AG Köthen – Az.: 8 C 100/16 – Urteil vom 10.08.2016
1. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 1.363,39 € nebst 5 Prozentpunkten Zinsen über dem Basiszinssatz seit dem 01.04.2016 sowie 201,71 € nebst 5 Prozentpunkten Zinsen über dem Basiszinssatz seit dem 18.04.2016 zu zahlen. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
2. Von den Kosten des Rechtsstreits tragen die Beklagte 38 % und der Kläger 62 %.
3. Das Urteil ist für den Kläger gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des vollstreckbaren Betrages vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung der Beklagten gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % der vollstreckbaren Kosten abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in dieser Höhe leistet.
Tatbestand
Der Kläger fordert von der Beklagten Rückzahlung von Versicherungsprämien und Zinsen, hilfsweise Auskunft.
Mit Versicherungsbeginn zum 1.12.2004 schloss der Kläger eine kapitalbildende Lebensversicherung auf den Todes- und Erlebensfall nach Tarif DK2/AM der Beklagten mit Unfallzusatzversicherung und Dynamik im so genannten Policenmodell gemäß § 5a VVG a.F. in der seinerzeit gültigen Fassung ab.
Die Verbraucherinformation mit der Widerspruchsbelehrung hatte der Kläger bereits mit den Antragsunterlagen erhalten. In ihrem Begleitschreiben zur Versicherungspolice vom 13.12.2004 verwies die Beklagte auf die Anlagen: Tabelle der Rückkaufwerte, die Modellrechnung, das Zertifikat, die ABL 2004 mit Anhang, die BUZV 2003, BBL 2004, das Steuermerkblatt, die Satzung. Datenschutzmerkblatt.
Weiter oben heißt es:
„Der Versicherungsnehmer kann den Versicherungsvertrag innerhalb einer Frist von 30 Tagen nach Erhalt des Versicherungsscheins und der unten aufgeführten Versicherungsbedingungen und Verbraucherinformationen in Textform widersprechen. Zur Wahrung der Frist genügt die rechtzeitige Absendung des Widerspruchs“.
In der Folgezeit erbrachte der Kläger Beitragszahlungen in Höhe von 7.948,90 €. (Anlage K 24, dort 2. Spalte von links).
Mit Schreiben seines Prozessbevollmächtigten vom 27.01.2016 und 03.03.2016 erklärte der Kläger den Widerspruch gegen das Zustandekommen des Vertrages gemäß § 5 a VVG a.F., den Rücktritt und Widerruf gemäß § 8 VVG a.F. und den Widerruf gemäß § 8 VVG n.F. und verlangte von der Beklagten die Rückzahlung der eingezahlten Beträge nebst Zinsen heraus.
Daraufhin zahlte die Beklagte unter Akzept der lediglich hilfsweise erklärten Kündigung 6.726,34 € aus, die sie gemäß ihrer Schreiben vom 4.2.2016 (Anlagen K 22 und 23) berechnete.
Nach Auffassung des Klägers stand ihm auch im Januar und März 2016 das Widerspruchsrecht nach § 5 aVVG a.F. zu mit der Folge eines Rückabwicklungsanspruch nach §§ 812 ff, 357, 346 ff. BGB.
Im vorliegenden Policenmodell habe es die Beklagte verabsäumt, dem Kläger in dem Begleitschreiben vom 13.12.2004 zu der mitzugesandten Police eine ordnungsgemäße Verbraucherinformation gemäß § 10 a VVG a.F. zu erteilen. Denn es genüge nicht wenn in den Anlagen diese Verbraucherinformationen nicht genannt und diese nicht beigefügt seien, auch wenn sie versehentlich bereits mit dem Antragsformular ausgehändigt wurden. Der Kläger habe den Fristbeginn seines Widerspruchsrechts bei dieser Vorgehensweise nicht einschätzen können.
Auf die Jahresfrist des § 5a Abs. 2 Satz 4 VVG a.F. könne sich die Beklagte wegen der Europarechtswidrigkeit dieser Norm nicht berufen. Verjährung sei nicht eingetreten, weil diese erst mit der Ausübung des Widerspruchsrechts zu laufen beginne; für die Verwirkung fehle das Umstandsmoment.
Der Kläger meint, die Beklagte habe die Beitragszahlungen von 7.948,90 € abzüglich des ausgezahlten Rückkaufwertes von 6.726,34 € zuzüglich 2.411,55 € Zinsen, mithin Zahlung in Höhe der Hauptforderung zu leisten.
Bei einer Kapitallebensversicherung seien die von der Beklagten konkret erwirtschafteten Nettozinsen als Bereicherung herauszugeben.
Der Kläger beantragt mit der am 18.04.2016 zugestellten Klage, die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 3.634,11 € nebst 5 Prozentpunkten Zinsen über dem Basiszinssatz seit dem 01.04.2016 sowie 413,64 € nebst 5 Prozentpunkten Zinsen über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen, hilfsweise, die Beklagte zu verurteilen,
a. in prüfbarer und – soweit für die Prüfung erforderlich – belegter Form darüber Auskunft zu erteilen, wie sich die Hälfte des ungezillmerten Deckungskapitals und der Rückkaufwert im Sinne der versprochenen Leistung darstellen und mit welchem Abschlusskosten und Stornoabzug die Beklagte die Auszahlungsbeträge für den abgeschlossenen Lebensversicherungsvertrag belastet hat,
b. die von der Beklagten erteilten Auskünfte durch Vorlage entsprechender Unterlagen zu belegen,
c. gegebenenfalls die Richtigkeit und Vollständigkeit der Auskünfte an Eides Statt zu versichern und
d. die Beklagte zur Zahlung eines Betrages in einer nach der Auskunft noch zu bestimmenden Höhe nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz ab Rechtshängigkeit zu verurteilen.
Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.
Sie meint, die Information sei objektiv erteilt worden, auf die subjektive Kenntnis des Versicherungsnehmers komme es nicht an.
Hinsichtlich der Höhe seien allenfalls 1.363,39 € noch herauszugeben; die Berechnung des Klägers berücksichtige nicht herauszugebende Prämienanteile für den gewährten Todesfallschutz und Unfalltodschutz nicht; ferner nicht die abzuführende Kapitalertragssteuer und den Solidaritätszuschlag. Dies wirke sich auch zinsmindernd aus, die gezogenen Nutzungen betragen allenfalls 1.352,61 €.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die gemäß § 215 Abs. 1 Satz 1 VVG am Amtsgericht Köthen zulässige Klage ist teilweise begründet.
Der Kläger kann von der Beklagten aus § 812 Abs. 1 Satz 1, 1.Altern. BGB die Zahlung von 1.363,39 € verlangen.
Der zwischen den Parteien geschlossene Lebensversicherungsvertrag schafft keinen Rechtsgrund für die Prämienzahlungen. Sie sind des Widersprüche des Klägers nicht wirksam zustande gekommen. Der Widerspruch war – ungeachtet des Ablaufs der in § 5a Abs. 2 Satz 4 VVG a.F. normierten Jahresfrist – rechtzeitig.
Auch wenn dem Kläger die Verbraucherinformationen mit dem Widerspruchsrecht bereits bei der Antragstellung zugegangen sind und über das Widerspruchsrechtstext inhaltlich nicht zu beanstanden ist, belehrte die Beklagte den Kläger nicht ordnungsgemäß i.S. von § 5a Abs. 2 Satz 1 VVG a.F. Denn ihr Vorgehen war der gebotenen verbraucherfreundlichsten Vorgehensweise irreführend.
Da der Beginn das Widerspruchsrecht an den Erhalt des Versicherungsscheins (Police) gebunden ist, war über das Widerspruchsrecht in oder mit dem Policenbegleitschreiben vom 13.12.2004 zu informieren. Der Hinweis im Begleitschreiben vom 13.12.2004 war jedoch inhaltlich unzureichend, weil die Verbraucherinformation in der Anlage nicht aufgeführt sind (BGH IV ZR 122/14) und auch nicht auf die bereits mit der Antragstellung überreichten Unterlagen hingewiesen wird. Die Verweisung auf die „unten angeführten Verbraucherinformationen“ genügt auch dann nicht, wenn der Kläger diese Informationen bereits vorab bei der Antragstellung erhalten hat, da die Übersendung der Information gemeinsam mit der Police gerade den Zweck hat, den Kläger auf sein ab diesem Zeitpunkt bestehende Widerspruchsrecht hinzuweisen.
Das Widerspruchsrecht bestand hier auch nach Ablauf der Jahresfrist und noch im Zeitpunkt der Widerspruchserklärung fort. Das ergibt die richtlinienkonforme Auslegung des § 5a Abs. 2 Satz 4 VVG a.F. auf der Grundlage der Entscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union vom 19. Dezember 2013 (VersR 2014, 225).
Entgegen der Auffassung der Beklagten hat der Kläger das Recht zum Widerspruch nicht verwirkt. Es fehlt hier jedenfalls am Umstandsmoment. Ein schutzwürdiges Vertrauen kann die Beklagte schon deshalb nicht in Anspruch nehmen, weil sie die Situation selbst herbeigeführt hat, indem sie den Klägern keine ordnungsgemäßen Widerspruchsbelehrungen erhalten hat.
Die Kondiktionsansprüche des Klägers errechnen sich wie folgt:
7.948,00 € Prämienzahlung zzgl. 1.352,61 € tatsächlich gezogene Nutzungen abzgl. 474,36 € Todesfallschutz abzgl. 403,00 € Unfalltod-Schutz abzgl. 6.726,34 € ausgezahlte Leistung abzgl. 316,99 € abgeführte Kapitalertragssteuer abzgl. 17,43 € abgeführter Solidaritätszuschlag verbleiben 1.363,39 €
Sie umfassen nicht nur die – nach Abzug des Wertersatzes für den genossenen Versicherungsschutz verbleibenden – Versicherungsprämien, sondern gemäß § 818 Abs. 1 Alt. 1 BGB auch die durch die Beklagte hieraus gezogenen Nutzungen.
Der Zins kann in einem solchen Fall nur im Wege der richterlichen Schätzung nach § 287 ZPO ermittelt werden, wobei das Gericht diese in Höhe des von der Beklagten angegebenen Wertes von 1.352,61 € vornimmt. Bei der gebotenen marktbezogenen Betrachtung kommt nur die jeweilige Rendite festverzinslicher Bundesanleihen oder der Branchendurchschnitte (OLG Schleswig, VerSR 2015, 1009) in Betracht. Die Darlegungs- und Beweislast trägt der Versicherungsnehmer. Da dieser die abzuziehenden Prämienanteile für den Todesfallschutz, den Unfalltodschutz, die abzuführende Kapitalertragssteuer und den Solidaritätszuschlag (s.u.) mitberechnet, können die Nutzungen jedenfalls nicht 2.411,55 € Zinsen betragen.
Prämienanteile für den genossenen Todesfallschutz und Unfall-Todschutz bis zur Erklärung des Widerrufs in Höhe von 474,36 € und 403,00 € sind nicht erstattungsfähig (BGH IV ZR 384/14, Rn. 34 ff.); ferner nicht die Kapitalertragssteuer und der Solidaritätszuschlag (BGH IV ZR 448/14, Rn. 38 ff.), nicht zu erstatten.
Auf die begründete Hauptforderung hat die Beklagte aufgrund der fruchtlosen Forderung im Schreiben vom 03.03.2016 Zinsen aus §§ 286 Abs. 1, 288 Abs. 1, 286 seit dem 01.04.2016 zu entrichten.
Aus §§ 280 ff. BGB folgt der Anspruch auf nicht anrechenbare vorgerichtliche Anwaltskosten auf der Grundlage eines Gegenstandswertes von bis zu 1.500,00 € in Höhe von 201,71 €, der Zinsanspruch hierauf aus §§ 288 Abs. 1, 291 ZPO.
Die prozessualen Nebenentscheidungen haben ihre Rechtsgrundlage in §§ 92 Abs. 1, 708 Nr. 11, 709, 711 ZPO.
und beschlossen:
Der Gegenstandswert beträgt gem. §§ 43, 45 Abs. 1 Satz 3, 48 Abs. 1 GKG, 3 ZPO bis 4.000,00 €.