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Kaskoversicherung: Leistungsfreiheit wegen falscher Angaben zu Vorschäden

LG Berlin, Az.: 17 O 408/02

Urteil vom 04.07.2003

1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Der Kläger trägt die Kosten des Rechtsstreits.

3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Dem Kläger wird nachgelassen, die Vollstreckung der Beklagten durch Sicherheitsleistung in Höhe von 1.100,00 EUR abzuwenden, sofern nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand

Der Kläger nimmt die Beklagte als Eigentümer des im März 1992 erstmals zugelassenen Pkw Mercedes Benz, Fahrzeug-Identitäts-Nr. …, mit dem amtl. Kennzeichen B-…, aus einer Fahrzeugteilversicherung wegen eines Diebstahlschadens in Anspruch. Für dieses Fahrzeug hatte der Kläger bei der Beklagten unter anderem eine Fahrzeugteilversicherung mit einer Selbstbeteiligung von 150,00 EUR abgeschlossen.

Kaskoversicherung: Leistungsfreiheit wegen falscher Angaben zu Vorschäden
Symbolfoto: Elen33/ Bigstock

Bei dem Fahrzeug ist am 28. Januar 2002 ein Sturmschaden eingetreten. Das Kfz-Sachverständigenbüro … stellte in dem schriftlichen Schadensgutachten vom 31. Januar 2002 den Schadensumfang wie folgt fest: „Fahrzeugdach beschädigt. Dach im hinteren Drittel flächig (mit einer punktförmigen Vertiefung) eingedellt und verkratzt. Das Dach ist instandzusetzen und zu lackieren“ und veranschlagte die Reparaturkosten mit 1.260,37 EUR (brutto). Als Vorschaden wurde in jenem Gutachten unter anderem vermerkt: „Motorhaube mehrfach eingedellt (Hageldellen)“.

Mit schriftlicher Schadensanzeige vom 28. Februar 2002 zeigte der Kläger bei der Beklagten an, dass der Pkw in der Zeit vom 27. Februar 2002, 18.00 Uhr und 28. Februar 2002, 8.50 Uhr in Berlin-.. entwendet worden sei (vgl. Bl. 8 d.A.). Am 28. Februar 2002 gegen 16.10 Uhr hatte der Kläger den Diebstahl des Fahrzeuges beim Polizeipräsidenten in Berlin gemeldet. In der oben angeführten Schadensanzeige beantwortete der Kläger die Vordruckfrage nach früheren reparierten Beschädigungen des Fahrzeuges wie folgt: „Heckschaden – repariert“; die Frage nach zum Diebstahlszeitpunkt am Fahrzeug vorhandenen Mängeln und unreparierten Schäden verneinte der Kläger.

Mit Schreiben vom 14. Juni 2002 lehnte die Beklagte eine Schadensregulierung mit der Begründung ab, dass der Kläger bezüglich der vorhandenen Mängel und unreparierten Schäden an seinem Fahrzeug unwahre Angaben gemacht habe.

Das Fahrzeug wurde am 11. November 2002 gegen 11.50 Uhr in, durch Polizeibeamte aufgefunden. Dabei wurden folgende offensichtliche Schäden festgestellt: „Beide Türschlösser vorn herausgebrochen und entfernt, Blende am Zündschloss entfernt, Beule Tür hinten links“ (vgl. Bl. 19 der Ermittlungsakte der Staatsanwaltschaft beim Landgericht Berlin – 5 UJs 05966/02 –).

Der Kläger behauptet, das streitgegenständliche Fahrzeug sei zum oben angeführten Zeitpunkt entwendet worden. Er vertritt ferner die Ansicht, dass seine Angaben zu Vorschäden des Fahrzeuges keine Obliegenheitsverletzung begründen könnten, da er infolge seiner Deutschprobleme vergessen hatte, die für ihn lapidaren Vorschäden anzugeben, zumal er den oben bezeichneten Sturmschaden des Fahrzeuges – die Lackarbeiten ausgenommen – eigenhändig repariert habe. Der Kläger beziffert den Wiederbeschaffungswert des Fahrzeuges zum Schadenszeitpunkt mit 8.100,00 EUR.

Der Kläger beantragt, die Beklagte zu verurteilen, an ihn 8.100,00 EUR nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz seit dem 11. Mai 2002 zu zahlen.

Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

Sie bestreitet den Diebstahl des Fahrzeuges und beruft sich auf Leistungsfreiheit wegen Verletzung der Aufklärungspflicht, weil der Kläger zu Vorschäden des Fahrzeuges unzutreffende Angaben gemacht habe.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

Die Akten der Staatsanwaltschaft beim Landgericht Berlin 5 U Js 05966/02 lag zur Information vor und war Gegenstand der mündlichen Verhandlung.

Entscheidungsgründe

Die Klage ist nicht begründet.

Der Kläger hat gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Zahlung der verlangten Entschädigung aus §§ 1 VVG, 12 Abs. 1 I b, 13 AKB, da die Beklagte gem. §§ 7 V Abs. 4 AKB, 6 Abs. 3 VVG leistungsfrei geworden ist, nachdem der Kläger die Fragen nach Vorschäden des Fahrzeuges falsch beantwortet hat. Nach den genannten Vorschriften besteht Leistungsfreiheit des Versicherers, wenn der Versicherungsnehmer seine in § 7 I AKB aufgeführten Obliegenheiten verletzt, nach dem Eintritt des Versicherungsfalles alles zu tun, was zur Aufklärung des Tatbestandes und zur Minderung des Schadens dienlich sein kann, es sei denn, dass die Obliegenheitsverletzung weder auf Vorsatz noch auf grober Fahrlässigkeit beruht. Die Aufklärungspflicht des Versicherungsnehmers hat insbesondere zum Inhalt, dass in der Schadensanzeige wahrheitsgemäße Angaben zu machen sind. Hierzu gehört in der Fahrzeugversicherung auch die Pflicht, den Versicherer wahrheitsgemäß über die Umstände zu unterrichten, die für die Beurteilung der Schadenshöhe von Bedeutung sind. Dem Versicherer muss es durch richtige Auskünfte des Versicherungsnehmers ermöglicht werden, sachgemäße Feststellungen über die Ursache und das Ausmaß des Schadens zu treffen und demgemäß den Schaden zu regulieren. Er soll sich ohne eigene Nachforschungen auf die Richtigkeit der Angaben verlassen können (BGH VersR 1976, 849).

Die Angaben des Klägers in der oben angeführten Schadensanzeige vom 28. Februar 2002 über die Vorschäden des Fahrzeuges sind zumindest unvollständig und teilweise falsch.

Die Darlegungs- und Beweislast für den objektiven Tatbestand einer Obliegenheitsverletzung trägt die Beklagte (vgl. OLG Hamm R + S 1993, 207). Nach dem wechselseitigen Vorbringen der Parteien hat der Kläger jedenfalls die Lackierarbeiten des nach seinem Vorbringen im Übrigen eigenhändig instandgesetzten Sturmschadens vom 28. Januar 2002 nicht vorgenommen, so dass „Lackarbeiten“ nach einem kalkulierten Aufwand von 476,34 EUR (netto) als „zum Diebstahlszeitpunkt am Fahrzeug vorhandene Mängel und unreparierte Schäden“ unstreitig vorhanden waren, während der Kläger jene Frage wahrheitswidrig verneinte. Auch der im Januar 2003 festgestellte Hagelschaden (mehrfache Eindellung der Motorhaube) wurde vom Kläger nicht angegeben. In diesem Zusammenhang bleibt auch darauf hinzuweisen, dass der Kläger in einem Fragebogen des Polizeipräsidenten in Berlin im Rahmen des eingeleiteten Ermittlungsverfahrens wegen besonders schweren Fall des Diebstahls auf die Frage nach besonderen Merkmalen wie Beulen und dergleichen angab: „leichte Beule am Dach (hinten)“ (vgl. Bl. 6 R der beigezogenen Ermittlungsakte). Auch dieser Schaden ist in der oben angeführten Schadensanzeige nicht vermerkt.

In der Kaskoversicherung kommt jedoch gerade den Angaben des Versicherungsnehmers zu Vorschäden besondere Bedeutung zu, weil das Fahrzeug nicht mehr vorhanden ist und dem Versicherer dadurch andere Erkenntnisquellen verschlossen sind (OLG Hamm, VersR 1985, 957). Steht wie hier eine objektive Obliegenheitsverletzung fest, so spricht die Vermutung für ein vorsätzliches Handeln des Versicherungsnehmers. Dieser müsste daher einen geringeren Schuldgrad als Vorsatz oder grobe Fahrlässigkeit darlegen und beweisen, um eine Leistungsfreiheit des Versicherers auszuschließen (BGH VersR 1976, 849; KG VersR 1993, 92; OLG Hamm, VersR 1991, 767). Ein entsprechender Vortrag des Klägers ist indessen nicht erfolgt. Die Formularfragen der Beklagten sind in Bezug auf die hier maßgeblichen Fragen nach reparierten und unreparierten Schäden bzw. Vorschäden nicht als unklar anzusehen. Dafür, wie Formularfragen zu verstehen sind, ist die Verständnismöglichkeit eines verständigen Versicherungsnehmers maßgeblich (BGH R + S 1998, 5). Wenn – wie hier – nach reparierten und nicht reparierten Schäden gefragt wird, hat dies den jedem durchschnittlichen Versicherungsnehmer einleuchtenden Sinn, den Wert des Fahrzeuges bei Eintritt des Versicherungsfalles festzustellen und danach die Versicherungsleistung bemessen zu können. Es ist allgemein bekannt, dass Vorschäden auch nach Reparaturen den Wert eines Fahrzeuges mindern können (vgl. OLG Hamm, VersR 1985, 30).

Der Kläger kann sich insoweit nicht darauf berufen, aufgrund mangelnder Sprachkenntnisse die Vordruckfragen der Beklagten nicht in vollem Umfange nachvollziehen zu können. Bei Verständnisschwierigkeiten hätte der Kläger Rücksprache bei der Beklagten halten können (vgl. hierzu OLG Köln R + S 1992, 367). Erforderlichenfalls hätte sich der Kläger der fachkundigen Hilfe einer der deutschen Sprache mächtigen Person oder eines Dolmetschers bedienen müssen, anstatt unvollständige Angaben zu machen. Wer sich am Rechtsverkehr in Deutschland beteiligen will, muss entweder die deutsche Sprache hinlänglich beherrschen oder sich die betreffenden Schriftstücke durch eine fachkundige Person übersetzen lassen (KG, Urteil vom 15. Dezember 1995 – 6 U 844/95 –).

Da die Obliegenheitsverletzung somit vorsätzlich erfolgt ist, kommt es nach § 6 Abs. 3 VVG nicht darauf an, ob sie Einfluss auf die Feststellung des Versicherungsfalles oder auf die Feststellung oder den Umfang der der Beklagten obliegenden Leistungen gehabt hat.

Auch die weiteren Voraussetzungen für den Eintritt der Leistungsfreiheit der Beklagten nach der vom Bundesgerichtshof (BGHZ 47, 101 ff.) entwickelten sogenannten Relevanz-Rechtsprechung liegen vor. Bei folgenloser vorsätzlicher Verletzung der Aufklärungspflicht, von der im vorliegenden Fall, da die Beklagte keine Regulierung vorgenommen hat – auszugehen ist, tritt Leistungsfreiheit nur ein, wenn der Verstoß generell geeignet war, die Interessen des Versicherers ernsthaft zu gefährden, den Versicherungsnehmer ein grobes Verschulden trifft und er ausdrücklich über die Folgen belehrt worden ist (BGH a.a.O.; VersR 1984, 228; VersR 1998, 577 f.; OLG Köln R + S 1995, 206 f.).

Falsche Angaben zu Vorschäden, auch zu ihrem Umfang, werden regelmäßig als eine derartig relevante Obliegenheitsverletzung angesehen (BGH VersR 1984, 228; KG, VersR 1993, 92 f.; OLG Köln, VersR 1997, 1395 f.), da sie im allgemeinen einen Einfluss auf die Zeitwertermittlung haben. Die unvollständigen Angaben über die Art und den Umfang der Vorschäden waren geeignet, die Interessen der Beklagten ernsthaft zu gefährden. Dies folgt daraus, dass eventuelle Vorschäden den Zeitwert des versicherten Pkw’s direkt beeinflussen. Es besteht somit die Gefahr, dass der Versicherer mehr leistet, als er nach dem Versicherungsvertrag schuldet, und dass der Versicherungsnehmer andererseits eine überhöhte Entschädigungsleistung erhält.

Den Kläger trifft schließlich auch der Vorwurf schweren Verschuldens. Die Rechtsprechung hat ein schweres Verschulden dann verneint, wenn besondere – vom Versicherungsnehmer zu beweisende – Umstände vorlagen, die ein Verschulden nur als gering erscheinen ließen (BGH VersR 1984, 228). Geringes Verschulden ist danach anzunehmen, wenn ein Fehlverhalten vorliegt, das auch einem ordentlichen Versicherungsnehmer in der entstandenen Lage leicht unterlaufen konnte und für das deshalb ein einsichtiger Versicherer Verständnis aufzubringen vermag. Ein derartiger Sachverhalt kann vorliegend nicht festgestellt werden. Die Rechtsprechung verlangt eine plausible und nachvollziehbare Erklärung für die Falschauskunft, wobei die Angabe eines Irrtums nicht genügt (vgl. OLG Hamm, VersR 1995, 1183).

Auch die weitere Voraussetzung einer ausreichenden Belehrung des Versicherungsnehmers über einen möglichen Anspruchsverlust in Fällen der hier gegebenen Art ist erfüllt. In dem von der Beklagten verwandten Formular „Schadensanzeige für Kraftfahrzeugdiebstahl“ befindet sich unmittelbar über der Unterschriftszeile ein durch Fettdruck hervorgehobener Vermerk, der explizit die Folgen bewusst unwahrer bzw. unvollständiger Angaben erläutert.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit bestimmt sich nach §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.

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