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Teilkasko-Versicherung – Anspruch Erstattung fiktiver Reparaturkosten

LG Bielefeld – Az.: 2 O 97/19 – Urteil vom 23.06.2020

Die Klägerin trägt die Kosten des Rechtsstreits.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Klägerin kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des nach dem Urteil beizutreibenden Betrages abwenden, sofern nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils beizutreibenden Betrages leistet.

Tatbestand

Die Klägerin macht Ersatzansprüche aus einem mit der Beklagten abgeschlossenen Teilkasko-Versicherungsvertrag (Anlage B 1; vereinbarte Selbstbeteiligung: 150,00 €) geltend. Sie behauptet dazu, mit dem versicherten Fahrzeug VW Tiguan, amtliches Kennzeichen … am 20.10.2018 einen Unfall mit einem Reh erlitten zu haben. Die diesbezüglichen Behauptungen der Klägerin werden im Folgenden dargestellt.

Die Klägerin informierte die Beklagte telefonisch am gleichen Tag. Am 22.10.2019 beauftragte die Beklagte die Firma … mit der Erstellung eines Gutachtens. Nach Fahrzeugbesichtigung am 02.11.2018 hat die Firma … noch am gleichen Tag eine Schadenskalkulation mit folgenden Ergebnissen erstellt (Blatt 10 bis 28 d. A.):

Netto-Reparaturkosten 6.327,03 €,

Abzug für Vor-/Altschaden 200,00 €

6.127,03 €.

Nettowiederbeschaffungswert 10.742,19 €,

Bruttorestwert 5.510,00 €.

Unter dem 27.11.2018 fertigte die Klägerin eine schriftliche Schadensanzeige (Anlage B 2), in der Vorschäden am Fahrzeug nicht angegeben wurden. Auf Fragen des Schadensgutachters hatte die Klägerin diesem gegenüber einen leichten Vorschaden an der linken Seite angegeben, wobei zwischen den Parteien streitig ist, ob diesbezüglich auf einen reparierten oder einen unreparierten Vorschaden hingewiesen wurde.

Tatsächlich hatte das Fahrzeug im April 2018 einen massiven Vorschaden gemäß Anlage B 6 (Gutachten vom 20.04.2018) im gleichen Bereich erlitten. Seinerzeit wurde ein Wiederbeschaffungswert von 11.900,00 € und ein Restwert von 5.200,00 € ermittelt bei veranschlagten Brutto-Reparaturkosten von 13.231,00 €.

Im Schadensgutachten der Firma … ist angegeben, dass keine Vorschäden festgestellt worden seien; als Altschaden ist eine Anschrammung am Stoßfänger vorne angegeben.

Die Klägerin behauptet, von dem dargestellten massiven Vorschaden keine Kenntnis gehabt zu haben. Sie habe das Fahrzeug von einem … im … erworben, und zwar mit der Angabe eines reparierten Unfallschadens. In diesem Zusammenhang sei jedoch lediglich von einem leichten Vorschaden an der linken Seite die Rede gewesen. Der Verkäufer habe den Vorschaden aus April 2018 ebenfalls nicht gekannt; ausweislich des Schadensgutachtens vom 20.04.2018 (Anlage B 6) war seinerzeit eine Frau … Fahrzeughalterin.

Sie, die Klägerin, habe das Fahrzeug von dem genannten Herrn … gekauft, obwohl der mit Schriftsatz vom 10.06.2020 eingereichte diesbezügliche Kaufvertrag (Blatt 109 d. A.) auf ihre Tochter, die als Zeugin benannte … als Käuferin ausgestellt ist.

Die Klägerin behauptet weiter, sie sei am eingangs genannten 20.10.2018 gegen 6:50 Uhr von Steinhagen Richtung Brockhagen auf der Patthorster Straße zwecks Weiterfahrt nach Münter unterwegs gewesen. Ihr Beifahrer, der als Zeuge benannte Herr …, habe bemerkt, dass er sein Portemonnaie vergessen habe, so dass man auf der Patthorster Straße gewendet habe, um dieses noch zu holen. Kurz vor der Kreuzung Waldwinkel sei dann plötzlich von links ein Reh gekommen und vor das Fahrzeug gelaufen, was zu einer Kollision mit dem Reh geführt habe. Die Klägerin sei mit dem Fahrzeug von der Fahrbahn abgekommen und im Straßengraben gelandet. Das Reh sei nur leicht verletzt worden, so dass es in den Wald geflüchtet sei; am Fahrzeug hätten sich deutliche Haar-, Speichel- und Blutspuren befunden. Es könne durchaus sein, dass nicht die Kollision zwischen Reh und Fahrzeug unmittelbar dazu geführt habe, dass das Fahrzeug in den Straßengraben gedrängt wurde, sondern dass sie vor Schreck das Lenkrad verrissen habe.

Zu dem Zeitpunkt, als sie das Fahrzeug erworben habe, habe sich dieses in hundertprozentigem, ordnungsgemäß repariertem Zustand befunden. Nach dem streitgegenständlichen Unfall sei das Fahrzeug in Eigenregie durch den als Zeugen benannten Herrn … und einen weiteren Bekannten repariert worden und werde weiterhin von ihr genutzt.

Die Klägerin beantragt, die Beklagte zu verurteilen, an sie 6.177,03 € zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zuzüglich vorgerichtlicher Rechtsverfolgungskosten in Höhe von 650,34 € zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

Sie bestreitet Besitz und Eigentum der Klägerin an dem Fahrzeug und damit deren Aktivlegitimation.

Sie bestreitet ferner den behaupteten Unfallhergang, ebenso das behauptete Vergessen des Portemonnaies durch den als Zeugen benannten Herrn … als Ursache für das behauptete Wenden.

Der behauptete Schadenshergang sei nicht plausibel. Es sei unplausibel, dass ein Reh auf ein Fahrzeug zulaufe. Ein Reh sei darüber hinaus nicht in der Lage, ein fast 2 Tonnen schweres Fahrzeug von der Fahrbahn zu drängen.

Sie, die Beklagte, meint im Übrigen, sie sei wegen Obliegenheitspflichtverletzungen der Klägerin leistungsfrei. Zum einen habe die Klägerin den Unfallhergang falsch geschildert, zum anderen den massiven Vorschaden verschwiegen. Das Gutachten … beruhe auf einem Fahrzeugzustand ohne diesen Vorschaden.

Spuren eines Rehs hätten sich im Übrigen bei der Besichtigung durch die Firma … nicht am Fahrzeug befunden.

Die Klägerin behauptet hierzu, sie habe das Fahrzeug zwischenzeitlich gereinigt gehabt.

Obliegenheitspflichtverletzungen könnten ihr im Übrigen schon deshalb nicht vorgeworfen werden, weil sie die AKB der Beklagten erst im Laufe des Rechtsstreits erhalten habe.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Parteivorbringens wird auf die ausgetauschten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

Die Klage wurde am 07.08.2019 zugestellt.

Entscheidungsgründe

Die Klage ist unbegründet.

Die Aktivlegitimation der Klägerin kann dahinstehen, ebenso die Frage, ob sich der behauptete Schadensfall so, wie von der Klägerin behauptet, zugetragen hat.

Die Klägerin hat zur Höhe des geltend gemachten Schadens nicht hinreichend vorgetragen.

Als Anspruchsgrundlage für einen Zahlungsanspruch gegenüber der Beklagten kommt allein der zwischen den Parteien abgeschlossene Versicherungsvertrag in Verbindung mit den allgemeinen Versicherungsbedingungen in Betracht. Da sich allein aus dem Versicherungsschein und auch aus der Tatsache des Bestehens eines Versicherungsvertrages keinerlei Regelungen in Bezug auf den Inhalt des Versicherungsverhältnisses ergeben und dann nicht einmal zu ersehen wäre, wofür die Beklagte überhaupt eintrittspflichtig wäre, müssten die beiderseitigen Rechte und Pflichten im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung definiert werden, falls die Klägerin tatsächlich die AKB der Beklagten nicht erhalten haben sollte. Eine ergänzende Vertragsauslegung hätte sich an den Grundsätzen des § 306 Abs. 2 BGB zu orientieren, was im Ergebnis dazu führen würde, dass Versicherungsbedingungen heranzuziehen sind, die üblich sind, und von denen beide Seiten auch Kenntnis erlangen können oder hätten erlangen können, (vgl. OLG Oldenburg ZfS 2018, 96, Rn. 14). Das wären die von der Beklagten vorgelegten AKB, die im Hinblick auf die maßgeblichen potentiellen Anspruchsgrundlagen typische Regelungen enthalten.

Nach A.2.6, dort Ziffer 2 a, käme ein Ersatzanspruch der Klägerin für die geltend gemachten Reparaturkosten laut Gutachten dann in Betracht, wenn diese den Wiederbeschaffungswert nicht übersteigen und durch eine Rechnung nachgewiesen werden. Letzteres ist unstreitig nicht der Fall, so dass ein Anspruch aus der vorgenannten Regelung nicht in Betracht kommt.

Alternativ für den Fall, dass das Fahrzeug nicht, nicht vollständig oder nicht fachgerecht repariert wurde, oder ein diesbezüglicher Nachweis fehlt, käme ein Anspruch auf die Reparaturkosten laut Gutachten bis zur Höhe des um den Restwert verminderten Wiederbeschaffungswert in Betracht.

Ein dahingehender Anspruch scheitert daran, dass im Schadensgutachten zwar fiktive Reparaturkosten angegeben sind, von dem angegebenen Wiederbeschaffungswert jedoch deshalb nicht ausgegangen werden kann, weil dieser unstreitig unter Zugrundelegung nicht vorhandener Vorschäden bzw. lediglich einer Anschrammung am Stoßfänger vorne als Altschaden ermittelt wurde. Tatsächlich hatte das Fahrzeug jedoch einen massiven Vorschaden erlitten, der Bruttoreparaturkosten in Höhe von 13.231,00 € erfordert hätte, die oberhalb des seinerzeitigen Wiederbeschaffungswertes lagen. Das Fahrzeug hatte also bereits einen wirtschaftlichen Totalschaden erlitten. Es fehlt jeder Vortrag dazu, wie der seinerzeitige Vorschaden repariert wurde. Die schlichte Behauptung, dies sei „ordnungsgemäß“ erfolgt, ist nicht ausreichend. Die Kammer ist seit vielen Jahren mit Rechtsstreitigkeiten befasst, die unfallbedingte Beschädigungen an Kraftfahrzeugen zum Gegenstand haben. Es ist daher gerichtsbekannt, dass Unfallschäden sehr häufig lediglich in der Weise repariert werden, dass sie optisch ohne nähere Überprüfung nicht mehr feststellbar sind, tatsächlich jedoch keine ordnungsgemäße Reparatur erfolgt. Durch eine derartige Reparatur wird der Unfallschaden nicht vollständig beseitigt mit der Folge, dass auch der Wiederbeschaffungswert geringer ist als bei einem Fahrzeug, welches keinen solchen Vorschaden erlitten hat – ganz abgesehen vom unfallbedingten merkantilen Minderwert.

Nach Auffassung des Gerichts handelt es sich hierbei auch nicht lediglich um einen Abzug „Neu für Alt“, der der Höhe nach von der Beklagten nachzuweisen wäre. Voraussetzung für den klägerischen Anspruch wäre vielmehr, dass ein Wiederbeschaffungsaufwand (Wiederbeschaffungswert abzüglich Restwert) feststellbar ist, der über den veranschlagten Reparaturkosten liegt.

Wie bereits dargelegt, ist der diesbezügliche Beweisantritt unzureichend. Es wäre der Klägerin auch durchaus zumutbar gewesen, beim Verkäufer – dessen Unkenntnis sie lediglich mutmaßt – oder auch bei der Voreigentümerin zum Zeitpunkt des Eintritts des Vorschadens im April 2018 nachzufragen und Belege anzufordern, wie der seinerzeitige Schaden beseitigt wurde.

Einer Vernehmung der von der Klägerin benannten Zeugin … bzw. des benannten Zeugen … war entbehrlich, da diese ersichtlich lediglich Angaben zum äußeren Zustand des Fahrzeugs vor dem streitgegenständlichen Vorfall hätten machen können, woraus aber, wie bereits dargelegt, keine Schlüsse auf die Qualität der Vorschadensreparatur hätten gezogen werden können. Im Übrigen bezog sich der Beweisantritt auch lediglich auf den vermeintlich leichten Vorschaden an der linken Seite, nicht auf den massiven Vorschaden aus April 2018, dessen Kenntnis die Klägerin bestreitet.

Grundlagen dafür, den Wiederbeschaffungsaufwand des streitgegenständlichen Fahrzeugs zu schätzen, liegen dem Gericht nicht vor, so dass die Klage insgesamt abzuweisen ist.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit aus §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.

 

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