LG Karlsruhe – Az.: 9 S 460/13 – Urteil vom 23.05.2014
1. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Amtsgerichts Karlsruhe vom 13.09.2013 – 1 C 142/13 – im Kostenpunkt aufgehoben und im Übrigen wie folgt abgeändert:
Die Beklagte wird verpflichtet dem Kläger vertragsgemäß Deckungsschutz zu gewähren aus Anlass des Schadensereignisses vom 10.01.2013 gegen 16.00 Uhr im Anwesen ….
2. Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
4. Der Streitwert für die Berufung wird auf EUR 1.669,98 festgesetzt.
Gründe
I.
Der Kläger nimmt die Beklagte auf Gewährung von Versicherungsschutz aus einer zwischen den Parteien bestehenden Privathaftpflichtversicherung in Anspruch. Der Kläger macht geltend, er habe anlässlich eines Reifenwechsels in der Hobbywerkstatt von … die dort befindliche Hebebühne beschädigt. Im Zuge der Demontage der Reifen habe er einen Reifen im Lot eines Hebearms abgelegt, was dazu geführt habe, dass beim Herunterlassen der Hebebühne der Tragarm auf den Reifen getroffen sei, wodurch es zum Verbiegen des Tragarms und der Spindel gekommen sei. Zwischen den Parteien ist streitig, ob dieser angezeigte Schaden an der Hebebühne in der Privathaftpflicht versichert ist oder wegen der sogenannten „Benzinklausel“ vom Versicherungsschutz ausgenommen ist.
Das Amtsgericht hat die Klage abgewiesen. Ein Anspruch auf Gewährung von Deckungsschutz bestehe nicht, weil der geschilderte Schaden nicht vom Versicherungsschutz umfasst sei. Nach den vertraglichen Vereinbarungen sei die Haftpflicht des Eigentümers, Besitzers, Halters oder Führers eines Kraftfahrzeugs wegen Schäden, die durch den Gebrauch des Fahrzeugs verursacht worden seien, nicht versichert. Der Gebrauchsbegriff sei in dem Sinne weit auszulegen, dass das Fahrzeug für die schadensstiftende Verrichtung, aktuell, unmittelbar, zeitlich und örtlich nahe eingesetzt worden sei. Auch Reparaturarbeiten, wie vorliegend ein Reifenwechsel, seien dem Gebrauch des Fahrzeugs zuzurechnen. Die Arbeiten am Fahrzeug hätten in unmittelbarem Zusammenhang mit einer beabsichtigten Fahrt gestanden. Genau dabei sei es zum Eintritt des Schadens gekommen, wobei sowohl das Fahrzeug durch sein Gewicht als auch ein Teil des Fahrzeugs – abmontierter Reifen – maßgeblich am Schaden der Hebebühne mitgewirkt hätten.
Mit der Berufung verfolgt der Kläger sein erstinstanzliches Begehren auf Gewährung von Versicherungsschutz weiter. Rechtsfehlerhaft habe das Amtsgericht den Gebrauchsbegriff zu weit ausgelegt. Zwar könnten auch bereits Vorbereitungshandlungen für das Ingangsetzen als „Gebrauch des Fahrzeugs“ ausreichen. Erforderlich sei jedoch weiter, dass sich bei diesen Vorbereitungshandlungen die besonderen Gefahren des Fahrzeugs ausgewirkt hätten. Vorliegend sei der Schaden an der Hebebühne jedoch nicht durch das Fahrzeug verursacht worden, sondern durch eine Fehlbedienung der Hebebühne, indem der Kläger den Aktionsbereich der Tragarme nicht hinreichend überwacht habe, weil er nämlich übersehen habe, dass ein Tragarm beim Absenken auf einen Reifen stoße. Das Gewicht des Fahrzeugs auf der Hebebühne sei dagegen nicht schadensursächlich geworden. Zum Schaden wäre es auch gekommen, wenn das Fahrzeug sich nicht auf der Hebebühne befunden hätte. Zudem handle es sich beim Gewicht des Fahrzeugs nicht um ein kraftfahrzeugtypisches Risiko i. S. der Versicherungsbedingungen. Eine Fehlbedienung der Hebebühne könne ohnehin nicht als Reparatur bzw. Instandsetzungsmaßnahme des Fahrzeugs angesehen werden.
Die Beklagte verteidigt unter Wiederholung und Vertiefung ihres Vortrags erster Instanz das amtsgerichtliche Urteil. Zutreffend habe das Amtsgericht erkannt, dass der Begriff des Fahrzeuggebrauchs weiter auszulegen sei als der Begriff des Betriebs eines Fahrzeugs i.S. von § 7 StVG. Die vom Amtsgericht vorgenommene Auslegung der Versicherungsklausel stehe in Übereinstimmung mit der herrschenden Rechtsprechung. Vorliegend sei der Reifenwechsel eine unmittelbare Vorbereitung für den Gebrauch des Fahrzeugs. Auch habe sich eine Gefahr verwirklicht, die dem Gebrauch des an der Schadensentstehung beteiligten Fahrzeugs selbst unmittelbar zuzurechnen sei. Diese folge schon aus der körperlichen Beteiligung des Fahrzeugs, indem nämlich dessen Gewicht zur Schadensentstehung unmittelbar beigetragen habe. Es sei zu bestreiten, dass der Schaden durch eine Fehlbedienung der Hebebühne durch den Kläger verursacht worden sei. Dieser Vortrag erfolge erstmals im Berufungsverfahren und sei somit nach § 531 ZPO zurückzuweisen.
Bezüglich des weiteren beiderseitigen Vorbringens wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
II.
Die Berufung des Klägers ist zulässig und hat auch in der Sache Erfolg.
Die Beklagte ist gemäß § 1 VVG verpflichtet, dem Kläger vertragsgemäß Deckungsschutz aus Anlass des Schadensereignisses vom 10.01.2013 beim Absenken der Hebebühne zu gewähren. Für den streitgegenständlichen Schadensfall besteht Versicherungsschutz in der bei der Beklagten unterhaltenen Privathaftpflichtversicherung. Es besteht keine Haftungsbeschränkung gemäß § 2 Nr. 2c (Benzinklausel) der Allgemeinen Haftpflicht-Versicherungsbedingungen (AHB 2008).
Danach erstreckt sich der Versicherungsschutz nicht auf Schäden, die durch den Gebrauch des Fahrzeugs verursacht werden. Sinn und Zweck dieser sogenannten „Benzinklausel“ ist, Überschneidungen zwischen von der Kraftfahrzeughaftpflicht gedeckten Versicherungsfällen und solchen, für die die Privathaftpflicht eintritt, zu vermeiden. Diese Klausel ist nicht anders auszulegen als Versicherungsbedingungen im Allgemeinen, nämlich so, wie ein durchschnittlicher Versicherungsnehmer diese Bestimmung bei verständiger Würdigung, aufmerksamer Durchsicht und unter Berücksichtigung des erkennbaren Sinnzusammenhangs verstehen muss. Dabei kommt es auf die Verständnismöglichkeiten eines Versicherungsnehmers ohne versicherungsrechtliche Spezialkenntnisse und damit – auch – auf seine Interessen an (BGHZ 123, 83,85). Als Ausschlussklausel ist sie grundsätzlich eng und nicht weiter auszulegen, als es ihr Sinn unter Beachtung ihres wirtschaftlichen Zwecks und der gewählten Ausdrucksweise erfordert. Denn der durchschnittliche Versicherungsnehmer braucht nicht damit zu rechnen, dass er Lücken im Versicherungsschutz hat, ohne dass ihm diese hinreichend verdeutlicht werden (st. Rspr., BGH, VersR 2003, 1389 unter 2 b m.w.N.)
Die Klausel in der Privathaftpflicht nimmt vom Versicherungsschutz die Haftpflicht des Eigentümers, Besitzers, Halters oder Führers eines Kraftfahrzeugs wegen Schäden aus, „die durch den Gebrauch des Fahrzeugs verursacht werden“. Es muss sich also eine Gefahr verwirklicht haben, die gerade dem Fahrzeuggebrauch eigen ist, diesem somit selbst und unmittelbar zuzurechnen ist (BGH, VersR 1994, 83 unter 3 a).Mit der Ausschlussklausel soll ein Risiko aus dem Bereich der Privathaftpflicht ausgenommen werden, das typischerweise dem Risikobereich der Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherung zuzuordnen ist. Das wird auch der verständige Versicherungsnehmer bedenken; er wird Versicherungsschutz für das mit dem Gebrauch eines Kraftfahrzeugs verbundene Risiko in der Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherung erwarten. Insoweit erkennt ein Versicherungsnehmer, dass mit der Benzinklausel grundsätzlich vom Versicherungsschutz ausgenommen werden soll, was als typisches Kraftfahrzeuggebrauchsrisiko in der Kfz-Haftpflicht versicherbar ist. Damit sollen einerseits Doppelversicherungen, andererseits aber auch Deckungslücken vermieden werden.
Das Amtsgericht hat zutreffend ausgeführt, dass ein Gebrauch des Fahrzeugs auch anzunehmen sein kann, wenn noch kein “ unmittelbarer Betrieb“ des Fahrzeugs vorliegt, sondern nur Vorbereitungshandlungen zu einem bevorstehenden Fahrtantritt getroffen werden. Dies gilt jedenfalls dann, wenn es sich um solche Tätigkeiten handelt, die dem Kreis der Verrichtungen eines Fahrers zuzurechnen sind und im Zusammenhang mit einer konkreten Fahrt vorgenommen werden, bei der die in Anspruch genommene Person das Fahrzeug lenken soll. Damit können grundsätzlich auch Reparaturarbeiten dem Gebrauch des Fahrzeugs zuzurechnen sein (BGH, VersR 1988, 1283; OLG Hamm, ZfSch 1993, 312).
Die Anwendung der Benzinklausel setzt jedoch weiter voraus, dass das Fahrzeug im Zusammenhang mit der schadensstiftenden Verrichtung aktuell, unmittelbar, zeitlich und örtlich nahe eingesetzt wird, also sich dabei ein spezifisches Risiko des Kfz-Gebrauchs verwirklicht oder die Gefahr vom Fahrzeug selbst ausgeht (OLG Karlsruhe, Urteil vom 28.04.2005, 19 U 33/05)
Unter Anwendung dieser Grundsätze findet der Haftungsausschluss vorliegend keine Anwendung. Zwar mag der vorgenommene Reifenwechsel der Vorbereitung des Einsatzes des Fahrzeugs zu seinem typischen Verwendungszweck, nämlich dessen Gebrauch durch den Kläger als Fahrzeugführer gedient haben. Gleichwohl hat der Kläger aber nicht das Fahrzeug gebraucht, sondern lediglich eine nicht zum Fahrzeug gehörende Hebebühne beim Reifenwechsel zum Einsatz gebracht. Es hat sich also nicht das Gebrauchsrisiko des Fahrzeugs, sondern ein Risiko der Hebebühne realisiert, indem es zu einer Beschädigung des Tragarms und des Gewindes gekommen ist, weil sich die Hebebühne durch ein Hindernis – Reifen – nicht gleichmäßig absenken konnte. Nach Auffassung der Kammer ist dieser Fall mit dem vergleichbar, in welchem ein Heizlüfter zum Enteisen eines Fahrzeugs verwendet worden ist (BGH, NJW-RR 2007, 464 – 465). Dort hat der BGH ausgeführt, dass sich durch den Brand des Fahrzeugs nicht dessen spezifische Gefahr, sondern ein Risiko realisiert habe, das dem Gebrauch des Heizlüfters und nicht demjenigen des Fahrzeugs anhafte. Auch vorliegend hat sich nicht das vom Fahrzeug ausgehenden typische Kraftfahrzeuggebrauchsrisiko verwirklicht, sondern ein Risiko im Zusammenhang mit dem Gebrauch der Hebebühne. Dabei kann nach Auffassung der Kammer für die Entscheidung dahingestellt bleiben, ob sich bei der Schadensentstehung auch das Gewicht des Fahrzeugs auf der Hebebühne ausgewirkt hat – dies ist zwischen den Parteien streitig. Selbst wenn dies der Fall sein sollte, also beim Absenken der Hebebühne auch das Gewicht des Fahrzeugs bei der Verformung eines Tragarmes und des Gewindes mitursächlich gewesen wäre, hätte sich damit jedoch keine fahrzeugtypische Gefahr verwirklicht, da die Schwerkraft eines Gegenstandes kein kraftfahrzeugtypisches Risiko darstellt. Vielmehr hat sich eine Gefahr aus der Bedienung der Hebebühne verwirklicht, nämlich ein Absenken ohne hinreichende Beachtung des Aktionsbereichs unter den Tragarmen.
Der Klage war daher antragsgemäß stattzugeben.
III.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 ZPO; die Entscheidung hinsichtlich der vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf § 708 Nr. 10 ZPO.
Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 543 Abs. 2 ZPO liegen nicht vor.