Skip to content

Ausgleichsansprüche nach §§ 77 ff. VVG wegen Mehrfachversicherung

AG Köln – Az.: 153 C 319/20 – Urteil vom 19.03.2021

1. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 1.278,36 EUR nebst Zinsen in Höhe von 9 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 23.05.2019 zu zahlen.

2. Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.

3. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 Prozent des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

Die Klägerin macht gegen die Beklagte Ausgleichsansprüche nach den §§ 77 ff. VVG wegen einer behaupteten Mehrfachversicherung geltend.

Der Versicherungsnehmer, Herr A. E., unterhält bei der Klägerin eine Plus-Mitgliedschaft, in der auch sein Sohn, V. E., mitversichert ist. Einbezogen wurden die GVB der Klägerin mit Stand 01.01.2016 gemäß Anlage K1 (Bl. 13-24 d.A.). Gemäß § 12 dieser GVB (Bl. 18 d.A.) hat der Versicherungsnehmer gegen die Klägerin einen Anspruch auf die Durchführung eines Krankenrücktransports im Falle einer akuten, unerwarteten Erkrankung, auch im Ausland. Absatz 4 der Regelung lautet wie folgt:

„4. Wir tragen die Kosten der von uns organisierten oder veranlassten Maßnahmen.“

Darüber hinaus unterhielt Frau I. R., die Mutter des mitversicherten Sohnes, eine private Auslandskrankenversicherung bei der Beklagten, in der ihr Sohn V. E. ebenfalls mitversichert war. Einbezogen wurden die Tarifbedingungen/AVB der Beklagten gemäß Anlage K2 (Bl. 39-48 d.A.). § 4 Abs. 7 der AVB der Beklagten lautete wie folgt:

„(7) Krankenrücktransporte

Die V. trägt die Mehrkosten eines Krankenrücktransportes, wenn

  • dieser medizinisch sinnvoll und vertretbar ist oder
  • die medizinisch notwendige stationäre Heilbehandlung nach ärztlicher Bescheinigung voraussichtlich einen Zeitraum von 2 Wochen nicht übersteigen würde oder
  • die voraussichtlichen Kosten der Heilbehandlung im Ausland die Mehrkosten des Krankenrücktransportes übersteigen würden.

Mehrkosten sind die durch den Krankenrücktransport zusätzlich entstehenden Kosten.

Der Krankenrücktransport erfolgt in das Land des ständigen Wohnsitzes der versicherten Person, auf Wunsch der versicherten Person auch an einen anderen Ort als den des ständigen Wohnsitzes.

Voraussetzung ist, dass die V. den Krankenrücktransport organisiert.“

Unstreitig bestehen in beiden Versicherungsverhältnissen sog. einfache Subsidiaritätsklauseln.

Der Sohn der Versicherungsnehmer Herr V. E. erlitt am 03.08.2017 während einer Urlaubsreise auf Teneriffa erhebliche Schwindelanfälle. Er wurde zunächst bis zum 15.08.2017 stationär auf Teneriffa behandelt, wobei eine diabetische Ketoazidose und ein Diabetes mellitus Typ I diagnostiziert wurde. Am 15.08.2017 organisierte die Klägerin den Krankenrücktransport nach L., wodurch der Klägerin Aufwendungen in Höhe von insgesamt 2.556,82 EUR entstanden. Details zu den Aufwendungen ergeben sich aus der Auflistung auf Bl. 7 und 8 d. A. Die Hälfte dieser Aufwendungen ist Gegenstand des Klageverfahrens.

Mit Schreiben vom 23.05.2019 lehnte die Beklagte eine Einstandspflicht gegenüber der Klägerin ernsthaft und endgültig ab.

Die Klägerin beantragt, die Beklagte zu verurteilen, an sie den Betrag in Höhe von 1.278,36 EUR nebst Zinsen in Höhe von 9 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 23.05.2019 zu zahlen.

Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

Sie ist der Ansicht, eine Einstandspflicht bestünde nicht, da es an der vorgesehenen Notwendigkeit der eigenen Organisation des Rücktransports gemäß § 4 Abs. 7 ihrer AVB fehle.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die wechselseitigen, zur Gerichtsakte gelangten Schriftstücke der Parteien nebst Anlagen Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Klage ist im vollen Umfang begründet.

Die Klägerin hat gegen die Beklagte einen Anspruch auf Zahlung von 1.278,36 EUR gemäß § 78 Abs. 2 S. 1 VVG.

Nach Auffassung des Gerichts liegt zumindest Teil-, wenn nicht sogar Vollidentität der versicherten Gefahr und des versicherten Interesses im Sinne der §§ 77 ff. VVG vor. Versicherte Gefahr ist bei der Klägerin der Krankheitsfall oder Unfall im Ausland, durch den ein Rücktransport medizinisch notwendig wird; versichertes Interesse ist der Vermögensnachteil, den der Versicherungsnehmer ohne Versicherung bei selbst zu tragenden Kosten des Rücktransports erleiden würde (vgl. OLG München, Beschluss vom 19.09.2016 – 25 U 1909/16). In den Versicherungsbedingungen der Beklagten wird die versicherte Gefahr zwar näher umschrieben, es besteht aber jedenfalls eine Teilidentität. Gleiches gilt für das versicherte Interesse.

Dass der Transport im vorliegenden Fall medizinisch sinnvoll und vertretbar war, hat die Klägerin schlüssig dargelegt; dem ist die Beklagte nicht entgegengetreten.

Das Vorbringen der Beklagten, ein Anspruch der Klägerin scheide deshalb aus, weil sie den Rücktransport nicht selbst organisiert habe, greift nicht durch. Insoweit hat das OLG Köln mit Beschluss vom 04.03.2021 (9 U 236/20) zutreffend darauf hingewiesen, dass auch die Versicherungsbedingungen der Klägerin eine entsprechende Anspruchsvoraussetzung im Verhältnis zum Versicherungsnehmer enthalten. Die Berufung auf den Umstand unterlassener Befassung des Versicherers mit der Organisation des Rücktransports ließe das dem § 78 Abs. 2 S. 1 VVG innewohnende Prinzip des Innenausgleichs leerlaufen (OLG Köln, Beschluss vom 04.03.2021 – 9 U 236/20). Die Organisation desselben Rücktransports durch zwei Versicherungen schließt sich nicht nur praktisch aus, sondern dürfte in der Regel auch dem Interesse des Versicherungsnehmers an einem zügigen Ablauf entgegenstehen. Die vorgesehene Kostenteilung des § 78 Abs. 2 S. 1 VVG trägt auch dem Interesse der Versicherer Rechnung, die Kosten möglichst gering zu halten.

Auch der Einwand der Beklagten zur Höhe der Klageforderung greift nicht durch. Der Vortrag, dass die Beklagte im Gegensatz zur Klägerin nur die entstehenden Mehrkosten des Rücktransports zu tragen hätte und eingesparte Kosten der ursprünglich geplanten Rückreise anzurechnen sei, ist unsubstantiiert.

Die von beiden Parteien in ihren Versicherungsbedingungen enthaltenen einfachen Subsidiaritätsklauseln bringen zum Ausdruck, dass sie jeweils gegenüber einem anderen Versicherer nur nachrangig haften wollen. Kommt es wie im vorliegenden Fall dazu, dass entsprechende Klauseln aufeinander treffen, kann dies nur dazu führen, dass sie sich gegenseitig aufheben, um den Versicherungsnehmer nicht schutzlos zu stellen (vgl. BGH, Urteil vom 19.02.2014 – IV ZR 389/12).

Die Zinsforderung ergibt sich aus §§ 286 Abs. 2 Nr. 3, 288 Abs. 2 BGB.

Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf den §§ 91, 709 S. 2 ZPO.

Der Streitwert wird auf 1.278,36 EUR festgesetzt.

 

Hinweis: Informationen in unserem Internetangebot dienen lediglich Informationszwecken. Sie stellen keine Rechtsberatung dar und können eine individuelle rechtliche Beratung auch nicht ersetzen, welche die Besonderheiten des jeweiligen Einzelfalles berücksichtigt. Ebenso kann sich die aktuelle Rechtslage durch aktuelle Urteile und Gesetze zwischenzeitlich geändert haben. Benötigen Sie eine rechtssichere Auskunft oder eine persönliche Rechtsberatung, kontaktieren Sie uns bitte.

Unsere Hilfe im Versicherungsrecht

Egal ob Ihre Versicherung die Zahlung verweigert oder Sie Unterstützung bei der Schadensregulierung benötigen. Wir stehen Ihnen zur Seite.

 

Rechtsanwälte Kotz - Kreuztal

Wissenswertes aus dem Versicherungsrecht

Urteile aus dem Versicherungsrecht

Unsere Kontaktinformationen

Rechtsanwälte Kotz GbR

Siegener Str. 104 – 106
D-57223 Kreuztal – Buschhütten
(Kreis Siegen – Wittgenstein)

Telefon: 02732 791079
(Tel. Auskünfte sind unverbindlich!)
Telefax: 02732 791078

E-Mail Anfragen:
info@ra-kotz.de
ra-kotz@web.de

Rechtsanwalt Hans Jürgen Kotz
Fachanwalt für Arbeitsrecht

Rechtsanwalt und Notar Dr. Christian Kotz
Fachanwalt für Verkehrsrecht
Fachanwalt für Versicherungsrecht
Notar mit Amtssitz in Kreuztal

Bürozeiten:
MO-FR: 8:00-18:00 Uhr
SA & außerhalb der Bürozeiten:
nach Vereinbarung

Für Besprechungen bitten wir Sie um eine Terminvereinbarung!