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Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherung – Beweislast für Berufsunfähigkeit

Beweislast in der Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherung: Kläger und Urteil im Fokus

Das Oberlandesgericht Brandenburg wies die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Landgerichts Potsdam ab. Der Kläger konnte nicht nachweisen, dass er gemäß den Bedingungen der Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherung berufsunfähig ist. Insbesondere fehlte es an einer ausreichenden Beschreibung seiner beruflichen Tätigkeiten, die für die Beurteilung seiner Berufsunfähigkeit essenziell sind.

Weiter zum vorliegenden Urteil Az.: 11 U 75/22   >>>

Das Wichtigste in Kürze


Zentrale Punkte aus dem Urteil:

  1. Berufung abgewiesen: Das Oberlandesgericht Brandenburg bestätigte das Urteil des Landgerichts Potsdam und wies die Berufung des Klägers zurück.
  2. Beweislast beim Kläger: Der Kläger konnte die Voraussetzungen für Berufsunfähigkeit gemäß den Versicherungsbedingungen nicht ausreichend belegen.
  3. Mangelnde Beschreibung der beruflichen Tätigkeit: Eine detaillierte Beschreibung der beruflichen Tätigkeiten des Klägers fehlte, was für die Bewertung der Berufsunfähigkeit entscheidend ist.
  4. Keine ausreichenden medizinischen Beweise: Die vorgelegten medizinischen Unterlagen reichten nicht aus, um eine Berufsunfähigkeit zu begründen.
  5. Kosten des Verfahrens: Der Kläger muss die Kosten des Berufungsverfahrens tragen.
  6. Keine Revision zugelassen: Eine Revision gegen das Urteil wurde nicht zugelassen.
  7. Anspruch auf Berufsunfähigkeitsrente: Der Kläger hat keinen Anspruch auf die geltend gemachte Berufsunfähigkeitsrente.
  8. Bedeutung der genauen Arbeitsbeschreibung: Der Fall unterstreicht die Wichtigkeit einer genauen und detaillierten Beschreibung der ausgeübten beruflichen Tätigkeiten in Streitfällen über Berufsunfähigkeitsversicherungen.

Berufsunfähigkeit und Versicherungsrecht: Ein juristischer Blickwinkel

Im Zentrum des Versicherungsrechts steht oftmals die Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherung, ein Bereich, der für Versicherte von großer Bedeutung ist. Diese spezielle Versicherungsform spielt eine entscheidende Rolle, wenn es darum geht, bei Eintritt von Berufsunfähigkeit finanzielle Sicherheit zu gewährleisten. Ein zentraler Aspekt dabei ist die Beweislast, die oft zu rechtlichen Auseinandersetzungen zwischen dem Versicherten und der Versicherungsgesellschaft führt. Es geht um die Frage, wer die erforderlichen Beweise erbringen muss, um Ansprüche geltend machen zu können.

Dieser juristische Diskurs bewegt sich im Spannungsfeld von Urteilen, Klägerforderungen und der Rolle von Sachverständigengutachten. Es geht nicht nur um die Interpretation und Anwendung der Versicherungsbedingungen, sondern auch um die Auslegung des individuellen Falls. Im Fokus steht dabei, wie die rechtlichen Rahmenbedingungen und Anforderungen an eine Berufsunfähigkeit in der Praxis gehandhabt und umgesetzt werden.

Der Streit um die Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherung

Das Oberlandesgericht Brandenburg hat in einem bemerkenswerten Fall entschieden (Az.: 11 U 75/22, Urteil vom 02.11.2023). Im Kern dreht sich der Rechtsstreit um die Leistungsansprüche eines Klägers gegenüber seiner Versicherungsgesellschaft, die eine Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherung betrifft. Der Kläger, seit 2000 Inhaber einer fondsgebundenen Rentenversicherung mit eingeschlossener Berufsunfähigkeitszusatzversicherung, machte geltend, seit spätestens September 2018 berufsunfähig zu sein und beanspruchte die vertraglich vereinbarte Berufsunfähigkeitsrente.

Die Auseinandersetzung vor Gericht

Der Fall vor dem Landgericht Potsdam und später vor dem Oberlandesgericht Brandenburg beleuchtet die Komplexität der Beweislast bei Berufsunfähigkeit. Der Kläger schilderte eine Verschlechterung seines Gesundheitszustands, die ihn arbeitsunfähig machte. Er behauptete, unter anderem an Antriebslosigkeit, Angstzuständen und Depressionen zu leiden, was ihm die Rückkehr in seinen Beruf und die Aufnahme einer anderen Tätigkeit unmöglich mache. Die Versicherung lehnte die Leistung ab, da sie keine gesundheitsbedingten Einschränkungen sah, die eine bedingungsgemäße Berufsunfähigkeit begründen würden.

Schlüsselaspekte der gerichtlichen Entscheidung

Das Landgericht wies die Klage ab, da der Kläger nicht ausreichend beweisen konnte, dass er die Voraussetzungen der Berufsunfähigkeit erfüllte. Es stellte sich heraus, dass der Kläger einen anberaumten Untersuchungstermin bei einem gerichtlich bestellten Sachverständigen nicht wahrgenommen hatte. Auch die vom Gericht angebotenen Alternativen wie ein Videotelefonat lehnte er ab. Die Berufung gegen dieses Urteil blieb erfolglos. Das Oberlandesgericht stützte sich auf die unzureichende Darlegung der beruflichen Tätigkeit des Klägers und die mangelnde Kooperation bei der Beweiserbringung.

Bedeutung des Urteils im Kontext der Berufsunfähigkeitsversicherung

Dieses Urteil unterstreicht die Bedeutung der Beweislast in Fällen von Berufsunfähigkeit. Die gerichtliche Auseinandersetzung zeigt, wie entscheidend eine detaillierte und substantiierte Darstellung der beruflichen Tätigkeiten und der gesundheitlichen Beeinträchtigungen für die Anerkennung einer Berufsunfähigkeit ist. Der Fall betont die Notwendigkeit für Versicherte, ihre Ansprüche klar und nachweisbar darzulegen und die erforderliche Mitwirkung bei der Beweiserhebung zu zeigen. Das Urteil hat somit weitreichende Implikationen für zukünftige Fälle in der Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherung.

Wichtige Begriffe kurz erklärt


Was bedeutet Beweislast in Bezug auf Berufsunfähigkeit?

Die Beweislast in Bezug auf Berufsunfähigkeit bedeutet, dass der Versicherte die Verantwortung dafür trägt, nachzuweisen, dass er tatsächlich berufsunfähig ist. In Deutschland obliegt es dem Versicherten, die umfangreichen Fragen des Versicherers im Rahmen des Leistungsantrages auf eine Berufsunfähigkeitsversicherung (BU) zu beantworten und umfassende Tätigkeitsbeschreibungen vor und nach Eintritt der Berufsunfähigkeit anzufertigen. Der Versicherte muss dem Versicherer gegenüber darlegen, dass er seine zuletzt konkret ausgeübte Tätigkeit nicht mehr ausüben kann. Insgesamt ist der Versicherte in der Beweislast für den Eintritt des Versicherungsfalls, also für das Vorliegen der Berufsunfähigkeit.


Das vorliegende Urteil

Oberlandesgericht Brandenburg – Az.: 11 U 75/22 – Urteil vom 02.11.2023

1. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Landgerichts Potsdam vom 17.03.2022, Az. 13 O 200/20, wird zurückgewiesen.

2. Der Kläger hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.

3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Das in Ziffer 1 genannte Urteil des Landgerichts Potsdam ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Zwangsvollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte zuvor Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

4. Die Revision wird nicht zugelassen.

5. Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 50.622,00 EUR festgesetzt.

Gründe

I.

Die Parteien streiten um Leistungsansprüche des Klägers gegen die Beklagte aufgrund einer Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherung.

Der Kläger unterhält bei der Beklagten seit dem 01.11.2000 eine fondsgebundene Rentenversicherung mit eingeschlossener Berufsunfähigkeitszusatzversicherung zur Versicherungsschein-Nummer … . Der Versicherungsschutz gegen Berufsunfähigkeit endet vertragsgemäß mit Ablauf des 31.10.2029. Die einbezogenen Versicherungsbedingungen (BB-BUZ) lauteten auszugsweise:

„§ 1 (1) Berufsunfähigkeit im Sinne dieser Bedingungen liegt vor, wenn die versicherte Person infolge Krankheit, Körperverletzung oder Kräfteverfalls, die ärztlich nachzuweisen sind, voraussichtlich mindestens sechs Monate ununterbrochen zu mindestens 50 % außer Stande ist, ihrem zuletzt vor Eintritt dieses Zustands ausgeübten Beruf nachzugehen.

§ 3 (1) Wird die versicherte Person während der Dauer der Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherung berufsunfähig im Sinne von § 1 dieser Bedingungen, so erbringen wir folgende Versicherungsleistungen:

b) Zahlung der vereinbarten Berufsunfähigkeitsrente, wenn diese mitversichert ist (Zusatztarif R). Die Rente zahlen wir monatlich im Voraus.

…“

Der Kläger litt seit 2012 neben weiteren körperlichen Einschränkungen u.a. an kardiologischen Beschwerden und begab sich in ärztliche Behandlung; später ließ er sich auch wegen psychischer Probleme ärztlich behandeln.

Nachdem der Kläger der Beklagten im August 2017 den Eintritt seiner Berufsunfähigkeit angezeigt hatte, führte diese eine umfängliche Leistungsprüfung durch, die unter anderem die Einholung eines neurologisch-psychologischen Sachverständigengutachtens umfasste. Mit Schreiben vom 12.06.2018 lehnte die Beklagte gegenüber dem Kläger Leistungen aus der Berufsunfähigkeitszusatzversicherung mit der Begründung ab, dass der Kläger keine gesundheitsbedingten Einschränkungen aufweise, die eine bedingungsgemäße Berufsunfähigkeit begründen.

Der Kläger hat erstinstanzlich behauptet, dass er seit 1991 bis Anfang 2016 als Maschineneinrichter in einem Dosenwerk tätig gewesen sei, bevor er für wenige Monate in eine Transfergesellschaft gewechselt und schließlich arbeitsunfähig erkrankt sei. Sodann sei ihm gekündigt worden.

Er hat ferner behauptet, seine psychischen Beschwerden in Form von Antriebslosigkeit, „Leereempfinden“, Angstzuständen und Panikattacken sowie Depressionen machten ihm eine Rückkehr in seinen früheren Beruf wie auch die Aufnahme einer anderen beruflichen Tätigkeit unmöglich. Seine gesundheitliche Situation habe sich zunehmend und drastisch verschlechtert. Es habe sich eine anhaltende Leistungsinsuffizienz herauskristallisiert. Die Gesamtprognose sei negativ, mit einer Verbesserung seiner Leistungssituation sei nicht mehr zurechnen. Seine krankheitsbedingten Einschränkungen hätten dazu geführt, dass sich selbst alltägliche Aufgaben, wie das Vereinbaren von Terminen, für ihn als unüberwindbare Hindernisse darstellten. Er sei daher seit spätestens 01.09.2018 berufsunfähig und habe damit Anspruch auf die vertraglich vereinbarte, monatliche Berufsunfähigkeitsrente in Höhe von 767,00 EUR.

Der Kläger hat beantragt,

1. die Beklagte zu verurteilen, an ihn einen Betrag in Höhe von 18.408,00 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen,

2. die Beklagte zu verurteilen, ab September 2020 an ihn monatlich einen Betrag in Höhe von 767,00 EUR (Berufsunfähigkeitsrente) jeweils zum 3. Werktag des Monats zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.

Sie hat die von dem Kläger angegebenen beruflichen Betätigungen in dem Dosenwerk und in der Transfergesellschaft mit Nichtwissen bestritten. Ferner hat sie die Höhe der geltend gemachten Rente mit der Begründung in Abrede gestellt, dass die darin enthaltene Bonusrente nicht garantiert gewesen sei.

Das Landgericht hat zunächst beabsichtigt, über die klägerische Behauptung, er sei berufsunfähig erkrankt, durch Einholung eines Sachverständigengutachten im Sinne des § 358a ZPO Beweis zu erheben. Dabei hat das Landgericht dem Sachverständigen aufgegeben, ein Tätigkeitsbild des Klägers zugrunde zu legen, wie es sich aus den von Beklagtenseite eingereichten Antragsunterlagen des Klägers über Gewährung der Berufsunfähigkeitsrente ergibt. Der Kläger hat den Untersuchungstermin bei dem gerichtlich bestellten Sachverständigen nicht wahrgenommen und sich stattdessen durch seine Ehefrau entschuldigen lassen, dass sein Gesundheitszustand dies nicht zulasse. Auch ein von dem Sachverständigen daraufhin vorgeschlagenes Gespräch im Wege der Bild- und Tonübertragung hat der Kläger aus gesundheitlichen Gründen zunächst abgelehnt. Zu einer von Klägerseite vorgeschlagenen Begutachtung nach Aktenlage hat sich der Sachverständige nicht in der Lage gesehen.

Das Landgericht hat die Klage daraufhin mit Urteil vom 17.03.2022 abgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen angeführt, dass der Kläger den Eintritt der bedingungsgemäßen Berufsunfähigkeit nicht bewiesen habe. Die vorgelegten Unterlagen und Befunde seiner behandelnden Ärzte genügten nicht. Insoweit sei der Kläger beweisfällig geblieben. Es erschließe sich insbesondere nicht, weshalb sich der Kläger dem gerichtlich bestellten Sachverständigen nicht einmal zu einem Videotelefonat habe stellen können. Sämtliche Beweismöglichkeiten seien durch das Gericht ausgeschöpft worden.

Der Kläger hat gegen das ihm am 22.03.2022 zugestellte Urteil mit am 20.04.2022 beim Brandenburgischen Oberlandesgericht eingegangenem Anwaltsschriftsatz Berufung eingelegt, die er unter dem 23.05.2022, einem Montag, begründet hat. Hierzu bringt er zusammengefasst im Wesentlichen vor, dass das Landgericht vorschnell zu einer Entscheidung nach der Beweislastverteilung gelangt sei und zu seinen Lasten eine Beweisfälligkeit angenommen habe. Fehlerhaft habe es in Kenntnis seines Gesundheitszustandes etwa keinen „Haustermin“ des Sachverständigen bei ihm – ggf. in Absprache mit dem Hausarzt – angeordnet. Im Übrigen habe sich sein Zustand inzwischen soweit gebessert, dass er nunmehr – zumindest im Wege eines videogestützten Gespräches – für eine Begutachtung zur Verfügung stehe.

Auf mehrere verfahrensleitende Hinweise des Senats hat der Kläger in zweiter Instanz zunächst weiter zu seiner behaupteten Tätigkeit im Dosenwerk wie auch in der Transfergesellschaft vorgetragen. Danach habe er in dem Dosenwerk die Produkte kontrolliert, die Maschinen eingestellt, die Zylinder gewechselt usw. (Schriftsatz vom 10.01.2023) bzw. zweiteilig gearbeitet (Schriftsatz vom 27.04.2023), soweit er am Fließband die Dosen herstellte und lackierte, Wartungs- und Reparaturmaßnahmen durchführte und Programmierungen vorgenommen habe. Wegen der Einzelheiten wird auf die Beschreibung des Klägers zu seiner beruflichen Tätigkeit in den Schriftsätzen vom 10.01.2023, vom 13.04.2023 und vom 03.08.2023 einschließlich der Anlagen Bezug genommen. Seine Betätigung in der Transfergesellschaft habe sich hingegen darauf beschränkt, dass er mit einer Mitarbeiterin einmal im Monat für jeweils 5 bis 30 Minuten das weitere Vorgehen u.a. im Hinblick auf weitere Bewerbungen und Umschulungsmaßnahmen führte.

Der Kläger beantragt zuletzt,

1. unter Abänderung des am 17.03.2022 verkündeten Urteils des Landgerichts Potsdam,  Az. 13 O 200/20, die Beklagte zu verurteilen, an ihn einen Betrag in Höhe von  18.408,00 EUR nebst  Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz  seit Rechtshängigkeit  zu zahlen und

2 unter Abänderung des am 17.03.2022 verkündeten Urteils des Landgerichts Potsdam,  Az. 13 O 200/20, die Beklagte zu verurteilen, an ihn ab September 2020 bis längstens  29.10.2029 monatlich einen Betrag in Höhe von 767,00 EUR (Berufsunfähigkeitsrente)  jeweils zum 3. Werktag des Monats zu zahlen.

Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigt das landgerichtliche Urteil im Wesentlichen unter Wiederholung und Vertiefung ihres erstinstanzlichen Vortrages, wobei sie allerdings an ihrem Bestreiten zur Höhe der geltend gemachten monatlichen Rente nicht länger festhält. Die ergänzenden Beschreibungen des Klägers zu seinen beruflichen Aufgaben und Tätigkeiten in dem Dosenwerk wie auch in der Transfergesellschaft bestreitet sie ebenfalls mit Nichtwissen.

Der Senat hat den Kläger wiederholt darauf hingewiesen, dass die Beschreibung seiner Tätigkeiten im Dosenwerk und in der Transfergesellschaft nach vorläufiger Würdigung nicht hinreichend substantiiert sind, so etwa mit Hinweisbeschluss vom 09.11.2022, mit Hinweisbeschluss vom 22.03.2023 und mit Verfügung vom 12.07.2023. Der Anordnung des persönlichen Erscheinens zum Zwecke der Sachverhaltsaufklärung in der mündlichen Verhandlung vom 11.10.2023 ist der Kläger unentschuldigt nicht nachgekommen.

II.

Die form- und fristgerecht eingelegte wie auch im Übrigen zulässige Berufung ist unbegründet. Das Landgericht hat die Klage im Ergebnis zutreffend abgewiesen. Der Kläger hat gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Zahlung einer Berufsunfähigkeitsrente aus dem Versicherungsvertrag zur Nummer …  i.V.m § 3 Abs. 1 b) BB-BUZ.

1.

Dies folgt allerdings nicht daraus, weil der für das Vorliegen der Tatbestandsvoraussetzungen eines Anspruches auf Berufsunfähigkeitsrente darlegungs- und beweisbelastete Kläger nicht bewiesen hat, dass er infolge Krankheit, Körperverletzung oder Kräfteverfalls seit September 2018 zu mindestens 50 % außer Stande ist, seinem zuletzt ausgeübten Beruf nachzugehen. Der Kläger ist bezüglich der Beweisführung durch Einholung eines Sachverständigengutachtens, die er in der Berufungsbegründung nochmals angeboten hat, in der Berufungsinstanz insoweit nicht ausgeschlossen, nachdem ihm erstinstanzlich keine Beibringungsfrist gesetzt worden ist.

Verhindert der Beweisführer die Erstattung eines medizinischen Sachverständigengutachtens dadurch, dass er trotz Aufforderung nicht zur Untersuchung bei dem Sachverständigen erscheint, so muss das Gericht, wenn es ihn mit dem Beweismittel ausschließen will, in der in § 356 ZPO vorgesehenen Weise vorgehen. Danach kann es, wenn der Aufnahme des Beweises ein Hindernis von ungewisser Dauer entgegensteht, eine Frist bestimmen, nach deren fruchtlosem Ablauf das Beweismittel nur benutzt werden kann, wenn dadurch das Verfahren nicht verzögert wird. Mit Fristablauf wird die Partei mit dem Beweismittel kraft Gesetzes ausgeschlossen (vgl. BGH, Urt. v. 01.02.1972 – VI ZR 134/70, Rn. 17, juris).

Eine Fristsetzung war hier auch nicht etwa deshalb entbehrlich, weil der Kläger seine Mitwirkung ernsthaft und endgültig verweigert hat (vgl. zum Streitstand: MüKo ZPO/Heinrich, 6. Aufl., § 356 Rn. 5, dort Fn. 23 m.w.N.), denn in seinen Schriftsätzen vom 25.05.2021 und 29.11.2021 hat er gerade zum Ausdruck gebracht, sich nicht grundsätzlich gegen die Untersuchung zur Wehr zu setzen, sondern sich hierzu nicht in der Lage zu sehen.

Das Landgericht hat den Beweisantrag auch nicht nach § 296 ZPO zurückgewiesen, was jedoch Voraussetzung für die Anwendung des § 531 Abs. 1 ZPO wäre (vgl. BeckOK ZPO/Wulf, 46. Ed., § 531 Rn. 2; MüKoZPO/Rimmelspacher, 6. Aufl., § 531 Rn. 4, jew. m.w.N.). Eine Zurückweisung ist insbesondere nicht bereits darin zu erblicken, dass das Erstgericht die beantragte Beweisaufnahme deshalb unterlässt, weil es an einer erforderlichen Mitwirkung des Beweisführers mangelt (vgl. BGH, Urt. v. 17.10.1979 – VIII ZR 221/78, Rn. 8, juris; Musielak/Voit/Ball, ZPO, 20. Aufl., § 531 Rn. 4a). Erforderlich ist vielmehr eine ausdrückliche Zurückweisung spätestens in dem instanzbeendenden Urteil; eine Nachholung der Entscheidung durch das Berufungsgericht scheidet aus (vgl. BGH, Urt. v. 17.10.1979 – VIII ZR 221/78, Rn. 8). Ein im ersten Rechtszug nicht zurückgewiesenes Vorbringen wird ohne Weiteres Prozessstoff der zweiten Instanz; eines erneuten Vorbringens bedarf es insoweit grundsätzlich nicht (BGH, Beschl. v. 24.09.2019 – VI ZR 517/18, Rn. 8, juris).

2.

Die Klage bleibt allerdings bereits deshalb ohne Erfolg, weil nach wie vor keine hinreichende Beschreibung seiner zuletzt ausgeübten, beruflichen Tätigkeit erfolgte. Erforderlich ist insoweit eine konkrete Erläuterung der Ausgestaltung des von dem Versicherten zum Zeitpunkt des Versicherungsfalles ausgeübten Berufes und die sich aus dieser Berufsausübung ergebenden Anforderungen; diese Feststellungen zum unverrückbaren außermedizinischen Sachverhalt sind einem medizinischen Sachverständigen als Grundlage seiner Gutachtenerstattung vorzugeben (st. Rspr. BGH, vgl. z.B. Beschl. v. 27.02.2008 – IV ZR 45/06, Rn. 4, m.w.N.; s.a. Urt. v. 14.12.2016 – IV ZR 527/15, Rn. 23, zitiert nach juris). Dies erfordert regelmäßig eine detaillierte Tätigkeitsbeschreibung danach, wie sie konkret ausgestaltet war, welche Anforderungen sie an den Versicherten stellte, welche Fähigkeiten sie voraussetzte, welches Einkommen sie ihm sicherte und wie sich seine beruflichen Entwicklungsmöglichkeiten real darstellten (BGH, Urt. v. 21.04.2010 – IV ZR 8/08, Rn. 11, juris; s.a. Neuhaus, Berufsunfähigkeitsversicherung, 4. Aufl., Kap. 5, Rn. 266 ff.). Soll festgestellt werden, wie sich gesundheitliche Beeinträchtigungen in einer konkreten Berufsausübung auswirken, muss bekannt sein, wie das Arbeitsfeld des Versicherten tatsächlich beschaffen ist und welche Anforderungen im Einzelnen es an ihn stellt. Als Sachvortrag muss eine konkrete Arbeitsbeschreibung verlangt werden, mit der die in diesen betrieblichen Bereichen regelmäßig anfallenden Tätigkeiten nach Art, Umfang und Häufigkeit, insbesondere aber auch nach ihren Anforderungen an die (auch körperliche) Leistungsfähigkeit für einen Außenstehenden nachvollziehbar werden (vgl. BGH, Urt. v. 30.09.1992, IV ZR 227/91, Rn. 17; OLG Frankfurt, Urt. v. 25.01.2018 – 3 U 179/15, Rn. 19; Langheid/Rixecker, VVG, 7. Aufl., § 172 Rn. 24). Dieser Darlegungslast wird der Versicherungsnehmer zum Beispiel dann gerecht, wenn er die Beschreibung einer typischen Arbeitswoche nach Art eines Stundenplans vorlegt, aus dem sich die einzelnen Tätigkeiten nachvollziehbar und konkret ergeben (Senat, Urt. v. 19.12.2018 – 11 U 52/18, Rn. 21, juris; OLG Koblenz, Beschl. v. 11.03.2004 – 10 U 744/03 = VersR 2004, 989; OLG Düsseldorf, Urt. v. 23.04.2021 – 4 U 59/19, Rn. 37, juris; Schwintowski/Brömmelmeyer/Ebers/Neuhaus, VVG, 4. Aufl., § 172 Rn. 127; Bruck/Möller/Baumann, VVG, 9. Aufl., § 172, Stichpunkt „Beruf“, Rz. 110 f. – mit tabellarischem Beispiel). Bei stets gleichförmigen, stereotypen Arbeiten darf sich die Darstellung auf eine typische Arbeitswoche beschränken, bei wechselnden und höchst unterschiedlichen Tätigkeiten muss die Darstellung deutlich substantiierter erfolgen. Sammelbegriffe reichen nicht aus. Der Versicherungsnehmer hat auch die Aufzeige- und Beweislast für die prägenden Tätigkeiten seines Berufs; und zwar so genau, dass eine „Gewichtung“ aller Tätigkeiten erfolgen kann (Baumann, a.a.O.).

Gemessen daran genügte der Vortrag des Klägers – worauf ihn der Senat wiederholt und zuletzt in der mündlichen Verhandlung am 11.10.2023 hingewiesen hat – nicht.

Im Streitfall ist es allerdings unerheblich, dass der Kläger zum Zeitpunkt des behaupteten Eintritts des Versicherungsfalles bereits arbeitslos war, da es entscheidend auf die Frage ankommt, ob die Zeitspanne der Arbeitslosigkeit bis zum Eintritt der behaupteten Berufsunfähigkeit so groß geworden ist, dass der Versicherungsnehmer die berufliche Qualifikation für den vor Eintritt der Arbeitslosigkeit ausgeübten Beruf verloren hätte und diesen aus fachlichen Gründen nicht mehr hätte fortführen können (vgl. BGH, Urt. v. 30.11.2011 – IV ZR 143/10, Rn. 30, juris). Dafür ist vorliegend nichts ersichtlich.

Im Hinblick auf den zwischenzeitlichen Wechsel des Klägers in die Transfergesellschaft zum 04.01.2016 ist zu differenzieren: Der Beruf im vorgenannten Sinne ist ein dynamischer Begriff. Es kommt nicht auf ein allgemeines Berufsbild oder auf die im Versicherungsantrag oder im Versicherungsschein eingetragene Berufsbezeichnung an, sondern allein darauf, welchen Beruf der Versicherte zum Zeitpunkt des behaupteten Eintritts der Berufsunfähigkeit tatsächlich ausgeübt hat. Hat der Versicherungsnehmer vorher, „in gesunden Tagen“, seinen Beruf gewechselt, so ist grundsätzlich auf die neue Tätigkeit abzustellen. Etwas Anderes gilt jedoch dann, wenn die neue Tätigkeit die Lebensstellung des Versicherten noch nicht geprägt hat (vgl. Saarländisches OLG, Urt. v. 16.01.2013 – 5 U 236/12, Rn. 30, juris; Neuhaus, Berufsunfähigkeitsversicherung, 4. Aufl., Kap. 5 Rn. 69 ff.; Schwintowski/Brömmelmeyer/Ebers, Praxiskommentar zum VVG, 4. Aufl., § 172 Rn. 30). Nur kurzfristige, vorübergehende Wechsel genügen insoweit nicht (Neuhaus a.a.O.; Ebers, a.a.O.). Maßgeblich ist dabei eine Gesamtbetrachtung (BeckOK VVG/Mangen, 18. Ed., § 172 Rn. 10). Dementsprechend kann etwa auch im Falle einer Umschulung, die mit der streitgegenständlichen Situation am ehesten vergleichbar ist, jedenfalls dann nicht von einer prägenden Tätigkeit ausgegangen werden, wenn diese erst eine vergleichsweise kurze Zeit angedauert hat (vgl. Langheid/Rixecker, VVG, 7. Aufl., § 172 Rn. 20).

Dies zugrunde gelegt ist zu berücksichtigen, dass es sich bei der Tätigkeit in einer Transfergesellschaft, die begriffsimmanent auf kurzfristige Weitervermittlung der bisherigen Belegschaft auf dem Arbeitsmarkt ausgerichtet ist, dem Grunde nach nicht um eine dauerhafte, prägende Tätigkeit im Sinne der Versicherungsbedingungen handeln kann. Andererseits will der Kläger in dieser nach eigenen Angaben über einen erheblichen Zeitraum von etwa acht Monaten tätig gewesen sein, bevor er zunächst arbeitsunfähig erkrankt und schließlich gekündigt worden sein soll. Im Rahmen der Gesamtbewertung kommt es für einen schlüssigen Klägervortrag in diesem Einzelfall damit auch darauf an, welcher Tätigkeit er innerhalb der Transfergesellschaft nachging oder ob er gar freigestellt war. Mithin bedurfte es grundsätzlich einer konkreten Darlegung und ggf. des Beweises der behaupteten Tätigkeit sowohl in der Transfergesellschaft als auch in dem Dosenwerk. Auch der weitere Vortrag des Klägers in zweiter Instanz, der gemäß § 531 Abs. 2 Nr. 1 ZPO zuzulassen war, ist dem indes nicht gerecht geworden.

Hinsichtlich der Tätigkeit in der Transfergesellschaft mangelt es bereits an grundlegenden Darstellungen etwa zur vertraglich geschuldeten Tätigkeit, zum Einkommen, zur Dauer und zu den tatsächlich vom Arbeitgeber abverlangten Leistungen. Die bloße zusammenfassende und allgemeine Darstellung, wonach der Kläger einmal im Monat für wenige Minuten in den Betriebsräumen erscheinen sollte, um das weitere Vorgehen zu besprechen, vermittelt außenstehenden Dritten kein ausreichendes Bild von der Tätigkeit des Klägers, insbesondere nicht, inwieweit diese prägend war.

Auch die Beschreibung der Tätigkeit in dem Dosenwerk war evident unzulänglich. Zwar hat der Kläger mit dem Schriftsatz vom 03.08.2023 den Versuch unternommen, die widersprüchlichen Darstellungen zu seinem Betätigungsumfang in den Schriftsätzen vom 10.01.2023 und 27.04.2023 dahingehend aufzulösen, dass sämtliche angegebenen Tätigkeiten in seinen Aufgabenbereich fielen. Zudem hat er hierfür nunmehr durchaus einen Wochenplan mit der Darstellung einer typischen Arbeitswoche vorgelegt. Allerdings erschöpfen sich die stichpunktartigen Ausführungen auch hier in weitgehend allgemeinen und stets gleichartigen Ausführungen. So ist etwa aus Formulierungen wie „Tätigkeit direkt am Band“, „Kontrolle der maschinell erstellten Dosen“, „Lackierung und Sortierung der Dosen“, „Vornahme der technischen Voreinstellungen und deren Kontrolle“ sowie, dass bei technischen Problemen Fehler zu finden und zu reparieren wie auch die Angabe, dass die Maschinen regelmäßig zu warten waren, etwa nicht ersichtlich, welche konkrete körperlichen oder psychischen Anforderungen dies an den Kläger stellte. Dabei erweisen sich die Erläuterungen, wonach die Tätigkeit „hohes Maß an technisch-mechanischem Wissen aber auch computer-technischem Wissen“ erforderte, wie auch der Vortrag, dass dies „nur unter hoher körperlicher Belastung und Aussetzung von hohen Temperaturen“ zu bewerkstelligen war, als bloße subjektive Einschätzung ohne greifbare Anknüpfungspunkte. Ebenso wenig erschließt sich dem Senat, wie der Kläger die Lackierung und Sortierung sowie die Qualitätskontrolle von – seinen Angaben nach – mehreren 100.000 Dosen am Tag erledigte (z.B. computergestützt? Maschinell? Manuell? Sitzend oder stehend?).

Der Senat beabsichtigte letztlich, nachdem dem Kläger auch auf die mehrfachen Hinweise jeweils keine genügende Darstellung seiner Tätigkeit gelang, ihm die Gelegenheit zu geben, dies im Rahmen einer persönlichen Anhörung zu erhellen, der er jedoch unentschuldigt ferngeblieben ist. Insbesondere wurde der Gesundheitszustand des Klägers insoweit nicht als Entschuldigungsgrund vorgebracht. Ohnehin scheint sich seine psychische Verfassung nach der Berufungsbegründung bereits wenige Wochen nach dem klageabweisenden Urteil erster Instanz wieder deutlich gebessert zu haben. Zudem war er ausweislich des zuletzt mit Schriftsatz vom 10.10.2023 vorgelegten Gutachtens, das in dem parallel geführten sozialgerichtlichen Verfahren über die Gewährung einer Erwerbsunfähigkeitsrente eingeholt worden ist, offensichtlich in der Lage, Untersuchungstermine des dort bestellten Sachverständigen am 14.08.2023 und 11.09.2023 wahrzunehmen, sodass sich dem Senat vorliegend auch nicht aufdrängen musste, dass der Kläger aufgrund seiner streitgegenständlichen Erkrankung nicht an der mündlichen Verhandlung am 11.10.2023 teilnehmen konnte. Der Klägervertreter war auf konkrete Nachfrage in der mündlichen Verhandlung nicht in der Lage, weitere Angaben zu machen.

3.

Mangels Anspruch in der Hauptsache besteht auch kein Anspruch auf die als Nebenforderung geltend gemachten Zinsen.

4.

Die prozessualen Nebenentscheidungen folgen aus § 97 Abs. 1 ZPO und den §§ 708, 711 ZPO.

5.

Die Revision war in Ermangelung der gesetzlichen Voraussetzungen gemäß § 543 Abs. 2 Satz 1 ZPO i.V.m. § 133 GVG nicht zuzulassen.

6.

Die Streitwertfestsetzung beruht auf den §§ 47 Abs. 1, 48 Abs. 1 GKG i.V.m. den §§ 3, 9 ZPO.

 

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