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Kfz-Haftpflichtversicherung – Aufklärungsobliegenheit bei spätabendlichen Unfall

Versicherungsanspruch abgewiesen: OLG Karlsruhe bestätigt Urteil in Vollkasko-Streit

In einem kürzlich ergangenen Urteil hat das Oberlandesgericht (OLG) Karlsruhe die Berufung des Klägers in einem Rechtsstreit um Ansprüche aus einem Vollkaskoversicherungsvertrag zurückgewiesen. Der Fall betraf ein Unfallereignis am 27.04.2013, bei dem der Kläger mit seinem Fahrzeug einen Gartenzaun beschädigte und sich anschließend unerlaubt vom Unfallort entfernte.

Direkt zum Urteil: Az.: 12 U 267/21 springen.

Verstoß gegen Aufklärungspflicht und Warteobliegenheit

Laut den allgemeinen Bedingungen für die Kfz-Versicherung (AKB) war der Kläger verpflichtet, alles zu tun, was der Aufklärung des Schadensereignisses dienen kann. Dies schließt insbesondere ein, dass der Versicherte den Unfallort nicht verlassen darf, ohne die erforderlichen Feststellungen zu ermöglichen. Im vorliegenden Fall hatte der Kläger jedoch den Unfallort verlassen, ohne zuvor die Bewohner oder die Polizei zu kontaktieren. Dies wurde als Verstoß gegen seine Aufklärungspflicht und Warteobliegenheit gewertet.

Leistungsfreiheit bei vorsätzlicher Pflichtverletzung

Die AKB sehen vor, dass der Versicherungsschutz bei vorsätzlicher Pflichtverletzung entfällt. Bei grob fahrlässiger Pflichtverletzung ist der Versicherer berechtigt, seine Leistung in einem der Schwere des Verschuldens entsprechenden Verhältnis zu kürzen. Der Kläger argumentierte, dass ihm eine Wartepflicht nicht bewusst gewesen sei und eine etwaige Verletzung dieser Pflicht nicht kausal für den Versicherungsfall oder die Feststellung betreffend den Umfang der Leistungspflicht gewesen sei.

Entscheidung des Gerichts: Berufung zurückgewiesen

Das OLG Karlsruhe wies die Berufung des Klägers zurück und bestätigte damit das Urteil des Landgerichts Karlsruhe vom 30.07.2021. Der Kläger hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen, und das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Eine Revision gegen das Urteil wurde nicht zugelassen.

Insgesamt zeigt dieses Urteil, dass Versicherte ihre vertraglichen Pflichten ernst nehmen und im Schadensfall alles tun sollten, um der Aufklärung des Schadensereignisses zu dienen. Andernfalls riskieren sie den Verlust ihres Versicherungsschutzes und möglicherweise auch finanzielle Nachteile.

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Das vorliegende Urteil

OLG Karlsruhe – Az.: 12 U 267/21 – Urteil vom 20.01.2022

1. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Landgerichts Karlsruhe vom 30.07.2021, Az. 21 O 510/17, wird zurückgewiesen.

2. Der Kläger hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.

3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Das in Ziffer 1 genannte Urteil des Landgerichts Karlsruhe ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.

4. Die Revision gegen dieses Urteil wird nicht zugelassen.

Gründe

Die Parteien streiten um Ansprüche des Klägers aus einem mit der Beklagten abgeschlossen Vollkaskoversicherungsvertrag wegen eines Unfallereignisses am 27.04.2013.

Der Kläger unterhielt bei der Beklagten eine Vollkasko- und Kfz-Haftpflichtversicherung. Dem Versicherungsvertrag lagen unter anderem die „Allgemeinen Bedingungen für die Kfz-Versicherung für Pkw-private Nutzung“, Stand 01.01.2010 (AKB) zugrunde (Anlage B 3).

Dort heißt es unter E.1.3 (Aufklärungspflicht):

„Sie sind verpflichtet, alles zu tun, was der Aufklärung des Schadensereignisses dienen kann. Dies bedeutet insbesondere, dass Sie […] den Unfallort nicht verlassen dürfen, ohne die erforderlichen Feststellungen zu ermöglichen.“

E.6.1 und E.6.2 (Leistungsfreiheit bzw. Leistungskürzung) lauten:

„Verletzen Sie vorsätzlich eine Ihrer in E.1 bis E.5 geregelten Pflichten, haben Sie keinen Versicherungsschutz. Verletzen Sie Ihre Pflichten grob fahrlässig, sind wir berechtigt, unsere Leistung in einem der Schwere Ihres Verschuldens entsprechenden Verhältnis zu kürzen. Weisen Sie nach, das Sie die Pflicht nicht grob fahrlässig verletzt haben, bleibt der Versicherungsschutz bestehen.

Abweichend von E.6.1 sind wir zur Leistung verpflichtet, soweit Sie nachweisen, dass die Pflichtverletzung weder für die Feststellung des Versicherungsfalls noch für die Feststellung oder den Umfang unserer Leistungspflicht ursächlich war. Dies gilt nicht, wenn Sie die Pflicht arglistig verletzen.“

Am 27.04.2013 gegen 23:00 Uhr kam der Kläger etwa 150 Meter von seiner Wohnung entfernt in Höhe des Anwesens … ohne Fremdbeteiligung mit seinem bei der Beklagten versicherten Kraftfahrzeug Marke …, Kennzeichen …, von der Straße ab und fuhr in den sich auf dem vorgenannten Grundstück befindlichen Gartenzaun, der dabei beschädigt wurde. Die Reparaturkosten für den Zaun beliefen sich auf 996,98 €. Der Kläger erkannte den am Gartenzaun verursachten Schaden. Er entfernte sich alsbald vom Unfallort, ohne zuvor die Bewohner oder die Polizei zu kontaktieren. Am Morgen des 28.04.2013 stellte ein Dritter den Schaden fest und informierte die Hausverwaltung, die den Schaden an diesem Tag um 10.00 Uhr der Polizei meldete. Die Polizei konnte aufgrund eines am Unfallort vorgefundenen Fahrzeugteils den Kläger als Unfallbeteiligten ermitteln. Am Montag, 29.04.2013 um 11:21 Uhr meldete die Versicherungsagentur, bei welcher der Kläger zu dieser Zeit tätig war, der Beklagten einen Kaskoschaden aus dem streitgegenständlichen Unfall. Am 03.05.2013 ging bei der Beklagten eine schriftliche Schadensanzeige des Klägers über den verursachten Kaskoschaden ein. Die Beklagte regulierte den Fremdschaden am Gartenzaun sowie die damit zusammenhängenden Rechtsanwalts- und Gerichtskosten. In einem Verfahren vor dem Amtsgericht Rastatt nahm sie den Kläger erfolgreich in Regress (Urteil vom 25.09.2020, Az. 3 C 205/17); das Urteil ist nach Zurückweisung der Berufung nach § 522 Abs. 2 ZPO (LG Baden-Baden, Beschluss vom 03.05.2021, Az. 1 S 24/20) rechtskräftig. Eine Regulierung des Schadens am Fahrzeug des Klägers lehnte die Beklagte unter Verweis auf einen Verstoß gegen die Warteobliegenheit des Klägers am Unfallort ab.

Am 26.06.2013 erging gegen den Kläger wegen des vorgenannten Geschehens ein Strafbefehl des Amtsgerichts Rastatt (Az. Cs 207 Js 6633/13) wegen unerlaubten Entfernens vom Unfallort, der am 18.07.2013 rechtskräftig wurde.

Der Kläger hat vorgetragen, ihm sei eine Wartepflicht nicht bewusst gewesen. Er habe vor dem Unfall weder Drogen noch Alkohol konsumiert, vielmehr sei er auf der nassen Fahrbahn ins Rutschen gekommen. Er sei nach dem Unfall ausgestiegen und habe vor der Weiterfahrt die Namen auf den Klingelschildern des Anwesens … abgeschrieben. Am Tag nach dem Unfall habe er zu Hausbewohnern Kontakt aufgenommen, die ihn an die Hausverwaltung verwiesen hätten; diese sei erst am Montag erreichbar gewesen. Die Polizei habe er noch am Sonntag oder jedenfalls montags nach Kontaktaufnahme mit der Hausverwaltung telefonisch informiert; die Polizei hätte am Montag einen Blutalkoholtest bei ihm durchführen können, habe dies aber unterlassen. Eine etwaige Verletzung einer Warteobliegenheit sei nicht kausal für den Versicherungsfall oder die Feststellung betreffend den Umfang der Leistungspflicht gewesen. Der Fahrzeugschaden belaufe sich gemäß dem Gutachten Anlage K 1 auf 6.158,40 €.

Er hat zuletzt beantragt: Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 6.158,40 € nebst 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit 27.04.2013 zu bezahlen.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.

Sie hat vorgetragen, der Kläger sei nach dem Unfall direkt weitergefahren. Durch die vom Kläger benannten Polizeidienststellen sei kein entsprechender Vorgang aufgenommen worden, was gegen eine Benachrichtigung dieser Stellen durch den Kläger spreche. Durch die Verletzung seiner Wartepflicht habe der Kläger Feststellungen zu einer möglichen zum Unfallzeitpunkt bestehenden Fahruntüchtigkeit vereitelt. Daher sei die Beklagte von einer Leistungspflicht frei.

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, der Kläger habe gegen seine Obliegenheiten aus E.1.3 AKB verstoßen, indem er seiner Wartepflicht aus § 142 Abs. 1 StGB nicht genügt und weitere Feststellungen u.a. zu seiner Fahrtüchtigkeit damit vereitelt habe. Daher sei die Beklagte gemäß E.6.1 AKB i.V.m. § 28 Abs. 2 Satz 1 VVG leistungsfrei. Die Information des Geschädigten oder der Polizei am nächsten Morgen genüge nur dann den Obliegenheiten des Versicherungsnehmers, wenn er sich berechtigt oder entschuldigt vom Unfallort entfernt habe, woran es hier fehle. Es habe auch ein schutzwürdiges Aufklärungsinteresse des Versicherers bestanden, insbesondere weil alkoholbedingte Fahruntüchtigkeit für den Unfall nicht auszuschließen war. Den Kausalitätsgegenbeweis nach E.6.2 AKB bzw. § 28 Abs. 3 Satz 1 VVG habe der Kläger nicht führen können. Bereits das unerlaubte Entfernen von der Unfallstelle habe zu konkreten Feststellungsnachteilen bei der Beklagten geführt, welche sich durch spätere Angaben des Klägers nicht mehr hätten kompensieren lassen. So seien insbesondere keine Feststellungen mehr zu einer etwaigen Alkoholisierung oder Drogenbeeinträchtigung des Fahrers möglich, die wegen des Verbots in Abschnitt D.2.1 und D.3.1 AKB zum Wegfall des Versicherungsschutzes hätte führen können.

Gegen dieses Urteil wendet sich der Kläger mit seiner Berufung, mit der er seinen erstinstanzlichen Antrag weiterverfolgt.

Er trägt vor, das Landgericht habe verkannt, dass selbst bei Einhalten der Pflichten aus § 142 StGB dies nicht dazu geführt hätte, dass er einen Alkohol- oder Drogentest hätte durchführen müssen. Eine Verpflichtung hierzu enthalte § 142 StGB nicht. Auch sei er nicht verpflichtet gewesen, die Polizei zu rufen. Allein die nur geringfügig verspätete Feststellung seiner Personalien habe erkennbar keinen Einfluss auf das Regulierungsverhalten der Beklagten. Schließlich habe er auch nicht vorsätzlich gehandelt, da er nicht gewusst habe, dass in den AKB eine generelle Wartepflicht geregelt sei.

Er beantragt: Das Urteil des Landgerichts Karlsruhe vom 07.07.2021, Az. 21 O 510/17 wird aufgehoben und die Beklagte verurteilt, an den Kläger 6.158,40 € nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz der EZB seit 27.04.2013 zu zahlen.

Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigt das angegriffene Urteil unter Wiederholung und Vertiefung ihres erstinstanzlichen Vortrags.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird, soweit der Senat keine abweichenden Feststellungen getroffen hat, auf das Urteil des Landgerichts sowie auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen.

Die Akten des Amtsgerichts Rastatt (Az. Cs 207 Js 6633/13) waren beigezogen.

II.

Die zulässige Berufung ist unbegründet. Zu Recht hat das Landgericht die Klage wegen einer Verletzung der Obliegenheit, am Unfallort eine angemessene Zeit zu warten, abgewiesen.

1. Die Voraussetzungen eines Versicherungsfalls gemäß Ziffer A.2.3.2 AKB (Unfall) liegen unstreitig vor, nachdem der Kläger mit seinem bei der Beklagten versicherten Pkw am 27.04.2013 von der Straße abkam und in den Gartenzaun des Anwesens … fuhr.

2. Die Beklagte ist aber nach E.6.1 AKB leistungsfrei geworden, weil der Kläger gegen die sich aus E.1.3 AKB ergebenden Obliegenheiten verstoßen hat. Ein Verstoß gegen die Aufklärungsobliegenheit besteht darin, dass sich der Kläger von dem Unfallort entfernt hat, ohne Feststellungen zu ermöglichen.

a) Allgemeine Versicherungsbedingungen sind so auszulegen, wie ein durchschnittlicher, um Verständnis bemühter Versicherungsnehmer sie bei verständiger Würdigung, aufmerksamer Durchsicht und unter Berücksichtigung des erkennbaren Sinnzusammenhangs versteht. Dabei kommt es auf die Verständnismöglichkeiten eines Versicherungsnehmers ohne versicherungsrechtliche Spezialkenntnisse und damit auch auf seine Interessen an. In erster Linie ist vom Bedingungswortlaut auszugehen. Der mit dem Bedingungswerk verfolgte Zweck und der Sinnzusammenhang der Klauseln sind zusätzlich zu berücksichtigen, soweit sie für den Versicherungsnehmer erkennbar sind (BGH, Urteil vom 22.01.2020 – IV ZR 125/18 –, juris Rn. 10; st. Rsp.).

Nach E.1.3 AKB ist der Versicherungsnehmer verpflichtet, alles zu tun, was der Aufklärung des Schadenereignisses dienen kann; insbesondere darf er den Unfallort nicht verlassen, ohne die erforderlichen Feststellungen zu ermöglichen. Der verständige Versicherungsnehmer wird diese Verpflichtung jedenfalls auf den ihm bekannten Straftatbestand der „Unfallflucht“ gemäß § 142 Abs. 1 StGB beziehen (Saarländisches Oberlandesgericht Saarbrücken, Urteil vom 01.02.2017 – 5 U 26/16, juris Rn. 32).

Bereits zu den früheren Fassungen der AKB war anerkannt, dass die vertragliche Obliegenheit, „alles zu tun, was zur Aufklärung des Tatbestands und zur Minderung des Schadens dienlich sein kann“, jedenfalls die in § 142 StGB strafrechtlich sanktionierten Rechtspflichten umfasst (BGH, Urteil vom 01.12.1999 – IV ZR 71/99, juris Rn. 9). Dies gilt erst Recht für die Fassung der AKB 2010, in denen die Obliegenheit, den Unfallort nicht zu verlassen, ohne die erforderlichen Feststellungen zu ermöglichen, ausdrücklich genannt ist (vgl. Saarländisches Oberlandesgericht Saarbrücken, Urteil vom 10.02.2016 – 5 U 75/14, juris Rn. 44 ff. m.w.N.; OLG Hamm, Urteil vom 15.04.2016 – 20 U 240/15, juris Rn. 31; vgl. auch BGH, Urteil vom 21.11.2012 – IV ZR 97/11, juris Rn. 20; weitergehend OLG München, Urteil vom 26.02.2016 – 10 U 2166/15, juris Rn. 4, juris; zu E.1.1.3 AKB 2015 vgl. Senat, Urteil vom 06.08.2020 – 12 U 53/20, juris Rn. 48). Ob dem Versicherungsnehmer durch E.1.3 AKB über die durch § 142 StGB statuierten Pflichten hinaus weitergehende Obliegenheiten auferlegt werden, insbesondere ob eine Obliegenheitsverletzung auch bereits dann zu bejahen sein kann, wenn der Tatbestand des § 142 StGB nicht vollständig erfüllt ist (dahingehend OLG Stuttgart, Urteil vom 16.102014 – 7 U 121/14, juris Rn. 42; OLG München, Urteil vom 26.02.2016 – 10 U 2166/15, juris Rn. 4), erscheint zweifelhaft, ist vorliegend aber unerheblich, da eine Verwirklichung des Tatbestandes des § 142 StGB vorliegt.

b) Der Kläger hat vorliegend den Straftatbestand des unerlaubten Entfernens vom Unfallort dadurch verwirklicht, dass er entgegen den Vorgaben des § 142 Abs. 1 Nr. 2 StGB keine angemessene Zeit auf eine feststellungsbereite Person gewartet hat.

aa) Die Erfüllung des objektiven und subjektiven Tatbestands der Strafvorschrift darzulegen und zu beweisen – insbesondere auch die Kenntnis des Versicherungsnehmers von dem Entstehen eines nicht nur ganz unerheblichen Schadens an fremden Rechtsgütern -, obliegt grundsätzlich dem Versicherer (vgl. Senat, Urteil vom 05.06.2008 – 12 U 13/08, juris Rn. 21; Senat, Urteil vom 06.08.2020 – 12 U 53/20, juris Rn. 49). Vorliegend sind diese Voraussetzungen allerdings unstreitig gegeben, da der Kläger selbst einräumt, die Unfallstelle trotz Erkennens der Schäden an dem Zaun alsbald wieder verlassen zu haben, ohne auf hinzukommende Personen zu warten.

bb) Ist – wie vorliegend zugunsten des Klägers anzunehmen – kein Feststellungsberechtigter anwesend, so verlangt § 142 Abs. 1 Nr. 2 StGB, dass „eine nach den Umständen angemessene Zeit gewartet“ wird, bevor der Unfallort verlassen wird. Der Umfang der Wartepflicht beurteilt sich nach den Maßstäben der Erforderlichkeit und der Zumutbarkeit (Senat, Urteil vom 06.08.2020 – 12 U 53/20, juris Rn. 57 m.w.N.). Ob überhaupt und wie lange der Beteiligte am Unfallort zu warten hat, richtet sich mithin nach den Umständen des Einzelfalles (vgl. Sternberg-Lieben, in Schönke/Schröder, StGB, 30. Aufl. 2019, § 142, Rn. 36 m.w.N.). Die Bestimmung der Angemessenheit der Wartezeit ist abhängig von dem voraussichtlichen Eintreffen feststellungsbereiter Personen (Zopfs, in MüKo-StGB, 4. Aufl. 2021, StGB § 142 Rn. 81 f.). Dies ist regelmäßig unter anderem abhängig von dem Unfallort sowie der Tageszeit, weiter ist auch das Feststellungsinteresse des Berechtigten zu berücksichtigen (vgl. Zopfs a.a.O. Rn. 81 und 84.). Je größer das Ausmaß des Schadens ist, desto länger ist grundsätzlich die Wartefrist. Zu berücksichtigen ist außerdem ggf. das Interesse des Unfallbeteiligten an einem frühzeitigen Verlassen des Unfallortes (Senat, a.a.O.). Eine darüber hinausgehende Verpflichtung, die Polizei herbeizurufen, selbst wenn nach den konkreten Umständen zu erwarten ist, dass sich anderenfalls die Möglichkeiten der Feststellung für die Leistungspflicht des Versicherers relevanter Umstände – insbesondere zu dem im vorliegenden Fall ausdrücklich genannten Alkohol- oder Drogenkonsum – verschlechtern, besteht hingegen nicht (Saarländisches Oberlandesgericht Saarbrücken, Urteil vom 10.02.2016 – 5 U 75/14, juris Rn. 50).

cc) Ausgehend von diesen Grundsätzen bestand, worauf der Kläger insoweit zu Recht abstellt, zwar keine Pflicht, unmittelbar nach dem Unfall die Polizei herbeizurufen, wohl aber die Verpflichtung, eine angemessene Zeit – wobei von einem Zeitraum zwischen mindestens 15 und 30 Minuten auszugehen ist – zu warten.

Durch den Unfall war erkennbar ein Fremdschaden deutlich oberhalb der Bagatellgrenze von maximal 100,00 € (vgl. hierzu Senat, Urteil vom 06.08.2020 – 12 U 53/20 juris, Rn. 52 m.w.N.) entstanden. Ungeachtet des Unfallzeitpunktes am späten Abend war es angesichts der Unfallörtlichkeit unmittelbar in einem Wohngebiet keinesfalls fernliegend, dass ein Bewohner des Hauses, zu dem der durch den Kläger beschädigte Zaun gehörte, oder ein Nachbar auf den Unfall aufmerksam geworden und zum Treffen von Feststellungen bereit war. Der Unfall ereignete sich auch weder an einer Stelle, an der ein Verweilen eine Gefahr für den Kläger bedeutet hätte, noch bestanden andere dringende Gründe für den Kläger, die Unfallörtlichkeit zu verlassen.

dd) Selbst wenn man zugunsten des Klägers annimmt, dass er tatsächlich noch ausgestiegen ist und sich die Namen auf den Klingelschildern notiert hat, bevor er seine Fahrt fortsetzte, genügt die damit einhergehende kurze Zeitspanne ersichtlich nicht der erforderlichen Wartepflicht.

ee) Die Verletzung der Wartepflicht ist auch vorsätzlich erfolgt. Obgleich der Kläger, wie er selbst einräumt, den Fremdschaden an dem Zaun bemerkt hatte, entfernte er sich selbst nach seinem eigenen Vortrag bereits nach kurzer Zeit willentlich und wissentlich vom Unfallort.

Dass durch den Unfall ein erheblicher Sachschaden entstanden war, konnte dem Kläger angesichts der von ihm selbst geltend gemachten Reparaturkosten am eigenen Fahrzeug von mehr als 6.000 € und angesichts der durch die in der Strafakte befindlichen Lichtbilder dokumentierten großflächigen Schäden an dem Zaun nicht verborgen geblieben sein. Vor dem Hintergrund dieser durch den Kläger erkannten umfangreichen Schäden ist es ausgeschlossen, dass der Kläger davon ausging, er dürfe sich ohne zu warten vom Unfallort entfernen. Denn bei der Wartepflicht handelt es sich um eine elementare, allgemeine und jedem Versicherungsnehmer und Kraftfahrer bekannte Pflicht. Dass er mit ihrer Verletzung auch den Leistungsanspruch gegen seinen Versicherer gefährden kann, drängt sich einem verständigen Versicherungsnehmer schon deshalb auf, weil er weiß, dass sein Versicherer bei einem Schadensfall stets ein Interesse an der vollständigen Aufklärung des Unfallhergangs und der Unfallursachen hat, das er mit dem Verlassen des Unfallorts nachhaltig beeinträchtigt (vgl. BGH, Urteil vom 01.12.1999 – IV ZR 71/99, juris Rn. 9; BGH, Urteil vom 21.11.2012 – IV ZR 97/11, juris Rn. 17).

c) Einen Kausalitätsgegenbeweis gemäß § 28 Abs. 3 VVG, E.6.2 hat der Kläger bereits nicht angetreten.

Erforderlich ist der Beweis, dass die Feststellungen durch das vertragswidrige Verlassen des Unfallortes im Ergebnis nicht zum Nachteil des Versicherers beeinflusst worden sind (Senat, Beschluss vom 17.04.2020 – 12 U 120/19, juris Rn. 64). Vorliegend trägt der Kläger lediglich vor, er sei selbst bei Erfüllung der Wartepflicht nicht verpflichtet gewesen, weitergehende Feststellungen zu einer Alkoholisierung oder zu einem Drogenkonsum treffen zu lassen, so dass diesbezüglich auch keine weiteren Feststellungen getroffen werden konnten. Dieses Vorbringen ist bereits nicht geeignet, eine fehlende Kausalität zwischen dem unerlaubten Entfernen vom Unfallort und dem Mangel an Feststellungen zu begründen. Der Zweck der Warteobliegenheit besteht darin, dem Versicherer die sachgerechte Prüfung der Voraussetzungen seiner Leistungspflicht zu ermöglichen, wozu die Feststellung sämtlicher mit dem Schadensereignis zusammenhängender Tatsachen gehört, aus denen sich seine Leistungsfreiheit ergeben kann (vgl. BGH, Urteil vom 01.12.1999 – IV ZR 71/99, juris Rn. 11). Ungeachtet einer fehlenden Verpflichtung aus dem Versicherungsvertrag, sich einem Alkohol- oder Drogentest zu unterziehen, hat der Versicherer auch ein Interesse daran, Feststellungen zu den äußeren Umständen des Unfallgeschehens, insbesondere zu etwaigen bereits äußerlich erkennbaren Auffälligkeiten des Versicherten, die auf eine Alkoholisierung oder auf sonstige, eine Einstandspflicht begrenzende oder ausschließende Faktoren schließen lassen, zu treffen. Jedenfalls derartige Feststellungen hätten bei Hinzukommen einer feststellungsbereiten Person und der durch diese möglicherweise herbeigerufenen Polizei ohne Weiteres getroffen werden können. Es ist nicht auszuschließen, dass eine feststellungsbereite Person Verdachtsanzeichen für eine etwaige Alkoholisierung bemerkt und gerade deshalb die Polizei gerufen hätte. Dass diese Erwägungen letztlich hypothetisch bleiben, geht zu Lasten des Klägers, der die Beweislast im Rahmen des Kausalitätsgegenbeweises trägt. Dass der Kläger nach seinem Vortrag am Montag – also zwei Tage nach dem Unfallereignis – zu einem Alkoholtest bereit gewesen wäre, ist angesichts der fehlenden Relevanz eines solchen Tests für eine etwaige Alkoholisierung im Zeitpunkt des Unfalls ersichtlich unerheblich.

Ob im Falle des unerlaubten Entfernens vom Unfallort immer dann von einer Kausalität auszugehen ist, wenn keine objektiven Feststellungen mehr dazu getroffen werden können, ob der Versicherungsnehmer bei dem Unfall unter Alkohol- oder Drogeneinfluss stand und seine Fahrtüchtigkeit hierdurch eingeschränkt war (dahingehend OLG Stuttgart, Urteil vom 16.10.2014 – 7 U 121/14, juris Rn. 59; OLG Frankfurt, Urteil vom 02.04.2015 – 14 U 208/14, juris Rn. 12), oder Einschränkungen in solchen Fällen zu machen sind, in denen aufgrund der Gesamtumstände eine Alkoholisierung als praktisch ausgeschlossen erscheint und die Beachtung der Wartepflicht dem Versicherer keine zusätzlichen Aufklärungsmöglichkeiten verschafft hätte (vgl. BGH, Urteil vom 21.11.2012 – IV ZR 97/11, juris Rn. 32; Maier in Langheid/Wandt, VVG, 2. Teil, 3. Kapitel, 400., Rn. 196 m.w.N.), kann offen bleiben, da derartige Gesamtumstände weder vorgetragen noch ersichtlich sind.

e) Die Belehrungspflicht (§ 28 Abs. 4 VVG) gilt für spontan, also ohne vorhergehende Aufforderung, zu erfüllende Obliegenheiten – wie hier die Wartepflicht – nicht (Senat, Beschluss vom 17. April 2020 – 12 U 120/19, juris Rn. 67; Armbrüster in Prölss/Martin, VVG, 31. Aufl. 2021 § 28 Rn. 262 m.w.N.).

3. Mangels eines berechtigten Entfernens vom Unfallort kommt es auch nicht mehr darauf an, ob der Kläger gemäß § 142 Abs. 2 StGB unverzüglich nachträgliche Feststellungen ermöglicht hat und inwieweit die Aufklärungsobliegenheit in E.1.3 AKB entsprechend § 142 Abs. 2 StGB die Pflicht zur unverzüglichen nachträglichen Ermöglichung von Feststellungen umfasst (vgl. Hierzu BGH, Urteil vom 21.11.2012 – IV ZR 97/11, juris Rn. 20; Senat, Urteil vom 06.08.2020 – 12 U 53/20, juris Rn. 75 m.w.N.).

Allerdings ist anzumerken, dass der Kläger nach seinem letzten Vortrag mit Schriftsatz vom 13.02.2020 erst nach seinem am Montag zu einem unbekannten Zeitpunkt stattgefundenen Gespräch mit der Hausverwalterin … – und damit erst am übernächsten Tag – bei verschiedenen, trotz mehrfacher Aufforderung der Beklagten nicht konkret benannten Polizeirevieren angerufen hat. Eine Unverzüglichkeit wäre damit – ohne dass es hier darauf ankommt – nicht mehr gegeben. Selbst wenn man in der Konstellation eines spätabendlichen Unfalls mit eindeutiger Haftungslage Unverzüglichkeit im Einzelfall noch annehmen kann, wenn der Unfallbeteiligte die Feststellungen bis zum frühen Vormittag des darauf folgenden Tages ermöglicht (vgl. Saarländisches Oberlandesgericht Saarbrücken, Urteil vom 10.02.2016 – 5 U 75/14, juris Rn. 62 m.w.N.), überschreitet das Warten bis zum übernächsten Tag die Grenze der Unverzüglichkeit deutlich.

4. Mangels Bestehens eines Anspruchs dem Grunde nach kommt es auf die Höhe des geltend gemachten Schadens nicht mehr an. Ebenso scheidet ein Anspruch auf Zinsen mangels Hauptforderung aus.

III.

Die Entscheidung über die Kosten folge aus § 97 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 708 Nr. 10 ZPO. Gründe die Revision zuzulassen (§ 543 Abs. 2 ZPO) bestehen nicht.


Die folgenden rechtlichen Bereiche sind u.a. in diesem Urteil relevant:

  1. § 945 ZPO (Zivilprozessordnung): Diese Norm betrifft den Schadenersatz bei ungerechtfertigter einstweiliger Verfügung. Der Kläger begehrt in diesem Fall Schadenersatz aus § 945 ZPO, da er aufgrund der einstweiligen Verfügung weiter Versicherungsleistungen erbracht hat, obwohl die Kündigung des Vertrages später als wirksam erklärt wurde.
  2. §§ 812ff. BGB (Bürgerliches Gesetzbuch): Diese Normen betreffen den Bereich der ungerechtfertigten Bereicherung. Hilfsweise verlangt der Kläger Zahlungen nach den §§ 812ff. BGB, da er der Ansicht ist, dass die Beklagte ungerechtfertigt Leistungen aus dem Versicherungsvertrag erhalten hat.
  3. § 7 AktO (Akteneinsichts- und -ausforschungsordnung): In diesem Fall wurde das Verfahren nach § 7 AktO im März 2019 ausgetragen. Diese Vorschrift regelt das Verfahren zur Akteneinsicht und -ausforschung und hat Bedeutung für den weiteren Verlauf des Rechtsstreits.
  4. § 626 BGB: Diese Norm betrifft die außerordentliche Kündigung aus wichtigem Grund. Im vorliegenden Fall wurde die Kündigung des Klägers vom 16.12.2010 als wirksam erklärt, weil ein wichtiger Grund für die außerordentliche Kündigung vorlag.
  5. § 91 ZPO: Diese Norm regelt die Kostenentscheidung im Zivilprozess und besagt, dass die unterliegende Partei die Kosten des Rechtsstreits zu tragen hat. In diesem Fall hat das Gericht entschieden, dass der Kläger die Kosten des Rechtsstreits zu tragen hat (II. des Urteils).
  6. § 708 Nr. 11 ZPO: Diese Vorschrift regelt die vorläufige Vollstreckbarkeit von Urteilen. Das Urteil ist gegen eine Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar (III. des Urteils).
  7. § 696 ZPO: Diese Norm regelt das Mahnverfahren und ist relevant, weil der Kläger gegen die Beklagte Mahnbescheide erwirkte.
  8. § 701 ZPO: Diese Vorschrift regelt den Widerspruch gegen den Mahnbescheid und ist relevant, weil die Beklagte gegen die Mahnbescheide des Klägers Widerspruch eingelegt hat.

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