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Unfallversicherung: Fristablauf für die ärztliche Feststellung bzw. Geltendmachung einer Invalidität

LG München II, Urteil vom 26.07.2007, Aktenzeichen: 10V O 1025/07

I. Die Klage wird abgewiesen.

II. Die Klägerin trägt die Kosten des Rechtsstreits.

III. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

Die Klägerin begehrt von der Beklagten Invaliditätsentschädigung aus einer privaten Unfallversicherung.

Die Klägerin unterhält bei der Beklagten eine private Unfallversicherung, der die Allgemeinen Unfallversicherungsbedingungen (AUB 88) zugrunde liegen. Wegen der Einzelheiten wird auf die Anlage K 1 Bezug genommen.

Am 21.01.2004 stürzte die Klägerin vor ihrem Haus, wodurch sie einen Oberarmbruch rechts erlitt.

Mit Schreiben vom 19.05.2004 (Anlage B 1), der Beklagten zugegangen am 25.05.2004, teilte die Klägerin der Beklagten mit, dass sie sich am 21.01.2004 durch einen Sturz bei Glatteis ihren rechten Arm gebrochen habe.

Mit Schreiben vom 08.12.2004 (Anlage B 2) erinnerte die Beklagte die Klägerin an die Übersendung der Unfallanzeige.

Mit Schreiben vom 05.02.2006 (Anlage B 3) übersandte die Klägerin der Beklagten das ausgefüllte Formular „Unfallanzeige“ (Anlage B 4).

Unfallversicherung: Fristablauf für die ärztliche Feststellung bzw. Geltendmachung einer Invalidität
Symbolfoto: Morganka/Bigstock

Die Klägerin trägt vor, es bestünden durch eine radiologisch belegte Fehlstellung deutliche Bewegungseinschränkungen der rechten Schulter, wodurch ihre Tätigkeit als Physiotherapeutin sowie jegliche private Tätigkeit extrem eingeschränkt sei. Durch die Fehlbeanspruchung der Schulter sei zudem eine Irritation des Sternoclavikulargelenks rechts eingetreten, diverse Kontrolluntersuchungen hätten ein eindeutiges Knirschen und Krachen bei jeder Bewegung in dem unfallgeschädigten Gelenk erkennen lassen.

Die Klägerin behauptet, es bestünde eine dauernde Funktionseinschränkung von 4/10-Armwert, so dass ihr, ausgehend von der Grundsumme bei Invalidität in Höhe von DM 300.000,- bzw. EUR 153.387,56 und eines Armwertes von 80 % bzw. 100 % eine Invaliditätsentschädigung in Höhe der eingeklagten EUR 49.084,02 zustünde. Auf die Berechnung in der Klageschrift auf S. 3 unten/4 oben wird verwiesen.

Die Klägerin trägt vor, sie habe das Unfallereignis angezeigt und der Beklagten ziemlich deutlich gemacht, dass mit einem ganz erheblichen Invaliditätsschaden zu rechnen sei. Auf die schweren Verletzungsfolgen, die sogar eine längere Heilbehandlung in der Berufsgenossenschaftlichen Klinik Murnau erforderlich machten, habe sie hingewiesen. Auch habe sie darauf hingewiesen, dass sie stationär und ambulant in der Berufsgenossenschaftlichen Klinik Murnau behandelt wurde.

Die Klägerin ist der Ansicht, die Beklagte könne sich nicht auf Verfristung gemäß § 7 I (1) Satz 3 der AUB 88 berufen, da diese dazu verpflichtet gewesen wäre, sie, die Klägerin, über die Folgen der Nichteinhaltung der Fristen des § 7 I (1) Satz 3 der AUB 88 zu belehren, was die Beklagte unterlassen habe. Das Berufen der Beklagten auf den Fristablauf stelle sich daher als treuwidrig dar.

Die Klägerin beantragt, die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin EUR 49.084,02 nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz aus EUR 49.084,02 seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

 

Die Beklagte ist der Ansicht, aus dem Schreiben der Klägerin vom 19.05.2004 (Anlage B 1) hätten sich keine Anhaltspunkte dafür ergeben, dass infolge des Sturzes bei der Klägerin ein Dauerschaden entstehen könnte. Aus diesem Grund sei sie auch nicht dazu verpflichtet gewesen, über den (drohenden) Ablauf der Fristen des § 7 I (1) Satz 3 der AUB 88 zu belehren.

Durch Kammerbeschluss vom 17.04.2007 (Bl. 21/22 d.A.) wurde der Rechtsstreit gemäß § 348 a Abs. 1 ZPO auf die Einzelrichterin übertragen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Verfahrens wird verwiesen auf die Schriftsätze des Klägervertreters vom 17.02.2007 (Bl. 1/5 d.A.), vom 18.03.2007 (Bl. 7/8 d.A.), vom 26.03.2007 (Bl. 10 d.A.) und vom 15.07.2007 (Bl. 31/34 d.A.), des Beklagtenvertreters vom 28.03.2007 (Bl. 11 d.A.), 13.04.2007 (Bl. 13/19 d.A.) und vom 17.07.2007 (Bl. 36/38 d.A.), jeweils nebst Anlagen, sowie auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 26.07.2007 (Bl. 40/44 d.A.).

Entscheidungsgründe

I.

Die zulässige Klage ist unbegründet.

Die Klägerin hat gegen die Beklagte keinen Anspruch auf die geltend gemachte Invaliditätsentschädigung.

1. Unstreitig sind alle drei Fristen des § 7 I (1) Satz 3 der AUB 88 nicht eingehalten worden, insbesondere wurde eine unfallbedingte Invalidität nicht innerhalb von 15 Monaten nach dem Unfall vom 21.01.2004, d.h. bis zum 21.04.2005 , ärztlich festgestellt und seitens der Klägerin gegenüber der Beklagten geltend gemacht.

Vor Fristablauf ist bei der Beklagten lediglich das Schreiben der Schreiben der Klägerin vom 19.05.2004 (Anlage B 1) eingegangen, welches den inhaltlichen Vorgaben der Geltendmachung der Invalidität im Sinne von § 7 I (1) Satz 3 der AUB 88 nicht genügt.

Demnach muss der Versicherungsnehmer die Invalidität als solche geltend machen, also den durch das Unfallereignis hervorgerufenen Dauerschaden (Prölss/Martin, VVG, 27. Auflage, § 7 AUB 94 Rn. 19, 20). Dies ist mit dem Schreiben vom 19.05.2004 nicht geschehen, da dieses Schreiben lediglich eine Mitteilung über den Unfall und die dadurch erlittene Verletzung, ein Bruch des rechten Armes, enthält.

Das Schreiben vom 19.05.2004 stellt daher lediglich eine Unfallanzeige im Sinne des § 9 I (1) AUB 88 dar, welche generell nicht als Geltendmachung der Invalidität angesehen werden kann. Etwas anderes kann nur dann gelten, wenn nach Art der mitgeteilten Verletzungen zwingend auf eine verbleibende Invalidität zu schließen ist. Dies ist vorliegend jedoch nicht der Fall. Aus dem Schreiben vom 19.05.2004 konnten hinsichtlich der Heilungsfolgen des Armbruchs und insbesondere einer darauf beruhenden Invalidität keine zwingenden Schlüsse gezogen werden, so dass damit keine ordnungsgemäße Geltendmachung im Sinne des § 7 I (1) Satz 3 der AUB 88 erfolgt ist.

2. Die Berufung der Beklagten auf den Fristablauf stellt sich auch nicht als rechtsmissbräuchlich dar.

 

Entgegen der Ansicht der Klägerin war die Beklagte nicht dazu verpflichtet, die Klägerin auf den (drohenden) Ablauf der Frist für die ärztliche Feststellung sowie Geltendmachung der Invalidität gemäß § 7 I (1) Satz 3 der AUB 88 gesondert hinzuweisen.

a) Eine derartige Hinweispflicht ergibt sich weder aus dem Versicherungsvertrag noch aus Treu und Glauben, da von einem Versicherungsnehmer erwartet werden kann, dass er sich über den wesentlichen Inhalt des Vertrages informiert und insbesondere der Versicherungsfall Anlass gibt, etwa früher unterlassene Information nachzuholen (OLG München NVersZ 2000, 176-177; BGH VersR 1982, 567, 568; OLG Düsseldorf ZfSch 1990, 209).

Die Klägerin hat die Versicherungsbedingungen mit ihren Vertragsunterlagen ausgehändigt bekommen, ihr waren daher auch die Anforderungen gemäß § 7 I (1) Satz 3 der AUB 88 bekannt. Der Beklagten oblag diesbezüglich weder eine generelle noch eine konkrete Aufklärungspflicht. Bei den heutigen Massengeschäften im Versicherungswesen ist eine generelle individuelle Aufklärungspflicht nicht durchführbar. Die hier fragliche Klausel ist zudem eindeutig und klar in ihrem Wortlaut, sodass das damit Gemeinte einem verständigen Durchschnittsleser hinreichend deutlich wird.

b) Der Versicherer kann sich grundsätzlich auch auf die nicht rechtzeitige ärztliche Feststellung sowie Geltendmachung der Invalidität berufen, ohne damit gegen Treu und Glauben zu verstoßen (BGH VersR 65, 505 und VersR 78, 1036). Dies gilt auch dann, wenn er den Versicherten nicht über die Anspruchsvoraussetzungen oder die Einhaltung der Fristen belehrt hat (OLG Köln VersR 1995, 907), da – wie oben ausgeführt – eine allgemeine Hinweis- und Belehrungspflicht nicht besteht (OLG Hamm VersR 2005, 1069; Grimm, Unfallversicherung, 4. Auflage 2006, § 7 AUB Rn. 12, 16).

c) Nur im Einzelfall können für den Versicherer Hinweis- oder Belehrungspflichten als Nebenpflichten aus dem Grundsatz von Treu und Glauben entstehen, wenn für ihn eine Belehrungsbedürftigkeit seines Versicherungsnehmers erkennbar ist, er aber gleichwohl eine Belehrung unterlässt (BGH VersR 2006, 352; OLG Hamm VersR 2005, 1069).

Davon kann auszugehen sein, wenn der Versicherte Invaliditätsansprüche rechtzeitig geltend macht, seine Angaben oder die von ihm vorgelegten ärztlichen Atteste den Eintritt eines Dauerschadens nahelegen, die erforderliche ärztliche Feststellung der Invalidität aber noch fehlt (BGH VersR 2006, 352, Rn. 8).

Eine Verpflichtung zur Belehrung wird ausnahmsweise z.B. dann angenommen, wenn die dem Versicherer (vor Fristablauf) überlassenen Unterlagen erkennen lassen, dass der Eintritt einer unfallbedingten Invalidität nicht fern liegt (OLG Hamm VersR 92,1256; OLG Düsseldorf, ZfSch 1990, 209; Grimm, a.a.O., Rn. 16) oder sich daraus ergibt, dass der Eintritt einer unfallbedingten Invalidität nicht zweifelhaft sein kann, wie dies z.B. bei Gliederverlusten, Querschnittslähmung, bestimmten Gehirnschädigungen u.ä. der Fall ist (OLG Koblenz NVersZ 2001, 552; Grimm, a.a.O., Rn. 12 und Rn. 14 a.E.). Es müssen sich aus den eingeholten Auskünften jedenfalls greifbare Anhaltspunkte für den vom Versicherungsnehmer geltend gemachten Dauerschaden ergeben (BGH, a.a.O., Rn. 11).

Hieran fehlt es vorliegend jedoch.

Vor dem Ablauf der Frist für die ärztliche Feststellung und Geltendmachung der Invalidität wurde seitens der Klägerin lediglich das Schreiben vom 19.05.2004 (Anlage B 1) an die Beklagte übermittelt. Aus diesem Schreiben ergeben sich für die Beklagte keine Anhaltspunkte dafür, dass bei der Klägerin ein unfallbedingter Dauerschaden verbleiben werde. Mit diesem Schreiben hat die Klägerin mitgeteilt, dass sie sich am 21.01.04 durch einen Sturz bei Glatteis ihren rechten Arm gebrochen habe. Hieraus kann nicht auf den Eintritt einer unfallbedingten Invalidität geschlossen werden, da in der Mehrzahl der Fälle derartige Verletzungen folgenlos ausheilen, ohne dass Dauerfolgen und Einschränkungen der Arbeitsfähigkeit verbleiben (vgl. hierzu auch OLG Köln RuS 1992, 34 für „Unterschenkelfraktur“). Dass die angegebene Verletzung nicht vollständig ausheilen könnte, sondern die Klägerin voraussichtlich auf Dauer gesundheitlich beeinträchtigen würde, ist dem Inhalt dieses Schreibens nicht zu entnehmen und musste sich nach der Art der Verletzung auch nicht aufdrängen.

Auch von einer längeren ambulanten bzw. stationären Heilbehandlung in der berufsgenossenschaftlichen Unfallklinik … ist in dem Schreiben vom 19.05.2004 nicht die Rede.

Dass innerhalb der o.g. Frist an die Beklagte ärztliche Berichte übersandt worden seien, aus welchen sich der Verbleib eines Dauerschadens ergebe, wurde seitens der Klägerin nicht vorgetragen.

Insoweit die Klägerin vorgetragen hat, sie habe der Beklagten „ziemlich deutlich“ gemacht, dass mit einem ganz erheblichen Invaliditätsschaden zu rechnen sei und auf die schweren Verletzungsfolgen, die sogar eine längere Heilbehandlung in der Berufsgenossenschaftlichen Klinik … erforderlich machten, hingewiesen, ist dieser Vortrag von der Beklagten bestritten worden. Eine nähere Konkretisierung dieser Behauptung mit entsprechendem Beweisantritt ist seitens der Klägerin nicht erfolgt.

Da es für die Beklagte daher keine greifbaren Anhaltspunkte dafür gab, dass die Klägerin einen Dauerschaden davontragen werde, bestand für sie keine Verpflichtung, die Klägerin auf den drohenden Ablauf der Frist für die ärztliche Feststellung und Geltendmachung der Invalidität hinzuweisen.

Die Klage war daher abzuweisen.

II.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 709 Satz 1 und 2 ZPO.

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