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Wohngebäudeversicherung bei Brand in unbewohntem Haus: 50 % Kürzung, Neuwertfrist

Wegen grob fahrlässiger Pflichtverletzung nach einem Brand kürzte die Wohngebäudeversicherung bei Brand in unbewohntem Haus die Entschädigung der Eigentümer drastisch. Trotz dieser klaren Schuld gewährte das Gericht den Eigentümern anschließend eine neue Frist für den Anspruch auf die volle Neuwertentschädigung.

Zum vorliegenden Urteil Az.: 5 U 57/24 | Schlüsselerkenntnis | FAQ  | Glossar  | Kontakt

Das Wichtigste in Kürze

  • Gericht: Oberlandesgericht Saarbrücken
  • Datum: 21.05.2025
  • Aktenzeichen: 5 U 57/24
  • Verfahren: Berufungsverfahren
  • Rechtsbereiche: Wohngebäudeversicherung, Vertragspflichten, Grobe Fahrlässigkeit

  • Das Problem: Die Besitzer eines leerstehenden Hauses forderten nach einem Brand Geld von ihrer Feuerversicherung. Der Versicherer weigerte sich zu zahlen. Er begründete dies mit unzureichenden Sicherheitsmaßnahmen des Hauses, die vertraglich vereinbart waren.
  • Die Rechtsfrage: Muss die Versicherung zahlen, obwohl die vertraglichen Pflichten zur Sicherung des leeren Gebäudes grob fahrlässig nicht beachtet wurden? Darf der Versicherte noch vollen Neuwert fordern, wenn der Aufbau wegen der Zahlungsverweigerung des Versicherers nicht rechtzeitig erfolgte?
  • Die Antwort: Ja, die Versicherung muss einen Teil zahlen. Das Gericht stellte eine grob fahrlässige Verletzung der Kontroll- und Sicherungspflichten durch die Besitzer fest. Die Versicherungsleistung wurde deshalb auf 50 Prozent des Zeitwerts gekürzt. Der Anspruch auf 50 Prozent des Neuwertanteils bleibt erhalten, wenn die Wiederherstellung des Gebäudes innerhalb von 18 Monaten erfolgt.
  • Die Bedeutung: Vereinbarte Sicherheitspflichten für unbewohnte Gebäude müssen streng beachtet werden. Verweigert der Versicherer ungerechtfertigt die Zahlung, kann er sich später nicht auf vertragliche Fristen für den Wiederaufbau berufen.

Wohngebäudeversicherung bei Brand in unbewohntem Haus: Wann darf der Versicherer die Leistung kürzen?

Ein leerstehendes Haus brennt. Für die Eigentümer ein finanzieller Albtraum, der durch eine Wohngebäudeversicherung abgefedert sein sollte. Doch was passiert, wenn der Versicherungsvertrag spezielle Sicherheitsvorschriften für das unbewohnte Gebäude enthält und diese offenbar nicht eingehalten wurden? Stehen die Eigentümer dann mit leeren Händen da, oder wird die Leistung nur gekürzt? Und was, wenn der Versicherer die Zahlung so lange verweigert, dass vertragliche Fristen zum Wiederaufbau verstreichen? Mit genau diesen Fragen musste sich der 5. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Saarbrücken in seinem Urteil vom 21. Mai 2025 befassen (Az. 5 U 57/24) und fällte eine Entscheidung, die die feinen, aber entscheidenden Unterschiede zwischen vertraglichen Pflichten und K.o.-Kriterien im Versicherungsrecht beleuchtet.

Was genau war passiert?

OLG Saarbrücken entscheidet über Leistungskürzung bei Verstoß gegen Sicherheitsvorgaben im Brandfall. | Symbolbild: KI

Im Zentrum des Falles standen zwei Eigentümer eines leerstehenden Anwesens, für das sie eine Wohngebäudeversicherung unterhielten. Da das Haus unbewohnt war, enthielt der Versicherungsschein eine spezielle Vereinbarung, eine sogenannte „Deklaration“. Diese listete vier klare Sicherheitsvorgaben auf:

  1. Das Gebäude muss regelmäßig von einer beauftragten Person kontrolliert werden.
  2. Unberechtigten Personen ist der Zugang zu verwehren.
  3. Bei Kontrollen festgestellte Schäden an Türen oder Fenstern müssen unverzüglich beseitigt werden.
  4. Die Wasserleitungen sind abzusperren und zu entleeren.

Am 22. Mai 2019 kam es im Dachgeschoss des Gebäudes zu einem Brand. Die polizeilichen Ermittlungen zeichneten schnell ein klares Bild: Das Haus war seit Monaten ein Treffpunkt für Jugendliche. Sie hatten sich über eine Tür im rückwärtigen Garten Zutritt verschafft. Am Tag des Brandes stand dieser Ausgang offen.

Die Versicherung lehnte die Regulierung des Schadens kurz darauf ab. Ihre Begründung: Die Eigentümer hätten die vereinbarten Sicherheitsvorgaben nicht eingehalten und damit den Versicherungsschutz verwirkt. Die Eigentümer sahen das anders. Sie gaben an, das Haus ein- bis zweimal wöchentlich durch einen Bekannten kontrollieren gelassen und bekannte Mängel, wie eine beschädigte Hintertür, durch Verschrauben gesichert zu haben. Von der regelmäßigen Nutzung durch Jugendliche hätten sie nichts gewusst. Nach monatelangem, erfolglosem Schriftwechsel zogen die Eigentümer vor Gericht, um ihren Versicherungsschutz feststellen zu lassen. Das Landgericht Saarbrücken gab ihnen teilweise recht und sprach ihnen 50 % des Zeitwertschadens zu. Mit diesem Ergebnis waren weder die Eigentümer noch die Versicherung zufrieden, sodass der Fall in der Berufung vor dem Oberlandesgericht landete.

Welche Gesetze spielten hier die entscheidende Rolle?

Dieser Fall bewegt sich im Spannungsfeld zwischen den individuellen Vertragsvereinbarungen und den allgemeinen Schutzvorschriften des Versicherungsvertragsgesetzes (VVG). Zwei Konzepte stehen dabei im Mittelpunkt.

Das erste ist die Unterscheidung zwischen einer objektiven Risikobegrenzung und einer Obliegenheit. Eine Risikobegrenzung beschreibt den Umfang des Versicherungsschutzes von vornherein. Versichert ist zum Beispiel ein Haus, aber nicht das Auto in der Garage. Tritt ein nicht abgedecktes Risiko ein, gibt es schlichtweg keine Leistung. Eine Obliegenheit hingegen ist eine vertragliche Verhaltenspflicht des Versicherungsnehmers, die dazu dient, die Gefahr zu mindern. Ein klassisches Beispiel ist die Pflicht, ein brennendes Haus nicht absichtlich zu löschen. Die Verletzung einer Obliegenheit führt nicht automatisch zum kompletten Leistungsverlust. Nach § 28 VVG kann der Versicherer die Leistung je nach Schwere des Verschuldens (Vorsatz oder grobe Fahrlässigkeit) kürzen oder bei Vorsatz ganz verweigern.

Das zweite zentrale Prinzip ist der Grundsatz von Treu und Glauben gemäß § 242 BGB. Er verlangt von beiden Vertragsparteien, bei der Ausübung ihrer Rechte auf die berechtigten Interessen der Gegenseite Rücksicht zu nehmen. Ein Verhalten, das zwar formal dem Vertragstext entspricht, aber im Ergebnis grob unbillig ist, kann als rechtsmissbräuchlich gewertet werden. Dies spielte hier bei der Frage eine Rolle, ob sich die Versicherung auf eine abgelaufene Frist für den Wiederaufbau berufen durfte.

Warum entschied das Gericht so – und nicht anders?

Das Oberlandesgericht bestätigte im Wesentlichen die Entscheidung der Vorinstanz, begründete sie aber in entscheidenden Punkten nochmals präzise und traf eine wichtige Klarstellung zur Neuwertentschädigung. Die Richter arbeiteten sich dabei systematisch durch die Argumente beider Seiten.

Warum die Sicherungsregeln als Pflichten und nicht als K.o.-Kriterium galten

Die Versicherung argumentierte, die vier Regeln in der Deklaration seien keine einfachen Obliegenheiten, sondern individuell ausgehandelte, harte Voraussetzungen für den Versicherungsschutz. Wer sie bricht, so die Logik, verliert den Anspruch komplett. Das Gericht folgte dieser Auslegung nicht. Es stufte die Deklaration als Allgemeine Versicherungsbedingungen (AVB) ein, also als vorformuliertes Klauselwerk. Die Versicherung konnte nicht nachweisen, dass sie den Inhalt dieser Regeln ernsthaft zur Verhandlung gestellt hatte, was für eine Individualvereinbarung nötig gewesen wäre.

Entscheidend war für die Richter der materielle Gehalt der Klauseln: Sie forderten ein bestimmtes Verhalten von den Versicherungsnehmern – Kontrollen, Sicherung, Reparaturen. Ihr Zweck war es, die Gefahr eines Schadens zu verringern. Damit entsprachen sie exakt der Definition einer vertraglichen Sicherheitsvorschrift, also einer Obliegenheit. Eine Verletzung dieser Pflichten führt daher nicht automatisch zur Leistungsfreiheit, sondern unterliegt der differenzierten Regelung des § 28 VVG und den entsprechenden Vertragsklauseln (hier: Teil B § 8 VGB 2000), die eine Kürzung nach Verschulden vorsehen.

Wieso das Gericht von einer grob fahrlässigen Pflichtverletzung ausging

Auf Basis der Ermittlungsakten und Zeugenaussagen stand für das Gericht fest, dass die Eigentümer ihre Sicherungspflichten objektiv verletzt hatten. Die Tatsache, dass Jugendliche über Monate unbemerkt in das Haus eindringen konnten und eine Tür am Brandtag offenstand, belegte, dass die Kontrollen und Sicherungsmaßnahmen unzureichend waren.

Nun stellte sich die Frage nach dem Verschulden. Die Versicherung warf den Eigentümern bedingten Vorsatz vor. Diesen konnte sie jedoch nicht beweisen. Für Vorsatz hätten die Eigentümer die Gefahr aktiv für möglich halten und billigend in Kauf nehmen müssen. Das Gericht sah hierfür keine Anhaltspunkte.

Allerdings greift bei einer Obliegenheitsverletzung eine gesetzliche Vermutung zugunsten des Versicherers: Es wird zunächst von grober Fahrlässigkeit ausgegangen (Teil B § 8 Nr. 3 VGB 2000). Die Eigentümer hätten diese Vermutung widerlegen müssen, indem sie beweisen, dass sie nur leicht fahrlässig gehandelt haben. Dies gelang ihnen nicht. Die monatelange unbemerkte Fremdnutzung sprach gegen die Sorgfalt, die bei einem leerstehenden Gebäude geboten ist. Das Verschulden des von ihnen beauftragten Kontrolleurs mussten sie sich hier zwar nicht zurechnen lassen, da dieser kein umfassender „Repräsentant“ war, doch ihre eigene Organisation der Überwachung war mangelhaft.

Die Kunst der Quotelung: Wie das Gericht auf eine 50-prozentige Kürzung kam

Nachdem die grob fahrlässige Pflichtverletzung feststand, durfte die Versicherung ihre Leistung kürzen. Die entscheidende Frage war: in welchem Umfang? Eine Kürzung auf null, wie von der Versicherung gefordert, kam nur bei Vorsatz infrage, der hier nicht vorlag. Für die Bemessung der Kürzungsquote zog das Gericht mehrere Kriterien heran: die Bedeutung der verletzten Pflicht, die Dauer und Erkennbarkeit des Verstoßes sowie die Vorhersehbarkeit der Folgen.

Die Pflicht, ein leerstehendes Gebäude gegen das Eindringen Unbefugter zu sichern, ist von fundamentaler Bedeutung, da hierdurch Vandalismus und Brandstiftungen verhindert werden sollen. Der Verstoß dauerte über Monate an und hätte bei sorgfältigeren Kontrollen bemerkt werden müssen. Das Gericht bewertete die Fahrlässigkeit als erheblich, aber nicht so schwerwiegend, dass sie an Vorsatz grenzte. Eine Kürzung um 50 % erschien dem Senat daher als angemessener Ausgleich zwischen den Interessen beider Parteien.

Warum der Anspruch auf den Neuwert trotz Fristablauf nicht verfiel

Ein besonders wichtiger Punkt war der Streit um die Neuwertentschädigung. Üblicherweise zahlen Versicherungen nach einem Totalschaden zunächst nur den Zeitwert des Gebäudes – also den Wert unmittelbar vor dem Brand. Die Differenz zum deutlich höheren Neuwert (Kosten für einen gleichartigen Neubau) gibt es erst, wenn der Versicherungsnehmer innerhalb einer vertraglichen Frist – hier drei Jahre – den Wiederaufbau sicherstellt.

Diese Frist war im vorliegenden Fall längst abgelaufen. Die Versicherung argumentierte, der Anspruch auf die Neuwertdifferenz sei damit endgültig erloschen. Doch hier zog das Gericht eine Grenze und berief sich auf den Grundsatz von Treu und Glauben (§ 242 BGB). Die Versicherung hatte die Zahlung von Anfang an komplett und hartnäckig verweigert. Dadurch, so die Richter, hatte sie die Eigentümer faktisch daran gehindert, mit dem Wiederaufbau zu beginnen, da ihnen die finanziellen Mittel fehlten. Sich nun auf den Ablauf einer Frist zu berufen, deren Einhaltung sie selbst unmöglich gemacht hatte, wertete das Gericht als rechtsmissbräuchlich. Es gewährte den Eigentümern daher eine neue Frist von 18 Monaten ab Rechtskraft des Urteils, um den Wiederaufbau sicherzustellen und so ihren Anspruch auf die (gekürzte) Neuwertentschädigung zu realisieren.

Welche Lehren lassen sich aus diesem Urteil ziehen?

Die Entscheidung des Oberlandesgerichts Saarbrücken verdeutlicht mehrere zentrale Prinzipien des Versicherungsrechts, die für Eigentümer von Immobilien von großer Bedeutung sind.

Erstens zeigt das Urteil, dass der materielle Zweck einer Vertragsklausel über ihre rechtliche Einordnung entscheidet. Sicherheitsvorschriften, die ein bestimmtes Verhalten des Versicherungsnehmers fordern, werden von Gerichten in der Regel als Obliegenheiten und nicht als harte Risikoausschlüsse behandelt. Ein Verstoß führt daher meist nicht zum Totalverlust des Versicherungsschutzes, sondern zu einer Kürzung, die sich an der Schwere des Verschuldens orientiert. Für Versicherungsnehmer bedeutet dies, dass selbst bei einem Fehler nicht alles verloren sein muss.

Zweitens macht der Fall die Tragweite des Vorwurfs der groben Fahrlässigkeit deutlich. Die Pflichten zur Sicherung eines leerstehenden Gebäudes sind ernst zu nehmen. Werden sie vernachlässigt, vermutet das Gesetz ein schweres Verschulden, was empfindliche Leistungskürzungen zur Folge hat. Eigentümer müssen daher sicherstellen, dass Kontrollen nicht nur pro forma stattfinden, sondern so gründlich sind, dass unbefugtes Betreten oder Beschädigungen zuverlässig und zeitnah entdeckt werden. Eine lückenlose Dokumentation dieser Kontrollen ist im Schadensfall essenziell.

Drittens stärkt die Entscheidung die Position von Versicherungsnehmern gegenüber einem Versicherer, der die Leistung zu Unrecht komplett verweigert. Der Grundsatz von Treu und Glauben setzt dem formalen Beharren auf Vertragsklauseln eine klare Grenze. Ein Versicherer kann sich nicht auf den Ablauf von Fristen berufen, wenn er durch sein eigenes vertragswidriges Verhalten – die unberechtigte Leistungsverweigerung – die Einhaltung dieser Fristen erst unmöglich macht. Dies schützt Versicherte davor, durch eine Hinhaltetaktik des Versicherers weitere vertragliche Rechte, wie den Anspruch auf die Neuwertspitze, zu verlieren.

Die Urteilslogik

Juristen ordnen vertragliche Sicherheitsvorschriften primär als Verhaltenspflichten ein, deren Verletzung die Versicherungsleistung kürzt, aber nicht automatisch aufhebt.

  • Materie bestimmt die Form: Klauseln, die ein aktives Verhalten des Versicherungsnehmers zur Gefahrenminderung fordern, gelten als Obliegenheiten und führen bei Verstoß nicht zur vollständigen Leistungsfreiheit, sondern zur quotierten Kürzung, die sich am Verschulden orientiert.
  • Grobe Fahrlässigkeit bei der Sicherung: Vernachlässigen Eigentümer die notwendige, sorgfältige Kontrolle leerstehender Immobilien, indiziert dies grobe Fahrlässigkeit, die eine erhebliche Leistungskürzung – typischerweise im Bereich von 50 Prozent – durch den Versicherer rechtfertigt.
  • Rechtsmissbrauch setzt Fristen außer Kraft: Verweigert der Versicherer die Leistung unberechtigt, darf er sich später nicht auf den Ablauf einer vertraglichen Frist (etwa für den Wiederaufbau zur Geltendmachung der Neuwertentschädigung) berufen, deren Einhaltung er dem Versicherungsnehmer durch die Zahlungsverweigerung faktisch unmöglich gemacht hat.

Das Gesetz schützt Versicherungsnehmer, indem es dem formalen Beharren auf Vertragsklauseln durch den Grundsatz von Treu und Glauben eine klare Grenze setzt.


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Experten Kommentar

Dieses Urteil zieht eine klare rote Linie bei der Neuwertentschädigung und den vertraglichen Wiederaufbaufristen. Wenn ein Versicherer die Leistung unberechtigt komplett ablehnt, hindert er den Geschädigten faktisch daran, fristgerecht mit dem Bau zu beginnen. Das Oberlandesgericht Saarbrücken stellt klar: Sich danach auf die abgelaufene Baufrist zu berufen, ist rechtsmissbräuchlich und verstößt gegen Treu und Glauben. Geschädigte erhalten in solchen Fällen eine neue Frist; das schützt davor, dass Hinhaltetaktiken der Versicherung zum Verlust der wichtigen Neuwertspitze führen.


FAQ Versicherungsrecht: Waage, Geld und Versicherungspolice unter Schirm mit Fragezeichen-Schild illustrieren häufige Rechtsfragen.

Häufig gestellte Fragen (FAQ)

Zahlt meine Gebäudeversicherung, wenn ich Sicherungspflichten bei Leerstand verletzt habe?

Wenn der Versicherer die Zahlung wegen verletzter Pflichten komplett ablehnt, handelt es sich oft um eine fehlerhafte juristische Argumentation. In den meisten Fällen führt die Verletzung der vertraglichen Sicherungspflichten bei Leerstand nicht zum kompletten Verlust des Versicherungsschutzes. Gerichte stufen diese Regeln häufig als weichere Obliegenheiten und nicht als strikte K.o.-Kriterien ein. Ihr Anspruch erlischt also nicht zwingend, er wird lediglich gekürzt.

Juristisch ist die Unterscheidung zwischen einer objektiven Risikobegrenzung und einer Obliegenheit entscheidend. Sicherheitsvorschriften, die ein aktives Verhalten wie regelmäßige Kontrollen oder das Sichern von Türen fordern, sind Obliegenheiten. Ihr Zweck ist die Minderung der Gefahr. Bei Verletzung dieser Pflichten erfolgt keine Totalverweigerung der Leistung, sondern die Zahlung wird nach dem Grad Ihres Verschuldens reduziert. Die Höhe der Kürzung richtet sich nach der Quotelung gemäß § 28 VVG.

Akzeptieren Sie nicht die Behauptung des Versicherers, diese Pflichten seien ein Risikoausschluss oder ein K.o.-Kriterium. Nur wenn diese Sicherheitsregeln nachweislich individuell zwischen Ihnen und dem Versicherer ausgehandelt wurden, könnten sie als strikte Ausschlusskriterien gelten. Solche individuellen Vereinbarungen sind in der Praxis selten. Da die Pflichten die Gefahr verringern sollen, werden sie in der Regel als Obliegenheiten gewertet.

Prüfen Sie sofort im Versicherungsschein, ob die Formulierungen ein Verhalten (Obliegenheit) fordern oder einen Zustand (Risikobegrenzung) definieren.


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Wie stark kürzt die Versicherung die Leistung bei grober Fahrlässigkeit nach einem Brand?

Die Kürzung der Versicherungsleistung bei grober Fahrlässigkeit erfolgt über die sogenannte Quotelung und richtet sich nach richterlichem Ermessen. Einen festen Prozentsatz gibt es dabei nicht, da jedes Gericht das individuelle Verschulden des Versicherungsnehmers bewerten muss. Die entscheidende Frage ist, wie schwer der Verstoß gegen die vertraglich vereinbarten Sicherungspflichten wiegt. Eine Kürzung auf null erfolgt nur bei Vorsatz, der nachgewiesen werden muss.

Für die Bemessung der Kürzungsquote zieht das Gericht mehrere Kriterien heran. Es bewertet die Bedeutung der verletzten Pflicht und achtet auf die Dauer sowie die Erkennbarkeit des Verstoßes. Eine Kürzung fällt umso höher aus, je näher das Verschulden an vorsätzlichem Handeln liegt. Weil bei einer Obliegenheitsverletzung meist zunächst von grober Fahrlässigkeit ausgegangen wird, müssen Sie beweisen, dass Ihr Verschulden milder war.

Bei einem erheblichen Verstoß gegen elementare Sicherungspflichten kann die Leistungskürzung bis zur Hälfte des Schadens betragen. Im Fall eines Oberlandesgerichts führte die monatelange, unbemerkte Vernachlässigung der Kontrollpflichten zu einer Kürzung von 50 Prozent. Die fehlerhafte Organisation der Überwachung des leerstehenden Hauses werteten die Richter als erhebliche grob fahrlässige Pflichtverletzung.

Erstellen Sie eine detaillierte Zeitleiste, die exakt dokumentiert, wann Sie welche Kontrollmaßnahmen durchgeführt haben, um die gesetzliche Vermutung der groben Fahrlässigkeit zu widerlegen oder die Kürzung zu minimieren.

Diese allgemeinen Informationen ersetzen keine individuelle Rechtsberatung.


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Was muss ich tun, um mein leerstehendes Haus korrekt gegen unbefugten Zutritt zu sichern?

Wenn ein Gebäude leer steht, fordern Versicherungen erhöhte Sorgfalt, um das Risiko von Vandalismus oder Brand zu minimieren. Sie müssen als Eigentümer gewährleisten, dass unbefugtes Betreten zuverlässig ausgeschlossen ist. Das bedeutet, Kontrollen müssen gründlich erfolgen und die Sicherung objektiv wirksam sein. Eine lückenlose Dokumentation Ihrer Maßnahmen ist im Schadensfall essenziell, um den Vorwurf grober Fahrlässigkeit zu widerlegen.

Führen Sie regelmäßige Kontrollen des gesamten Gebäudes durch. In der Regel erwarten Gerichte, dass eine beauftragte Person das leerstehende Haus ein- bis zweimal wöchentlich inspiziert. Bei diesen Begehungen müssen Sie aktiv darauf achten, ob Spuren von Fremdnutzung oder Schäden an Fenstern und Türen vorliegen. Ein einfaches Pro-forma-Abhaken reicht nicht aus, wie der Fall des OLG Saarbrücken zeigte, bei dem Jugendliche monatelang unbemerkt Zutritt hatten.

Die aktive Sicherung bedeutet, dass Sie festgestellte Mängel unverzüglich beheben müssen. War im Schadensfall beispielsweise eine rückwärtige Tür beschädigt, genügt ein unzureichendes Verschrauben nicht, wenn Unbefugte den Zugang weiterhin mühelos herstellen können. Der Zutritt muss physisch und objektiv wirksam verwehrt werden. Darüber hinaus dürfen Sie die technischen Nebenpflichten nicht vergessen: Sperren Sie alle Wasserleitungen ab und entleeren diese vollständig, um zusätzliche Schäden durch Frost oder Leitungswasser zu vermeiden.

Erstellen Sie bei jedem Kontrollgang einen physischen Bericht, in dem Sie die Intaktheit aller Zugänge und die Sicherung der Haustechnik explizit unterschriftlich bestätigen.


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Verliere ich den Anspruch auf Neuwert, wenn die Versicherung die Zahlung lange verzögert?

Nein, der Anspruch auf die Neuwertspitze geht nicht automatisch verloren, wenn die Versicherung die Zahlung des Schadens unberechtigt verweigert. Ein Versicherer handelt rechtsmissbräuchlich, wenn er sich auf den Fristablauf beruft, obwohl er die Einhaltung der Wiederaufbaufrist durch seine hartnäckige Leistungsverweigerung aktiv verhindert hat. In solchen Fällen kann das Gericht die Wiederaufbaufrist verlängern, gestützt auf den Grundsatz von Treu und Glauben (§ 242 BGB).

Gebäudeversicherungen zahlen nach einem Schaden üblicherweise nur den Zeitwert der Immobilie, also den Wert kurz vor dem Ereignis. Die Differenz zum Neuwert erhalten Sie nur, wenn Sie den Wiederaufbau innerhalb der vertraglich festgelegten Frist von oft drei Jahren tatsächlich beginnen oder sicherstellen. Wenn jedoch die Versicherung die Auszahlung des Zeitwerts blockiert, fehlen Ihnen die entscheidenden Mittel, um mit dem Wiederaufbau zu starten und die Frist einzuhalten.

Ein Versicherer kann sich in dieser Situation nicht auf den formalen Fristablauf berufen, da er diesen durch sein eigenes vertragswidriges Verhalten erst verursacht hat. Stellt das Gericht den Rechtsmissbrauch fest, wird den Eigentümern eine neue, angemessene Frist gewährt. Im zugrunde liegenden Urteil erhielt der Versicherungsnehmer eine Verlängerung von 18 Monaten ab Rechtskraft des Urteils, um den Wiederaufbau zu vollenden.

Dokumentieren Sie schriftlich jeden Briefwechsel, in dem die Versicherung die Zahlung komplett verweigert hat, um später vor Gericht die aktive Blockade der Finanzierung beweisen zu können.


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Was ist der Unterschied zwischen einer Obliegenheit und einem Risikoausschluss im Versicherungsrecht?

Die Unterscheidung zwischen diesen beiden Begriffen ist entscheidend, wenn Sie eine Leistungsablehnung der Versicherung juristisch prüfen möchten. Die Begriffe werden oft vermischt, obwohl sie völlig unterschiedliche Konsequenzen haben. Eine Obliegenheit ist eine vertraglich festgelegte Verhaltenspflicht des Versicherungsnehmers, während eine Risikobegrenzung den Umfang Ihres Versicherungsschutzes definiert.

Obliegenheiten fordern aktives Verhalten vom Versicherungsnehmer, um die Gefahr zu minimieren, etwa das regelmäßige Sichern von Türen bei Leerstand. Ihr Zweck liegt darin, die Wahrscheinlichkeit eines Schadens zu verringern. Wird diese Pflicht verletzt, führt dies gemäß § 28 Versicherungsvertragsgesetz (VVG) in der Regel nicht zur totalen Leistungsfreiheit. Stattdessen darf die Versicherung die Leistung kürzen. Die Kürzung richtet sich nach dem Schweregrad des Verschuldens, also ob leicht oder grob fahrlässig gehandelt wurde.

Eine Risikobegrenzung oder ein Risikoausschluss hingegen legt fest, welche Gefahren überhaupt versichert sind und beschreibt den Schutzumfang von vornherein. Tritt der Schaden außerhalb dieses festgelegten Rahmens ein – beispielsweise in einem nicht versicherten Nebengebäude – besteht schlichtweg kein Anspruch auf Leistung. Gerichte bewerten stets die materielle Funktion einer Klausel und nicht nur ihre Bezeichnung. Verlangt die Klausel eine aktive Sicherheitsmaßnahme, stufen Richter sie meist als Obliegenheit ein.

Markieren Sie in Ihrem Vertrag alle Klauseln, die mit Formulierungen wie „müssen sicherstellen“ oder „ist verpflichtet zu“ beginnen, da diese in der Regel Verhaltenspflichten darstellen.


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Hinweis: Bitte beachten Sie, dass die Beantwortung der FAQ Fragen keine individuelle Rechtsberatung darstellt und ersetzen kann. Alle Angaben im gesamten Artikel sind ohne Gewähr. Haben Sie einen ähnlichen Fall und konkrete Fragen oder Anliegen? Zögern Sie nicht, uns zu kontaktieren. Wir klären Ihre individuelle Situation und die aktuelle Rechtslage.


Illustration zum Glossar Versicherungsrecht: Waage, aufgeschlagenes Buch und Siegelrolle.

Glossar – Fachbegriffe kurz erklärt

Grobe Fahrlässigkeit

Grobe Fahrlässigkeit liegt vor, wenn jemand die im Verkehr erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt und dabei grundlegende Dinge nicht beachtet, die jedem hätten einleuchten müssen. Dieses juristische Verschulden bewertet das Ausmaß der Pflichtverletzung und ist im Versicherungsrecht entscheidend dafür, ob und in welchem Umfang der Versicherer die Leistung kürzen darf.

Beispiel: Im aktuellen Urteil ging das Gericht von grober Fahrlässigkeit der Eigentümer aus, da die monatelange, unbemerkte Fremdnutzung des leerstehenden Hauses gegen jede gebotene Sorgfalt sprach.

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Neuwertentschädigung

Die Neuwertentschädigung, oft als Neuwertspitze bezeichnet, ist die finanzielle Differenz zwischen dem Zeitwert eines beschädigten Objekts und den tatsächlichen Kosten für einen gleichartigen Neubau. Dieses Prinzip soll sicherstellen, dass Versicherte nach einem Totalschaden ihre Immobilie in gleicher Art und Güte wiederherstellen können und nicht nur den (geringeren) aktuellen Marktwert ersetzt bekommen.

Beispiel: Die Eigentümer verloren beinahe ihren Anspruch auf die Neuwertentschädigung, da die vertragliche Frist zum Wiederaufbau abgelaufen war, jedoch verlängerte das OLG diese Frist um 18 Monate.

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Obliegenheit

Eine Obliegenheit im Versicherungsrecht ist eine vertraglich festgelegte Verhaltenspflicht des Versicherungsnehmers, deren Einhaltung primär der Gefahrminderung dienen soll. Juristen unterscheiden die Obliegenheit scharf vom eigentlichen Risikoausschluss, weil die Verletzung dieser Pflichten nach § 28 VVG meist nur zu einer Kürzung der Leistung führt, nicht zu deren komplettem Verlust.

Beispiel: Die Forderung des Versicherers, das leerstehende Gebäude regelmäßig zu kontrollieren und Mängel unverzüglich zu beseitigen, stufte das Gericht klar als eine vertragliche Obliegenheit ein.

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Objektive Risikobegrenzung

Die objektive Risikobegrenzung beschreibt den räumlichen und inhaltlichen Umfang des Versicherungsschutzes, indem sie festlegt, welche Gefahren von vornherein überhaupt versichert sind. Tritt ein Schaden außerhalb dieses definierten Rahmens ein, besteht keinerlei Versicherungsschutz, da das versicherte Risiko nicht verwirklicht wurde.

Beispiel: Die Versicherung versuchte fälschlicherweise zu argumentieren, dass die Sicherungsregeln eine harte objektive Risikobegrenzung darstellten und somit bei Verstoß die Leistung komplett entfallen müsse.

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Quotelung

Quotelung ist das Verfahren, mit dem die Versicherungsleistung bei einer festgestellten Pflichtverletzung nach dem Grad des Verschuldens des Versicherungsnehmers proportional gekürzt wird. Nach § 28 VVG verhindert die Quotelung, dass der Versicherer bei lediglich grob fahrlässigem Handeln die gesamte Leistung verweigern kann, und sorgt so für einen fairen Interessenausgleich.

Beispiel: Weil das Gericht die grobe Fahrlässigkeit als erheblich bewertete, wandte es eine Quotelung von 50 Prozent an, was bedeutete, dass die Eigentümer die Hälfte des Zeitwertschadens selbst tragen mussten.

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Treu und Glauben

Der Rechtsgrundsatz von Treu und Glauben (§ 242 BGB) verlangt von allen Vertragspartnern, sich redlich und mit Rücksichtnahme auf die berechtigten Interessen der Gegenseite zu verhalten. Dieses Prinzip dient als Korrektiv, das formal korrekte, aber im Ergebnis grob unbillige oder rechtsmissbräuchliche Geltendmachung von Rechten durch eine Partei unterbindet.

Beispiel: Das Gericht stützte sich auf den Grundsatz von Treu und Glauben, als es der Versicherung untersagte, sich auf die abgelaufene Wiederaufbaufrist zu berufen, da sie die Einhaltung dieser Frist durch ihre Leistungsverweigerung selbst unmöglich gemacht hatte.

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Das vorliegende Urteil


Oberlandesgericht Saarbrücken – Az.: 5 U 57/24 – Urteil vom 21.05.2025


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