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Wohngebäudeversicherung – Wann liegt ein Erdfall/Erdrutsch vor?

LG Bamberg – Az.: 41 O 301/20 Ver – Urteil vom 18.03.2021

1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

3. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.

Beschluss

Der Streitwert wird auf 84.000,00 € festgesetzt.

Tatbestand

Die Parteien streiten um Leistungen aus einer Wohngebäudeversicherung.

Der Kläger ist Eigentümer des Hausgrundstücks … in E. Dieses liegt am vorderen Rand auf einer vor etwa 80 Jahren am Hang aufgeschütteten Terrasse. Er unterhält bei der Beklagten eine Wohngebäudeversicherung (PrivatPolice Nr. …), die mit einer Selbstbeteiligung von 200 € Elementarschäden wie Erdrutsch und Erdfall gemäß Nachtrag vom 12.03.2009 (Anlage K1a) erfasst. Dem Versicherungsvertrag liegen die „Allgemeinen Versicherungsbedingungen der …-PrivatPolice (APB 01/08)“, die „Wohngebäudeversicherungsbedingungen der …- PrivatPolice (WGB F 01/08)“ und die „Klauseln zu den Wohngebäudeversicherungsbedingungen der …-PrivatPolice (WGB 01/08)“ (Anlage K1a) zugrunde. In diesen ist unter dem Punkt „K.6 Erdfall“ aufgeführt: „Erdfall ist ein naturbedingter Einsturz des Erdbodens über natürlichen Hohlräumen.“ und unter „K.7 Erdrutsch“: „Erdrutsch ist ein naturbedingtes Abgleiten oder Abstürzen von Gesteins- oder Erdmassen.“

Am Haus des Klägers traten Schäden in Form mehrerer Rissbildungen am Haus und auf der zugehörigen Terrasse auf. Der Kläger zeigte die Schäden bei der Beklagten an und gab als Schadenstag den 01.09.2018 an. Nach beklagtenseits veranlasster Begutachtung lehnte die Beklagte die Erbringung von Versicherungsleistungen mit Schreiben vom 24.11.2018 und in der weiteren folgenden Korrespondenz ab. Der Kläger forderte die Beklagte mit Schreiben vom 23.01.2019 auf, den Kostenvorschuss von 20.000 € bis zum 08.02.2019 zu zahlen.

Der Kläger behauptet, die Schäden seien erstmals im August 2018 aufgetreten. Die Schäden innerhalb und außerhalb des Hauses stellten typische Anzeichen eines Erdrutsches dar und seien einzig und allein mit einem Erdrutsch erklärbar. Sie seien durch nicht augenscheinliche Rutschungen des Untergrunds von wenigen Zentimetern pro Jahr verursacht. Das Gebiet um das versicherte Gebäude sei als typisches Erdfall/Erdsenkgebiet erfasst; es befinde sich innerhalb eines Gefahrenhinweisbereichs für tiefreichende Rutschungen und liege im Erdrutschgefährdungsbereich. Für die Rissinstandsetzung und Malerarbeiten seien geschätzte Aufwendungen in Höhe des als Vorschuss geltend gemachten Betrages (inklusive Steuern) erforderlich. Für die gesamte Beseitigung der vom Versicherungsfall erfassten Schäden seien Kosten im Bereich von insgesamt 100.000 € zu erwarten.

Der Kläger ist der Auffassung, dass ein Schadensfall im Sinne der Wohngebäudeversicherung durch Erdrutsch oder Erdfall vorliege.

Der Kläger beantragt zuletzt:

1. Es wird festgestellt, dass die Beklagte auf Grund des bestehenden Wohngebäudeversicherungsvertrags (PrivatPolice Nr. …) verpflichtet ist, dem Kläger alle weiteren über die Ziffer II des Klageantrags hinausgehende versicherten entstandenen und noch entstehenden Schäden aus dem angenommenen Schadenseintritt am Hausgrundstück …, E. vom 01.09.2018, Schaden-Nr. …, zu erstatten.

2. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger einen Vorschuss in Höhe von 20.000 EUR, nebst Verzinsungen hieraus in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 09.02.2019 zu zahlen.

3. Die beklagte Partei wird verurteilt, die Klagepartei von vorgerichtlichen Anwaltskosten der Rechtsanwälte … in Höhe von 1.954,46 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ab Rechtshängigkeit freizustellen.

Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

Sie ist der Auffassung, dass konkrete Anknüpfungstatsachen, aus denen sich das Vorliegen eines versicherten Ereignisses ergeben könnte, schon gar nicht vorgetragen seien.

Im Übrigen wird Bezug genommen auf die wechselseitigen Schriftsätze nebst Anlagen, das Protokoll zur mündlichen Verhandlung vom 25.02.2021 sowie den übrigen Akteninhalt.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Klage ist unbegründet.

I.

Die Beklagte ist weder verpflichtet, dem Kläger einen Vorschuss in Höhe von 20.000 € zu zahlen (Klageantrag Ziffer 2), noch dem Kläger alle weiteren darüber hinausgehenden entstandenen oder noch entstehenden Schäden aus dem streitgegenständlichen Schadensereignis zu erstatten (Klageantrag Ziffer 1).

Diese Ansprüche ergeben sich insbesondere nicht aus dem zwischen den Parteien geschlossenen Wohngebäudeversicherungsvertrag, da weder ein Erdfall noch ein Erdrutsch im Sinne der WGB 01/08 vorliegen.

1.

Wohngebäudeversicherung – Wann liegt ein Erdfall/Erdrutsch vor?
(Symbolfoto: Von trekandshoot/Shutterstock.com)

Dass die geltend gemachten Schäden auf einem naturbedingten Einsturz des Erdbodens über natürlichen Hohlräumen, mithin einem Erdfall im Sinne der vertraglichen Definition unter K.6 der WGB 01/08, beruhen, hat der Kläger nicht vorgetragen. Er macht ausdrücklich Rutschungen des Untergrundes geltend.

2.

Aber auch ein Erdrutsch im Sinne der vertraglichen Definition unter K.7 der WGB 01/08, nämlich ein naturbedingtes Abgleiten oder Abstürzen von Gesteins- oder Erdmassen, liegt nicht vor.

a)

Wie von der Beklagten mit Schriftsatz vom 05.02.2021 zutreffend beanstandet, trägt der Kläger keine hinreichend konkreten Tatsachen diesbezüglich vor. Sein Vortrag erschöpft sich in der Behauptung, dass sich nicht augenscheinliche Rutschungen des Untergrunds von wenigen Zentimetern pro Jahr ereignen würden, sowie in Ausführungen zu den Schadensfolgen am Haus und zu allgemeinen Erkenntnissen bezüglich des Untergrunds in der Umgebung seines Hauses. Wie die geltend gemachten Rutschungen des Untergrunds konkret beschaffen sind, namentlich ob sich diese oberirdisch oder unterirdisch ereignen, aus einer Setzung des Untergrundes herrühren oder eine Bewegung des gesamten Hanges oder einzelner konkreter Teile davon darstellen, wo genau sie sich ereignen und inwiefern sie naturbedingt sind oder Folge der Aufschüttung des Hanges zu einer Terrasse, ergibt sich aus dem Vortrag nicht. Bereits aus diesem Grund würde die Erhebung eines Sachverständigengutachtens auf Basis dieses Vortrags einen unzulässigen Ausforschungsbeweis darstellen.

b)

Darüber hinaus erfüllt bereits der klägerseits geschilderte Vorgang der nicht augenscheinlichen Rutschungen des Untergrunds von wenigen Zentimetern pro Jahr nicht den Begriff des Erdrutschs als naturbedingtes Abgleiten oder Abstürzen von Gesteins- oder Erdmassen im Sinne der vertraglichen Definition unter K.7 der WGB 01/08.

Denn der Begriff des Erdrutsches meint einen Vorgang, bei dem sich ein Teil der Erdoberfläche aus seinem natürlichen Zusammenhang mit seiner Umgebung löst und in Bewegung übergeht, wobei ein nur allmähliches Lösen und Verlagern von Bodenbestandteilen – sei deren Zahl auch sehr groß – nicht genügt; erst wenn diese ihrer Art nach langsam wirkenden Vorgänge (Gesteinsverwitterungen, Unterspülungen usw.) dazu führen, das sich ganze Teile lösen und ihrerseits in Bewegung übergehen, ist der Tatbestand des Erdrutsches erfüllt (vgl. OLG Düsseldorf, Urteil vom 12.07.1983, Az. 4 U 247/82, r + s 1986, 14).

Dies ergibt sich zum einen aus dem Wortlaut der Klausel. Denn einem „Rutschen“ wohnt ein Moment nicht nur unwesentlicher Bewegung inne. Zwar setzt es nicht zwingend eine „Plötzlichkeit“ voraus, stellt aber andererseits aus der maßgeblichen Sicht des durchschnittlichen und verständigen Versicherungsnehmer nicht einen allmählichen, länger andauernden und nicht wahrnehmbaren Vorgang dar (vgl. Langheid/Wandt, Münchener Kommentar zum VVG 2. Auflage 2017, 2. Teil. Systematische Darstellungen 3. Kapitel. Versicherungssparten 230. Elementarschadenversicherung Rn. 77a). Dass die Geschwindigkeit des Abrutschens kein Kriterium sei (so OLG Koblenz, Hinweisbeschluss vom 03.02.2014, Az. 10 U 1268/13 = VersR 2015, 67, allerdings ohne nähere Begründung; W. Schneider, in: MAH VersR, 4. Auflage 2017, Teil B. Sachversicherungen § 9 Industrielle Sachversicherung Rn. 358, mit dem zirkulären Argument, dass der Tatbestand der Definition des Versicherungsfalls kein Zeitmoment enthalte; Prölss/Martin/Armbrüster, 31. Aufl. 2021, VGB 2016 – Wert 1914 GNP § 4 Rn. 14, ohne eigene Begründung; Veith/Gräfe/Gebert, Der Versicherungsprozess, § 4 Wohngebäudeversicherung Rn. 127, der im Begriff „Rutschen“ keinen Geschwindigkeitsmoment erkennen will), lässt sich mit dem Wortlaut des Rutschens kaum vereinbaren, da dann Begriffe wie „Kriechen“ oder – geschwindigkeitsneutral – „Bewegen“ oder „Verlagern“ zu erwarten wären. Dies verdeutlicht sich anschaulich bei der semantischen Umschreibung der vergleichbaren Bewegung von Gletschern. Soweit die langsame stetige Abwärtsbewegung eines Gletschers beschrieben wird, werden im allgemeinen Sprachgebrauch andere Wörter als „Rutschen“ verwendet, wohingegen unter „Rutschen“ eine schnellere, zumindest konkret sensorisch erfassbare Bewegung verstanden würde.

Auch ergibt sich diese Bedeutung aus der maßgeblichen Sicht des durchschnittlichen und verständigen Versicherungsnehmers aus einem Vergleich mit den weiteren versicherten Elementarschäden: Neben dem Erdrutsch sind Schäden erfasst, die durch Überschwemmungen, Rückstau, Erdfall, Schneedruck, Lawinen und Vulkanausbrüche verursacht werden. All diesen Ereignissen liegt eine deutliche Wahrnehmbarkeit und zeitliche Umgrenzung des Geschehens zugrunde. Es ist damit erkennbar, dass der Erdrutsch – wie auch die anderen Elementarschäden – ein langfristiges, gleichsam schleichendes und nicht konkret wahrnehmbares Ereignis nicht umfasst.

II.

Mangels Erfolges in der Hauptsache ist die Klage auch hinsichtlich der Nebenforderungen unbegründet.

III.

Die Kostenfolge ergibt sich aus § 91 Abs. ZPO.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 709 ZPO.

IV.

Der Streitwert von 84.000,00 € setzt sich zusammen aus 20.000 € für Ziffer 2 der Klageanträge und 64.000 € für Ziffer 1 der Klageanträge, da der weitere für die Erstattungspflicht im Rahmen der Versicherung zur Feststellung begehrte Schaden von 80.000 € zugrunde zu legen und ein Abschlag für die Feststellung von 20 % vorzunehmen ist.

 

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