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Kfz-Haftpflichtversicherung – Kausalitätsgegenbeweis bei Unfallflucht

LG Hamburg – Az.: 306 S 77/16 – Urteil vom 04.08.2017

1. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Amtsgerichts Hamburg-Altona vom 08.09.2016, Az. 314b C 13/16, in der Sache wie folgt abgeändert:

Die Klage wird abgewiesen.

2. Die Klägerin trägt die Kosten des erstinstanzlichen Verfahrens und des Berufungsverfahrens.

3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Beschluss

Der Streitwert wird für das Berufungsverfahren auf 1.258,69 € festgesetzt.

Gründe

I.

Wegen der tatsächlichen Feststellungen wird auf das angegriffene Urteil verwiesen.

II.

Kurze Begründung für die Abänderung der angefochtenen Entscheidung gemäß § 540 Abs. 1 Satz 1 Ziff. 2 ZPO:

Die zulässige Berufung ist begründet. Die Klägerin hat gegen den Beklagten keinen Anspruch auf Erstattung der von ihr gegenüber der Geschädigten aus dem Verkehrsunfall vom 4.12.2013 regulierten Schadenspositionen.

1.

Entgegen dem erstinstanzlichen Urteil ergibt sich ein solcher Anspruch nicht aus einem grob fahrlässigen Verstoß gegen die in Ziff. E.1.1, 1.3 AKB normierte Anzeige- und Aufklärungspflicht, der die Klägerin gemäß Ziff. E.6.1, 6.3 AKB berechtigen würde, ihre Leistung im Verhältnis zum Beklagten entsprechend seines Verschuldens zu kürzen.

Denn der Beklagte kann sich insoweit auf den Kausalitätsgegenbeweis nach § 28 Abs. 3 S. 1 VVG, hier normiert in E.6.2 AKB, berufen, da er nachweisen konnte, dass die Obliegenheitsverletzung weder für die Feststellung des Versicherungsfalls noch für Feststellung und Umfang der Leistungspflicht der Beklagten ursächlich war.

Für einen solchen Gegenbeweis bedarf es zunächst substantiierten Vortrags des Versicherers, welche Maßnahmen er im konkreten Fall bei rechtzeitiger Erfüllung der Obliegenheit ergriffen und welchen Erfolg er sich davon versprochen hätte; allgemeine Erwägungen genügen insoweit nicht (vgl. Prölss/Martin, 29. Aufl., § 28 VVG, Rn. 258 m.w.N.). Die entsprechenden Behauptungen des Versicherers hat der Versicherungsnehmer sodann zu widerlegen (a.a.O., Rn 258, 249); es muss insoweit feststehen, dass dem Versicherer keine Feststellungsnachteile erwachsen sind. Ein Feststellungsnachteil des Versicherers ist nicht gegeben, wenn das (zunächst obliegenheitswidrige) Verhalten des Versicherungsnehmers zu einer gleichwertigen Beweislage führt.

a.

Die Klägerin hat hier behauptet, durch das Entfernen des Beklagten von der Unfallstelle sei es ihr nicht möglich gewesen, Feststellungen zu seiner Fahrtüchtigkeit zu treffen sowie dazu, ob er über eine gültige Fahrerlaubnis verfügte. Auch sei für sie der Umfang ihrer Leistungspflicht nicht mehr prüfbar gewesen, zumal der Beklagte nach dem Unfall behauptete, es seien durch den Anstoß seines Fahrzeugs am Fahrzeug der Geschädigten keine kompatiblen Schäden entstanden. Insoweit könne auch nicht ausgeschlossen werden, dass ein bereits beschädigtes Fahrzeug durch ein weiteres Fahrzeug erneut touchiert werde und dadurch weitere Schäden hervorgerufen würden, was auch an der Unfallstelle hätte passiert sein können. Wäre der Beklagte an der Unfallstelle geblieben, hätte eine derartige mögliche Schadensüberdeckung ausgeschlossen werden können.

b.

Die vorgenannten Behauptungen der Klägerin hat der Beklagte zur Überzeugung der Kammer nach Würdigung der vorliegenden Anhaltspunkte zum Schadensablauf widerlegt. Eine durch das Verhalten des Beklagten bedingte Verschlechterung der Beweislage oder anderweitige, konkrete Feststellungsnachteile vermag die Kammer nicht zu erkennen:

Ausweislich der beigezogenen Ermittlungsakte der Staatsanwaltschaft H. (Az… ) ereignete sich der Unfall am 4.12.2013 um 17:30 Uhr. Der Schaden am Fahrzeug der Geschädigten wurde vom Zeugen F. nach seinen Angaben direkt nach dem Verlassen des Unfallortes durch den Beklagten in Augenschein genommen. Die Polizei erreichte um 18:09 Uhr den Einsatzort und dokumentierte dort den Schaden am Fahrzeug der Geschädigten (vgl. Bl. 6-8 der Ermittlungsakte). Um 18:45 Uhr trafen die Beamten den Beklagten unter seiner Wohnanschrift an und stellten fest, dass er im Besitz einer gültigen Fahrerlaubnis ist. Auf dem Formularvordruck des entsprechenden Berichtes heißt es „Insbesondere ist einzugehen auf: 1. Verkehrstüchtigkeit der Unfallbeteiligten (bei Alkoholeinfluss stets Angabe der Ausfallerscheinungen) Wurden Beeinträchtigungen festgestellt oder behauptet?“ Feststellungen zur (mangelnden) Verkehrstüchtigkeit des Beklagten finden sich in dem kurzen Bericht nicht.

Die Fahrerlaubnis des Beklagten wurde von den Beamten nur ca. 75 Minuten nach dem Unfall positiv festgestellt. Insoweit ist die Beweislage eindeutig, es bleibt nichts „in der Schwebe“.

Die Schäden am Fahrzeug der Geschädigten wurden von der Polizei nur ca. 40 Minuten nach dem Unfall dokumentiert. Bei dem Eintreffen der Beamten vor Ort war auch der Zeuge F. noch anwesend, der den Unfall und die „Fahrerflucht“ des Beklagten gemeldet hatte. Dass innerhalb von nur 40 Minuten an einem geparkten Fahrzeug ein deckungsgleicher Schaden – hier im Bereich des Stoßfängers vorn rechts – eintritt, ist für die Kammer außerhalb jeder Lebenswahrscheinlichkeit, noch dazu wenn ein Zeuge durchgängig vor Ort ist, der den Schaden vorher in Augenschein genommen hatte und der Schaden sodann durch die Polizei – naheliegend: auf den Hinweis des Zeugen – dokumentiert wird. Entsprechendes gilt für die Schäden am Fahrzeug des Beklagten. Diese wurden 75 Minuten nach dem Unfall dokumentiert. Dabei gab der Beklagte an, dass er nach dem Verlassen des Unfallortes direkt nach Hause gefahren sei. Dass in dieser Zeit – entweder bei der Fahrt nach Hause oder während der Zeit des dortigen Parkens – wiederum im selben Bereich, d.h. am Stoßfänger hinten links – ein deckungsgleicher Schaden eintritt, ist gleichfalls abwegig, zumal anzunehmen ist, dass der Beklagte, der jedoch sogleich zugab, am Unfallort gewesen zu sein, in einem solchen Fall die Polizeibeamten auf einen derartigen „Nachschaden“ aufmerksam gemacht hätte. Im Übrigen kommt hinzu, dass auch bei einem hypothetischen Verbleib des Beklagten am Unfallort keineswegs davon auszugehen wäre, dass anderweitige Feststellungen hätten getroffen werden können. Es ist weder ersichtlich, dass während der Wartepflicht des Beklagten die Polizei dort (früher oder überhaupt) eingetroffen wäre noch ein im Hinblick auf das geschädigte Fahrzeug Berechtigter. Auch dann hätten nur dieselben Feststellungen getroffen werden können und dem Beklagten wäre – wie ohnehin – auch der Einwand nicht verschlossen gewesen, es handele sich nicht um kompatible Schäden und bei der „Delle“ an seinem Fahrzeug um einen Altschaden. Die insoweit bestehenden Prüfungsmöglichkeiten der Klägerin wurden ihr tatsächlich also nicht, wie von ihr behauptet, durch das Verhalten des Beklagten „genommen“. Vielmehr konnte die Klägerin – wie auch sonst – nach der Dokumentation der Schäden an beiden Fahrzeugen zwanglos – durch einen Sachverständigen – prüfen lassen, ob diese kompatibel sind, was sie jedoch nicht veranlasste.

Auch die Beweislage zur behauptet ggf. beeinträchtigten Fahruntüchtigkeit des Beklagten wurde durch sein Verhalten schließlich nicht verschlechtert. Ausweislich des Polizeiberichtes zum Antreffen des Beklagten wurden nach Überprüfung der Daten des Beklagten und der Dokumentation des Fahrzeugschadens „keine weiteren Maßnahmen getroffen“, weshalb die Kammer der Überzeugung ist, dass die Beamten – die gerade nach einer möglichen Unfallflucht Anlass gehabt hätten, darauf ein besonderes Augenmerk zu haben – keinerlei Ausfallerscheinungen am Beklagten wahrnahmen und auch sonst keinen Anlass hatten, seine Fahrtüchtigkeit zu bezweifeln. Dass bei einem Abwarten des Beklagten vor Ort anderweitige Feststellungen möglich gewesen wären, erschließt sich der Kammer nicht, zumal in diesem Fall schon nicht von einem zeitigeren Eintreffen der Polizei auszugehen ist (s.o.).

2.

Zuletzt war die Kammer auch nicht gehalten, dem von Klägerseite vorgebrachten Arglisteinwand weiter nachzugehen, der ein Berufen des Beklagten auf den Kausalitätsgegenbeweis ausschließen würde, § 28 Abs. 3 S. 2 VVG.

Das Amtsgericht hat zwar eine Arglist des Beklagten dahinstehen lassen und insoweit auf eine jedenfalls grobe Fahrlässigkeit abgestellt. Es hat jedoch den Beklagten ausführlich angehört und den Zeugen F. vernommen. Insoweit kann die Kammer mit hinreichender Sicherheit ausschließen, dass auf Basis dieser Angaben – auch in Zusammenschau mit den weiter aktenkundigen Umständen – die sichere Überzeugung von der Arglist des Beklagten möglich ist. Es handelte sich ausweislich der aktenkundigen Lichtbilder vorliegend an beiden beteiligten Fahrzeugen um Beschädigungen, die sich als Schrammen (vgl. Unfallaufnahme) bzw. eine leichteste Delle (am Beklagtenfahrzeug) beschreiben lassen. Nach den Feststellungen der Polizei war es – in Übereinstimmung mit den Angaben des Beklagten – zur Unfallzeit dunkel, der Parkplatz war durch Laternen ausgeleuchtet. Zudem hat der Beklagte vorgetragen, dass es „fürchterlich“ geregnet habe. Bei dieser Sachlage kann nach Auffassung der Kammer nicht mit der erforderlichen Gewissheit ausgeschlossen werden, dass der Beklagte die Schäden an beiden Fahrzeugen am Unfallort tatsächlich nicht wahrnahm.

3.

Die Nebenentscheidungen beruhen auf den §§ 91 Abs. 1; 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO, 26 Nr. 8 EGZPO.

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