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Berufsunfähigkeitszusatzversicherung: Verweisung eines Elektromeisters auf den Beruf eines Projektleiters

OLG Karlsruhe, Az.: 9 U 140/08, Urteil vom 19.02.2009

1. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Landgerichts Freiburg vom 3. August 2007 wird zurückgewiesen.

2. Die Beklagte trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung des Klägers durch Sicherheitsleistung in Höhe von 120% des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 120% des jeweils zu vollstreckenden Betrags leistet.

4. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

I.

Die Parteien streiten um Leistungen aus einer Berufsunfähigkeitszusatzversicherung.

Berufsunfähigkeitszusatzversicherung: Verweisung eines Elektromeisters auf den Beruf eines Projektleiters
Symbolfoto: Virrage Images/Bigstock

Hinsichtlich der tatsächlichen Feststellungen wird auf das Urteil des Landgerichts Freiburg vom 3. August 2007 Bezug genommen (§ 540 Abs. 1 Nr. 1 ZPO). Das Landgericht hat der Klage weit überwiegend stattgegeben. Hinsichtlich der rechtlichen Begründung wird auf das Urteil des Landgerichts Bezug genommen. Gegen dieses Urteil hat die Beklagte Berufung eingelegt.

Sie rügt, dass der Kläger nicht ausreichend nachgewiesen habe, in seinem bisherigen Beruf nur noch eine Beschäftigungsmöglichkeit im Umfang von weniger als 50% der bisherigen Tätigkeit zu haben. Vielmehr sei es möglich, die Rechnungserstellung auf eine Hilfskraft zu übertragen und den Telefondienst persönlich zu übernehmen. Beides ergäbe eine Entlastung des Klägers und ein ausreichendes Tätigkeitsfeld.

Außerdem bestehe für den Kläger ein Vergleichsberuf, auf den ihn die Beklagte verweisen könne (§ 2 BUZB). Die Tätigkeit als Projektleiter sei dem Kläger nach seinen beruflichen Fähigkeiten möglich. Auch einem Selbständigen sei es zumutbar, eine unselbständige Vergleichstätigkeit anzunehmen. Eine umfassende Würdigung im Streitfall führe dazu, dass dem Kläger eine Tätigkeit als Projektleiter einer großen Firma zumutbar sei. Dieser sei in einer leitenden Stellung tätig, so dass im Vergleich mit einem Handwerksmeister eines kleinen oder allenfalls mittelgroßen Betriebes kein sozialer Abstieg vorliege. Der Versicherungsagent P. habe dem Kläger zu keinem Zeitpunkt zugesichert, dass er aufgrund der Berufsunfähigkeitsversicherung „Berufsschutz“ in seinem konkret ausgeübten Beruf genieße.

Der von ihr erklärte Rücktritt sei jedenfalls hinsichtlich der Rentenversicherungsverträge mit den Endnummern -16, -18 und -19 wirksam. Der Kläger habe die entsprechenden Anträge vor dem Ausfüllen blanko unterschrieben und die Beantwortung der Versicherungsfragen dem Agenten überlassen. Dann treffe das Risiko einer Falschbeantwortung aber allein den Versicherungsnehmer. Die Beklagte beantragt, das Urteil des Landgerichts Freiburg vom 3. August 2007 abzuändern und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Er bestreitet, dass ihm eine weitere Umorganisation seines Betriebs möglich sei. Eine Übernahme reiner Aushilfstätigkeiten wie Telefondienste sei ihm nicht zuzumuten. Im übrigen habe der Kläger nicht nur einen Arbeitstag von 10,85 Stunden, sondern einen solchen von 12 Stunden plausibel dargelegt. Hierbei sei die Beschäftigung einer Aushilfskraft für Telefondienste sinnvoll, weil sonst das Geschäft bei Abwesenheit des Klägers verlassen sei und Telefonanrufe nicht beantwortet würden.

Der Kläger müsse sich nicht auf eine Tätigkeit als Projektleiter im Bereich Elektrotechnik verweisen lassen. Diese Tätigkeit biete keinerlei Vorteile, die den Verlust der selbständigen Stellung aufwiegen könnten, sei mit einem sozialen Abstieg verbunden und sei dem Kläger daher nicht zuzumuten. Im übrigen sei der Kläger weder nach seinen Fähigkeiten noch gesundheitlich in der Lage, die Tätigkeit eines Projektleiters auszuüben. Schließlich könne die Beklagte ihn auch deswegen nicht auf eine andere Tätigkeit verweisen, weil der Versicherungsagent P. dem Kläger beim Versicherungsgespräch zugesichert habe, dass dieser Berufsschutz genieße und somit nicht auf eine Tätigkeit im Angestelltenverhältnis verwiesen werden könne.

Der Senat hat ein schriftliches Sachverständigengutachten hinsichtlich des Verweisungsberufs eingeholt und den Sachverständigen Peter Ludwig N. Erbrichter von S. mündlich angehört. Hinsichtlich des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das Sachverständigengutachten v. 22. September 2008 und das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 4. Dezember 2008 Bezug genommen.

II.

Die Berufung der Beklagten ist zulässig, aber unbegründet.

1) Der Kläger hat Anspruch auf die versprochenen Leistungen der Beklagten, weil er berufsunfähig ist (§ 1 Nr. 1 BUZ, § 2 Nr. 1 BUZ, Anlage B 1).

Das Landgericht hat zutreffend angenommen, dass der Kläger in seinem bisherigen Beruf zu mehr als 50% berufsunfähig ist. Entscheidend ist, ob der Versicherte prägende, wesentliche Einzelverrichtungen seiner Tätigkeit nicht mehr ausüben kann (Prölss/Voit/Knappmann, VVG 27. Aufl., § 2 BUZ Rn. 15). Dies gilt auch bei einem Selbständigen (Prölss aaO. Rn. 20). Die Feststellung des Landgerichts, der Kläger könne nur noch fünf Stunden sinnvoll in seinem Betrieb tätig sein, nimmt die Beklagte hin.

Ohne Erfolg rügt die Beklagte, dem Kläger sei eine weitere Umorganisation möglich. Zwar übt der selbständig tätige Versicherte seinen Beruf grundsätzlich auch dann noch aus, wenn er eine bisher ihm vorbehaltene betriebliche Tätigkeit gesundheitsbedingt nicht mehr ausführen kann, er statt dessen aber eine andere betriebliche Tätigkeit ohne gesundheitliche Einschränkung auszuüben und – sei es im Wege der Umorganisation der Arbeit – zu übernehmen in der Lage ist (BGH, VersR 1996, 1090). Das setzt voraus, dass eine solche Umorganisation ohne nennenswerte Einkommenseinbußen möglich und zumutbar ist. Dabei hat der Versicherte darzulegen und zu beweisen, dass eine solche Möglichkeit nicht besteht (BGH, VersR 1994, 205, 1996, 1090). Das Landgericht hat zutreffend angenommen, dass dies dem Kläger gelungen ist. Im Streit ist nur noch die Möglichkeit, von einer Aushilfskraft ausgeübte Tätigkeiten wie Telefondienst und Erstellung einfacher Rechnungen selbst zu übernehmen. Hierzu ist der Sachverständige Kr. in erster Instanz gehört worden. Er hat ausgeführt (AS I, 669), dass in einem kleinen Handwerksbetrieb eine ständige telefonische Erreichbarkeit erforderlich sei und hierzu eine Anrufumleitung oder ein Anrufbeantworter nicht ausreiche. Der Kläger benötige daher dringend weiterhin eine Halbtagskraft insbesondere für die Zeiten, wo er noch sinnvoll auf der Baustelle sein könne. Sämtliche Verwaltungstätigkeiten, die der Kläger übernehmen könne, seien in seiner Zusammenstellung von fünf Stunden schon enthalten. Die Rechnungserfassung durch die Aushilfskraft betreffe nur ganz einfache Rechnungen und sei nebensächlich.

Vor diesem Hintergrund hat das Landgericht bindend (§ 529 ZPO) festgestellt, dass dem Kläger eine weitere Umorganisation nicht möglich sei, die dazu führt, dass er zu mehr als 50% in seinem Beruf tätig sein könnte. Der Senat teilt die Beweiswürdigung des Landgerichts; konkrete Anhaltspunkte, die Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit der Feststellungen wecken könnten, bestehen nicht. Die Annahme der Beklagten, der Kläger übernehme den Telefondienst vollständig selbst, würde notwendig dazu führen, dass er andere Tätigkeiten außer Haus, die der Sachverständige noch für möglich gehalten und in seiner Berechnung der fünf Stunden einbezogen hat, nicht mehr ausüben könnte. Denn der Sachverständige hat zutreffend und überzeugend ausgeführt, dass eine ständige telefonische Erreichbarkeit für einen kleinen Handwerksbetrieb essentiell ist und durch Anrufbeantworter oder Rufumleitungen allein nicht ausreichend sichergestellt werden kann. Schon deshalb kommt es auf die Umorganisation des Telefondienstes nicht an.

2) Der Kläger muss sich nicht darauf verweisen lassen, eine andere Tätigkeit auszuüben. Der Senat ist aufgrund der Beweisaufnahme überzeugt, dass der von der Beklagten aufgezeigte Verweisungsberuf für den Kläger nicht in Betracht kommt.

a) Allerdings ist die Beklagte grundsätzlich berechtigt, den Kläger auf eine andere, seiner Ausbildung und Erfahrung bzw. seinen Kenntnissen und Fähigkeiten entsprechende und ihm zumutbare Tätigkeit zu verweisen. Die Behauptung des Klägers, der Versicherungsagent der Beklagten habe ihm bei Abschluss der Versicherungsverträge ausdrücklich erklärt, dass er mit der Berufsunfähigkeitsversicherung über „Berufsschutz“ verfüge und damit nicht auf einen anderen Beruf verwiesen werden könne, ist in zweiter Instanz neu. Die Beklagte hat diese Behauptung bestritten. Da der Kläger nicht aufzeigt, dass er hinsichtlich der Verspätung nicht nachlässig handelte, ist diese Behauptung in zweiter Instanz nicht zuzulassen (§ 531 Abs. 2 Nr. 3 ZPO).

b) Der Senat hat jedoch aufgrund der Beweisaufnahme und auf der Grundlage des Sach- und Streitstandes für den Streitfall keinen Zweifel, dass die von der Beklagten aufgezeigte Verweisungstätigkeit eines Projektleiters vom Kläger nicht wahrgenommen werden kann. Es handelt sich dabei nicht um eine Tätigkeit, die der Kläger „aufgrund seiner Ausbildung und Erfahrung“ ausüben könnte.

Nach § 2 Nr. 1 der vereinbarten BUZB (Anlage K 1 bzw. K 2) liegt Berufsunfähigkeit vor, wenn der Versicherte infolge Krankheit, Körperverletzung oder Kräfteverfalls voraussichtlich dauernd außer Stande ist, seinen Beruf oder eine andere Tätigkeit auszuüben, die aufgrund seiner Kenntnisse und Fähigkeiten ausgeübt werden kann und seiner bisherigen Lebensstellung entspricht. Nach diesen Versicherungsbedingungen kommt es für die Frage, ob die Beklagte Leistungen im Hinblick auf einen Verweisungsberuf verweigern kann, einerseits darauf an, ob der Kläger aufgrund seiner Kenntnisse und Fähigkeiten bzw. seiner Ausbildung und Erfahrung den Verweisungsberuf ausüben könnte, und andererseits darauf, ob die Verweisung ihm zumutbar ist, insb. seiner Lebensstellung entspricht. Schließlich muss der Kläger gesundheitlich in der Lage sein, im Verweisungsberuf zu mehr als 50% tätig zu sein. Die Beklagte hält dies für den Beruf eines „Projektleiters Elektrotechnik“ für erfüllt.

aa) Fähigkeit des Klägers, den Beruf eines Projektleiters „aufgrund seiner Ausbildung und seiner Erfahrung auszuüben“

Die Beklagte hat den Kläger auf eine Tätigkeit als Projektleiter vor allem solcher Unternehmen – etwa einer großen Baufirma – verwiesen, bei denen der Projektleiter u.a. Millionenaufträge selbst verantwortungsvoll in der Hand hält. Hierbei hat die Beklagte das Tätigkeitsfeld für die von ihr aufgezeigte Verweisungstätigkeit wie folgt umschrieben: Ein Projektleiter plane, entwerfe und begleite Elektroinstallationen von der ersten Analyse und Projektierung über die Koordination bis zur Ausführung und Inbetriebnahme. Hierauf seien Projektleiter in der Regel spezialisiert. Projektleiter wirkten insbesondere bei großen, komplexen Installationsprojekten (Industrieanlagen, Verwaltungsgebäuden, Krankenhäuser, Hotels- oder Sportanlagen), aber auch bei kleineren Neu- und Umbauten mit. Dies hat der Sachverständige N. bestätigt. Er hat dabei den von der Beklagten umschriebenen Beruf Projektleiter dem Berufsfeld „Berufe rund um Management und Unternehmensführung“ zugeordnet.

Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme steht aber fest, dass der Kläger nach seinen Fähigkeiten und aufgrund seiner Ausbildung und Erfahrung für eine solche, eher dem Management zugeordnete Tätigkeit in einem größeren Unternehmen nicht über ausreichende Fähigkeiten und Kenntnisse verfügt. Entscheidend ist, welche Anforderungen die Tätigkeit eines Projektleiters Elektrotechnik an die Fähigkeiten des Versicherten stellt. Ein Verweisungsberuf darf nicht mehr an Kenntnissen und Fähigkeiten erfordern, als sie beim Versicherten nach seiner Ausbildung und Erfahrung zu erwarten sind. Daher kann ein Versicherter nicht auf Tätigkeiten verwiesen werden, für die ihm die erforderliche förmliche Qualifikation fehlt. Gleiches gilt, wenn die Tätigkeit üblicherweise nur mit einer abgeschlossenen Berufsausbildung ausgeübt wird, die dem Versicherten fehlt.

Der Kläger (Jahrgang 1969) verfügt über einen Realschulabschluss und einen Meisterbrief im Elektrohandwerk. Den Meisterbrief hat der Kläger nach dreijähriger Gesellenzeit und einem Jahr Vollzeit an der Meisterschule erlangt. Fremdsprachenkenntnisse hat der Kläger – bis auf „Schulenglisch“ – nicht. Er hat seit 1994 selbständig in einem Handwerksbetrieb mit weniger als 10 Mitarbeitern gearbeitet. Mit dieser Qualifikation ist der Kläger für eine Tätigkeit in einem Unternehmen der vom Sachverständigen umschriebenen Art nicht geeignet. Soweit die Tätigkeit eines Projektleiters Managementcharakter hat und der Projektleiter für größere Projekte in einem Großunternehmen tätig wird, wird hierfür regelmäßig ein abgeschlossenes Studium verlangt. Dies folgt sowohl aus den vom Sachverständigen vorgelegten Stellenanzeigen als auch aus dem Ergebnis der Anhörung des Sachverständigen. Auch die von der Beklagten mit Schriftsatz vom 27. Nov. 2008 vorgelegten Stellenausschreibungen der Fa. Goldbeck (Anlage B 1 und B 2, AS II, 243 ff.) gehen letztlich von einem abgeschlossenen Ingenieurstudium aus. Ersatzweise genügt auch ein Technikerabschluss, der aber eine staatliche Prüfung an einer (höheren) Fachschule für Technik voraussetzt. Ähnliches gilt für die in erster Instanz von der Beklagten vorgelegten Stellenanzeigen (Anlage B 13 und B 15). Der Kläger hat aber weder ein Ingenieurstudium absolviert noch verfügt er über einen Technikerabschluss. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme hat der Senat daher keinen Zweifel, dass es dem Kläger an einer hinreichenden Qualifikation fehlt, um Zugang zu dem von der Beklagten aufgezeigten Beruf eines Projektleiters zu haben.

Weitere Zweifel an einer Eignung des Klägers beruhen darauf, dass der Kläger nicht über hinreichende Fremdsprachenkenntnisse verfügt (vgl. BGH, VersR 1991, 1397 zu ausreichenden Deutschkenntnissen). „Schulenglisch“ allein genügt für eine Tätigkeit als Projektleiter, die dem Managementbereich angenähert ist, nach der Überzeugung des Senats nicht. Dass der Kläger eine Ausbildung genossen hat, die ihn zur Vergleichstätigkeit befähigen würde, hat der Versicherer nachzuweisen (Prölss/Voit/Knappmann, aaO. § 2 BUZ Rn. 27). Schließlich sind nach den Versicherungsbedingungen ausdrücklich auch die Fähigkeiten, mithin Erfahrungen des Versicherten zu berücksichtigen; entsprechende Erfahrungen für eine Tätigkeit als Projektleiter muss also auch der Kläger besitzen (vgl. BGH, VersR 1991, 450). Hier ist zu berücksichtigen, dass der Kläger seit rund 14 Jahren in einem eher kleinen Handwerksbetrieb tätig ist und sich dementsprechend auch nur mit Tätigkeitsfeldern befasst hat, die im Rahmen eines solchen Handwerksbetriebs anfallen. Zwischen einem kleinen Handwerksbetrieb und der Tätigkeit eines Projektleiters Elektrotechnik in Großbetrieben, aber auch nur in größeren mittelständischen Betrieben bestehen aber von der Komplexität der Aufgabenstellung grundlegende Unterschiede. Die vom Sachverständigen beschriebene Tätigkeit eines Projektleiters, die der Sachverständige auf der Managementebene angesiedelt hat, betrifft Entscheidungen und Tätigkeiten, die sich von der bisherigen Berufserfahrung des Klägers als Inhaber eines kleineren Handwerksbetriebs grundlegend unterscheiden. Auch dies spricht gegen eine hinreichende Eignung des Klägers (vgl. zur Bedeutung der beruflichen Entwicklung Prölss/Voit/Knappmann, aaO. § 2 BUZ Rn. 27). Mithin handelte es sich bei der Tätigkeit eines Projektleiters Elektrotechnik um keinen geeigneten Verweisungsberuf.

Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme hat der Senat schließlich durchgreifende Zweifel, ob der Kläger nach seiner Ausbildung in einem größeren mittelständischen Unternehmen befähigt wäre, die Tätigkeit eines Projektleiters auszuüben. Auch insoweit spricht nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme alles dafür, dass die Anforderungen an die persönlichen Fähigkeiten eines Projektleiters in größeren mittelständischen Unternehmen eher denen in einem Großunternehmen ähneln. Damit vermag sich der Senat nicht davon zu überzeugen, dass der Kläger lediglich mit einem Realschulabschluss und einer Meisterprüfung hinreichend befähigt ist, um die Tätigkeit eines Projektleiters in einem größeren mittelständischen Betrieb auszuüben. Dies geht zu Lasten der für eine hinreichende Qualifikation, insbesondere die nach den Versicherungsbedingen maßgeblichen „Kenntnisse und Fähigkeiten“ des Versicherungsnehmers beweisbelasteten Beklagten (vgl. Prölss/Voit/Knappmann, aaO. und Rn. 29). Kenntnisse, die sich der Kläger im Wege einer Umschulung oder weiteren Fortbildung noch verschaffen könnte, sind nicht zu berücksichtigen. Es kommt für die Frage des Verweisungsberufs in erster Linie auf den Zustand bei Eintritt des Versicherungsfalls an.

bb) Zumutbarkeit, insb. Lebensstellung

Ob der Kläger möglicherweise für eine Tätigkeit als Projektleiter bei kleineren Betrieben hinreichend qualifiziert ist, kann dahinstehen. Insoweit fehlt es jedenfalls an der Zumutbarkeit einer entsprechenden Verweisung. Zwar hindert die vom Kläger sehr in den Vordergrund gestellte bisherige Position als „Selbständiger“ eine Verweisung auf einen Beruf im Angestelltenverhältnis als solche nicht. Es kommt vielmehr auf einen Vergleich der Lebensstellungen an.

Dieser richtet sich zum einen nach den Einkommensmöglichkeiten. Zum anderen ist die der Tätigkeit allgemein entgegengebrachte Wertschätzung zu vergleichen. Hier ist bei Selbständigen wie Handwerkern die Bedeutung zu berücksichtigen, die ihrer Selbständigkeit zukommt. Dies ist letztlich eine Frage des Einzelfalls. Es ist einem Selbständigen weder generell zumutbar noch generell unzumutbar, auf eine abhängige Tätigkeit verwiesen zu werden. Im Streitfall ist es dem Kläger nach Auffassung des Senats angesichts seiner „Ausbildung und Erfahrung“ und seinem bisherigen Tätigkeitsfeld nicht zuzumuten, in einem kleineren – auch mittelständischen – Betrieb als Projektleiter im Angestelltenverhältnis zu arbeiten. Insoweit fehlt es nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme bei der Tätigkeit als Projektleiter in einem kleineren Unternehmen an einer hinreichenden Eigenständigkeit der von einem Projektleiter zu treffenden Entscheidungen. Der Sachverständige hat nachvollziehbar und überzeugend dargelegt, dass die unternehmerischen und gestaltenden Tätigkeiten in einem kleineren Betrieb vom Betriebsinhaber wahrgenommen werden und einem Projektleiter nicht zugänglich sind. Insoweit ist die Tätigkeit eines Projektleiters in einem kleineren Unternehmen vor allem auf die Baustellenbetreuung und den anfallenden „Papierkram“ beschränkt. Ein solches Tätigkeitsbild des Verweisungsberufs stellt aber angesichts der bisherigen Ausbildung und Erfahrung des Klägers und seiner Lebensstellung keinen gegenüber einer selbständigen Tätigkeit gleichwertigen, als erfolgreich anzusehenden beruflichen Lebensweg dar. Mithin ist eine solche abhängige Tätigkeit, bei der gerade die Weisungsunterworfenheit und die letztlich nur ausführende Tätigkeit für einzelne Projekte im Vordergrund stünde, für den Kläger nicht zumutbar.

c) Ob der Kläger auch gesundheitlich in der Lage wäre, die Tätigkeit eines Projektleiters Elektrotechnik auszuüben, kann dahinstehen.

3) Zutreffend hat das Landgericht angenommen, dass der Rücktritt der Beklagten von den Versicherungen mit den Endnummern -16, -18 und -19 unwirksam ist. Nach den – bindenden (§ 529 ZPO) – Feststellungen des Landgerichts hat der Versicherungsagent P. es gegenüber dem Kläger übernommen, die Gesundheitsfragen zu beantworten. Unter den Umständen des Streitfalls führt ausnahmsweise die vom Kläger blanko erteilte Unterschrift nicht dazu, dass eine dem Kläger zuzurechnende Falschbeantwortung der Fragen vorliegt. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme hat der Kläger gerade nicht in Kauf genommen, dass der Versicherungsvertreter unzulängliche Angaben machen würde. Der Senat hat nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme in erster Instanz und den zutreffenden Feststellungen des Landgerichts keinen Zweifel, dass der Kläger unter den Umständen des Streitfalls darauf vertrauen durfte, dass der ohnehin umfassend mit seinen Verhältnissen vertraute Versicherungsvertreter die Gesundheitsfragen zutreffend beantworten würde oder in Zweifelsfragen bzw. bei Unsicherheiten Rückfrage halten werde. So hat der Kläger den Versicherungsvertreter von seinen Rückenbeschwerden gerade unterrichtet. Daher durfte der Kläger ausnahmsweise annehmen, dass der Versicherungsvertreter P. über hinreichende Kenntnisse verfügte, um die Gesundheitsfragen zutreffend beantworten zu können. Dies betrifft insbesondere die im Versicherungsantrag nicht angegebenen Rückenbeschwerden, auf die die Beklagte ihren Rücktritt stützt. Insoweit muss sich die Beklagte die vom Landgericht festgestellte Kenntnis des Versicherungsagenten P. zurechnen lassen. Diese Feststellung des Landgerichts hat die Beklagte mir ihrer Berufung nicht angegriffen.

4) Die Einwendungen der Beklagten im Schriftsatz vom 10. Feb. 2009, die die Berücksichtigung der Überschussbeteiligung betreffen, sind nicht mehr zu berücksichtigen, weil sie nach Schluss der mündlichen Verhandlung erfolgt sind (§ 296a ZPO). Sie bieten auch keinen Anlass, die mündliche Verhandlung wieder zu eröffnen (§ 156 ZPO).

5) Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit aus §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO. Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 543 Abs. 2 ZPO nicht erfüllt sind.

 

 

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