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Reise-Rücktrittskosten-Versicherung – Reiseunfähigkeit wegen alkoholbedingter Leberschädigung

AG Berlin-Mitte –  Az.: 16 C 254/12 –  Urteil vom 13.12.2013

1. Die Beklagte wird verurteilt, an die Kläger jeweils 2.065,50 EUR insgesamt 4.131,00 EUR zu zahlen nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ab dem 01.06.2012.

2. Die Beklagte wird verurteilt, an die Kläger 446,31 EUR zu zahlen.

3. Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

4. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrages zuzüglich 10 % vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Auszahlung aus einer Reisekostenrücktrittsversicherung.

Der Kläger zu 2 ist Krankenpfleger und arbeitet im …krankenhaus Berlin.

Die Klägerin buchte am 29.09.2011 für sich und den Kläger zu 2 bei dem Reiseveranstalter … GmbH eine Kreuzfahrt für die Zeit vom 10.02.2012 bis zum 25.02.2012. Der Reisepreis betrug 4.590,- EUR.

Die Klägerin schloss für sich und den Kläger zu 2 bei Buchung der Reise eine Reisekostenrücktrittsversicherung ab. Wegen der Vertragsbedingungen und der Details der Versicherung wird auf die als Anlage K 2 in Kopie zur Akte gereichte Versicherungsbestätigung und die Allgemeinen Bestimmungen Bezug genommen.

Der Kläger zu 2 suchte am 12.01.2012 seinen Hausarzt auf nachdem Beschwerden wie Schwindel und Übelkeit sich nach einigen Tagen nicht besserten.

Der Hausarzt Dr. … diagnostizierte extrem schlechte Leberwerte.

Er attestierte die Reiseunfähigkeit des Klägers zu 2  und stellte eine Alkoholabhängigkeit des Klägers zu 2 fest. Er überwies den Kläger zu 2 in stationäre Behandlung in das …-Krankenhaus zum Alkoholentzug. Die Behandlung begann am 03.02.2012 und dauerte bis zum 16.02.2012. Wegen der Einzelheiten wird auf den als Anlage in Kopie zur Akte gereichten Bericht des Krankenhauses vom 16.02.2012 Bezug genommen.

Die Kläger stornierten die Reise am 02.02.2012. Der Reiseveranstalter berechnete Stornierungskosten in Höhe von 4.131,00 EUR. Die Kläger machten diesen Betrag bei der Beklagten als Reiserücktrittskosten geltend.

Die Beklagte lehnte mit Schreiben vom 24.02.2012 eine Regulierung ab und führte zur Begründung aus, dass die Erkrankung im Sinne der Versicherungsbedingungen nicht unerwartet gewesen sei.

Die Kläger beauftragten sodann ihre spätere Prozessbevollmächtigte mit der Durchsetzung des Anspruchs.

Durch Attest vom 15.05.2012 bestätigte der behandelnde Hausarzt Dr. …, dass die Alkoholabhängigkeit des Klägers zu 2 erst im Laufe der ärztlichen Behandlung bekannt geworden sei. Wegen der Einzelheiten des Attestes wird auf die zur Akte gereichte Kopie Bezug genommen.

Die spätere Prozessbevollmächtigte der Kläger rechnete für ihre außergerichtliche Tätigkeit einen Betrag in Höhe von 446,13 EUR ab. Wegen der Einzelheiten der Berechnung wird auf die Berechnung in der Klageschrift Bezug genommen.

Die Kläger behaupten, sie hätten bis zu dem Zusammenbruch des Klägers zu 2 nicht gewusst, dass bei dem Kläger zu 2 eine behandlungsbedürftige Alkoholabhängigkeit vorgelegen habe.

Der Kläger zu 2 habe zwar regelmäßig getrunken, doch erst seit Januar 2012 habe er deutlich verstärkt getrunken. Er habe bis zu der Erkrankung im Januar 2012 keine krankheitsbedingten Ausfälle gehabt, weshalb ihm die Abhängigkeit verborgen geblieben sei. Er habe seine Arbeit verrichtet, habe dort kaum gefehlt, jedenfalls habe er keine gesundheitlichen Einschränkungen gehabt.

Die Kläger beantragen,

1. die Beklagte zu verurteilen, an die Kläger jeweils 2.065,50 EUR insgesamt 4.131,00 EUR zu zahlen nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ab dem 01.06.2012,

2. die Beklagte wird verurteilt, an die Kläger 446,31 EUR zu zahlen.

Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

Das Gericht hat Beweis erhoben durch Vernehmung der Zeugin … .

Wegen der Einzelheiten und des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf den Inhalt des Sitzungsprotokolls vom 11.10.2013 Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Reise-Rücktrittskosten-Versicherung - Reiseunfähigkeit wegen alkoholbedingter Leberschädigung
Symbolfoto: Von William Potter/Shutterstock.com

Die zulässige Klage ist begründet. Die Kläger haben aus dem Versicherungsvertrag, dort den besonderen Bestimmungen Teil A §§ 1 und 2 der allgemeinen Versicherungsbedingungen Anspruch auf Ersatz der Stornokosten in Höhe von insgesamt 4.131,00 EUR.

Es liegt ein Versicherungsfall im Sinne der Vertragsbedingungen vor. Die Beklagte kann sich nicht mit Erfolg darauf berufen, dass es sich bei der Erkrankung nicht um eine unerwartete, schwere Erkrankung gehandelt habe und die Kläger bereits bei Buchung mit der Erkrankung des Klägers zu 2 hätten rechnen müssen.

Die Klausel des § 2 der besonderen Bestimmungen der allgemeinen Versicherungsbedingungen, wonach Versicherungsschutz nur bei unerwarteten, schweren Erkrankungen besteht, ist wirksam. Zwar werden in der Kommentarliteratur (vgl. Prölss/Martin/Knappmann, VVG, 28. Aufl. 2010, Nr. 2 VB-Reiserücktritt 2008, Rn. 5 m. w. N.) erhebliche Bedenken geltend gemacht, ob die Klausel in dieser Fassung hinreichend bestimmt ist und sie den Anforderungen des § 307 BGB  genügt, doch lässt die wohl überwiegende Meinung die Klausel unbeanstandet und schränkt die nachteiligen Folgen für den Versicherungsnehmer durch eine „kundenfreundliche“ Auslegung der Regel ein (vgl. Knappmann a.a.O. Rdnr. 7). Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zu den §§ 6, 16 VVG a.F. ist deshalb darauf abzustellen, ob der Versicherungsnehmer bei Buchung der Reise positive Kenntnis von der Erkrankung gehabt hat, die bloß fahrlässige oder grob Unkenntnis reicht nicht aus (BGH NJW-RR 2008, 1062, 1063; Knappmann a.a.O. Rdnr. 7). Bei der Auslegung der Versicherungsbedingungen ist auf die subjektive Sicht des Versicherungsnehmers oder der versicherten Person abzustellen, da anderenfalls die eigentlich dem Versicherer obliegende Gefahrtragung unzulässig auf den Versicherungsnehmer übertragen würde (BGH, VersR 2012,  Seite 89; LG Duisburg Urteil vom 12.10.2012 – 7 S 187/11 (recherchiert bei Beck-online).

Abzustellen ist auf den Zeitpunkt der Buchung, das war vorliegend Ende September 2011. Für diesen Zeitpunkt hat das Gericht nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme nicht feststellen können, dass dem Kläger zu 2 und der Klägerin zu 1 bekannt gewesen ist, dass der Kläger zu 2 an einer schweren Erkrankung leidet, die der Durchführung der Reise entgegensteht.

Positive Kenntnis in diesem Sinne kann nur dann angenommen werden, wenn dem Versicherungsnehmer bei Buchung der Reise bekannt war, dass Krankheitssymptome vorliegen und mit einer Steigerung derselben gerechnet werden muss, so dass ein vernünftiger, unversicherter Reisender von einer Reisebuchung abgesehen hätte (LG Duisburg a.a.O. ) Bei der Kenntnis von den Symptomen muss der zwingende Schluss auf eine ernsthafte Erkrankung gezogen worden sein (Knappmann a.a.O.Rdnr. 8 ff.).

Daran fehlt es vorliegend. Zwar wird für Fälle einer Suchterkrankung, insbesondere einer Alkoholerkrankung, eine hohe Wahrscheinlichkeit für eine Verschlechterung bzw. eines so genannten Schubes angenommen (vgl. z.B. Urteil des AG München 133 C 5888/06 vom 12.05.2006 (recherchiert bei beck-online); vgl. auch Knappmann a.a.O. Rdnr. 10), doch lässt sich diese Rechtsprechung nicht auf den hier zu entscheidenden Sachverhalt übertragen. Denn in den genannten Entscheidungen bestand eine längere Suchterkrankung mit entsprechenden Vorerkrankungen, anders als vorliegend.

Der Kläger zu 2 hat keine Kenntnis von seiner schweren Suchterkrankung gehabt. Er ist erstmals im Januar 2012 damit konfrontiert worden, dass er an einer schweren Alkoholerkrankung leidet. Das folgt aus dem Inhalt der vorgelegten ärztlichen Atteste, der Anhörung des Klägers zu 2 durch das erkennende Gericht gem. § 141 ZPO und aus dem Inhalt der Aussage der gehörten Zeugin … . Die Zeugin hat glaubhaft und überzeugend bekundet, dass der Kläger zu 2 in jeder Hinsicht zuverlässig und ohne bemerkbare Ausfallerscheinungen die ihm übertragenden Aufgaben erledigt hat. Insbesondere im September 2011 sind keine besonderen Krankheitsausfälle oder sonstige Fehlzeiten wahrzunehmen gewesen.

Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme ist das Gericht überzeugt, dass dem Kläger zu 2, der Umfang und das Maß seiner Alkoholabhängigkeit nicht bekannt gewesen sind.

Der Beklagten mag darin zuzustimmen sein, dass es Teil des Krankheitsbildes ist, die Sucht zu vertuschen. Doch kann daraus nicht der Schluss gezogen werden, dass der Kläger zu 2, seine Erkrankung bereits im September 2011 tatsächlich für sich selbst erkannt hat. Für die Verweigerung des Versicherungsschutzes ist, wie ausgeführt, nicht darauf abzustellen, was der Versicherungsnehmer hätte erkennen müssen. Abzustellen ist allein darauf, was der Versicherungsnehmer bei der Buchung tatsächlich erkannt hat (vgl. LG Duisburg a.a.O.).

Mangels Vorerkrankung kann nicht unterstellt werden, dass dem Kläger zu 2 tatsächlich bewusst gewesen ist, dass er an einer schweren Alkoholabhängigkeit leidet.

Nach alledem war der Klage stattzugeben. Die Beklagte hat die den Klägern vom Reiseveranstalter in Rechnung gestellten Stornokosten in Höhe von 4.131,00 EUR zu ersetzen.

Die Beklagte hat den Klägern ferner die ihr entstandenen Rechtsanwaltskosten in Höhe von 446,13 EUR zu ersetzen, Anspruchsgrundlage ist §§ 286, 280 BGB.

Nachdem die Beklagte die Zahlung der Stornokosten jedenfalls mit Schreiben vom 24.02.2012 ernsthaft und endgültig verweigert hat, hat sich die Beklagte in Verzug befunden und die Kläger haben die Kosten der Rechtsverfolgung zu ersetzen. Zur Berechnung wird auf die Berechnung in der Klageschrift Bezug genommen.

Die weiteren Nebenentscheidungen folgen aus §§ 288, 285 BGB und aus §§ 91, 709 ZPO.

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