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Berufsunfähigkeitsversicherung – fehlende psychopathologische Befunde

Der lange Weg durch die Instanzen: Ein Kampf um die Berufsunfähigkeitsversicherung

Es ist ein komplexer Fall, der sich um die Bedingungen der Berufsunfähigkeitsversicherung dreht. In der Auseinandersetzung zwischen einem ehemaligen Bankkaufmann und seiner Versicherung geht es um die Frage, ob der Kläger aufgrund seiner psychischen Erkrankung als berufsunfähig gilt und somit die vereinbarte Versicherungsleistung beanspruchen kann. Trotz seines fortgesetzten Kampfes für seine Rechte, sieht es so aus, als ob das Gericht, der Ansicht des Versicherers folgen wird.

Direkt zum Urteil Az: 6 U 1008/20 springen.

Die Auseinandersetzung

Der Kläger, ein ehemaliger Bankkaufmann, der zuletzt bei der D. GmbH tätig war, hatte eine Berufsunfähigkeitsversicherung abgeschlossen. Nachdem er aufgrund einer schweren psychischen Erkrankung lange Zeit krankgeschrieben war, beendete er sein Arbeitsverhältnis. Er verlangte von seiner Versicherung die vereinbarten Leistungen ab Dezember 2015, da er sich für berufsunfähig hielt.

Die Versicherung hingegen lehnte die Leistung ab und bestand darauf, dass der Kläger nicht berufsunfähig sei.

Beweiserhebung und erstinstanzliches Urteil

Das Landgericht Berlin wies die Klage ab und erhob Beweise durch die Einholung eines schriftlichen Sachverständigengutachtens. Der Sachverständige, Dr. K., kam zu dem Schluss, dass der Kläger nicht berufsunfähig sei.

Der Kläger wandte sich daraufhin mit seiner Berufung gegen dieses Urteil und rügte sowohl die Beweiswürdigung des Landgerichts als auch mehrere Verfahrensfehler.

Berufung und Kritik am Verfahren

Der Kläger kritisierte, dass das Gericht den als Zeugen angebotenen Dr. L. nicht vernommen habe. Außerdem hätte es die für den Sachverständigen nicht vollständig lesbaren handschriftlichen Aufzeichnungen des Dr. L. in leserlicher Form einreichen sollen. Er bemängelte auch, dass das Gutachten sich nicht hinreichend mit den Gutachten der Dr. R. und des Dr. W. auseinandersetzte.

Antizipierte Entscheidung des Berufungsgerichts

Trotz der Berufung und der Kritik des Klägers an dem Verfahren scheint der Senat geneigt zu sein, die Berufung gemäß § 522 Abs. 2 ZPO einstimmig zurückzuweisen. Damit würde der Kläger keinen Anspruch auf die von ihm geforderten Versicherungsleistungen haben.

Die endgültige Entscheidung des Gerichts steht noch aus, jedoch scheint es nach der aktuellen Bewertung des Falls eher unwahrscheinlich, dass der Kläger erfolgreich sein wird.


Das vorliegende Urteil

KG Berlin – Az.: 6 U 1008/20 – Beschluss vom 16.02.2021

Der Senat hat nunmehr über die Berufung des Klägers gegen das Urteil der Zivilkammer 24 des Landgerichts Berlin vom 27. Februar 2020 beraten und beabsichtigt im Ergebnis, die Berufung durch einstimmigen Beschluss gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen.

Gründe

I.

Der Kläger war als Bankkaufmann, zuletzt in der Zeit vom 1. Juli 1991 bis 30. April 2015 bei der D. GmbH in F. beschäftigt. Das Arbeitsverhältnis endete nach längerer Krankschreibung des Klägers durch einen Aufhebungsvertrag. Aus seinen früheren Dienstverhältnissen und seiner eigenen Beitragszahlung ab dem 1. Dezember 2012 resultiert eine Anwartschaft auf Versicherungsleistungen des Beklagten für den Fall der Berufsunfähigkeit. Der Kläger begehrt ab Dezember 2015 die vereinbarte Leistung und macht geltend, bedingungsgemäß berufsunfähig zu sein. Er leide an einer anhaltenden rezidivierenden Störung, die sich insbesondere in Antriebsstörung, sozialem Rückzug, depressiver Grundstimmung, innerer Unruhe, reduziertem Selbstwertgefühl, pessimistischer Zukunftsperspektive und Interessenverlust äußere. Maßgebliche Einschränkungen lägen im Bereich Aufmerksamkeit, Merkfähigkeit, Durchhaltevermögen und Arbeiten unter Zeitdruck vor. Er sei zu mehr als 50% nicht mehr in der Lage seine berufliche Tätigkeit, die er in der Klageschrift und im Schriftsatz vom 27. September 2017 beschrieben hat (Bl. 74 – 76 d. A.) auszuüben.

Der Beklagte bestreitet das Vorliegen von Berufsunfähigkeit und verweigert die Zahlung der vereinbarten Leistungen.

Zu den Einzelheiten des streitigen Sachverhalts im ersten Rechtszug sowie zum streitigen Vorbringen und den vor dem Landgericht gestellten Anträgen wird auf den Tatbestand der angefochtenen Entscheidung verwiesen.

Das Landgericht hat mit Beschluss vom 28. November 2017 (Bl. 84 d. A.), auf dessen Inhalt verwiesen wird, Beweis erhoben durch Einholung eines schriftlichen Sachverständigengutachtens. Zum Ergebnis der Beweisaufnahme wird auf das Gutachten des Sachverständigen Dr. K. vom 13. Juli 2018 sowie die ergänzenden Stellungnahmen vom 13. Februar 2019 – zum Inhalt der vorgelegten Behandlungsunterlagen des Facharztes für Psychiatrie Dr. L. – sowie vom 23. Mai 2019 verwiesen.

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen und in Übereinstimmung mit den Ausführungen des Sachverständigen Dr. K. nicht die Überzeugung vom Vorliegen von Berufsunfähigkeit beim Kläger gewinnen können. Zu den Einzelheiten der Begründung wird auf die Entscheidungsgründe der angefochtenen Entscheidung verwiesen.

Gegen dieses Urteil wendet sich der Kläger mit seiner Berufung, mit der er sein Klagebegehren in vollem Umfang weiterverfolgt. Er wendet sich gegen die Beweiswürdigung des Landgerichts und rügt als Verfahrensfehler, dass das Landgericht den als Zeugen angebotenen Dr. L. nicht vernommen habe. Es habe es auch fehlerhaft unterlassen, die für den Sachverständigen nicht vollständig lesbaren handschriftlichen Aufzeichnungen des Dr. L. in leserlicher Form einreichen zu lassen. Das Sachverständigengutachten setze sich nicht hinreichend mit den Gutachten der Dr. R. und des Dr. W. auseinander. Schließlich habe der Sachverständige die Frage nicht beantwortet, ob möglicherweise eine entlastende Situation für den Kläger durch den Bezug zweier Renten eingetreten sei.

Der Kläger beantragt, das angefochtene Urteil zu ändern und den Beklagten zu verurteilen,

1. an den Kläger 13.720,95 EUR aus dem Leistungsplan A des Versicherungsvertrages mit der Versicherten-Nummer 0859053-5 nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ab Rechtshängigkeit zu zahlen,

2. an den Kläger 4.686,00 EUR Beitragserstattung zum dem Versicherungsvertrag mit der Versicherten-Nummer 0859053-5 nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ab Rechtshängigkeit und eine weitere Beitragserstattung in Höhe von 12.496,00 EUR zu zahlen,

3. an den Kläger monatlich im Voraus ab 1. März 2017 längstens bis 29. April 2028, Berufsunfähigkeitsrente entsprechend der vertraglichen Vereinbarung zur Versicherten-Nummer 0859053-5 in Höhe von monatlich 914,73 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten ab dem 01. des betreffenden Monats zu zahlen.

Der Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Der Beklagte hält das angefochtene Urteil für zutreffend und die Berufungsangriffe für unbegründet.

Zu den Einzelheiten des Parteivorbringens wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlage verwiesen.

II.

Die Berufung des Klägers ist zwar zulässig, sie hat aber in der Sache keinen Erfolg.

Die Berufung kann gemäß § 513 Abs. 1 ZPO nur darauf gestützt werden, dass die angefochtene Entscheidung auf einer Rechtsverletzung beruht oder gemäß § 529 ZPO zu berücksichtigende Tatsachen eine andere Entscheidung rechtfertigen.

Beide Voraussetzungen liegen offensichtlich nicht vor.

1) Dem Landgericht ist kein Verfahrensfehler unterlaufen. Es hat weder die Pflicht zur Sachaufklärung verletzt, noch hat es einen gebotenen rechtlichen Hinweis unterlassen. Auch eine Vernehmung des den Kläger behandelnden Facharzt für Psychiatrie Dr. L. war nicht erforderlich.

a) Das Landgericht musste nicht für eine vollständige Transkription der Unterlagen des Dr. L. sorgen, weil der Sachverständige Dr. K. einzelne handschriftliche Notate des Dr. L. nicht vollständig lesen konnte. Denn der Sachverständige konnte trotzdem erkennen, dass diesen Unterlagen keine Dokumentation über die fortlaufende Erhebung psychopathologischer Verlaufsbefunde betreffend den Kläger zu entnehmen ist.

Bei dieser Sachlage wäre es Sache des Klägers gewesen, dem eine verlängerte Stellungnahmefrist bis zum 21. März 2019 eingeräumt worden war, detailliert darzulegen, an welchen Stellen der eingereichten Unterlagen sich Befunddokumentationen durch Dr. L. befinden sollen. Allenfalls unter dieser Voraussetzung hätte für das Landgericht, bei dem sich die Behandlungsunterlagen nunmehr befanden, eine Veranlassung bestanden, diese an den Kläger mit der Auflage zur Transkription der handschriftlichen Notizen des Dr. L. zu übersenden. Der Kläger hat jedoch im Schriftsatz vom 21. März 2019 selbst eingeräumt, dass sich eine solche Dokumentation der Befunde des psychopathologischen Krankheitsverlaufs nicht in den Unterlagen befinden. Er hat das Fehlen dieser Dokumentation damit begründet, dass die psychopathologische Situation des Klägers sich im Behandlungszeitraum nicht wesentlich verändert hat und durchgehend mindestens eine mittelgradige depressive Störung vorgelegen habe (Bl. 120 d.A.). Er hat dann zum Beweis die Vernehmung des Dr. L. als sachverständigen Zeugen beantragt und geltend gemacht, dass sich entsprechende Befunde aus den Gutachten der Dr. R. und des Dr. W. ergeben würden (Bl. 121 d.A.).

Der Kläger berücksichtigt bei seiner Argumentation nicht, dass sich die Frage ob sich die psychopathologische Situation des Klägers im Verlauf seiner Erkrankung verändert hat oder nicht, nur auf der Grundlage einer wiederkehrenden Befunderhebung und -auswertung durch den Behandler beantworten lässt. Denn genau diesem Ziel dient die Befunderhebung – dem Stellen einer Diagnose auf gesicherter Tatsachengrundlage. Es kann deshalb nicht argumentiert werden, eine Befunderhebung sei nicht nötig gewesen. Das Fehlen einer Dokumentation der Befunderhebung durch Dr. L. spricht nicht dafür, diese sei nur deswegen unterblieben, weil der psychopathologische Zustand über die Zeit gleichgeblieben sei. Denn das Unterbleiben der Dokumentation einer Befunderhebung kann auch schlicht darauf beruhen, dass eine solche Befunderhebung nicht erfolgt ist mit der Folge, dass der psychopathologische Zustand deshalb gerade nicht konkret im Verlauf als gleichbleibend festgestellt worden ist. Bei dieser Ausgangslage war es Sache des Klägers, durch Schilderung eines Sachverhalts darzulegen, dass eine Befunderhebung durch Dr. L. fortlaufend erfolgt ist und welche konkreten Feststellungen zu welchen Zeitpunkten auf welcher Grundlage von ihm getroffen wurden. Daran fehlt es hier. Nach dem Vortrag des Klägers kann deshalb allenfalls als gesichert gelten, dass der Kläger fortlaufend seine subjektiven psychischen Beschwerden inhaltlich gleich gegenüber Dr. L. schilderte. Dies kann als unstreitig angenommen werden.

Die Erhebung eines psychopathologischen Befundes ist jedoch nicht gleichzusetzen mit der Wiedergabe der Schilderungen des Klägers bei Behandlungs- oder Untersuchungsterminen. Die Schilderungen des Klägers über seinen von ihm empfundenen psychischen Zustand lassen allein keinen Schluss auf sein tatsächliches Leistungsvermögen am konkreten Arbeitsplatz zu. Entscheidend ist vielmehr die Überprüfung der Angaben des Patienten mit den zur Verfügung stehenden Mitteln darauf, ob das subjektiv empfundene Leistungsvermögen dem objektiv vorhandenen entspricht. Denn psychische Beeinträchtigungen sind zum Teil auch dadurch gekennzeichnet, dass das Selbstbild des Betroffenen deutlich schlechter ist als sein tatsächliches Leistungsvermögen (vgl. Saarländisches Oberlandesgericht Saarbrücken, Urteil vom 19. Mai 2010 – 5 U 91/08 – 10 –, Rn. 44, juris – zum Vorliegen einer Krankheit). Es kommt deshalb zumindest auch auf das bei den Terminen zu beobachtende Verhalten und den Ausdruck des Betroffenen an (Hanseatisches Oberlandesgericht in Bremen, Urteil vom 25. Juni 2010 – 3 U 60/09 –, Rn. 38, juris; KG Berlin, Beschluss vom 21. Oktober 2014 – 6 U 18/13 –, Rn. 16 – 17, juris), soll ein Befund erhoben werden.

Der psychopathologische Befund eines Arztes oder Therapeuten basiert bei psychischen Beeinträchtigungen, die der Patient schildert, zwar auch auf dessen Schilderungen (zur Bedeutung der Schilderung des Beschwerdebildes: BGH, Urteil vom 14. April 1999 – IV ZR 289/97 –, Rn. 15, juris). Die Befunderhebung bedingt jedoch auch – wie bei allen anderen beklagten Beschwerden – eine Überprüfung des Umfangs der Beeinträchtigungen und auch weitere Untersuchungen zur Ursachenklärung. Beispielsweise ist eine objektive Überprüfung erforderlich, wenn es um objektivierbare Beeinträchtigungen geht.

b) Eine Vernehmung des Dr. L. als Zeuge kommt nicht in Betracht. Der Kläger berücksichtigt nicht, dass Dr. L. als Zeuge nur das Vorliegen von Tatsachen bekunden dürfte, auch wenn die Feststellung dieser Tatsachen unter Umständen eine gewisse Sachkunde voraussetzt. Er kann jedoch nicht an die Stelle des Sachverständigen treten, der mit seiner Expertise vom Gericht zunächst festgestellte Tatsachen würdigen soll. Dr. L. dürfte als Zeuge nur die Richtigkeit des klägerischen Vortrages bezüglich erhobener Befundtatsachen bekunden. Sache des Sachverständigen Dr. K. ist die Beurteilung der Frage, ob diese psychopathologischen Befunde – bezogen auf den Zeitpunkt Dezember des Jahres 2015 oder danach – die Prognose rechtfertigten, dass ein voraussichtlich auf Dauer bestehender Gesundheitszustand beim Kläger vorliegt, der ihn zu mehr als 50% daran hindert, der vereinbarten beruflichen Tätigkeit als Bankkaufmann nachzugehen.

Die Tatsachen, die der Zeuge Dr. L. bekunden sollte – die von ihm erhobenen Befunde – werden jedoch nicht konkret vorgetragen, sondern müssten durch die Vernehmung des Zeugen Dr. L. erst ermittelt werden. Dies wäre ein im Zivilprozess unzulässiger Ausforschungsbeweis, dem nicht nachzugehen ist. Eines rechtlichen Hinweises bedurfte es nicht, denn der Sachverständige Dr. K. hatte in seiner zweiten ergänzenden sachverständigen Stellungnahme vom 23. Mai 2019 auf S. 3 oben ausgeführt, dass ohne Mitteilung der festgestellten Befundtatsachen von ihm die Richtigkeit des klägerischen Vortrages bezüglich der Berufsunfähigkeit nicht festgestellt werden kann.

2) Die Beweiswürdigung durch das Landgericht ist nicht zu beanstanden. Die Berufungsbegründung weckt keine Zweifel an der Richtigkeit der Tatsachenfeststellung im Sinne des § 529 ZPO.

Der Sachverständige Dr. K. hatte die Aufgabe, rückwirkend auf den Zeitpunkt des Dezember 2015 eine fiktive Prognose abzugeben, ob der Kläger auf Grund einer psychischen Erkrankung voraussichtlich auf Dauer außerstande sein würde, seine zuletzt ausgeübte Tätigkeit als Bankkaufmann weiter auszuüben. Dabei durften auch später gewonnene Erkenntnisse berücksichtigt werden, falls sie – bezogen auf den Zeitpunkt des Dezember 2015 – diese Prognose rechtfertigten. Der spätere Krankheitsverlauf ist für diese Prognose nicht heranzuziehen. Er ist nur insoweit von Bedeutung, als es um die Frage geht, dass die Prognose zu einem späteren Zeitpunkt möglicherweise gerechtfertigt war.

Der Sachverständige Dr. K., der den Kläger erst Jahre nach diesem Zeitpunkt persönlich untersuchen konnte, war deshalb auf die Unterlagen der Behandler und Vorgutachter angewiesen, aus denen sich die Erhebung des psychopathologischen Befundes im zeitlichen Verlauf der Behandlung ergibt.

Der Sachverständige hat auf Seite 19 seines Gutachtens vom 13. Juli 2018 genau dargestellt, welcher Irrtum bei der Erstellung eines Gutachtens zu vermeiden ist: Nicht eine vom Behandler gestellte Diagnose erlaubt einen Rückschluss auf Leistungseinbußen beim Versicherungsnehmer. Vielmehr ist festzustellen, welche psychopathologischen Befunde vorliegen, die zu erheblichen Funktionsstörungen in seelischen Teilfunktionen führen, aus denen dann wiederum Einschränkungen im Hinblick auf das konkrete Tätigkeitsprofil des Versicherungsnehmers in seiner letzten bzw. seiner versicherten beruflichen Tätigkeit gefolgert werden können.

a) Entgegen der Ansicht des Klägers hat sich der Sachverständige mit den Gutachten der Frau Dr. R. und des Dr. W. hinreichend auseinandergesetzt und überzeugend begründet, warum er deren Einschätzung einer beim Kläger vorliegenden Berufsunfähigkeit nicht teilt. Der Sachverständige Dr. K. hat sowohl in seinem Hauptgutachten als auch in der zweiten ergänzenden Stellungnahme deutlich gemacht, warum er bedingungsgemäße Berufsunfähigkeit beim Kläger ab dem geltend gemachten Zeitpunkt nicht feststellen kann. Er hat dabei die von den Gutachtern selbst erhobenen Befunde berücksichtigt, gleichwohl die Voraussetzungen einer Berufsunfähigkeit beim Kläger nicht bestätigen können. Den Senat überzeugt, dass eine solche Beurteilung die Auswertung von erhobenen Befunden über den psychopathologischen Zustand des Klägers im Verlauf der Krankheit voraussetzt. Daran fehlt es als Grundlage bei beiden genannten Gutachten. Hinzuweisen ist jedoch darauf, dass sowohl Dr. R. als auch Dr. W. von unzureichenden Behandlungsmaßnahmen in der Vergangenheit ausgehen und auch bei ihren Untersuchungen Einschränkungen der kognitiven Fähigkeiten beim Kläger nicht festgestellt haben (GA Dr. R., Seite 15; GA Dr. W., S. 21, S. 29 ff).

b) Zweifel an der Tatsachenfeststellung werden auch nicht durch den Vorwurf begründet, der Sachverständige habe bei der eigenen Untersuchung des Klägers nicht berücksichtigt, dass sich sein psychischer Zustand unter Umständen nur deswegen gebessert habe könnte, weil er zwei Renten als Einkommen beziehe. Der Kläger übersieht erstens, dass es keinen Vortrag dazu gibt, dass es ihm ohne den Bezug von Renten gesundheitlich schlechter gehen würde. Dies ist erkennbar eine reine Vermutung. Zweitens kann der Sachverständige bei seiner Begutachtung im Ergebnis der Untersuchung nur den bestehenden Zustand feststellen. Dieser ist unstreitig so, wie er vom Sachverständigen festgestellt wurde. Auf die Frage einer Entlastung durch den Bezug zweier Renten kommt es nicht an.

c) Der Senat hat darüber hinaus geprüft, ob sich Zweifel an der Sachverhaltsfeststellung des Landgerichts daraus ergeben, dass der Kläger ärztlicherseits ab Oktober 2012 für vollständig arbeitsunfähig an seinem bisherigen Arbeitsplatz bis zum Abschluss des Aufhebungsvertrages im Jahr 2015 gehalten wurde sowie aus der Einschätzung des Sachverständigen Dr. K., wonach sich eine chronische depressive Erkrankung entwickelt habe (S. 21 im SVGA vom 13. Juli 2018). Der Senat hat beraten, ob aus diesen Umständen die Schlussfolgerung zu ziehen ist, dass doch eine voraussichtlich auf Dauer bestehende Berufsunfähigkeit des Klägers gegeben ist. Zweifel an der Richtigkeit der Tatsachenfeststellung durch das Landgericht ergeben sich jedoch deswegen nicht, weil hier besondere Bedingungen vereinbart sind, die den Eintritt der Berufsunfähigkeit anders definieren, als dies in den üblichen Klauselwerken anderer Versicherer geschieht. Es ist erstens keine Fiktion vereinbart, wonach der Fortbestand eines Gesundheitszustandes des Versicherten, der für einen Zeitraum von sechs Monaten die Unfähigkeit zur Ausübung der bisherigen beruflichen Tätigkeit begründete, als Eintritt der Berufsunfähigkeit im Sinne der Bedingungen gilt.

Gemäß § 15 der hier vereinbarten AVB ist als berufsunfähig derjenige anzusehen, der durch körperliche Gebrechen oder wegen Schwäche seiner körperlichen oder geistigen Kräfte unfähig ist, eine seiner Vorbildung und seiner bisherigen Tätigkeit entsprechende Beschäftigung auszuüben. Berufsunfähigkeit ist anzunehmen, wenn die Berufsfähigkeit um mehr als die Hälfte herabgesetzt ist.

Nach der Legaldefinition in § 172 Abs. 2 VVG ist berufsunfähig, wer seinen zuletzt ausgeübten Beruf, so wie er ohne gesundheitliche Beeinträchtigung ausgestaltet war, infolge Krankheit, Körperverletzung oder mehr als altersentsprechendem Kräfteverfall ganz oder teilweise voraussichtlich auf Dauer nicht mehr ausüben kann. Gemäß § 172 Abs. 3 VVG kann als weitere Voraussetzung einer Leistungspflicht des Versicherers vereinbart werden, dass die versicherte Person auch keine andere Tätigkeit ausübt oder ausüben kann, die zu übernehmen sie auf Grund ihrer Ausbildung und Fähigkeiten in der Lage ist und die ihrer bisherigen Lebensstellung entspricht. In § 15 der AVB findet sich eine Kombination beider Voraussetzungen gemäß § 172 Abs. 2 und 3 VVG, indem nicht allein auf die konkrete bisherige Tätigkeit abgestellt wird, sondern die Leistungspflicht des Beklagten voraussetzt, dass der Versicherte eine Tätigkeit nicht mehr ausüben kann, die seiner Vorbildung und seiner bisherigen beruflichen Tätigkeit „entspricht“. Damit ist eine abstrakte Verweisungsmöglichkeit auf eine dem bisherigen Beruf vergleichbare Tätigkeit vereinbart.

Es fehlt in § 15 AVB die Voraussetzung eines voraussichtlichen Dauerzustandes der gesundheitlichen Beeinträchtigungen. Das Landgericht hat zutreffend mit Hinweis vom 25. August 2017 (Bl. 71 d.A.) darauf hingewiesen, dass die gesetzliche Regelung des § 172 Abs. 2 VVG in der Weise ergänzend Anwendung findet, dass es auf eine rückschauend zu stellende Prognose ankommt, ob der Zustand des Klägers im Zeitpunkt des begehrten Leistungsbeginns – Dezember 2015 – voraussichtlich auf Dauer bestehen wird.

Für die Entscheidung des vorliegenden Rechtsstreits ist dementsprechend nicht auf die konkrete Situation am bisherigen Arbeitsplatz abzustellen, sondern auf eine vergleichbare Tätigkeit als Bankkaufmann bei einem anderen Arbeitgeber an einem vergleichbaren Arbeitsplatz. Da die depressive Entwicklung beim Kläger jedoch nach dessen Schilderungen bei den Gutachtern durch eine Überforderung am alten Arbeitsplatz durch den Arbeitgeber, Mobbing durch Kolleginnen und eine Kränkung durch Vorgesetzte ausgelöst wurde, ist die dadurch eingetretene Unfähigkeit des Klägers, an den bisherigen Arbeitsplatz zurückzukehren, nicht gleichzusetzen mit einer Berufsunfähigkeit des Klägers auch an einem anderen vergleichbaren Arbeitsplatz ohne die konkreten Erschwernisse durch das persönliche Umfeld am letzten Arbeitsplatz.

Lässt man bei der gebotenen Beurteilung der Leistungsfähigkeit des Klägers außer Betracht, dass er möglicherweise vom Arbeitgeber bewusst überfordert und unter Stress gesetzt wurde, und unterstellt man weiterhin ein unbelastetes Arbeitsklima an einem neuen Arbeitsplatz, ist nicht ersichtlich, warum der Kläger bei den von ihm geschilderten gesundheitlichen Einschränkungen nur zu unter 50% in der Lage sein sollte, als Bankkaufmann in einem vergleichbaren Aufgabengebiet weiterhin tätig zu sein.

Der Kläger hat in der Klageschrift vorgetragen, dass er an einer anhaltenden rezidivierenden depressiven Störung leide. Diese äußere sich insbesondere in Antriebstörung, sozialem Rückzug, depressiver Grundstimmung, innerer Unruhe, reduziertem Selbstwertgefühl, pessimistischer Zukunftsperspektive und Interessenverlust. Trotz einer seit Oktober 2012 durchgehend erbrachten psychiatrischen Behandlung habe sich der Gesundheitszustand des Klägers nicht wesentlich gebessert (Bl. 3 d. A.). Zur beruflichen Tätigkeit ist angegeben, dass der Kläger zuletzt als Bankkaufmann tätig war, wobei 15% der Arbeitszeit auf das Erstellen von gesetzlichen Berichten für institutionelle Kunden entfielen. Weitere 15% seien für das Erstellen anderer Berichte aufzuwenden gewesen. Ca. 40% der Gesamttätigkeit habe das Bearbeiten von Kundenanfragen – auch durch telefonische Kontakte – ausgemacht. Für weitere 20% seiner Arbeitszeit sei der Kläger mit der Weiterentwicklung befasst gewesen.

Das Landgericht hat mit der Verfügung vom 25. August 2017 darauf hingewiesen, dass eine konkretere Darlegung der bisherigen beruflichen Tätigkeit erforderlich ist. Auf den Inhalt der Verfügung wird verwiesen (Bl. 71 d. A.). Der Kläger hat dann im Schriftsatz vom 27. September 2017 zu seiner bisherigen beruflichen Tätigkeit weiter vorgetragen (Bl. 74 f. d. A. sowie Anlage Bl. 76 d. A.). Aus dieser Beschreibung ergibt sich, dass der Kläger alleiniger Sachbearbeiter für die Erstellung diverser Berichte war, die er auch zu erläutern hatte. Hierzu waren täglich Datenabgleiche vorzunehmen, Berechnungen anzustellen und Überprüfungen durchzuführen, wozu auch externe Quellen ausgewertet werden mussten. Der Kläger erklärte, dass eine genaue prozentuale Aufschlüsselung nach Zeitablauf nicht mehr möglich sei.

Aufgrund der in der Klageschrift erwähnten anhaltend rezidivierenden depressiven Störung sei der Kläger zu mehr als 50% nicht mehr in der Lage, diese Tätigkeit auszuführen. Nunmehr wird als Argument eine „starke“ Antriebsstörung und eine „gravierende“ Einschränkung der Konzentrationsfähigkeit genannt. Weitere „maßgebliche“ Einschränkungen beträfen die Bereiche Aufmerksamkeit, Merkfähigkeit, Durchhaltevermögen und Arbeiten unter Zeitdruck.

Derartige Defizite des Klägers im Bereich Aufmerksamkeit, Merkfähigkeit, Durchhaltevermögen und Konzentration sind jedoch durch die Beweisaufnahme und in den Gutachten Dr. R. und Dr. Weinert gerade nicht nachgewiesen worden.

Es bleiben als Auslöser seines Scheiterns am bisherigen Arbeitsplatz und als Ursache psychischer Beschwerden die Kränkung durch den Arbeitgeber, der belastende Umgang mit mobbenden Kolleginnen sowie die dem Kläger nicht gelingende psychische Verarbeitung dieser belastenden Umstände mit der Folge einer Anpassungsstörung mit dem Schwerpunkt einer depressiven Entwicklung. Mit dem Wegfall dieser Belastungen am letzten Arbeitsplatz besteht die Hoffnung, dass sich der psychische Zustand des Klägers wieder bessert. Dies verneint der Kläger und führt bei den Gesprächen mit verschiedenen Gutachtern immer wieder einen Zustand der „Angst“ an. Der Kläger hat Angst vor weiteren Kränkungen an einem neuen Arbeitsplatz, Angst den Anforderungen nicht gewachsen zu sein, Angst vor einer Psychotherapie, Angst vor der Zukunft, etc. Allerdings sind keine psychischen Erkrankungen festgestellt worden, die diese Angst als für den Kläger unüberwindbar und damit als Zeichen einer krankhaften Störung erklären könnten. Der Sachverständige führt auf Seite 18 seines Gutachtens insoweit überzeugend und unangegriffen aus, dass eine Persönlichkeitsstörung beim Kläger nicht diagnostiziert werden konnte und damit eine bei ihm vorliegende und die Prognose verschlechternde komorbide Erkrankung nicht nachgewiesen ist. Hierzu wäre ein bis in das frühe Erwachsenenalter zurückzuverfolgendes pathologisches Muster von sozialer Interaktion und pathologischem Verhalten zu fordern gewesen, das der Sachverständige nicht feststellen konnte.

Es ist deshalb nicht nachgewiesen, dass der Kläger wegen einer psychischen Erkrankung trotz zumutbarer Willensanstrengung nicht in der Lage war und ist, die zur Besserung seines Zustandes zur Verfügung stehenden Behandlungsmöglichkeiten durch Psychotherapie oder stationäre Behandlung – ggf. auch in Kombination mit der Einnahme von Medikamenten – zu ergreifen. Aus dem gleichen Grund ist auch nicht bewiesen, dass der Kläger zu einer vergleichbaren beruflichen Tätigkeit als Bankkaufmann ab Dezember 2015 mit reduziertem Leistungsumfang von 50% voraussichtlich auf Dauer nicht in der Lage gewesen sein sollte. Dies gilt auch für die Beurteilung der Leistungsfähigkeit bei Inanspruchnahme einer Psychotherapie neben einer neuen Berufstätigkeit.

3) Die Sache hat keine grundsätzliche Bedeutung, denn es geht um die Beweiswürdigung im konkreten Einzelfall. Zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung ist eine Entscheidung des Senats durch Urteil unter Zulassung der Revision nicht erforderlich. Zur Rechtsfortbildung eignet sich die hier streitige Sache nicht. Sonstige Gründe, die die Durchführung einer mündlichen Verhandlung gebieten, liegen nicht vor.

III.

Dem Kläger wird Gelegenheit zur Stellungnahme innerhalb einer Frist von drei Wochen gegeben. Aus Kostengründen sollte die Zurücknahme der Berufung erwogen werden.

 

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