LG Potsdam – Az.: 6 O 262/17 – Urteil vom 15.06.2018
1. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 13.700,00 € zu zahlen nebst Zinsen hieraus in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 17. Mai 2017.
Die Beklagte wird ferner verurteilt, 1.029,35 € zu zahlen nebst Zinsen hieraus in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 3. September 2017 zu Händen der Rechtsanwälte………
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
2. Die Kosten des Rechtsstreits tragen der Kläger zu drei Achteln und die Beklagte zu fünf Achteln.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar, für den Kläger aber nur gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags. Der Kläger kann die Vollstreckung der Beklagten abwenden durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aus dem Urteil vollstreckbaren Betrages, wenn nicht die Beklagte vor Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags leistet.
4. Der Streitwert wird abschließend festgesetzt auf 21.700,00 €.
Tatbestand
Der Kläger begehrt von dem Beklagten Kfz-Versicherer Leistungen aus einer Vollkaskoversicherung.
Nach der dem Versicherungsvertrag zugrunde liegenden Allgemeinen Versicherungsbedingungen zahlt der Versicherer bei Totalschaden, Zerstörung oder Verlust des Fahrzeugs den Wiederbeschaffungswert unter Abzug eines vorhandenen Restwerts des Fahrzeugs. Der Wiederbeschaffungswert ist dabei in A.2.6.6 definiert als „der Preis, den [der Versicherte] für den Kauf eines gleichwertigen gebrauchten Fahrzeugs am Tag des Schadenereignisses bezahlen“ muss, der Restwert als „der Veräußerungswert des Fahrzeugs im beschädigten oder zerstörten Zustand.“
Das bei der Beklagten zugunsten des Klägers vollkaskoversicherte Fahrzeug war ein IVECO Absetzkipper des Typs „Trakker AD/AT III / Trakker AD 260T“ Diesel 7.790 ccm / 265 kW mit Erstzulassung 12/2012 und einer Laufleistung von 115.000 km (7R). Es wurde am 10. Oktober 2016 erheblich beschädigt. Der von der Beklagten eingeschaltete Sachverständige schätzte die notwendigen Reparaturkosten auf netto 81.432 € bei einem Wiederbeschaffungswert von netto 56.300 € und einem Restwert von netto 12.848 €. Die Beklagte leistete am 25. November 2016 entsprechend 43.350,42 €. Der Kläger rügte erfolglos die Ermittlung des Wiederbeschaffungswertes gegenüber der Beklagten. Die von ihm sodann eingeschalteten Prozessbevollmächtigten wiederholte zunächst erfolglos die Rüge unter Hinweis darauf, dass eine Wiederbeschaffung zu diesem Preis auch dem Gutachter der Beklagten nicht möglich gewesen sei. Sie holten sodann ein Gutachten des Ingenieurbüros S vom 13. April 2017 ein, das einen Wiederherstellungsaufwand von netto 78.000 € annimmt, bestehend aus den Kosten der Wiederbeschaffung eines vergleichbaren Fahrzeugs nebst erforderlicher Umbaukosten. Mit Schreiben vom 2. Mai 2017 forderten sie die Beklagte zur Zahlung der Differenz von 21.700 € bis zum 16. Mai 2017 auf, was die Beklagte mit Schreiben vom 22. Juni 2017 verweigerte unter Beifügung einer weiteren Stellungnahme des von ihr zunächst beauftragten Gutachters.
Der Kläger behauptet, das Fahrzeug habe Anfang Oktober 2016 einen Wiederbeschaffungswert von zumindest 78.000 € gehabt. Er ist der Ansicht, die Beklagte sei seit dem 17. Mai 2017 in Verzug und daher zur Zinszahlung verpflichtet. Die vorgerichtlichen Anwaltskosten seien ebenfalls als Verzugsschaden zu ersetzen.
Er beantragt mit seiner am 2. September 2017 zugestellten Klage,
1. die Beklagte zu verurteilen, an ihn 21.700,00 € zu zahlen nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 17. Mai 2017;
2. die Beklagte zu verurteilen, zu Händen seiner Prozessbevollmächtigten 1.171,67 € zu zahlen nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit.
Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.
Sie weist darauf hin, dass der Sachverständige nur einen Mittelwert der beiden von ihm herangezogenen Berechnungsmethoden von 73.600 € bestimmt und gleichwohl einen Wiederbeschaffungswert von 78.000 € angenommen hat, ohne dies näher zu erläutern. Die von ihm herangezogenen Vergleichsangebote könnten nicht uneingeschränkt zur Mittelwertbildung herangezogen werden, nachdem zwei Angebote deutlich jüngere Fahrzeuge beträfen und damit das Ergebnis nach oben verfälschten. Die höherwertige Ausstattung der Vergleichsfahrzeuge sei nicht berücksichtigt. Auch die Angaben des Gutachters zur Erstzulassungskorrektur seien unrichtig.
Das Gericht hat Beweis erhoben durch Einholung eines schriftlichen Gutachtens des auch persönlich angehörten Sachverständigen Dr. W aus Berlin. Auf sein Gutachten vom 8. März 2018 wird ebenso verwiesen wie auf das Protokoll vom 1. Juni 2018.
Entscheidungsgründe
Die ohne weiteres zulässige Klage ist nur im tenorierten Umfang begründet und im Übrigen unbegründet.
I.
1.
Der Kläger hat gegen die Beklagte einen Anspruch auf Zahlung von 13.700 €.
Anspruchsgrundlage ist der zwischen den Parteien geschlossene Vollkaskoversicherungsvertrag nach Maßgabe der ihm zugrunde liegenden Allgemeinen Versicherungsbedingungen mit Stand Juli 2016. Danach erstattet der Versicherer im Schadensfall den Wiederbeschaffungswert des Fahrzeugs abzüglich des Restwertes.
Ein Schadensfall im Sinne der Versicherungsbedingungen liegt unstreitig vor.
Den Wiederbeschaffungswert schätzt das Gericht entsprechend § 287 ZPO auf 70.000 €.
Im Rahmen des § 287 Abs. 1 ZPO soll das Gericht die Schadenshöhe schätzen, wobei in Kauf genommen wird, dass das Ergebnis unter Umständen mit der Wirklichkeit nicht übereinstimmt. Nur wenn mangels greifbarer Anhaltspunkte eine Grundlage für das Urteil nicht zu gewinnen ist und das richterliche Ermessen vollends in der Luft hängen würde, wenn also eine Schätzung nicht möglich ist, bleibt es bei der Regel, dass den Kläger die Beweislast für die klagebegründenden Tatsachen trifft und deren Nichterweislichkeit ihm schadet. Wenn es dagegen nur an ausreichenden Anhaltspunkten fehlt, einen einheitlichen Schaden in seinem vollen Umfang zu schätzen, ist zu prüfen, ob die vorliegenden Tatsachen ausreichen, wenigstens einen gewissen Schadensbetrag durch Schätzung festzustellen. Steht fest, dass ein Schaden in einem der Höhe nach nicht bestimmbaren, aber jedenfalls erheblichen Ausmaße entstanden ist, dann wird sich in der Regel aus den Umständen, die die Annahme eines erheblichen Schadens begründen, eine ausreichende Grundlage für die Ermittlung eines gewissen (Mindest-) Schadens gewinnen lassen. Darüber hinaus mag für die Entstehung eines höheren Schadens noch eine gewisse Wahrscheinlichkeit bestehen, die für die wenig über dem (Mindest-) Schaden liegenden Beträge verhältnismäßig hoch sein kann und für weitere Beträge immer geringer wird. Sache des Gerichts ist es, unter Berücksichtigung aller wesentlichen Umstände die Grenze zu ermitteln, bis zu der für die Schätzung eines Schadens eine ausreichende Grundlage vorhanden ist. Mag der so geschätzte Betrag auch hinter dem wirklichen Schaden zurückbleiben, so wird wenigstens vermieden, dass der Geschädigte völlig leer ausgeht, obwohl die Ersatzpflicht für einen Schaden erheblichen Ausmaßes feststeht. Das entspricht dem Zweck des § 287 ZPO, denn eben, um derartige unbillige Ergebnisse zu vermeiden, hat der Gesetzgeber dem Richter das Recht gegeben und damit die Pflicht auferlegt, einen Schaden trotz unvollständiger Aufklärung des Sachverhalts durch Schätzung festzulegen (BGH, NJW 2013, 525).
Nach diesen Maßstäben bieten die vorliegenden Parteigutachten nach der Einschätzung des gerichtlichen Sachverständigen und der von ihm vorgenommene Markteinschätzung einen hinreichenden Anhaltspunkt in diesem Sinne, um den Wiederbeschaffungswert des in Rede stehenden Fahrzeugs jedenfalls annäherungsweise zu bestimmen. Wie der auch persönlich angehörte Sachverständige überzeugend ausgeführt hat, besteht bei Nutzfahrzeugen wie Lkw eine deutlich größere Schwierigkeit als bei Pkw, den Wert zu bestimmen. Noch mehr ist dies der Fall bei Spezialaufbauten, wie sie hier in rede stehen. Denn hierfür gibt es eine zu kleine Anzahl an Vergleichsfahrzeugen. Zudem steht der Verwendungszweck des Fahrzeugs viel mehr im Vordergrund als wichtiger als das Baujahr und die Ausstattung des Fahrzeugs. So sind auch deutliche Schwankungen in einem vergleichsweise kurzen Zeitraum möglich. Deshalb aber könne man weder den einen gutachterlichen Wert als unzureichend ermittelt ausschließen noch den anderen. Beide sind seiner Auffassung nach valide ermittelt. Aus diesem Grunde würde er in Auswertung seiner Markterkundung von einem Mittelwert zwischen dem durch Abwertungskurven ermittelten „rechnerischen“ Wert von etwa 48.000 € und einem Vergleichsmarktwert von etwa 99.200 € ausgehen, das heißt von 73.600 €. Er räumte indes ein, dass es sich auch bei diesem Wert um eine nur schätzweise Näherung handelt, und ergänzte: Die von ihm eingeholten Angebote seien Angebotspreise; die Verkaufspreise dürften erfahrungsgemäß 3 bis 5 % darunter liegen. Unter Berücksichtigung dieser Korrektur schätzt das Gericht den Wiederbeschaffungswert des in Rede stehenden Fahrzeugs zum Unfallzeitpunkt auf 70.000 €.
Hiervon abzusetzen ist nach dem Vertrag der unstreitige Restwert des beschädigten Fahrzeugs von 12.949,58 €. Ebenfalls abzusetzen sind die von der Beklagten bereits bezahlten 43.350,42 €, so dass noch offen sind 13.700 €, der tenorierte Betrag,
2.
Der Betrag ist gemäß §§ 288 Abs. 1, 286 Abs. 2 Nr. 3 BGB zu verzinsen. Die Beklagte geriet mit der endgültigen und ernsthaften Erfüllungsverweigerung im Schreiben vom 25. November 2016 in Verzug.
Aus diesem Grunde sind auch außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten des Klägers zu ersetzen. Hierbei ist unerheblich, ob er diese seinen Prozessbevollmächtigten gegenüber bereits ausgeglichen hat. Denn der zunächst gegebene Freistellungsanspruch ist infolge der Erfüllungsverweigerung durch die Beklagte gemäß § 250 Satz 2 BGB in einen Geldanspruch übergegangen (vgl. BGH NZM 2004, 349). Zu ersetzen sind freilich angesichts des tenorierten Betrages nur vorprozessuale Kosten aus einem Gegenstandswert bis 16.000 €.
II.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs. 1 ZPO, die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit auf §§ 708 Nr. 11, 709 Satz 1 und 2 sowie 711 ZPO.
Die Streitwertentscheidung folgt § 43 Abs. 1 GKG.