Dies hat jedoch noch nicht die Wertschätzung des Klägers in der Öffentlichkeit, auf deren Sicht es maßgeblich ankommt, beeinflusst. Denn nach außen hin war die Tätigkeit des Klägers geprägt durch seine eigene körperliche Mitarbeit in der Produktion. Er hat die typischen Tätigkeiten eines mehrjährig tätigen angestellten Bäckers wahrgenommen, ohne dass er öffentlich wahrnehmbar die soziale Stellung eines künftigen Unternehmensnachfolgers bekleidet hätte.

Gemessen an der bisherigen Lebensstellung des Klägers und seinem sozialen Ansehen als angestellten Bäcker mit konkreten Aussichten zur Übernahme des Familienbetriebes ist die Kammer der Auffassung, dass eine gegenüber einem Angestellten im öffentlichen Dienst abgehobene soziale Stellung nicht feststellbar ist. Denn aus der maßgeblichen Sicht der Öffentlichkeit hat der Kläger eine überwiegend belastende körperliche Tätigkeit mit ungünstigen Arbeitszeiten wahrgenommen. Hieran hätte sich auch im Falle einer Übernahme des Familienbetriebes, in dem auch der Vater als bisheriger Betriebsinhaber umfangreich selbst in der Produktion körperlich mitarbeitet hat, wenig geändert. Dass demgegenüber dem Kläger in seiner Tätigkeit als Regierungsbeschäftigter im öffentlichen Dienst mit regelmäßigen Arbeitszeiten und einem vergleichsweise sicheren Arbeitsplatz eine deutlich geringere Wertschätzung zukommt, kann nicht festgestellt werden.

2.

Da der Kläger keine weiteren Leistungsansprüche aus der Berufsunfähigkeitszusatzversicherung hat, sind auch die von ihm geltend gemachten Nebenansprüche unbegründet.

II.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO, der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf § 709 ZPO.

Der Streitwert wird auf 75.814,00 EUR festgesetzt.

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