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Betriebsschließung aufgrund Corona-Pandemie – Betriebsschließungsversicherung

LG Freiburg (Breisgau) – Az.: 14 O 294/20 – Urteil vom 26.02.2021

1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Die Klägerin trägt die Kosten des Rechtsstreits.

3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 Prozent des jeweils zu vollstreckenden Betrages.

Beschluss

Der Streitwert wird auf 114.000,00 € festgesetzt.

Tatbestand

Die Klägerin macht Ansprüche aus einer Betriebsunterbrechungsversicherung im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie geltend.

Die Klägerin betreibt die Gaststätte … in F. Die Klägerin unterhält bei der Beklagten unter der Versicherungsscheinnummer … eine sogenannte Business-Versicherung, die unter anderem auch eine Betriebsschließungsversicherung beinhaltet. Dem Versicherungsvertrag liegen die Businessversicherungsbedingungen VSG 2010, Stand 01/2010 zugrunde (Versicherungsschein vom … (Nachtrag Nr. 003) nebst Bedingungen Teil D Betriebsschließung – Anlage K 1, im weiteren AVB). Darin ist unter anderem geregelt:

§ 1 Ziffer 1 lautet:

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§ 1 Ziffer 2 lautet:

……………….

Die Aufzählung der Krankheiten und Krankheitserreger in § 1 Ziffer 2 der AVB enthält eine Aufzählung von Krankheiten, welche weder COVID-19 noch andere Coronavirus-Erkrankung enthält und weder der ursprünglichen Gesetzesfassung des Infektionsschutzgesetzes noch der Gesetzesfassung entspricht, die zum Zeitpunkt des Standes der AVB galt.

Vereinbart war eine Versicherung für maximal 30 Tage mit einer Tagesentschädigung von 3.800 € und eine Mitversicherung von Warenvorräten bis 10.000 €.

Der SARS-CoV-2 ist aufgrund einer Eilverordnung des Bundesgesundheitsamtes vom 30.01.2020 mit Wirkung zum 01.02.2020 als temporär meldepflichtige Krankheit bzw. meldepflichtiger Krankheitserreger auf Grundlage von § 15 Abs. 2 IfSG erklärt worden.

Infolge der Ausbreitung des SARS-CoV-2 Virus verfügte die Landesregierung Baden-Württemberg mit Wirkung zum 21. März 2020 durch Änderung der Verordnung über infektionsschützende Maßnahmen gegen die Ausbreitung des Virus SARS-Cov-2 (CoronaVO) unter anderem die Schließung von Gaststätten und ähnlichen Einrichtungen sowie von Beherbergungsbetrieben. Die Nutzung der letzteren blieb ausnahmsweise zu geschäftlichen Zwecken zulässig. Die Schließung wurde nach der entsprechenden Verordnung (vorläufig) bis zum 19. April 2020 befristet und dann schrittweise bis zum 28. Mai 2020 verlängert. In der Folge mussten auch das Hotel sowie die Gaststätte der Klägerin weitgehend geschlossen werden, wobei allerdings Übernachtungen im Rahmen von Geschäftsreisen o.ä. weiterhin möglich blieben.

Die Klägerin meldete am 08.05.2020 den Versicherungsfall der Beklagten und stellte einen Leistungsantrag. Die Beklagte lehnte den Leistungsantrag mit Schreiben vom 12.05.2020 ab. Mit dem Schreiben bot die Beklagte der Klägerin freiwillig und ohne Anerkennung einer Rechtspflicht eine Abfindung in Höhe von 15 % der vereinbarten Tagesentschädigung, insgesamt also 17.100,00 €, an. Die Klägerin lehnte das Vergleichsangebot ab.

Mit Wirkung zum 23.05.2020 wird das Coronavirus als Krankheit unter § 6 Abs. 1 Nr. 1 lit. t) IfSG (COVID-19) sowie der Krankheitserreger unter 7 Abs. 1 Nr. 44a IfSG (SARS-CoV-2) geführt.

Die Klägerin ist der Auffassung, es liege ein Versicherungsfall in Form einer behördlichen Betriebsschließung aufgrund des Gesetzes zur Verhütung und Bekämpfung von Infektionskrankheiten bei Menschen (IfSG) vor. Eine Einschränkung des Versicherungsschutzes dahingehend, dass generalpräventive Schließung durch Allgemeinverfügungen nicht versichert seien, lasse sich für den durchschnittlichen Versicherungsnehmer aus den Versicherungsbedingungen nicht erkennen. Unter die meldepflichtigen Krankheiten nach § 1 Ziff. 2 a) der Versicherungsbedingungen der Betriebsschließungsversicherung falle auch COVID-19, selbst wenn diese Krankheit nicht ausdrücklich genannt sei. Es finde das Infektionsschutzgesetz in der Fassung Anwendung, die bei Eintritt des Schadensfalls gelte. Das SARS-CoV-2-Virus falle unter § 7 Abs. 2 IfSG. Da bereits nach der CoronaV/MeldeV vom 30.1.2020 eine Corona-Virus-Erkrankung meldepflichtig gewesen sei und die Maßnahmen der Landesregierung auf das IfSG gestützt gewesen seien, liege ein Versicherungsfall vor. Wenn die Beklagte gewollt hätte, dass nur bei einer Betriebsschließung wegen der unter § 1 Ziff. 2 a) der Vertragsbedingungen namentlich genannten Krankheiten und Krankheitserreger der Versicherungsfall gegeben sein sollte, hätte sie in die Versicherungsbedingungen nicht die Verweisung auf § 6 und § 7 IfSG aufnehmen dürfen. Diesen Verweis könne ein durchschnittlicher Versicherungsnehmer bei verständiger Würdigung, aufmerksamer Durchsicht und Berücksichtigung des erkennbaren Sinnzusammenhangs nur als dynamische Verweisung auf die jeweils geltende Fassung des Gesetzes verstehen.

Es liege auch eine versicherte Betriebsschließung vor, auch wenn die Klägerin einen To-Go-Verkauf während des Shutdowns eingerichtet habe. Ob eine Betriebsschließung vorliege, sei anhand der konkreten Ausgestaltung des versicherten Betriebes zu beurteilen. Der Betrieb der Klägerin sei für die Bewirtung in den Gasträumen eingerichtet. Deshalb stehen der To-Go-Verkauf der Annahme einer Betriebsschließung nicht entgegen. Die Klägerin habe daher Anspruch auf die vereinbarte Tagesentschädigung für 30 Tage, mithin insgesamt 114.000 €.

Die Klägerin beantragt:

1. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 114.000,00 € zzgl. Zinsen hieraus in Höhe von 9 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 12.05.2020 zu bezahlen.

2. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 2.084,40 € (vorgerichtliche Rechtsanwaltsgebühren) zzgl. Zinsen in Höhe von 9 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu bezahlen.

Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

Die Beklagte ist der Auffassung, eine bedingungsgemäße Betriebsschließung liege nicht vor, weil Gegenstand der Betriebsschließungsversicherung nur betriebsinterne Gefahren und nicht abstrakt-generelle präventive Gesundheitsmaßnahmen sei und eine vollständige Schließung des Betriebes durch die zuständige Behörde auch nicht verfügt worden sei. Die der Schließung zu Grunde liegende Rechtsverordnung sei zudem unwirksam. Auch sei Sars COV 2 kein versicherter Erreger. Die Aufzählung und die Versicherungsbedingungen sei abschließend. Eine unangemessene Benachteiligung des Versicherungsnehmers liege nicht vor. Zudem müsse nach den Versicherungsbedingungen die Krankheit Betrieb selbst aufgetreten sein, was vorliegend unstreitig nicht der Fall sei. Zudem tritt die Beklagte auch der Höhe des geltend gemachten Anspruchs entgegen, insbesondere Hinblick auf die Anrechnung öffentlich-rechtlicher Leistungen und die Begrenzung der Tagesentschädigung in § 2 Ziffer 3a S. 3 AVB.

Mit Beschluss vom 13.01.2020 ist mit Zustimmung der Parteien die Fortsetzung des Rechtsstreits ohne mündliche Verhandlung gemäß § 128 ZPO angeordnet und als Zeitpunkt, bis zu dem Schriftsätze eingereicht werden können, der 05.02.2020 bestimmt worden.

Zur Ergänzung des Tatbestandes wird Bezug genommen auf sämtliche Schriftsätze der Parteien nebst zugehöriger Anlagen und die übrigen Aktenbestandteile.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Klage ist unbegründet.

I.

Die Klägerin hat gegen die Beklagte keinen Entschädigungsanspruch wegen der streitgegenständlichen Betriebsschließung aus dem zwischen den Parteien bestehenden Versicherungsvertrag in Verbindung mit § 1 S. 1 VVG.

Denn durch die streitgegenständliche Untersagung des Betriebes von Gaststätten, aufgrund derer die Klägerin ihren Restaurantbetrieb für den Publikumsverkehr geschlossen hat, ist kein Versicherungsfall im Sinne der vorliegenden Betriebsschließungsversicherung eingetreten. Denn nach § 1 Nr. 1 der AVB sind nur solche Betriebsschließung aufgrund des Infektionsschutzgesetzes versichert, die aufgrund der in § 1 Nr. 2 der AVB genannten Krankheiten und Krankheitserreger erfolgt sind. Die streitgegenständliche Allgemeinverfügung erging jedoch nicht aufgrund einer der dort genannten Krankheiten oder Krankheitserreger, sondern aufgrund der dort nicht genannten, erst später in das Infektionsschutzgesetz aufgenommenen COVID-19 Erkrankung.

Die Auslegung dieser Versicherungsbedingungen ergibt, dass es sich bei der dortigen Aufzählung um eine abschließende Aufzählung von Krankheiten und Krankheitserregern handelt, für die Versicherungsschutz besteht. In dieser Auslegung ist die Klausel auch wirksam.

1.

Die Auslegung der Regelung in § 1 der Versicherungsbedingungen ergibt, dass COVID-19 bzw. SARS-CoV-2 nicht Teil des versicherten Risikos gemäß Nr. 2 sind.

Allgemeine Versicherungsbedingungen sind so auszulegen, wie sie ein durchschnittlicher Versicherungsnehmer ohne versicherungsrechtliche Spezialkenntnisse bei verständiger Würdigung, aufmerksamer Durchsicht und Berücksichtigung des erkennbaren Sinnzusammenhangs verstehen muss (vgl. BGH, Urteil vom 06. Juli 2016 – IV ZR 44/15 –, Rn. 17, juris). In erster Linie ist vom Wortlaut der jeweiligen Klausel auszugehen (vgl. BGH ebenda).

Gemessen an diesen Vorgaben sind die verwendeten AVB dahingehend auszulegen, dass zwar grundsätzlich jegliche Betriebsschließung aufgrund des Infektionsschutzgesetzes in der jeweils geltenden Fassung einen Versicherungsfall begründen mag, dies aber dahingehend eingeschränkt wird, dass zusätzlich eine der explizit genannten Krankheiten oder einer der genannten Krankheitserreger Auslöser der Betriebsschließung sein muss.

Denn ein durchschnittlicher, aufmerksam lesender Versicherungsnehmer wird bei verständiger Würdigung schon angesichts des Wortlauts, insbesondere der Verwendung des Wortes „folgende“ in § 1 Ziff. 2 AVB sowie der sich dann anschließenden umfangreichen Aufzählung, davon ausgehen, dass allein die in den Bedingungen im Einzelnen namentlich aufgezählten Krankheiten und Erreger vom Versicherungsschutz erfasst sein sollen (so auch LG Ellwangen, Urt. V. 19.09.2020 – 3 O 187/20; LG Oldenburg, a.a.O.; OLG Hamm, Beschl. V. 15.07.2020 – 20 W 21/20; Lüttringhaus, r+s 2020, 250).

Der einzige Sinn der umfangreichen Aufzählung kann nur darin liegen, die Einstandspflicht der Beklagten gerade auf die dort aufgezählten Fälle zu begrenzen (vgl. auch LG Hamburg, Urteil vom 26. November 2020 – 332 O 190/20 –, Rn. 28, juris).

Für eine abschließende Auflistung spricht zudem, dass in § 1 Ziff. 2 AVB keine Öffnungsklausel etwa in Form der Verwendung des Wortes „insbesondere“, „u.a.“ oder „beispielsweise“ enthalten ist (vgl. Günther, Anm. zum Beschl. des OLG Hamm v. 15.07.2020 – 20 W 21/20, FD-VersR 2020, 431078). Aufgrund der konkreten Formulierung und der Stellung im Satzgefüge kann auch keinesfalls davon ausgegangen werden, dass das Wort „namentlich“ in § 1 Ziff. 2 AVB als Synonym für das Wort „insbesondere“ verwendet wurde. Vielmehr ergibt sich eindeutig, dass auf einzelne, im IFSG „mit ihrem Namen“ oder „konkret“ erwähnte Krankheiten oder Krankheitserreger abgestellt wird.

Im Übrigen dürfte einem durchschnittlichen Versicherungsnehmer auch einleuchten, dass sich der Versicherer mit der gewählten Formulierung nicht dahingehend binden wollte, dass er für jegliche künftig auftretenden Krankheiten und Krankheitserreger, die zu irgendeinem Zeitpunkt in das IfSG aufgenommen werden sollten, Zahlungsansprüche begründen wollte. Hierdurch würde der Versicherer – zwar auf die jeweilige Höchstdauer der Erstattungszahlungen begrenzte, aber dennoch kaum kalkulierbare – erhebliche Risiken eingehen, ohne auf eine Steigerung des Betriebsschließungsrisikos durch eine Erhöhung von Prämien reagieren zu können. Insbesondere der Wille, für im Zeitpunkt des Vertragsschlusses noch nicht erkennbare Pandemierisiken einstehen zu wollen, lässt sich den AVB nicht im Ansatz entnehmen.

Der durchschnittliche Versicherungsnehmer hat auch keine Veranlassung, aus dem Deckungsausschluss in § 3 Ziffer 4 AVB betreffend Prionenerkrankungen zu schließen, entgegen der Regelung in § 1 AVB handele es sich doch nicht um eine abschließende Regelung. Der durchschnittliche Versicherungsnehmer hat nicht nur auf juristischem Gebiet keine Spezialkenntnisse sondern auch nicht auf medizinischem Gebiet. Er weiß nicht, dass die Krankheiten und Krankheitserreger, die in § 1 Ziff. 2 aufgelistet sind, ggf. nie in einem Zusammenhang mit Prionenerkrankungen stehen. Er wird den Deckungsausschluss vielmehr alleine dahingehend verstehen, dass der Versicherer für Erkrankungen dieser Art keinen Versicherungsschutz übernehmen will (vgl. LG Hamburg, Urteil vom 26. November 2020 – 332 O 190/20 –, Rn. 31, juris und LG Köln, Urteil vom 26.11.2020, Az. 24 O 252/20, juris).

Aus Sicht des verständigen Versicherungsnehmers lässt sich daher die streitgegenständliche Versicherungsklausel in § 1 Ziffer 1 und Ziffer 2 der AVB allein dahingehend auslegen, dass COVID-19 bzw. SARS-CoV-2 nicht Teil des versicherten Risikos sind (vgl. OLG Stuttgart Urt. v. 15.2.2021 – 7 U 351/20, BeckRS 2021, 2002 Rn. 1, beck-online; OLG Hamm, Beschluss vom 15.07.2020 — 20 W 21/20, r+s 2020, 506; Lüttringhaus/Eggen, r+s 2020, 252; 253; Rixecker in Schmidt, COVID 19 § I l Rn. 61; Schreier, VersR 2020, 513, 515; a.A. Fortmann, VersR 2020, 1073, 1076 und r+s 2020, 342 in einer Anm. zu LG Mannheim, Urteil vom 29.04.2020 — 1 1 0 66/20; Notthoff, r+s 2020, 551, 552 f.; Werber, VersR 2020, 661, 663 f.; a.A. LG Hamburg, Urt. v. 04.11.2020, Az. 412 HKO 91/20, Rn. 64 – zitiert nach juris; Werber in VersR 2020, 661, 664; Rolfes in VersR 2020, 1021; Armbrüster in RuS 2020, 506, 508).

2.

Die Reglungen in § 1 Nr. 1 und Nr. 2 der AVB sind auch wirksam.

a)

Für die Anwendung der AGB-rechtlichen Unklarheitenregel (§ 305c Abs. 2 BGB) ist kein Raum. Es handelt sich auch nicht um eine überraschende Klausel im Sinne von § 305c Abs. 1 BGB.

Nach § 305c Abs. 1 BGB wird eine Bestimmung in Allgemeinen Versicherungsbedingungen, die nach den jeweiligen Umständen, insbesondere nach dem äußeren Erscheinungsbild des Vertrags, überraschend ist, nicht Vertragsbestandteil. Entscheidend für die Einordnung einer Klausel als überraschend ist es, ob zwischen den Erwartungen des Versicherungsnehmers und dem Klauselinhalt eine deutliche Diskrepanz besteht, mit der der Versicherungsnehmer vernünftigerweise nicht zu rechnen braucht (st. Rspr., vgl. BGH, Beschluss vom 06. Juli 2011 – IV ZR 217/09 –, Rn. 19 m.w.N., juris).

Danach ist die Klausel weder unklar noch überraschend.

Die Klausel selbst ist klar formuliert und erweckt keine Fehlvorstellung über den Umfang des Versicherungsschutzes (siehe oben). Die darin enthaltene Einschränkung des Versicherungsschutzes auf die aufgelisteten Krankheiten ist auch nicht überrascht. Dass ein durchschnittlicher Versicherungsnehmer davon ausgehen könnte, es bestünde für alle Zeiten ein umfassender Versicherungsschutz bei jeglichen Betriebsschließungen nach dem IfSG (so aber wohl LG München I, CoVuR 2020, 640, Rn. 86 ff.), erscheint kaum naheliegend. Ein durchschnittlicher verständiger Versicherungsnehmer kann und muss damit rechnen, dass der Versicherer den Versicherungsschutz auf im Vertrag ausdrücklich genannte Fälle beschränkt und gerade keinen Versicherungsschutz für künftig auftretende, jedoch bei Vertragsschluss unbekannte meldepflichtige Krankheiten bzw. Krankheitserreger bieten will, deren Gefahrenpotential er bei Vertragsschluss nicht kalkulieren und deshalb auch nicht bei der Bemessung von Versicherungsumfang und -prämien berücksichtigen konnte.

b)

Die Regelungen verstoßen auch nicht gegen das in § 307 Absatz 1 S. 2 BGB niedergelegte Transparenzgebot.

Danach ist der Verwender Allgemeiner Versicherungsbedingungen gehalten, Rechte und Pflichten seines Vertragspartners möglichst klar und durchschaubar darzustellen. Es kommt insoweit nicht nur darauf an, dass eine Klausel in ihrer Formulierung für den durchschnittlichen Versicherungsnehmer verständlich ist. Vielmehr gebieten Treu und Glauben auch, dass sie die wirtschaftlichen Nachteile und Belastungen soweit erkennen lässt, wie dies nach den Umständen gefordert werden kann (BGH, Beschluss vom 11.02.2009 – BGH Az. IV ZR 28/08, Rn. 14, juris).

Die streitgegenständliche Klausel genügt diesen Anforderungen. Durch den eindeutigen Wortlaut (siehe oben) wird bei einem durchschnittlichen und verständigen Versicherungsnehmer nicht die Erwartung geweckt, dass noch andere als die genannten Krankheiten und Krankheitserreger vom Versicherungsschutz umfasst sind. Allein der Umstand, dass man die Klausel – etwa durch eine ausdrückliche Klarstellung, dass der nachfolgende Katalog abschließend ist – noch klarer hätte fassen könne, reicht für die Annahme einer Verletzung des Transparenzgebots nicht aus (vgl. Lüttringhaus/Eggen in RuS 2020, 250, 254).

Ein Verstoß gegen das Transparenzgebot ergibt sich auch nicht aus der Rechtsprechung des BGH zu den den Versicherungsschutz einschränkenden Ausschlussklauseln.

Wird der Versicherungsschutz durch eine Klausel eingeschränkt, so muss dem Versicherungsnehmer damit klar und deutlich vor Augen geführt werden, in welchem Umfang Versicherungsschutz trotz der Klausel besteht (vgl. BGH, r + s 2013, 601 Rn. 9 und r + s 2013, 382 Rn. 40). Nur dann kann er die Entscheidung treffen, ob er den angebotenen Versicherungsschutz annimmt oder nicht (vgl. BGH, NJW 2017, 3711). Dabei gilt nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, dass der durchschnittliche Versicherungsnehmer nicht mit Lücken im Versicherungsschutz zu rechnen braucht, ohne dass die Klausel ihm dies hinreichend verdeutlicht (vgl. BGH, NJW 2019, 2172).

Zwar hat die Beklagte insofern ein Regelungsgefüge geschaffen, das dem Versicherungsnehmer, der den tatsächlichen Umfang des versprochenen Versicherungsschutzes im Vergleich zu einer potentiellen Bedrohungslage, die durch die im Infektionsschutzgesetz beschriebenen Krankheiten und Krankheitserregern gefolgert werden kann, erfassen will, eine Interpretation der vertraglichen Regelung unter gleichzeitigem Vergleich mit den gesetzlichen Regelungen der §§ 6 f. IfSG abverlangt. Nur so wird er erkennen können, dass bereits bei Vertragsschluss nicht alle Fälle einer behördlichen Anordnung im Rahmen von §§ 6 f. IfSG erfasst sein werden.

Diese Bewertung ist von einem geschäftserfahrenen Betriebsinhaber als Versicherungsnehmer, der sich tatsächlich mit den Bestimmungen der §§ 6 f. IfSG befasst, aber unschwer und letztlich mit wenigen Blicken vorzunehmen (vgl. OLG Stuttgart Urt. v. 15.2.2021 – 7 U 351/20, BeckRS 2021, 2002 Rn. 45-47, beck-online). Es bedarf keiner aufwändigen Analyse der Bedingungsstruktur. Es bleibt zudem nicht unklar, was der Versicherer tatsächlich versichern will; dies ergibt sich vielmehr aus dem Katalog in § 3 Ziffer 4 AVB. Was er nicht versichern will, lässt sich bei einem letztlich nicht sonderlich aufwändigen Blick in das einzig maßgebliche Gesetz feststellen bzw. ergibt sich aus dem Umstand, dass ein Katalog, in dem eine Auffangregelung nicht vorgesehen ist, notwendigerweise nicht Genanntes ausschließt. Für eine neuartige, nicht bekannte Krankheit usw., mit deren möglichem Auftreten ein nicht geschäftsunerfahrener Versicherungsnehmer im Grundsatz auch rechnen muss, liegt das ohne weiteres auf der Hand, sogar ohne dass das Infektionsschutzgesetz einer näheren Betrachtung unterzogen wird (vgl. OLG Stuttgart Urt. v. 15.2.2021 – 7 U 351/20, BeckRS 2021, 2002 Rn. 45-47, beck-online).

Die Beklagte hat daher vorliegend den Umfang des Versicherungsschutzes bzw. die möglichen Lücken im Vergleich zu den vom Infektionsschutzgesetz umfassten Krankheiten und Krankheitserreger nicht im Dunkeln gelassen oder verschleiert.

c)

Die Beschränkung des Versicherungsschutzes auf die aufgezählten Krankheiten und Krankheitserreger führt auch nicht zu einer Vertragszweckgefährdung im Sinne von § 307 Absatz 2 Nummer 2 BGB.

Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs begründet eine Begrenzung des Leistungsumfangs für sich genommen noch keine Vertragszweckgefährdung in diesem Sinne, sondern bleibt grundsätzlich der freien unternehmerischen Entscheidung des Versicherers überlassen, soweit er nicht mit der Beschreibung der Hauptleistung beim Versicherungsnehmer falsche Vorstellungen erweckt. Eine Gefährdung des Vertragszwecks im Sinne des § 307 Absatz 2 Nummer 2 BGB liegt erst dann vor, wenn die Einschränkung den Vertrag seinem Gegenstand nach aushöhlt und damit in Bezug auf das zu versichernde Risiko zwecklos macht (vgl. BGH, Beschluss vom 11.02.2009, Az. IV ZR 28/08; BGH, Beschluss vom 06.07.2011, Az. IV ZR 217/09 – jeweils zitiert nach juris).

Nach dieser Maßgabe ist hier keine Vertragszweckgefährdung gegeben.

Die Einschränkung des Versicherungsschutzes auf die ausdrücklich genannten Krankheiten und Krankheitserreger begrenzt lediglich den Leistungsumfang, ohne dabei den Versicherungsschutz auszuhöhlen. Es bleibt im Hinblick auf den umfangreichen Katalog versicherter Krankheiten und Krankheitserreger vielmehr ein weiter Anwendungsbereich der Betriebsschließungsversicherung bestehen.

d)

Im Übrigen liegt in der abschließenden Aufzählung der vom Versicherungsschutz umfassten Krankheiten und Krankheitserreger auch keine unangemessene Benachteiligung des Versicherungsnehmers nach § 307 Abs. 1 S. 1 BGB.

Es ist bereits fraglich, ob eine Inhaltskontrolle nach der vorbezeichneten Vorschrift überhaupt zulässig ist, denn primäre Leistungsbeschreibungen sind grundsätzlich nicht auf ihre Angemessenheit AGB-rechtlich überprüfbar (vgl. Palandt-Grüneberg, BGB, 79. Aufl., § 307 Rz 44 ff und oben unter 2. b)). Es handelt sich bei der Aufzählung der Krankheiten und Krankheitserreger in Ziff. 2 wohl nicht um eine Deckungseinschränkung, sondern um eine primäre Beschreibung des Leistungsversprechens. Denn weder der Versicherungsschein, der ausdrücklich auf die entsprechenden Bedingungen Bezug nimmt, noch die Versicherungsbedingungen selbst stellen den Satz auf, dass grundsätzlich Deckungsschutz für alle Betriebsschließungen aufgrund des IfSG gewährt wird, denn Ziff. 1 nimmt wiederum ausdrücklich Bezug auf die Aufzählung in Ziff. 2.

Selbst wenn man aber von der Zulässigkeit der Inhaltskontrolle ausgeht, bestehen insoweit keine Bedenken.

Die Versicherer sind grundsätzlich in ihrer Entscheidung frei, in welchem Umfang sie im Hinblick auf Gefahren aus dem Infektionsschutzgesetz Versicherungsschutz bieten. Insbesondere ist eine Einschränkung nach einem „Alles-oder-nichts-Prinzip“ – also entweder Versicherungsschutz für alle im Infektionsschutzgesetz genannten meldepflichtigen Krankheiten und Krankheitserreger oder überhaupt keine Deckung – rechtlich nicht erforderlich (vgl. Fortmann in VersR 2020, 1073, 1076 f.) Die abschließende Aufzählung der vom Versicherungsschutz umfassten Krankheiten und Krankheitserreger erscheint vor diesem Hintergrund interessengerecht (LG Hamburg, Urteil vom 26. November 2020 – 332 O 190/20 –, Rn. 46, juris). Die darin enthaltene, unmissverständlich formulierte enumerative Aufzählung der vom Versicherungsschutz umfassten meldepflichtigen Krankheiten und Krankheitserreger ermöglicht es dem Versicherer und dem Versicherungsnehmer gleichermaßen, den Umfang des Versicherungsschutzes nachzuvollziehen. Die Regelung trägt auch dem berechtigten Interesse des Versicherers Rechnung, das versicherte Risiko nicht zuletzt in Bezug auf die Prämienhöhe seriös einschätzen zu können. Dies dient auch dem Schutz der Versichertengemeinschaft und ist für einen durchschnittlichen verständigen Versicherungsnehmer auch erkennbar (vgl. LG Bochum, Urt. v. 15.07.2020, Az. 4 O 215/20; LG Stuttgart, Urt. v. 30.09.2020, Az. 16 O 305/20 – jeweils zitiert nach juris).

Sicherlich verspricht die Beklagte in der Betriebsschließungsversicherung für zahlreiche Fälle von Krankheiten und Krankheitserreger, die dem Versicherungsnehmer mehrheitlich nicht bekannt sein werden, eine Leistung. Das beinhaltet jedoch nicht zwangsläufig die Annahme, es werde damit ein allgemeines Risiko für jegliche Betriebsschließung aufgrund einer Krankheit oder eines Krankheitserregers i.S. von §§ 6 f. IfSG übernommen. Kein Versicherungsnehmer kann davon ausgehen, dass grundsätzlich alle Risiken auf einem bestimmten Gebiet in der Deckung sind, sofern sich dies nicht aus den Versicherungsbedingungen ergibt (vgl. LG Köln, Urteil vom 26.11.2020, Az. 24 O 252/20). Gegen eine solche Erwartung spricht auch der Umstand, dass der Versicherungsnehmer auf ein umfangreiches Bedingungswerk hingewiesen wird, das in dieser Ausführlichkeit nicht erforderlich wäre, wenn alles gedeckt wäre.

Ein die „Coronavirus-Krankheit-2019 (COVID-19)“ bzw. SARSCoV und SARS-CoV-2 nicht umfassender Versicherungsschutz widerspricht auch nicht wesentlichen Grundgedanken einer gesetzlichen Regelung. Das Leistungsversprechen des Versicherers in der Betriebsschließungsversicherung aufgrund von Maßnahmen des Infektionsschutzgesetzes hat keine gesetzlichen Regelungen zur Grundlage. Der Schutzzweck des Infektionsschutzgesetzes liegt nicht darin, einen Unternehmer vor Schäden durch eine Unterbrechung des Betriebs aufgrund von Maßnahmen des Infektionsschutzes zu bewahren. Daher läuft ein Verständnis dahin, dass nur die aufgeführten Krankheiten und Krankheitserreger vom Versicherungsschutz erfasst sein sollten, von vornherein nicht dem Schutzzweck des Infektionsschutzgesetzes zuwider (OLG Stuttgart Urt. v. 15.2.2021 – 7 U 351/20, BeckRS 2021, 2002 Rn. 37, beck-online).

3.

Auf die Frage, ob ein Leistungsanspruch auch im Falle einer Teilschließung besteht, kommt es vor diesem Hintergrund nicht mehr an. Ebenso wenig ist die Frage zu entscheiden, ob der Versicherungsschutz sich nur auf nicht pandemisch auftretende Erkrankungen und betriebsinterne Gefahren beziehen soll.

II.

Da die Klägerin keinen Anspruch auf die Versicherungsleistung hat, steht ihr auch kein Anspruch auf Ersatz vorgerichtlich entstandener Rechtsanwaltskosten oder auf Zinsen zu.

Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 91 ZPO.

Der Ausspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf § 709 ZPO.

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