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Unfallversicherung – Eintritt der Invalidität innerhalb eines Jahres nach Unfall

OLG Celle beurteilt Streit um Invaliditätsentschädigung

In einem kürzlich geführten Berufungsverfahren kam der Oberlandesgerichtshof (OLG) Celle zu einer wichtigen Entscheidung im Versicherungsrecht. Ein Versicherungsnehmer hatte den Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe für das Berufungsverfahren gestellt, welcher jedoch abgewiesen wurde. Das Herz des Streits lag in der Frage, ob der Kläger einen weitergehenden Anspruch auf Zahlung einer Invaliditätsentschädigung hatte. Dies war jedoch in den Augen des Gerichts offensichtlich unbegründet.

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Untersuchung des Berufungsantrags

Zentral war die Forderung des Klägers, dass seine psychische Erkrankung bei der Erstbemessung der Beklagten in deren Schreiben vom 19. Dezember 2014 nicht berücksichtigt worden war. Er begehrte daher eine Abänderung dieses Leistungsbescheids. Darüber hinaus verlangte er eine Neubemessung seiner unfallbedingten Hörminderung mit Tinnitus.

Zwei Wege der Geltendmachung von Invaliditätsansprüchen

Generell stehen einem Versicherungsnehmer in der Unfallversicherung zwei Möglichkeiten zur Verfügung, um Invaliditätsansprüche gegen den Versicherer geltend zu machen. Er kann einerseits die Erstfeststellung seiner Invalidität anfechten und versuchen, eine aus seiner Sicht unzutreffende Erstfeststellung durch den Versicherer im Klageweg zu ändern. Alternativ kann der Versicherungsnehmer eine Neubemessung einer bereits anerkannten Invalidität verlangen, vorausgesetzt, es hat sich eine Veränderung im Gesundheitszustand ergeben.

Argumentation des Klägers

Der Kläger im vorliegenden Fall machte geltend, dass ein zusätzlicher, bei der Erstbemessung nicht berücksichtigter Dauerschaden in Form einer psychischen Erkrankung vorliege. Nach Auffassung des Gerichts bedeutete dies, dass der Kläger die Erstbemessung der Beklagten angriff. Er betonte auch, dass die Invaliditätsleistung, die ihm für seine Hörminderung mit Tinnitus zugesprochen wurde, nicht einer Invalidität von nur 19,8 % entsprochen hätte.

OLG Celles Bewertung der Klage

Nach der Auslegung des OLG Celle kann ein von der Versicherung im Rahmen der Erstbemessung nicht berücksichtigter Dauerschaden nicht Gegenstand der Neubemessung sein. Daher griff der Kläger laut Gericht sowohl im Hinblick auf seine psychische Erkrankung als auch auf seine Hörminderung mit Tinnitus die Erstbemessung der Beklagten an.


Das vorliegende Urteil

OLG Celle – Az.: 8 U 13/21 – Beschluss vom 22.02.2021

Der Antrag des Klägers auf Gewährung von Prozesskostenhilfe für das Berufungsverfahren wird zurückgewiesen.

Gründe

Die beabsichtigte Berufung ist offensichtlich unbegründet. Dem Kläger steht gegen die Beklagte kein weitergehender Anspruch auf Zahlung einer Invaliditätsentschädigung gemäß § 1 Satz 1, § 178 Abs. 1 VVG in Verbindung mit Ziffer 2.1 AUB 2000 zu.

A. Die Klage ist dahingehend auszulegen, dass der Kläger im Hinblick auf die unterbliebene Berücksichtigung seiner psychischen Erkrankung die Erstbemessung der Beklagten in deren Schreiben vom 19. Dezember 2014 angreift und eine Abänderung dieses Leistungsbescheids begehrt. Im Hinblick auf die von der Beklagten akzeptierte Bewertung der unfallbedingten Hörminderung mit Tinnitus begehrt der Kläger demgegenüber eine Neubemessung.

In der Unfallversicherung stehen dem Versicherungsnehmer im Rahmen der Geltendmachung von Invaliditätsansprüchen gegen den Versicherer grundsätzlich zwei Wege zur Verfügung.

Einerseits kann der Versicherungsnehmer die Erstfeststellung seiner Invalidität angreifen und versuchen, eine seiner Auffassung nach unzutreffende Erstfeststellung durch den Versicherer im Klagewege abzuändern (vgl.  BGH, Beschluss vom 22. April 2009 – IV ZR 328/07).

Der Kläger kann aber auch die Neubemessung einer vom Versicherer bereits anerkannten Invalidität verlangen. Grundlage eines solchen Neubemessungsverlangens sind Veränderungen im Gesundheitszustand des Versicherungsnehmers gegenüber demjenigen Zustand, der der Erstbemessung zugrunde liegt. Im Neubemessungsverfahren ist daher grundsätzlich nur der vom Versicherer ursprünglich festgestellten Invaliditätsgrad zu überprüfen (vgl. BGH, Beschluss vom 16. Januar 2008 – IV ZR 271/06).

Im vorliegenden Fall beanstandet der Kläger nicht lediglich die Bewertung seines Dauerschadens durch die Beklagte in deren Schreiben vom 19. Dezember 2014. Er macht vielmehr einen zusätzlichen und von der Beklagten bei der Erstbemessung nicht berücksichtigten Dauerschaden in Gestalt einer psychischen Erkrankung geltend.

Weil aber ein vom Versicherer im Rahmen der Erstbemessung nicht berücksichtigter Dauerschaden nicht Gegenstand der Neubemessung sein kann (vgl. BGH, a. a. O.), ist das Begehren des Klägers im Hinblick auf seine psychische Erkrankung interessengerecht dahingehend auszulegen, dass dieser die Erstbemessung der Beklagten angreift.

Auch im Hinblick auf die Bewertung seiner Hörminderung mit Tinnitus greift der Kläger die Erstbemessung der Beklagten an. Zwar hat sich der Kläger in seinem Schriftsatz vom 20. März 2017 auf das Attest des behandelnden Arztes W. bezogen und ausgeführt, dass der (von der Beklagten in ihrer Erstbemessung anerkannte) Invaliditätsgrad von bisher 19,8 % aufgrund der Verschlechterung der Beschwerden deutlich höher bewertet werden müsse (Bl. 29 d. A.). Mit Schriftsatz vom 12. August 2019 hat der Kläger allerdings abweichend vorgetragen, dass die von der Beklagten festgestellte Invaliditätsleistung zu keinem Zeitpunkt einer Invalidität von nur 19,8 % entsprochen habe (Bl. 272 d. A.). Ergänzend hat er unter Bezugnahme auf ein Attest von Herrn W. vorgetragen, dass die Audiometriebefunde von 2015 bis 2019 konstante Hörkurvenverläufe gezeigt hätten und dass sich die mittel- bis hochgradige Innenohrschwerhörigkeit von 2015 bis 2019 nicht verschlechtert habe (Bl. 275 d. A.). Schließlich hat der Kläger mit Schriftsatz vom 2. September 2019 klargestellt, dass sich die Klage gegen die Erstbemessung der Beklagten richtet (Bl. 293 d. A.).

B. Die auf Abänderung des Erstbemessungsbescheids gerichtete Klage ist allerdings unbegründet.

1. Der Versicherungsfall im Sinne von Ziffer 1.1 AUB 2000 ist unstreitig eingetreten. Danach bietet der Versicherer Versicherungsschutz für Unfälle, die der Versicherungsnehmer erleidet.

Ein Unfall liegt gemäß Ziffer 1.3 AUB 2000 vor, wenn der Versicherungsnehmer durch ein plötzlich von außen auf ihn wirkendes Ereignis unfreiwillig eine Gesundheitsschädigung erleidet. Unstreitig erlitt der Kläger durch die Zündung eines Feuerwerkskörpers ein Knalltrauma und in der Folge jedenfalls auch eine Hörminderung mit Tinnitus. Ein solches Geschehen begründet einen Versicherungsfall im Sinne der Versicherungsbedingungen (vgl. OLG Koblenz, Urteil vom 8. Juli 2005 – 10 U 1406/03).

2. Zutreffend ist das Landgericht allerdings zu dem Ergebnis gekommen, dass der Kläger nicht hinsichtlich aller von ihm behaupteter Dauerschäden die weiteren Anspruchsvoraussetzungen wahrte.

Gemäß Ziffer 2.1.1 Nr. 1 AUB 2000 in Verbindung mit Ziffer 5 BVV Unfallschutz Comfort ist weitere Voraussetzung für einen Leistungsanspruch, dass die Invalidität

  • innerhalb eines Jahres nach dem Unfall eingetreten ist und
  • innerhalb von 18 Monaten nach dem Unfall von einem Arzt schriftlich festgestellt und
  • innerhalb von 18 Monaten nach dem Unfall vom Versicherungsnehmer beim Versicherer geltend gemacht wird.

a) Eintritt der Invalidität innerhalb eines Jahres nach dem Unfall bedeutet, dass die beim Unfallereignis erlittene Gesundheitsschädigung innerhalb dieses Zeitraumes den Charakter einer Dauerschädigung erreicht haben muss. Gemäß § 180 Satz 2 VVG ist eine Beeinträchtigung dauerhaft, wenn sie voraussichtlich länger als drei Jahre bestehen wird und eine Änderung dieses Zustandes nicht erwartet werden kann. Die Beurteilung des Invaliditätseintritts erfordert regelmäßig eine Prognoseentscheidung in Bezug auf den weiteren Krankheits- bzw. Heilungsverlauf. Dabei hat der spätere, konkrete Verlauf des Krankheitsbilds unberücksichtigt zu bleiben. Keine Leistungspflicht besteht daher, wenn der Gesundheitszustand des Versicherten innerhalb der Frist von einem Jahr noch keine abschließende Festlegung in Bezug auf eine dauernde Beeinträchtigung der Leistungsfähigkeit zulässt, selbst wenn sich im weiteren Behandlungsverlauf herausstellt, dass die Voraussetzungen einer Invalidität vorliegen (vgl. BGH, Urteil vom 28. Februar 1990 – IV ZR 36/89; OLG Düsseldorf, VersR 2010, 61; OLG Köln, RuS 1993, 199; Jacob in: BeckOK VVG, Stand: Stand: 09.11.2020, § 180, Rn. 5; Marlow in: Veith/Gräfe/Gebert, Der Versicherungsprozess, 4. Aufl., § 12, Rn. 233). Dabei kommt der Beweismaßstab des § 286 ZPO zum Tragen (vgl. BGH, Urteil vom 17. Oktober 2001 – IV ZR 205/00).

Auf dieser Grundlage ist die Klage im Hinblick auf die vom Kläger geltend gemachten psychischen Unfallfolgen bereits unschlüssig. Denn der Kläger hat nicht vorgetragen, dass die von ihm behauptete psychische Erkrankung innerhalb eines Jahres nach dem Unfall und damit bis zum 16. September 2014 den Charakter eines Dauerschadens angenommen hatte. Auch den vom Kläger vorgelegten ärztlichen Attesten können keine entsprechenden Anhaltspunkte entnommen werden. Die ausdrückliche Bescheinigung einer psychischen Erkrankung des Klägers findet sich erstmals im Attest vom 26. Februar 2015 (Bl. 299 d. A.). In dieser Bescheinigung führte die Fachärztin Frau R. (später: Frau H.) aus, dass sich der Kläger (erst) seit Januar 2015 in ihrer ambulanten psychiatrischen Behandlung befinde. Für den im vorliegenden Fall maßgeblichen Zeitraum bis zum 16. September 2014 können somit weder dieser Bescheinigung noch allen nachfolgenden ärztlichen Attesten konkrete Anhaltspunkte für die erstmalige Entstehung des Dauerschadens entnommen werden.

Dass sich das Landgericht ebenso wie die Beklagte mit dieser Anspruchsvoraussetzung nicht befasst hat, ist unerheblich. Es handelt sich bei der Fristenregelung gemäß Ziffer 2.1.1 Nr. 1 AUB 2000 um eine die Entschädigungspflicht des Versicherers begrenzende objektive Anspruchsvoraussetzung. Sie ist von Amts wegen zu berücksichtigen und bei ihrem Fehlen die Klage abzuweisen (vgl. BGH, Urteil vom 19. November 1997 – IV ZR 348/96; OLG Saarbrücken, VersR 2007, 487).

Soweit der Kläger in seiner am 15. Januar 2021 beim Oberlandesgericht eingegangenen Antragsschrift ergänzend auf die von diversen Ärzten bereits im Jahr 2014 empfohlene Einholung eines neurologischen Zusatzgutachtens verweist, kann auch hierin nicht der Vortrag eines bis zum 16. September 2014 eingetretenen psychischen Dauerschadens gesehen werden. Eine solche Annahme scheitert bereits daran, dass es sich bei der Neurologie um eine gänzlich andere Fachrichtung handelt, die sich nicht mit psychischen Erkrankungen befasst. Das Fachgebiet der Neurologie beinhaltet vielmehr die Lehre vom Aufbau, der Funktion sowie den Erkrankungen des zentralen Nervensystems und der peripheren Nerven (vgl. Heisel, Neurologische Differenzialdiagnostik, Seite 1).

Dass der Kläger nach eigenen Angaben seit dem Unfall unter Konzentrationsstörungen, Kopfschmerzen und einem schlechten Schlafverhalten leidet, kann ebenfalls nicht als Behauptung eines bis zum 16. September 2014 eingetretenen psychischen Dauerschadens verstanden werden. Das scheitert bereits an dem Umstand, dass die vom Kläger geschilderte Symptomatik keinen Rückschluss auf ihren Schweregrad und ihre prognostische Dauer erlaubt. Es ist nicht einmal ersichtlich, dass der Kläger hiermit eine eigenständige Erkrankung hat geltend machen wollen.

Die Behauptung eines bis zum 16. September 2014 eingetretenen Dauerschadens ist auch nicht im Hinblick auf das vom Kläger behauptete Gespräch mit der Zeugin St. entbehrlich. Zwar hat der Kläger behauptet, dass die Zeugin in ihrer Eigenschaft als Versicherungsagentin für die Beklagte Zusagen gemacht habe. So habe sie im Rahmen eines Telefonats mit dem Kläger mitgeteilt, dass die Beklagte wegen einer unfallbedingten psychischen Störung auch dann Leistungen erbringen werde, wenn der Kläger die Störung erst nach Ablauf der Frist von 18 Monaten geltend mache.

Allerdings hat die vom Landgericht vernommene Zeugin die vom Kläger behauptete Regulierungszusage nicht bestätigt. Zwar habe sie mit dem Innendienst telefoniert und sich nach den Voraussetzungen für eine Leistungspflicht bei psychischen Störungen erkundigt. Allerdings glaube sie nicht, dass sie mit dem Kläger über Ausschlussfristen gesprochen habe. Sie könne sich auch nicht erinnern, eine Leistung der Beklagten auch für den Fall einer Geltendmachung erst nach Ablauf der Ausschlussfrist zugesagt zu haben. Nur am Rande weist der Senat deshalb darauf hin, dass die gesetzliche Abschlussvollmacht des Versicherungsvertreters gemäß § 71 VVG nicht die Befugnis umfasst, Regulierungszusagen zu machen (vgl. KG Berlin, RuS 2017, 347).

Schließlich hat die Beklagte entgegen der vom Kläger vertretenen Auffassung zu keinem Zeitpunkt schriftlich erklärt, die Ansprüche des Klägers unter Berücksichtigung auch der von ihm behaupteten psychiatrischen Erkrankung regulieren zu wollen. Im Gegenteil heißt es bereits im Schreiben der Beklagten vom 11. Januar 2016 (Anlage B 13 im Anlagenband Beklagte) unter anderem:

„Ein Anspruch auf die Invaliditätsleistungen besteht, wenn wegen des Unfalls- die Invalidität innerhalb von 12 Monaten nach dem Unfall eingetreten ist,

  • die Invalidität innerhalb von 18 Monaten nach dem Unfall von einem Arzt schriftlich festgestellt ist und
  • der Anspruch innerhalb von 18 Monaten nach dem Unfall bei uns geltend gemacht ist.

Die Fristen hierfür sind abgelaufen. Deshalb besteht für die weiteren Beschwerden, die über die Schwerhörigkeit mit Tinnitus hinausgehen, kein Anspruch mehr.“

[Anmerkung: Hervorhebung durch den Senat]

Diese Aussage ist eindeutig und nicht fehlzuinterpretieren.

b) Darüber hinaus ist das Landgericht nach durchgeführter Beweisaufnahme zu dem Ergebnis gekommen, dass der Kläger auch die Geltendmachung des psychischen Dauerschadens innerhalb der Frist von 18 Monaten nach dem Unfall und damit bis zum 16. März 2015 gegenüber der Beklagten nicht bewiesen hat.

Der Kläger hat erstmals im Termin zur mündlichen Verhandlung am 3. September 2019 und damit ca. 2 1/2 Jahre nach Klageerhebung unter Beweisantritt vorgetragen, dass Frau R. mit Attest vom 26. Februar 2015 einen unfallbedingten psychischen Dauerschaden des Klägers diagnostiziert habe und dass der Kläger dieses Attest einen Tag später mit Schreiben vom 27. Februar 2015 an die Beklagte übersandt habe.

Das Landgericht hat daraufhin Beweis erhoben durch Vernehmung der Zeugin P., sich auf der Grundlage der Zeugenaussage aber keine Gewissheit im Sinne des Klägervortrags bilden können. So habe die Zeugin P. bekundet, mehrere Atteste von Frau H. gesehen zu haben. Weil aber die vom Kläger eingereichten Atteste von Frau H. inhaltlich weitgehend identisch seien, könne bereits deshalb nicht mit Sicherheit festgestellt werden, dass die Zeugin auch das Attest vom 26. Februar 2015 zu Gesicht bekommen habe. Darüber hinaus seien die Angaben der Zeugin in zeitlicher Hinsicht unkonkret geblieben. Sie habe insbesondere die Behauptung des Klägers nicht bestätigen können, dieser habe das Attest gemeinsam mit der Zeugin am 27. Februar 2015 an die Beklagte versandt. Selbst wenn das der Fall gewesen sein sollte, hätte der Kläger aber nicht den Zugang dieses Schreibens bei der Beklagten bewiesen.

An diese Feststellungen ist der Senat gemäß § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO grundsätzlich gebunden. Das gilt nur dann nicht, wenn konkrete Anhaltspunkte Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit der entscheidungserheblichen Feststellungen begründen und deshalb eine erneute Feststellung gebieten (vgl. BGH, Urteil vom 14. Juni 2019 – V ZR 73/18; BGH, Urteil vom 7. Februar 2019 – VII ZR 274/17; BGH, Urteil vom 22. März 2018 – I ZR 118/16).

Solche Zweifel hat der Kläger nicht aufgezeigt und auch im Übrigen begegnet die Beweiswürdigung des Landgerichts keinen Bedenken. Der Kläger hat selbst in seiner am 15. Januar 2021 beim Oberlandesgericht per Fax eingegangenen Antragsschrift eingeräumt, dass der maßgebliche Vorgang mittlerweile mehr als fünf Jahre zurückliegt und dass die Zeugin deshalb bei ihrer Vernehmung keine präsenten Erinnerungen an das Geschehen besessen habe (Bl. 458 d. A.).

Dass ein Tinnitus Folgeschäden nach sich ziehen kann, ist demgegenüber unerheblich. Denn jedenfalls hat nicht jeder Tinnitus eine psychische Erkrankung zur Folge. Erst recht ist das nicht innerhalb der Frist von 18 Monaten nach dem erstmaligen Auftreten eines Tinnitus der Fall. Deshalb musste die Beklagte allein aufgrund der festgestellten Erkrankung des Klägers an einem Tinnitus auch nicht davon ausgehen, dass es innerhalb der Frist von 18 Monaten nach dem Unfall bei dem Kläger zwangsläufig zu einer weiteren Erkrankung psychischer Natur mit Dauerwirkung kommen würde.

Soweit der Kläger ergänzend auf die Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 19. Juni 2013 – V ZB 226/12 – hingewiesen hat, wird auch hierdurch die Beweiswürdigung des Landgerichts nicht in Frage gestellt. Zwar darf ein Absender darauf vertrauen, dass ein per Post aufgegebenes Schreiben auch rechtzeitig beim Empfänger eingeht. Allerdings geht es im vorliegenden Fall nicht um die Frage, worauf der Kläger vertrauen durfte. Vielmehr hat der Kläger bereits nicht bewiesen, das Attest vom 26. Februar 2015 innerhalb der Frist von 18 Monaten nach dem Unfall per Post an die Beklagte verschickt zu haben.

3. Auf der Grundlage der vorstehenden Ausführungen beschränkt sich der Anspruch des Klägers somit auf die dem Leistungsbescheid der Beklagten vom 19. Dezember 2014 zugrundeliegende Hörminderung mit Tinnitus.

Bei der Erstbemessung ist grundsätzlich auf den Zustand des Versicherungsnehmers bei Ablauf der Invaliditätseintrittsfrist abzustellen. Zwar ist die die für die Neubemessung maßgebliche Dreijahresfrist ausnahmsweise dann entscheidend, wenn der Versicherungsnehmer noch vor Ablauf dieser Neubemessungsfrist klageweise Invaliditätsansprüche geltend macht. In einem solchen Fall gehen die Prozessbeteiligten typischerweise davon aus, dass der Streit insgesamt in dem vor Fristablauf eingeleiteten Prozess ausgetragen werden soll einschließlich etwaiger weiterer Invaliditätsfeststellungen (vgl. BGH, Urteil vom 18. November 2015 – IV ZR 124/15). Allerdings hat der Kläger im vorliegenden Fall erst nach Ablauf der Dreijahresfrist Klage erhoben, sodass dieser Ausnahmefall nicht zum Tragen kommt.

Dementsprechend hätte das Landgericht dem Sachverständigen Prof. Dr. L. als maßgeblichen Stichtag den Ablauf der Invaliditätseintrittsfrist vorgeben müssen und nicht – wie geschehen – den 16. September 2019. Im Ergebnis wirkt sich das allerdings nicht aus, denn der Sachverständige hat eine weitergehende, auf der Hörminderung mit Tinnitus beruhende Invalidität des Klägers nicht feststellen können. Zur Vermeidung von Wiederholungen nimmt der Senat insoweit auf die zutreffenden Ausführungen im landgerichtlichen Urteil Bezug, die im Übrigen vom Kläger in seiner am 15. Januar 2021 beim Oberlandesgericht eingegangenen Antragsschrift auch nicht angegriffen werden.

Ein weitergehender Anspruch des Klägers gegen die Beklagte bestünde somit nur, wenn es nach dem 16. März 2015 zu einer Verbesserung der Beschwerden gekommen wäre. Das hat der Kläger allerdings zu keinem Zeitpunkt vorgetragen und auch den vorliegenden ärztlichen Attesten und Gutachten können insoweit keinerlei Anhaltspunkte entnommen werden.

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