Oberlandesgericht des Landes Sachsen-Anhalt – Az.: 4 U 85/11 – Urteil vom 21.06.2012
1. Die Berufung des Klägers gegen das am 30. August 2011 verkündete Urteil des Landgerichts Dessau-Roßlau, Az.: 4 O 122/11, wird zurückgewiesen.
2. Die Kosten der Berufungsinstanz trägt der Kläger.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
4. Das Urteil des Landgerichts Dessau-Roßlau vom 30. August 2011 ist für die Beklagte ohne die Vollstreckungsschutzanordnung zugunsten des Klägers in Ziffer 3 Satz 2 des Urteilstenors vorläufig vollstreckbar.
Gründe
I.
Der Kläger nimmt die Beklagte auf Ersatz eines Unfallschadens in Höhe von rd. 6.460,– € aus einer Vollkaskoversicherung in Anspruch.
Am 10. Juli 2010 kam es mit dem Fahrzeug des Klägers, einem Pkw Audi A 6, amtliches Kennzeichen …, der mit einer Selbstbeteiligung von 500,– € unter Geltung der AKB 2008 bei der Beklagten kaskoversichert war, in D. in der K. Straße 7 im Bereich einer dort befindlichen Baustelle gegen 07:20 Uhr zu einem Unfall, bei dem nicht nur erheblicher Schaden an dem Audi entstand, sondern auch mehrere Bauzaunfelder, zwei Stahlpaletten und ein Betonfülltrichter stark beschädigt wurden. Unmittelbar anschließend, ohne dass irgendwelche Feststellungen zum Unfall getroffen wurden, verließ der Fahrer des Audi die Unfallstelle und stellte das beschädigte Fahrzeug mehrere hundert Meter weiter – der genaue Abstellort ist umstritten – ab. Mehrere Bauarbeiter, welche den Unfall beobachtet hatten, verständigten die Polizei, woraufhin gegen 07:30 Uhr zwei Polizeibeamte vor Ort eintrafen, die den Fahrer des Unfallfahrzeuges weder dort noch woanders antreffen konnten.
Der Kläger hat behauptet, er sei Führer des Pkw Audi gewesen und habe lediglich aus Unachtsamkeit, ohne unter Alkohol- oder Drogeneinfluss zu stehen, den Unfall verursacht. Anschließend sei er verstört gewesen, habe den Ort deshalb unüberlegt verlassen und das Fahrzeug im Bereich der K. Straße, in der Nähe seiner Wohnung, abgestellt, von wo aus er sich zu Fuß in eine unweit gelegene Gartenanlage begeben habe. Als er wenig später von dort aus die Polizei telefonisch über den Unfall informiert habe, sei er zwar aufgefordert worden, umgehend auf der Polizeidienststelle zu erscheinen, habe sich jedoch entschlossen, erst am nächsten Tag dort vorzusprechen.
Der Kläger hat neben dem ihm entstandenen Fahrzeugschaden auch vorprozessuale Anwaltskosten gegen die Beklagte geltend gemacht.
Der Kläger hat beantragt, die Beklagte zu verurteilen, an ihn 6.463,41 € sowie vorgerichtlich entstandene Rechtsanwaltskosten von 603,93 € jeweils nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.
Sie hat bestritten, dass der Kläger das Fahrzeug selbst gesteuert habe, und auch den von ihm geschilderten Unfallhergang in Abrede gestellt. Zudem hat sie die Ansicht vertreten, auf Grund von Obliegenheitsverletzungen des Klägers leistungsfrei geworden zu sein.
Das Landgericht hat die Klage durch Urteil vom 30. August 2011 abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, der Kläger habe auf Grund widersprüchlicher Angaben bereits nicht ausreichend dargelegt, dass es überhaupt zu einem Versicherungsfall in der Vollkaskoversicherung, das heißt zu einem Unfall, gekommen sei.
Hiergegen richtet sich die Berufung des Klägers, der seine Angaben zum Unfallgeschehen als plausibel dargestellt verteidigt und im Weiteren beanstandet, das Landgericht habe unzulässigerweise von einer Vernehmung der benannten Baustellenarbeiter als Zeugen zum Unfallgeschehen abgesehen. Ferner hat er umfangreich Kopien aus der inzwischen vernichteten Ermittlungsakte (Bl. 53 – 85 d. A.) vorgelegt.
Der Kläger beantragt, unter Abänderung des angefochtenen Urteils, so wie in erster Instanz beantragt, zu erkennen.
Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.
Sie verteidigt die angefochtene Entscheidung.
II.
Die zulässige Berufung bleibt in der Sache ohne Erfolg, da dem Kläger gegen die Beklagte kein Anspruch auf Zahlung einer Versicherungsleistung aus dem zugrunde liegenden Vollkaskoversicherungsvertrag zusteht.
Entgegen der Ansicht des Landgerichts ist zwar von einem grundsätzlich die Leistungspflicht in der Kasko-Versicherung auslösenden Unfall auszugehen (1), die Beklagte muss jedoch wegen Verletzung einer Obliegenheit des Klägers nach Eintritt des Versicherungsfalles gemäß § 28 Abs. 2 Satz 1 VVG keine Entschädigung leisten (2).
1.
Der Annahme des Landgerichts, es fehle hier bereits an einem die Leistungspflicht der Beklagten auslösenden Unfall, der in den AKB 2008 unter A.2.3.2, 2. Satz als ein unmittelbar von außen plötzlich mit mechanischer Gewalt auf das Fahrzeug einwirkendes Ereignis definiert wird, vermag der Senat nicht beizupflichten.
Der Unfall ist unstreitig von mehreren Bauarbeitern beobachtet und – wie sich dem bereits in erster Instanz vorgelegten Polizeijournal (Bl. 1 Anlagenband) entnehmen lässt – etwa zehn Minuten später von eintreffenden Polizeibeamten aufgenommen worden. Zudem hat auch die Beklagte nicht den Unfall als solchen in Abrede gestellt, sondern lediglich die näheren Angaben des Klägers zum Unfallgeschehen als unzureichend und teilweise widersprüchlich beanstandet.
Ungeachtet dessen hätte es für das Landgericht nahegelegen bzw. prozessual sogar geboten sein müssen, die Parteien vor einer abschließenden Entscheidung zunächst entsprechend § 139 Abs. 1 und 2 ZPO auf mögliche Bedenken gegen das Vorliegen eines Unfalls hinzuweisen, um so dem Kläger Gelegenheit zu geben, sein Vorbringen hierzu, wie sodann in zweiter Instanz durch Vorlage umfangreicher Kopien aus der Ermittlungsakte geschehen, weiter zu ergänzen.
2.
Die Beklagte ist auf Grund einer nach Eintritt des Versicherungsfalls verletzten Aufklärungsobliegenheit des Klägers von ihrer Leistungspflicht gemäß § 28 Abs. 2 Satz 1 VVG in Verb. mit E.1.3 Satz 2 AKB 2008 frei geworden (a), ohne dass, abweichend davon, eine Leistungspflicht nach der Regelung des § 28 Abs. 3 VVG (b) oder des § 28 Abs. 4 VVG (c) begründet worden sein könnte.
a) Der Kläger hat eingeräumt, sofort nach dem Unfall den Ort mit dem beschädigten Fahrzeug auf der K. Straße verlassen und dieses im Einmündungsbereich der G. straße geparkt zu haben. Da er auf diese Weise mit dem vorangegangenen Unfall nicht mehr auf erste Sicht in Zusammenhang zu bringen war, hat er nicht nur den Tatbestand des unerlaubten Entfernens vom Unfallort nach § 142 Abs. 1 StGB verwirklicht, sondern insbesondere auch gegen die Aufklärungsobliegenheit aus E.1.3 Satz 2 AKB 2008 verstoßen, wo es, gerichtet an den Versicherungsnehmer, heißt, dass Sie … den Unfallort nicht verlassen dürfen, ohne die erforderlichen Feststellungen zu ermöglichen.
Der Kläger hat zudem vorsätzlich im Sinne des § 28 Abs. 2 Satz 1 VVG gehandelt. Soweit er dargetan hat, er sei nach dem Unfall verstört gewesen und habe deshalb den Ort sogleich verlassen, lässt dies keine Zweifel an seinem Vorsatz oder seiner Schuld aufkommen. Konkrete Anhaltspunkte für einen vorsatz- oder schuldausschließenden Unfallschock, welchen der Kläger als Versicherungsnehmer darzulegen hätte (vgl. OLG Celle, Urteil vom 19. November 2009, Az.: 8 U 79/09, zitiert nach juris, Rdnr. 25), lassen sich hieraus nicht entnehmen und sind auch sonst nicht ersichtlich.
b) Dem Kläger hilft auch die Regelung des § 28 Abs. 3 Satz 1 VVG (in Verb. mit E.6.2 Satz 1 AKB 2008) nicht weiter, wonach abweichend von Absatz 2 der Versicherer zur Leistung verpflichtet bleibt, sofern es dem Versicherungsnehmer, selbst bei vorsätzlichem Fehlverhalten gelingt nachzuweisen, dass sich seine Obliegenheitsverletzung nicht auf den Eintritt oder, worum es hier allein geht, die Regelung des Versicherungsfalls ausgewirkt hat.
Dabei kann dahinstehen, ob dem Versicherungsnehmer bei einem unerlaubten Entfernen vom Unfallort stets auch Arglist anzulasten ist (so Landgericht Düsseldorf, Urteil vom 03. Dezember 2010, Az.: 22 S 179/10, zitiert nach juris, Rdnr. 9), was bereits unabhängig von den Voraussetzungen des § 28 Abs. 3 Satz 1 VVG die Leistungsfreiheit des Versicherers nach Satz 2 der Vorschrift zur Folge hätte.
Denn der Kläger hat einen Kausalitätsgegennachweis im Sinne des § 28 Abs. 3 Satz 1 VVG nicht erbracht.
Nach vorherrschender und auch vom Senat geteilter Ansicht ist zwar in § 28 Abs. 3 Satz 1 VVG nicht die Ursächlichkeit im Sinne der alten Relevanzrechtsprechung des Bundesgerichtshofs gemeint, wonach es auf eine abstrakte Gefährdung und grundsätzliche Eignung des Obliegenheitsverstoßes, auf die Regulierung Einfluss zu nehmen, ankam, sondern es wird vielmehr auf eine Kausalität für die Regulierung des konkreten Versicherungsfalls abgestellt, worauf im Übrigen auch die Formulierung in E.6.2 Satz 1 ursächlich war hindeutet. Der Nachweis fehlender Ursächlichkeit ist bei Verletzung einer Aufklärungsobliegenheit allerdings erst dann erbracht, wenn feststeht, dass dem Versicherer hierdurch keine Feststellungsnachteile erwachsen sind. Bleibt dies unklar und in der Schwebe, ist der Versicherungsnehmer beweisfällig und der Versicherer nach Maßgabe des § 28 Abs. 2 VVG leistungsfrei geblieben (Knappmann, in: Prölss/Martin, Versicherungsvertragsgesetz, 28. Aufl., 2010, AKB 2008 E.6 Rdnr. 4).
So verhält es sich hier. Denn bereits das unerlaubte Entfernen des Klägers als angeblichen Fahrers von der Unfallstelle hat in diesem Sinne zu konkreten Feststellungsnachteilen bei der Beklagten geführt, welche sich auch durch die späteren Angaben des Klägers nicht mehr haben kompensieren lassen. So waren insbesondere keine Feststellungen mehr möglich zu einer möglichen Alkoholisierung oder Drogenbeeinträchtigung des Fahrers, die gegebenenfalls aufgrund des entsprechenden Verbots in D.2.1 nach der Regelung in D.3.1 Satz 1 und 2 AKB 2008 zum Wegfall des Versicherungsschutzes oder zu einer Leistungskürzung hätten führen können. Hätte der Kläger stattdessen als angeblicher Fahrer des Pkw die Unfallstelle nicht verlassen und dort gewartet, bis kurz darauf die Polizeibeamten am Unfallort eintrafen, stünde nicht nur die Person des Fahrers eindeutig fest, sondern wäre auch dessen mögliche Alkohol- oder Drogenbeeinflussung objektiv überprüfbar gewesen. Da der Kläger jedoch, aus welchem Grunde immer, erst am Folgetag auf der Polizeidienststelle erschienen ist, waren derartige Feststellungen, etwa mittels einer aussagekräftigen Blutprobe, nicht mehr möglich, sondern ausgeschlossen.
c) Genauso wenig kann sich der Kläger schließlich auf das Fehlen einer in § 28 Abs. 4 VVG vorgesehenen Belehrung über die Folgen einer Obliegenheitsverletzung nach Eintritt des Versicherungsfalls erfolgreich berufen.
Ein solches Belehrungsbedürfnis entfällt nämlich aus der Natur der Sache gewissermaßen, wenn spontan vom Versicherungsnehmer nach Eintritt des Versicherungsfalls zu erfüllende Obliegenheiten, wie hier das Verbleiben an der Unfallstelle, in Frage stehen, bei denen schon in tatsächlicher Hinsicht gar keine Möglichkeit für eine vorherige Belehrung von Seiten des Versicherers besteht (Prölss, in: Prölss/Martin, Versicherungsvertragsgesetz, 28. Aufl., 2010, § 28 Rdnr. 152; Maier, in: Stiefel/Maier, Kraftfahrzeugversicherung, 18. Aufl., 2010, § 28 VVG Rdnr. 68).
III.
Die Kostenentscheidung zulasten des mit seinem Rechtsmittel erfolglos bleibenden Klägers beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
Der Ausspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit des Urteils entspricht den §§ 708 Nr. 10 Satz 1, 713 ZPO in Verb. mit § 26 Nr. 8 EGZPO. In Bezug auf das bereits ohne Sicherheitsleistung vollstreckbare Urteil des Landgerichts bedurfte es keiner entsprechenden Änderung nach § 708 Nr. 10 Satz 2 ZPO mehr, wohl aber war wegen der nach den vorbezeichneten Vorschriften ausgeschlossenen Anfechtbarkeit des Berufungsurteils die Vollstreckungsschutzanordnung gemäß § 711 Satz 1 ZPO aufzuheben.
Gründe für eine Zulassung der Revision gemäß § 543 Abs. 2 Satz 1 ZPO sind nicht ersichtlich. Weder hat die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung, noch erfordert die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung im konkreten Fall eine Entscheidung des Revisionsgerichts.