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Wohngebäudeversicherung: Wiederherstellungsklausel bei Aufstockung eines Einfamilienhauses nach einem Brandschaden

LG Berlin, Az.: 23 O 342/13

Urteil vom 30.10.2014

1. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 72.651,40 EUR nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 12. August 2013 zu zahlen.

2. Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

3. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe des jeweils beizutreibenden Betrages zuzüglich 10% vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

Wohngebäudeversicherung: Wiederherstellungsklausel bei Aufstockung eines Einfamilienhauses nach einem Brandschaden
Symbolfoto: microdac/Bigstock

Der Zedent, Herr Horst G. (im Folgenden Versicherungsnehmer), unterhielt für sein in Lichtenrade gelegenes Grundstücks eine Wohngebäudeversicherung gemäß Versicherungsschein vom 9. April 2010 (Anlage K 1). In den Versicherungsvertrag waren die Allgemeinen Wohngebäude-Versicherungsbedingungen (VGB 88) einbezogen. Das versicherte Grundstück war mit einem eingeschossigen und unterkellerten Flachdach-Bungalow bebaut.

In der Nacht zum 3. März 2010 brach in dem Einfamilienhaus ein Feuer aus, welches zu erheblichen Schäden im Kellergeschoss sowie im Erdgeschoss führte. Unter dem 12. Juli 2012 erstellten die Sachverständigen Dipl.-Ing. Cornelius M. und T. im Rahmen des Sachverständigenverfahrens nach § 22 VGB ein Gutachten (Anlage K 2), nach der der Zeitwert netto 100.380,08 EUR und der Neuwert brutto 173.031,48 EUR betragen.

Die Beklagte erbrachte eine Entschädigung in Höhe des Netto-Zeitwertschadens von 100.380,08 EUR an den Versicherungsnehmer. Mit Schreiben vom 13. Dezember 2012 (Anlage K 3) verlängerte die Beklagte gegenüber dem Versicherungsnehmer die Frist zur Wiederherstellung des versicherten Gebäudes zur Erlangung der Neuwertspitze in Höhe von 72.651,40 EUR bis zum 31. August 2013.

Unter dem 12. Dezember 2012 (Anlage K 6) trat der Versicherungsnehmer seine Entschädigungsansprüche gegen die Beklagte an den Kläger ab.

Am 23. Januar 2013 schlossen der Versicherungsnehmer und der Kläger einen Bauwerksvertrag (Anlage K 5), wonach der Kläger die im Gutachten vom 13. Dezember 2012 (Anlage K 3) beschriebenen Einzelleistungen erbringen sollte. Mit Kaufvertrag vom 12. Februar 2013 (Anlage K 3) verkaufte der Versicherungsnehmer das Gebäudegrundstück und verpflichtete sich gegenüber dem Verkäufer, das auf dem Grundstücke aufstehende beschädigte Gebäude bis zum 31. April 2013 bezugsfertig instand zu setzen.

Der Käufer stockte das versicherte Gebäude um ein Vollgeschoss auf. Eine vollständige Wiederherstellung des brandgeschädigten Gebäudes erfolgte bisher nicht.

Mit der Klage fordert der Kläger den Unterschiedsbetrag zum Brutto-Neuwertschaden von 173.031,48 EUR. Nach seiner Auffassung seien die Voraussetzungen für die Neuwertentschädigung nach § 15 Nr. 4 Satz 1 VGB 88, § 93 VVG erfüllt. Der Bauwerksvertrag (Anlage K 5) stelle die Wiederherstellung des Gebäudes hinreichend sicher. Die Aufstockung sei unbeachtlich, weil das Dach ohnehin kaum beschädigt worden sei.

Der Kläger beantragt, die Beklagte zu verurteilen, an ihn 72.651,40 EUR nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 12. August 2013 zu zahlen.

Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

Die Beklagte tritt dem Anspruch dem Grunde nach entgegen.

Die Akte der Staatsanwaltschaft Berlin 1 BraJs 1389/10 hat zu Informationszwecken vorgelegen und ist Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.

Wegen der Einzelheiten zum Sach- und Streitstand wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen.

Entscheidungsgründe

Die Klage ist begründet. Dem Kläger steht der geltend gemachte Anspruch auf die Neuwertspanne gemäß § 15 Nr. 4 Satz 1 VGB 88, § 93 VVG zu.

Nach § 15 Nr. 4 Satz 1 VGB 88 erwirbt der Versicherungsnehmer den Anspruch auf Zahlung des Teils der Entschädigung, der den Zeitwertschaden übersteigt, nur, soweit und sobald er innerhalb von drei Jahren nach Eintritt des Versicherungsfalls sichergestellt hat, dass er die Entschädigung verwenden wird, dass er die Entschädigung verwenden wird, um versicherte Sachen in gleicher Art und Zweckbestimmung an der bisherigen Stelle wiederherzustellen oder wiederzubeschaffen. Nach dieser strengen Wiederherstellungsklausel hängt der Anspruch auf die Neuwertspanne von der Sicherstellung der Verwendung der Entschädigung zur Wiederherstellung (im Folgenden: Sicherstellung) ab.

Die Sicherstellung erfordert eine Prognose in dem Sinne, dass bei vorausschauend-wertender Betrachtungsweise eine bestimmungsgemäße Verwendung hinreichend sicher angenommen werden kann (BGH, Urteil vom 18. Februar 2004 – IV ZR 94/03, VersR 2004, 512, juris: Rz. 13). Erforderlich sind Vorkehrungen, die – auch wenn sie keine restlose Sicherheit garantieren – jedenfalls keine vernünftigen Zweifel an der Wiederherstellung oder Wiederbeschaffung aufkommen lassen, um Manipulationen möglichst auszuschließen. Das wird beispielsweise anzunehmen sein nach verbindlichem Abschluss eines Bauvertrages oder eines Fertighauskaufvertrages mit einem leistungsfähigen Unternehmer, wenn die Möglichkeit der Rückgängigmachung des Vertrages nur eine fernliegende ist oder wenn von der Durchführung des Vertrages nicht ohne erhebliche wirtschaftliche Einbußen Abstand genommen werden kann (BGH, Urteil vom 18. Februar 2004 – IV ZR 94/03, VersR 2004, 512, juris: Rz. 14).

Nach diesem Maßstab genügt der Abschluss des Bauwerksvertrages zwischen dem Versicherungsnehmer und dem Kläger vom 23. Januar 2013 (Anlage K 5), dessen Vertragsgegenstand in der Erbringung der Einzelleistungen gemäß dem Gutachten der Sachverständigen Dipl.-Ing. Cornelius M. und T. vom 12. Juli 2012 (Anlage K 2) lag und damit hinreichend bestimmt war. Dass der Kläger, von Beruf Bauingenieur, als Auftragnehmer auch hinreichend leistungsfähig war, hat die Beklagte nicht substantiiert bestritten. Von einer Leistungsunfähigkeit wäre nur dann auszugehen, wenn der Kläger selbst bei vertragsgemäßer Zahlung des vereinbarten Werklohns die vereinbarten Einzelleistungen nicht erbringen würde. Dafür fehlt jeder Anhalt. Für die Ernsthaftigkeit des Bauwerksvertrages vom 23. Januar 2013 (Anlage K 5) und damit für eine hinreichende Sicherstellung spricht auch, dass der Versicherungsnehmer mit Kaufvertrag vom 12. Februar 2013 das Gebäudegrundstück an den Erwerber mit einer Bauverpflichtung veräußert hat, die auf bezugsfertige Instandsetzung gerichtet war. Unter diesen Umständen ist die Möglichkeit der Nichtdurchführung des Bauwerksvertrages vom 23. Januar 2013 (Anlage K 5) eine fernliegende.

Auf die Höhe der vereinbarten oder aufgewendeten Baukosten kommt es nicht an. Die Sicherstellung muss sich nicht darauf erstrecken, dass die Neuwertentschädigung voll verbaut wird. Der Versicherer hat die Neuwertentschädigung hinsichtlich der wiederbeschafften und wiederhergestellten Sachen auch dann zu zahlen, wenn die tatsächlichen Aufwendungen günstiger waren als der Neuwert oder sogar den Zeitwert unterschritten (BGH, Urteil vom 20. Juli 2011 – IV ZR 148/10, VersR 2011, 1180, juris: Rz. 14; Armbrüster, in: Prölss/Martin, VVG, 28. Aufl., § 93 VVG Rz. 24 u. 27).

Schließlich ist unerheblich, dass das Gebäude um ein Vollgeschoss aufgestockt ist. Zwar kann eine Wiederherstellung nur dann angenommen werden kann, wenn das neu errichtete Gebäude etwa dieselbe Größe aufweist wie das zerstörte und gleichartigen Zwecken dient, was allerdings eine modernere Bauweise nicht ausschließt (BGH, Urteil vom 20. Juli 2011 – IV ZR 148/10, VersR 2011, 1180, juris: Rz. 27). Indessen war die Sicherstellung der Wiederherstellung eines gleichwertigen Gebäudes bereits mit Abschluss des Bauwerksvertrages am 23. Januar 2013 (Anlage K 5) erfüllt. Dieser vom Versicherungsnehmer geschlossene Bauwerksvertrag sah eine Aufstockung nicht vor und führte damit zur Entstehung des Anspruchs auf die Neuwertspanne. Dass in der Folgezeit durch den Erwerber eine Aufstockung durchgeführt wurde, ist unschädlich, zumal damit das allein in der Person des Versicherungsnehmers liegende und die Wiederherstellungsklausel tragende subjektive Risiko des Versicherers in keiner Weise berührt ist. Denn mit der Wiederherstellungsklausel soll der Versicherer davor geschützt werden, dass der Versicherungsnehmer – wie bei freier Verwendbarkeit der Versicherungsleistung – in Versuchung geraten könnte, sich durch Vortäuschen eines Versicherungsfalles Vermögensvorteile zu verschaffen (BGH, Urteil vom 20. Juli 2011 – IV ZR 148/10, VersR 2011, 1180, juris: Rz. 16). Dieses Risiko stellt sich aber nicht, wenn nach Sicherstellung der Wiederherstellung der Versicherungsnehmer das Gebäude veräußert und der Erwerber sodann das Gebäude erheblich verändert.

Der Verzugszinsanspruch beruht auf §§ 288, 286 Abs. 1 Satz 1 BGB.

Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 91, 709 ZPO.

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