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Kfz-Kaskoversicherung – Obliegenheitsverletzung bei Diebstahlfalls – falsche KM-Angabe

OLG Oldenburg – Az.: 5 U 27/11 – Beschluss vom 27.05.2011

Gründe

I.

Der Senat beabsichtigt, die Berufung durch nicht anfechtbaren einstimmigen Beschluss nach § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen.

Es besteht Gelegenheit zur Stellungnahme zu diesem Hinweisbeschluss und Entscheidung über die Aufrechterhaltung der Berufung unter Kostengesichtspunkten binnen zwei Wochen nach Zustellung des Beschlusses.

II.

Der Senat lässt sich bei seiner Absicht, nach § 522 Abs. 2 ZPO zu verfahren, von folgenden Überlegungen leiten:

Die Rechtssache hat weder grundsätzliche Bedeutung noch erfordert die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts durch Urteil.

Die Berufung hat auch keine Aussicht auf Erfolg. Das angefochtene Urteil beruht weder auf einer Rechtsverletzung im Sinne der §§ 513 Abs. 1, 546 ZPO, noch rechtfertigen die gemäß § 529 ZPO zugrunde zu legenden Tatsachen eine andere Entscheidung zu Gunsten der Beklagten. Das Landgericht hat einen Anspruch der Klägerin in Höhe der vereinbarten Versicherungssumme abzüglich Selbstbeteiligung zu Recht bejaht.

1.

Kfz-Kaskoversicherung - Obliegenheitsverletzung bei Diebstahlfalls – falsche KM-Angabe
Symbolfoto: Von Daniel Jedzura/Shutterstock.com

Die Klägerin hat den Nachweis dafür erbracht, dass der streitgegenständliche PKW BMW X 5 in der Nacht vom 11.03. auf den 12.03.2009 entwendet wurde. Der Klägerin kommt hierbei eine Beweiserleichterung zugute, die auf einer dem Versicherungsvertrag innewohnenden Verschiebung des Eintrittsrisikos im Wege der materiell rechtlichen Risikozuweisung beruht (BGH MDR 1999, Seite 1502 ff.; BGH, VersR 2002, Seite 431 ff.). Danach muss der Versicherungsnehmer nicht den vollen Nachweis des Diebstahls führen, sondern nur das äußere Bild einer bedingungsgemäßen Entwendung beweisen. Erforderlich ist der Nachweis eines Mindestmaßes von Tatsachen, die nach der Lebenserfahrung mit hinreichender Wahrscheinlichkeit den Schluss auf die Entwendung zulassen. Dieses Mindestmaß wird in der Regel dann erfüllt, wenn der Versicherungsnehmer nachweist, dass das Fahrzeug vom Versicherungsnehmer an einem bestimmen Ort zu bestimmter Zeit abgestellt, dort aber nicht wieder aufgefunden worden ist.

Das Landgericht hat nach der durchgeführten Vernehmung der Zeugin K. und Anhörung des Herrn K. das äußere Bild eines Diebstahls des BMW X5 als erwiesen angesehen. Die Zeugin K. hat bekundet, sie sei gegen 18.00 Uhr oder 19.00 Uhr zu Hause gewesen. Am nächsten Morgen habe sie die Kinder zur Schule bringen wollen und habe gesehen, dass das Auto nicht mehr da war. Die der Tatsachenfeststellung dienende Beweiswürdigung ist grundsätzlich Sache des erstinstanzlichen Tatrichters. Das Berufungsgericht überprüft sie nur darauf, ob die Würdigung vollständig und rechtlich möglich ist, nicht gegen Denkgesetze und Erfahrungssätze verstößt und ob die Abwägung aller Gesichtspunkte sachlich überzeugt (vgl. BGH NJW 2004, 2751). Diesen Anforderungen wird das angefochtene Urteil gerecht. Das Landgericht hat sich umfassend mit der Aussage der Zeugin K. auseinandergesetzt und alle Gesichtspunkte mit einem überzeugenden Resultat gegeneinander abgewogen. Soweit sich die Beklagte auf das Urteil des BGH vom 30.01.2002 (VersR 2002, Seite 431 ff.) beruft, ist der dieser Entscheidung zugrunde liegende Sachverhalt mit dem vorliegenden Fall nicht vergleichbar. Zwar hat der BGH ausgeführt, es reiche nicht aus, wenn nur ein bloßer Rahmensachverhalt bewiesen werde. In dem der Entscheidung zugrunde liegenden Fall ist dem Versicherungsnehmer aber lediglich der Zeugennachweis dafür gelungen, dass das Fahrzeug verschlossen an einem bestimmten Ort abgestellt wurde, nicht aber dafür, dass das Fahrzeug nicht wieder aufgefunden wurde. Hierfür standen ihm -anders als im vorliegenden Fall- nur Zeugenangaben vom Hörensagen zur Verfügung.

Gelingt der Nachweis des äußeren Bildes der Entwendung, obliegt dem Versicherer der Nachweis solcher Tatsachen, die mit erheblicher Wahrscheinlichkeit dafür sprechen, dass der Diebstahl nur vorgetäuscht ist. Diesen Nachweis hat die Beklagte nicht erbracht. Die erhebliche Wahrscheinlichkeit kann sich sowohl aus allgemeinen Tatsachen ergeben, die nicht in der Person des Versicherungsnehmers begründet sind, als auch aus Zweifeln an seiner Glaubwürdigkeit. Maßgebend können falsche und widersprüchliche Angaben sein, ebenso frühere Straftaten, andere Unredlichkeiten, etwa aus früheren Versicherungsfällen, erheblichen Steuer-delikten o.ä. (vgl. Kollhosser, in: Prölss/Martin, VVG, 27. Auflage, § 49, Rn. 55). Nach der erstinstanzlich durchgeführten Beweisaufnahme lassen sich ausreichende Tatsachen, die für einen nur vorgetäuschten Diebstahl sprechen, nicht feststellen. Insoweit nimmt der Senat vollumfänglich auf die Feststellungen des Landgerichts auf Seite 7 bis 8 der angefochtenen Entscheidung Bezug. Fehler bei der Beweiswürdigung sind insoweit nicht ersichtlich. Der Umstand, dass Herrn K. unstreitig in mehreren Formularen objektiv falsche Angaben zur Laufleistung gemacht hat, begründet eine derartige Wahrscheinlichkeit nicht. Gleiches gilt für das Verneinen von Reifenspuren in dem Vordruck der Versicherung, der späteren Aushändigung des dritten Schlüssels und den unterschiedlichen Angaben zu den zeitlichen Umständen der Entwendung. Soweit die Angaben der Eheleute K. hinsichtlich verschiedener Details voneinander abweichen, erscheint dies angesichts der Vielzahl von Befragungen und Formularen sowie erfragten Details nicht vorwerfbar. Weitere Verdachtsumstände, wie etwa eine erhöhte Anzahl von Versicherungsfällen, frühere Straftaten o. ä. werden seitens der Beklagten nicht behauptet.

2.

Die Beklagte ist vorliegend auch nicht aufgrund einer Verletzung von Obliegenheiten nach Eintritt des Versicherungsfalles leistungsfrei geworden, § 28 Abs. 2 VVG. Voraussetzung hierfür ist, dass die Klägerin mindestens grob fahrlässig oder aber vorsätzlich ihre Aufklärungspflicht verletzt hat, indem sie falsche Angaben gemacht hat. Hinsichtlich der Angaben zum dritten Fahrzeugschlüssel sowie dem Zeitpunkt der letzten Benutzung und Abstellen des Fahrzeuges kann dahinstehen, ob ein vorsätzlicher oder grob fahrlässiger Obliegenheitsverstoß vorliegt. Denn diese Umstände hatten ersichtlich keinen Einfluss auf den Erfolg oder Misserfolg der polizeilichen Fahndung oder aber die Feststellungen der Beklagten zum Vorliegen eines Versicherungsfalles oder die Höhe der Versicherungsleistung. Soweit Herr K. unzweifelhaft objektiv falsche Angaben hinsichtlich der Laufleistung des BMW X5 gemacht hat, liegt eine Obliegenheitsverletzung grundsätzlich vor. Eine derartige Obliegenheits-verletzung ist auch grundsätzlich geeignet, Auswirkungen auf das Regulierungsverhalten der Beklagten, also die Feststellungen zum Umfang der Versicherungsleistung zu haben. Es kann hier aber dahinstehen, ob dieses Verhalten als grob fahrlässig oder sogar vorsätzlich anzusehen ist. Denn die Klägerin hat den Kausalitätsgegenbeweis nach § 28 Abs. 3 S. 1 VVG erbracht, so dass die Beklagte vorliegend nicht leistungsfrei geworden ist.

Es ist rechtlich unerheblich, ob seitens der Beklagten bereits Berechnungen zum Wiederbeschaffungswert des Fahrzeuges durchgeführt wurden, welche zu einem höheren Wert geführt haben, bevor der Beklagten der zutreffende Zählerstand bekannt war. Jedenfalls noch vor der endgültigen Entscheidung über die auszuzahlende Versicherungssumme war der Beklagten aufgrund der Auslesung der Schlüssel die höhere Fahrleistung und damit auch die Herabsetzung des Wiederbeschaffungswertes bekannt, so dass sie die Auswirkung der höheren Fahrleistung ohne weiteres berücksichtigen konnte. Die Obliegenheitsverletzung ist daher ohne Auswirkung geblieben, der Beklagten ist durch das Verhalten der Klägerin keinerlei Nachteil entstanden. Entgegen der Auffassung der Beklagten kommt es im Rahmen des § 28 Abs. 3 S. 1 VVG n. F. gerade nicht mehr auf eine generelle Geeignetheit an, Versicherungsinteressen zu gefährden. Ebenso wenig ist der Schutzzweck der Obliegenheit zu berücksichtigen. Nach dem insoweit eindeutigen Wortlaut der Vorschrift ist allein darauf abzustellen, ob sich die Obliegenheitsverletzung objektiv ausgewirkt hat oder nicht. Die Voraussetzungen für eine Leistungsfreiheit wurden nach dem Wortlaut durch die Neufassung des VVG wesentlich geändert. Die Relevanzrechtsprechung des BGH beruhte auf der Erwägung, die völlige Leistungsfreiheit des Versicherers und damit das Alles-oder-Nichts-Prinzip sei bei vorsätzlichen Obliegenheitsverletzungen, die folgenlos geblieben sind, eine zu harte Strafe für den Versicherungsnehmer. Durch die Anwendung der Grundsätze der Relevanzrechtsprechung würde hier die ursprüngliche Intention der Relevanzrechtsprechung, die harte Sanktion der Leistungsfreiheit bei vorsätzlicher Obliegenheitsverletzung abzumildern, ins Gegenteil verkehrt (vgl. KG Berlin, RuS 2011, Seite 15 ff.). Soweit die Beklagte ihre Auffassung auf die amtliche Begründung des Gesetzesentwurfs stützt, ergibt sich aus dem vollständigen Text der Begründung, dass die von der Beklagten vertretene Interpretation ersichtlich durch den Gesetzgeber nicht beabsichtigt war. Denn in S. 3 wird ausgeführt: „Dies erscheint sachlich gerechtfertigt, da der Versicherer keinen Nachteil erleidet, wenn der Versicherungsnehmer nachweist, dass seine Obliegenheitsverletzung irrelevant ist“. Die Einschränkung, dass der Kausalitätsgegenbeweis nicht zulässig ist, sofern der Versicherungsnehmer arglistig handelt, wäre auch überflüssig, wenn es auf die generelle Relevanz des Verstoßes ankommen würde. Durch die Regelung in § 28 Abs. 3 S. 2 VVG hat der Gesetzgeber gezeigt, dass nur der betrügerisch handelnde Versicherungsnehmer bei einem folgenlosen Verstoß nicht schützenswert ist. Die Auffassung der Beklagten wird lediglich von Langheid vertreten (Langheid, NJW 2007, Seite 3665 ff.). Die übrige Literatur steht einheitlich auf dem Standpunkt, dass es nur noch auf die objektive Auswirkung des Verstoßes ankommt (so: Prölss in: Prölss/Martin, VVG, 28. Auflage, § 28, Rn. 143; Maier, r+s 2007, Seite 89 ff.; Marlow, in: Beckmann/Matusche-Beckmann, 2. Auflage, Versicherungsrechtshandbuch, § 13, Rn. 147; Schwintowski, in: Schwintowski/Brömmelmeyer, Praxiskommentar zum VVG, § 28, Rn. 79, Wandt, in: Münchener Kommentar zum VVG, § 28, Rn. 273 – 278; Heiss, in: Bruck/Möller, VVG, 9. Auflage, § 28, Rn. 160 mit Fn. 652). Dieser Auffassung ist auch das Kammergericht Berlin im Beschluss vom 09.11.2010 gefolgt (RuS 2011, Seite 15 ff.).

3.

Dem Kausalitätsgegenbeweis der Klägerin steht schlussendlich nicht § 28 Abs. 3 S. 2 entgegen. Die Beklagte hat nicht den ihr obliegenden Nachweis dafür erbracht, dass die Klägerin eine vertragliche Obliegenheit arglistig verletzt hat. Arglist des Versicherungsnehmers erfordert mindestens bedingten Vorsatz bezüglich der Verletzung der Obliegenheit und zusätzlich mindestens bedingten Vorsatz hinsichtlich einer für den Versicherer nachteiligen Auswirkung der Obliegenheitsverletzung. Der Versicherungsnehmer muss mit der vorsätzlichen Verletzung der Obliegenheit einen gegen die Interessen des Versicherers gerichteten Zweck verfolgen (Wandt, in: Münchener Kommentar zum VVG, § 28, Rn. 302 m. w. N.).

Der Senat folgt der Wertung des Landgerichts, dass die Beklagte ein arglistiges Verhalten des Geschäftsführers der Komplementärin der Klägerin nicht bewiesen hat. Auch insoweit weist die Beweiswürdigung des Landgerichts keine Fehler auf. Nach der erstinstanzlich durchgeführten Beweisaufnahme ist nicht feststellbar, dass Herr K………. mit den falschen Angaben zur Laufleistung die Vorstellung verbunden hat, die Beklagte werde den Schadensfall schneller bearbeiten oder er werde dadurch eine höhere Entschädigungsleistung erhalten. Zwar ist ein finanzieller Vorteil sicherlich aufgrund des Umstandes denkbar, dass es sich um ein Leasingfahrzeug gehandelt hat und die Höhe der zu entrichtenden Ablösesumme von der Höhe der Versicherungsleistung abhängt. Es erscheint aber lebensnah, dass Herr K. , der in der Kfz-Branche tätig ist, wusste, dass seitens der Versicherung die Fahrzeugschlüssel hinsichtlich des Fahrzeugkilometerstandes ausgelesen werden können. Nach den Angaben des Zeugen L. , der als Versicherungsagent für die Beklagte mit dem Fall befasst war, hat Herr K. ihm gegenüber wenige Tage nach der Entwendung des Fahrzeuges angegeben, er mache sich diesbezüglich keine Gedanken, da der Kilometerstand ja in den Schlüsseln vermerkt sei und diese ausgelesen werden könnten. Auch dies bestätigt, dass ein Täuschungsvorsatz insoweit nicht bestanden hat. Das Ergebnis der durchgeführten Beweisaufnahme trägt schließlich auch die vom Landgericht getroffene Feststellung, dass Herr K. die gegenüber der Beklagten angegebene Laufleistung anhand einer Schätzung aufgrund der Anzahl der Tankvorgänge seiner Ehefrau ermittelt hat. Die Angaben der Eheleute K. zum Kerngeschehen stimmen überein. Dass hinsichtlich der Randumstände im Nachhinein aus der Erinnerung heraus unterschiedliche Angaben gemacht werden, erscheint nachvollziehbar. Hinsichtlich der objektiv falschen Angaben zum dritten Fahrzeugschlüssel und dem Abstellzeitpunkt lässt sich ebenfalls nicht feststellen, dass diese dazu dienen sollten, auf die Willensbildung der Beklagten Einfluss zu nehmen.

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