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Vollkaskoversicherungsvertrag – erforderlichen Kosten und Tragung Werkstattrisiko

Vollkaskoversicherung: Klage auf restliche Reparaturkosten erfolgreich

In einem Streitfall um restliche Reparaturkosten aus einem Vollkaskoversicherungsvertrag hat das Amtsgericht der Klage in vollem Umfang stattgegeben. Die Berufung der Beklagten dürfte keinen Erfolg haben, wie das Landgericht Nürnberg-Fürth in einem Beschluss festgestellt hat.

Direkt zum Urteil: Az.: 2 S 4702/21 springen.

Vertrauen auf die Regulierung

Die Beklagte hatte die beanspruchten Reparaturkosten gekürzt, da sie diese nicht für erforderlich hielt. Das Amtsgericht sah jedoch das Verhalten der Beklagten als rechtsmissbräuchlich an, da sie dem Kläger zuvor mitgeteilt hatte, dass ein Gutachten nicht erforderlich sei und die Reparaturrechnung mit Fotos ausreichend sei. Der Kläger durfte darauf vertrauen, dass die Beklagte die Rechnung ohne Bedingungen regulieren würde.

Erstattung der vollen Reparaturkosten

Entsprechend den Versicherungsbedingungen ist die Beklagte verpflichtet, die zur Reparatur „erforderlichen Kosten“ zu erstatten. Das sind im Streitfall die vom Kläger aufgewendeten Reparaturkosten in voller Höhe. Die subjektive Situation des Versicherungsnehmers muss dabei ebenfalls berücksichtigt werden.

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Das vorliegende Urteil

LG Nürnberg-Fürth – Az.: 2 S 4702/21 – Beschluss vom 24.01.2022

Die Kammer kommt nach Beratung der Sache zu dem Ergebnis, dass die Berufung der Beklagten keinen Erfolg haben dürfte.

Gründe

A. Das Amtsgericht hat der Klage auf Zahlung restlicher Reparaturkosten in Höhe von 671,12 € aus einem Vollkaskoversicherungsvertrag in vollem Umfang stattgegeben.

Nach Ansicht der Beklagten seien die beanspruchten Reparaturkosten nicht erforderlich im Sinne der vereinbarten Versicherungsbedingungen, sodass der Kläger sich Kürzungen bei den Arbeitszeiten für Lackierung und weiterer Reparaturarbeiten sowie bei ihm in Rechnung gestellten Verbringskosten gefallen lassen müsse.

Nach Ansicht des Amtsgerichts verhalte sich die Beklagte durch die Kürzungen rechtsmissbräuchlich, da sie auf Anfrage des Klägers mit Schreiben vom 05.08.2020 (Anlage K1) mitgeteilt habe, dass ein Gutachten nicht erforderlich und die Reparaturrechnung mit Fotos der Beklagten zuzusenden sei. Der Kläger, der mangels Gutachten keine Möglichkeit zur Überprüfung der Reparaturrechnung habe, habe deshalb darauf vertrauen dürfen, dass die Beklagte „die Reparaturrechnung ohne Bedingungen regulieren wird.“

Hiergegen wendet sich die Beklagte mit ihrer zulässigen Berufung, mit der sie ihren Klageabweisungsantrag weiterverfolgt. Die Beklagte sei versicherungsvertraglich lediglich zur Erstattung der objektiv erforderlichen Reparaturkosten verpflichtet. Aus der Reparaturkostenzusage ohne Gutachten habe der Kläger nicht schließen können, dass uneingeschränkt überhöhte Rechnungen erstattet würden. Jedenfalls könne eine etwaige Verurteilung allenfalls Zug-um-Zug gegen Abtretung etwaiger Schadensersatzansprüche des Klägers gegen die Werkstatt erfolgen.

B. Das Amtsgericht hat der Klage im Ergebnis zu Recht stattgegeben.

I. Nach den zwischen den Parteien alleine maßgeblichen Versicherungsbedingungen ist die Beklagte nach A. 2.5.2.1 verpflichtet, die zur Reparatur „erforderlichen Kosten“ zu erstatten. Das sind im Streitfall die vom Kläger aufgewendeten Reparaturkosten in voller Höhe.

1. Der durchschnittliche Versicherungsnehmer, dessen Verständnismöglichkeiten für die erforderliche Auslegung des Begriffs der „erforderlichen Kosten“ maßgeblich sind, wird schon nach dem Wortlaut der Klausel davon ausgehen, dass ihm im Versicherungsfall diejenigen Aufwendungen ersetzt werden, die ein wirtschaftlich vernünftig handelnder Betroffener in seiner Lage tätigen würde, um das beschädigte Fahrzeug wieder fachgerecht herzustellen (BGH, Urteil vom 11. November 2015 – IV ZR 426/14 –, BGHZ 207, 358-365 Rn. 12). Er wird dabei dem Begriff der erforderlichen Kosten jedenfalls nicht entnehmen, dass der Umfang seines Anspruchs gegen den Versicherer insoweit generell hinter dem zurückbleiben soll, was im Schadenfall von einem haftpflichtigen Unfallgegner verlangt werden kann (BGH aaO Rn. 15).

Bei dieser Ausgangslage kann nicht ausschließlich auf eine objektive Bewertung der Erforderlichkeit abgestellt werden, sondern es muss grundsätzlich auch die subjektive Situation des Versicherungsnehmers Berücksichtigung finden.

2. Insoweit kann auf die Rechtsprechung des BGH im Haftpflichtrecht zurückgegriffen werden.

Demnach werden bei Abrechnung nach den tatsächlich angefallenen Instandsetzungskosten als Herstellungsaufwand grundsätzlich auch die Mehrkosten geschuldet, die ohne eigene Schuld des Geschädigten die von ihm beauftragte Werkstatt infolge unwirtschaftlicher oder unsachgemäßer Maßnahmen verursacht hat; die Werkstatt ist nicht Erfüllungsgehilfe des Geschädigten (BGH, 29.10.1974 – VI ZR 42/73, VersR 1975, 184). Die „tatsächlichen“ Reparaturkosten können regelmäßig auch dann für die Bemessung des „erforderlichen“ Herstellungsaufwandes herangezogen werden, wenn diese Kosten ohne Schuld des Geschädigten etwa wegen überhöhter Ansätze von Material oder Arbeitszeit durch die Werkstatt, wegen unsachgemäßer oder unwirtschaftlicher Arbeitsweise im Vergleich zu dem, was für eine solche Reparatur sonst üblich ist, unangemessen sind (BGH, 29.10.1974 – VI ZR 42/73, VersR 1975, 184). Dieser überzeugenden Rechtsprechung folgt die Kammer in st. Rspr. (z.B. auch OLG Karlsruhe, 22.12.2015 – 14 U 63/15; LG Köln, 29.03.2016 – 36 O 65/15). Dieses Werkstattrisiko (vgl. BGH, 15.10.2013 – VI ZR 528/12) trifft den Schädiger ab Erteilung des Reparaturauftrags und zwar unabhängig davon, ob der Geschädigte die Reparaturrechnung bereits bezahlt hat (Kammerurteil vom 27.2.2020 – 2 S 3589/19, LG Saarbrücken, 22.10.2021 – 13 S 69/21; a.A. LG Köln, 14.4.2021 – 9 S 77/19 – Revision anhängig unter BGH VI ZR 147/21).

3. Hinzu tritt im Streitfall, dass die Beklagte durch ihre am 05.08.2020 gegenüber dem Kläger erteilte Auskunft (Anlage K1), wonach ein Gutachten nicht erforderlich und ihr die Reparaturrechnung mit Fotos zuzusenden sei, das Vertrauen des Klägers in seine subjektiven Erkenntnismöglichkeiten jedenfalls nicht erschüttert hat. Diese Auskunft bedeutet nicht – wie es die Beklagte in den Raum stellt -, dass sie damit bedingungslos zur Regulierung jeglicher bei ihr eingereichter Reparaturkostenrechnung verpflichtet wäre. Jedenfalls aber – und dies ist für den Streitfall bereits ausreichend – ist eine solche Auskunft nicht dazu geeignet, das bereits dem Grunde nach berechtigte Vertrauen des Klägers in die fachgerechte Ausführung der Reparatur durch die von ihm sorgfältig ausgewählte Werkstatt infrage zu stellen. Insoweit besteht eine gewisse Korrelation zwischen dem Begriff der erforderlichen Wiederherstellungskosten und der Obliegenheit des Versicherungsnehmers, vor Beginn der Reparatur die Weisungen des Versicherers einzuholen. Denn damit soll sichergestellt werden, dass die Grenzen der Erforderlichkeit eingehalten werden bzw. der Versicherer darauf hinwirken kann (Stiefel/Maier/Meinecke, 19. Aufl. 2017, AKB 2015 Rn. 572).

II. Soweit die Beklagte sich nunmehr im Berufungsverfahren darauf beruft, dass entsprechend § 255 BGB ihre Verurteilung allenfalls Zug-um-Zug gegen Abtretung etwaiger Schadensersatzansprüche des Klägers gegen seine Werkstatt erfolgen dürfe, greift dies nicht durch.

Zuzustimmen ist der Berufungsbegründung zwar insoweit, als der dahinterstehende Gedanke der Vorteilsausgleichung von Amts wegen zu berücksichtigen ist (BGH, 13.11.2012 – XI ZR 334/11, NJW 2013, 450). Dies betrifft allerdings lediglich das materielle Recht. In prozessualer Hinsicht führt das hieraus resultierende Zurückbehaltungsrecht nach § 274 Abs. 1 BGB dazu, „dass der Schuldner zur Leistung gegen Empfang der ihm gebührenden Leistung (Erfüllung Zug um Zug) zu verurteilen ist.“ Dies setzt nach dem Wortlaut der Norm allerdings voraus, dass das Zurückbehaltungsrecht überhaupt geltend gemacht wird. Es ist nicht von Amts wegen zu berücksichtigen, sondern muss ausdrücklich oder zumindest stillschweigend geltend gemacht werden, damit der Gläubiger von der Abwendungsbefugnis nach § 274 Abs. 3 BGB Gebrauch machen kann (BGH 27.10.1982 – V ZR 136/81, NJW 1983, 565).

Im Berufungsverfahren kann das Zurückbehaltungsrecht erstmals aber nur unter den Voraussetzungen § 529 Abs. 1 Nr. 2 ZPO, § 531 ZPO) geltend gemacht werden (BeckOGK/Krafka, 1.1.2022, BGB § 274 Rn. 9 m.w.N.). Der Klägervertreter weist in diesem Zusammenhang zutreffend darauf hin, dass sich aus der Akte nichts dafür ergibt, dass die Beklagte sich schon in erster Instanz auf ein Zurückbehaltungsrecht berufen hätte. Anhaltspunkte für eine fehlende Nachlässigkeit der Beklagten hinsichtlich dieses unterlassenen Vortrags in erster Instanz sind allerdings bislang weder vorgetragen, noch sonst ersichtlich.

Rein vorsorglich ist an dieser Stelle noch anzumerken, dass die Berücksichtigung des Zurückbehaltungsrechtes nichts an der vollen Kostenlast der Beklagten für das Berufungsverfahren ändern würde, da dann § 97 Abs. 2 ZPO anzuwenden wäre. Demnach sind die Kosten des Rechtsmittelverfahrens der obsiegenden Partei ganz oder teilweise aufzuerlegen, wenn sie auf Grund eines neuen Vorbringens obsiegt, das sie in einem früheren Rechtszug geltend zu machen imstande war.

C. Die Parteien können zum vorstehenden binnen 3 Wochen Stellung nehmen.

Da nach aktuellem Sachstand die Berufung zurückzuweisen wäre, wird aus prozesswirtschaftlichen Erwägungen anheim gestellt zu prüfen, ob das Berufungsverfahren fortgeführt werden soll.

Die Parteien mögen sich gleichzeitig zu einer Entscheidung im schriftlichen Verfahren erklären, angesichts der vorstehenden Erläuterungen auch zu einem Verzicht auf Entscheidungsgründe (§§ 540 Abs. 2, 313a Abs. 1 S. 2 ZPO), was zu einer Reduzierung der Gerichtskosten von vier auf drei Gebühren führt (GKG KV Nr. 1223 Nr. 2).

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