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Private Krankenversicherung: Wirksamkeit der Altvertragskündigung bei Neuvertragsabschluss

LG Berlin, Az.: 23 O 241/12, Urteil vom 14.11.2012

1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

3. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Kostenbetrages vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

Der Kläger begehrt gegenüber der Beklagten, einer privaten Krankenversicherung, die Feststellung des unveränderten Fortbestandes einer zwischen den Parteien im Jahr 1991 zur Versicherungsscheinnummer KV … zustande gekommenen privaten Krankheitskosten- und Krankentagegeldversicherung, die er selbst im Jahr 2009 kündigte.

Seit dem 01. April 1991 bestand zwischen den Parteien unter der vorgenannten Versicherungsscheinnummer eine private Krankheitskosten- und Krankentagegeldversicherung mit den Tarifen BSK und TN2. Im August 2009 beantragte der Kläger bei der … Krankenversicherung AG mit Wirkung zum 01. Januar 2010 den Abschluss einer neuen Krankheitskostenversicherung, die die Anforderungen des § 193 Abs. 3 S. 1 VVG erfüllte. Unter Beifügung der aus der Anlagen K2 und B2 ersichtlichen schriftlichen Vertragsbestätigung der … Krankenversicherung AG erklärte der Kläger sodann gegenüber der Beklagten mit Schreiben vom 29. September 2009 die Kündigung seiner bestehenden Krankenversicherung mit allen dazugehörigen Tarifen zum 31. Dezember 2009 (Anlage B1). Mit Schreiben vom Folgetag (Anlage B3) bestätigte die Beklagte die Wirksamkeit der Kündigung.

Mit Schreiben vom 02. Januar 2012 (Anlage K3) trat die … Krankenversicherung AG gegenüber dem Kläger von dem seit dem 01. Januar 2010 bestehenden Versicherungsvertrag zurück und erklärte zusätzlich dessen Anfechtung wegen arglistiger Täuschung mit der Begründung, der Kläger habe bei Antragstellung im Sommer 2009 verschwiegen, dass er sich auf Grund einer Vargusgonarthrose in ambulanter und stationärer Behandlung befunden habe, und dass ihm am 10. Juni 2009 im rechten Knie eine zementierte Totalendoprothese implantiert worden sei.

Private Krankenversicherung: Wirksamkeit der Altvertragskündigung bei Neuvertragsabschluss
Symbolfoto: elenadutko/Bigstock

Mit Anwaltsschreiben vom 23. Februar 2012 (Anlage B6) forderte der Kläger daraufhin die Beklagte unter Bezugnahme auf die von der … Krankenversicherung AG erklärte Anfechtung und § 205 Abs. 6 VVG auf, zu erklären, dass der ursprüngliche zur Versicherungsscheinnummer KV … geführte Versicherungsvertrag zwischen den Parteien über den 31. Dezember 2009 hinaus fortbestanden habe und noch immer fortbestehe. Die Beklagte verweigerte dies.

Der Kläger, der vorträgt, dass die Wirksamkeit der Rücktritts- und Anfechtungserklärung der … Krankenversicherung AG vom 02. Januar 2012 nicht geklärt sei, da er bei Antragstellung sämtliche Vorerkrankungen angegeben habe, ist der Auffassung, dass der bis Ende 2009 zwischen den Parteien wirksam gewesene Versicherungsvertrag gemäß bzw. analog § 205 Abs. 6 VVG trotz seiner Kündigung vom 29. September 2009 noch immer fortbestehe.

Er beantragt, festzustellen, dass der von ihm mit Schreiben vom 29. September 2009 mit Wirkung zum 31. Dezember 2009 gekündigte Krankenversicherungsvertrag zur Versicherungsscheinnummer KV xxx zwischen den Parteien unverändert fortbesteht.

Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

Sie meint, dass § 205 Abs. 6 VVG auf den hier vorliegenden Fall einer Vertragsanfechtung durch den Versicherer des Neuvertrages keine Anwendung finde.

Entscheidungsgründe

Die gemäß § 256 Abs. 1 ZPO zulässige Feststellungsklage bleibt in der Sache erfolglos. Denn unter Zugrundelegung des eigenen Sachvortrags des Klägers bestand der ursprünglich zwischen den Parteien wirksam gewesene Versicherungsvertrag wegen der gemäß § 205 Abs. 6 VVG mit Ablauf des 31. Dezember 2009 wirksam gewordenen Kündigung des Klägers vom 29. September 2009 ab dem 01. Januar 2010 nicht mehr. Im Einzelnen:

1.

Grundlage des klägerischen Feststellungsbegehrens ist die Rechtsansicht, dass § 205 Abs. 6 VVG auch im Falle einer vom Neuversicherer erklärten Vertragsanfechtung rückwirkend zur Unwirksamkeit der vom Versicherungsnehmer gegenüber dem Altversicherer erklärten Vertragskündigung führe, mit der Folge, dass der Altvertrag wiederauflebe bzw. fortbestehe.

Unabhängig davon, ob dieser Rechtsansicht beizupflichten ist, erweist sich die Klage selbst bei Zugrundelegung dieser Auffassung als unbegründet. Denn der Kläger trägt selbst vor, dass er bei Antragstellung gegenüber der … Krankenversicherung AG sämtliche Angaben zu Vorerkrankungen gemacht habe und ihm unklar sei, warum die … Krankenversicherung AG im Anfechtungsschreiben vom 02. Januar 2012 etwas anderes behaupte (vgl. S. 3 des Schriftsatzes vom 03.09.2012, Bl. 27 d.A., und S. 3 des Schriftsatzes vom 17.10.2012, Bl. 42 d.A.); es sei deshalb „fehlerhaft“, die Anfechtungserklärung der … Krankenversicherung AG als wirksam zu bezeichnen (S. 3 des Schriftsatzes vom 17.10.2012, Bl. 42 d.A.).

Wenn aber der Kläger selbst im vorliegenden Rechtsstreit die Wirksamkeit der von der … Krankenversicherung AG erklärten Vertragsanfechtung bzw. die Wirksamkeit des von ihr erklärten Vertragsrücktritts leugnet bzw. in Frage stellt, entzieht er damit seiner Argumentation die Grundlage: Denn wenn Anfechtung und Rücktritt vom 02. Januar 2012 mangels einer Verletzung der vorvertraglichen Anzeigeobliegenheit durch den Kläger unwirksam gewesen sein sollten, bestünde der mit der … Krankenversicherung AG mit Wirkung ab dem 01. Januar 2010 begründete Neuvertrag ohne weiteres fort und es könnte kein rechtlicher Zweifel daran bestehen, dass der hier streitgegenständliche Altvertrag auf Grund der Kündigung des Klägers vom 29. September 2009 gemäß § 205 Abs. 6 VVG seit dem 01. Januar 2010 beendet wäre.

2.

Aber selbst wenn man sich zu Gunsten des Klägers über seinen eigenen Sachvortrag hinwegsetzen und die Anfechtung vom 02. Januar 2012 als wirksam behandeln würde, bliebe die Klage erfolglos.

a) Das folgt für den Krankentagegeldtarif TN2 bereits daraus, dass es sich hierbei nicht um eine Versicherung handelt, die im Sinne des § 205 Abs. 6 S. 1 VVG „eine Pflicht aus § 193 Abs. 3 S. 1 VVG erfüllt“. Denn der Versicherungspflicht nach § 193 Abs. 3 S. 1 VVG unterfällt nach dem eindeutigem Wortlaut dieser Vorschrift ausschließlich die „Krankheitskostenversicherung“, nicht aber auch die Krankentagegeldversicherung.

b) Der Fall der Anfechtung des Neuvertrages durch den Versicherer gemäß § 22 VVG, § 123 Abs. 1 BGB führt aber auch für die Krankheitskostenversicherung nicht zum Wiederaufleben / Fortbestand des Altvertrages gemäß oder entsprechend § 205 Abs. 6 VVG.

aa) § 205 Abs. 6 VVG ist auf die streitgegenständliche Fallgestaltung nicht unmittelbar anwendbar.

Denn die Vorschrift („wenn er bei einem anderen Versicherer für die versicherte Person einen neuen Vertrag abschließt (..:)“) stellt nach ihrem klaren Wortlaut nicht auf die Wirksamkeit des Neuvertrages ab, sondern nur auf dessen Zustandekommen („abschließt“). Das bedeutet, dass für die Wirksamkeit der Kündigung des Altvertrages nach § 205 Abs. 6 VVG der Abschluss des Neuvertrages (neben dem hier gegebenen weiteren Erfordernis des Nachweises des Neuvertrages) durch zwei sich inhaltlich deckende Willenserklärungen ausreicht. Der dauerhafte Bestand des zustande gekommenen Neuvertrages ist dagegen nicht Voraussetzung der Wirksamkeit der Kündigung des Altvertrages. Daran ändert auch die Formulierung in § 205 Abs. 6 S. 2 VVG nichts, wonach der kündigende Versicherungsnehmer nachweisen muss, dass die versicherte Person bei einem neuen Versicherer „ohne Unterbrechung“ versichert ist. Denn damit stellt der Gesetzgeber nur ein formelles Kriterium des abzuschließendes Neuvertrages auf, der seinem Inhalt nach ununterbrochenen Versicherungsschutz gewähren muss, und knüpft damit nur an den Abschluss des Neuvertrages, nicht aber an dessen Wirksamkeit an.

Das Erfordernis des Zustandekommens des Neuvertrages wurde im vorliegenden Fall durch die von der … Krankenversicherung AG erklärte Annahme des Versicherungsantrages des Klägers im September 2009 erfüllt.

Ohne Erfolg beruft sich der Kläger in diesem Zusammenhang darauf, dass die von der … Krankenversicherung AG erklärte Anfechtung – ihre Wirksamkeit unterstellt – gemäß § 22 VVG in Verbindung mit §§ 123, 142 Abs. 1 BGB (modifiziert durch § 39 Abs. 1 S. 2 VVG) zur Nichtigkeit des Neuvertrages von Anfang an („ex tunc“) führt. Denn diese Rechtsfolge betrifft nicht das im Rahmen des § 205 Abs. 6 VVG allein maßgebliche Merkmal des Abschlusses des Neuvertrages, sondern nur dessen Wirksamkeit.

bb) § 205 Abs. 2 VVG ist auch nicht etwa entsprechend auf die streitgegenständliche Fallkonstellation anzuwenden.

Dabei mag zu diskutieren sein, ob die Vorschrift analog auf den Fall des Widerrufs des Neuvertrages durch den Versicherungsnehmer gemäß § 8 VVG (vgl. hierzu: Brömmelmeyer, in: Schwintowski / Brömmelmeyer, Praxiskommentar zum VVG, 2. Aufl. 2011, Rn. 19 zu § 205 VVG; Marlow / Spuhl, „Die Neuregelung der privaten Krankenversicherung durch das VVG“, in: VersR 2009, 593, 598; Voit, in: Prölss / Martin, VVG, 28. Aufl. 2010, Rn. 42 zu § 205 VVG) oder auch auf den Fall der außerordentlichen Kündigung des Neuvertrages durch den Versicherungsnehmer aus wichtigem Grund gemäß § 314 BGB (vgl. hierzu: Brömmelmeyer, a.a.O., Rn. 18; Hütt, in: MünchKomm-VVG, Bd. 3, 2009, Rn. 62 zu § 205 VVG; Rogler, in: Handkommentar zum VVG, 2. Aufl., Rn. 32 zu § 205 VVG) zu erstrecken ist, also auf Fallkonstellationen, in denen dem Versicherungsnehmer ein Fehlverhalten nicht vorzuwerfen ist.

Denn jedenfalls kommt eine analog Anwendung des § 205 Abs. 6 VVG nur für Gestaltungserklärungen des Versicherungsnehmers in Betracht und nicht für solche des Versicherers.

Im Übrigen scheidet eine entsprechende Anwendung des § 205 Abs. 6 VVG auf die vorliegende Konstellation der Arglistanfechtung des Neuversicherers auch aus Wertungsgesichtspunkten aus. Zwar ist es das Ziel der Reform der privaten Krankheitskostenversicherung gewesen, den privaten Krankheitskostenversicherungsschutz nach Möglichkeit dauerhaft aufrechtzuerhalten. Dieses Ziel verfolgt der Gesetzgeber indes nicht um jeden Preis und nicht ausnahmslos. So ist insbesondere trotz der in § 193 Abs. 3 S. 1 VVG festgelegten Versicherungspflicht in § 194 VVG für den Fall der arglistigen Verletzung vorvertraglicher Anzeigeobliegenheiten durch den Versicherungsnehmer keinerlei Einschränkung der Arglistanfechtung durch den Versicherer (§ 22 VVG) bestimmt. Trotz grundsätzlich bestehender Versicherungspflicht ordnet damit der Gesetzgeber ganz bewusst gerade für den Fall der Anfechtung nach § 22 VVG keinerlei Fortbestand des Versicherungsvertrages an, sondern belässt es bei den Rechtsfolgen aus §§ 142 BGB, 39 Abs. 1 S. 2 VVG; zum Ausgleich gewährt der Gesetzgeber dem arglistig Täuschenden Versicherungsnehmer gemäß § 193 Abs. 5 S. 1 VVG lediglich einen Anspruch auf Versicherung im Basistarif, das gemäß § 193 Abs. 5 S. 4 VVG allerdings nicht gegenüber demjenigen Versicherer, den er arglistig getäuscht hat.

Wenn also keine Vorversicherung bestand, bestimmt die Neuregelung des privaten Krankenversicherungsrechts klar und deutlich, dass der im Sinne des § 22 VVG arglistig täuschende Versicherungsnehmer seinen Versicherungsschutz gegenüber dem getäuschten Versicherer vollständig verliert. Einen Anspruch auf Aufnahme in den Basistarif hat er nur gegenüber anderen Versicherern. Altersrückstellungen verliert er.

Es wäre nicht einzusehen, warum diese klare gesetzgeberische Regelung im Falle des Bestehens einer Vorversicherung abweichend ausfallen sollte. Insbesondere ist kein Grund ersichtlich, weshalb der arglistig Täuschende „ohne Vorversicherung“ hart stürzen, der arglistig Täuschende „mit Vorversicherung“ dagegen weich fallen sollte. Im Gegenteil ergibt der vorstehend durchgeführte Abgleich mit §§ 194, 193 Abs. 5 S. 4 VVG, dass der Gesetzgeber den arglistig Täuschenden gerade nicht an der Wohltat des unkündbaren Versicherungsvertrages teilhaben lassen wollte.

3.

Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 91 Abs. 1, 709 ZPO.

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