Skip to content

Vollkaskoversicherung – Nachweis eines alkoholursächlichen schweren Fahrfehlers

Alkoholisierter Unfall auf nasser Fahrbahn: KFZ-Vollkaskoversicherung muss zahlen.

Eine Autofahrerin forderte von ihrem Versicherer eine Leistung aus einer KFZ-Vollkaskoversicherung, da sie aufgrund von Regen und einem abrupt bremsenden Fahrzeug die Kontrolle über ihr Auto verlor und gegen einen Baum prallte. Zum Unfallzeitpunkt hatte die Fahrerin eine Blutalkoholkonzentration von 0,85 Promille. Der Versicherer lehnte die Regulierung ab, da die Fahrerin alkoholisiert und somit grob fahrlässig gehandelt hätte. In erster Instanz wurde die Klage bis auf einen Teil der Abschleppkosten nahezu vollständig zugunsten der Klägerin entschieden. Der Versicherer ging in Berufung, da er der Meinung war, dass die Fahrerin aufgrund ihrer Alkoholisierung einen Fahrfehler begangen hätte. Der Berufung wurde jedoch nicht stattgegeben, da die Ursächlichkeit der Alkoholbeeinflussung für den Unfall nicht nachgewiesen werden konnte. Das Gericht sah keine absolute Fahruntüchtigkeit und keine Ausfallerscheinungen bei der Fahrerin. Der Versicherer muss somit für den Schaden aufkommen.[…]

Oberlandesgericht Saarbrücken – Az.: 5 U 22/22 – Urteil vom 12.10.2022

I. Auf die Berufung der Beklagten wird das am 11.02.2022 verkündete Urteil des Landgerichts Saarbrücken – 14 O 11/20 – aufgehoben und die Klage abgewiesen.

II. Die Kosten des Rechtsstreits beider Instanzen fallen der Klägerin zur Last.

III. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

V. Der Wert des Streitgegenstandes für das Berufungsverfahren wird auf 12.147,09 € festgesetzt.

Gründe

I.

Die Klägerin begehrt von dem Beklagten Leistungen aus einer KFZ-Vollkaskoversicherung.

Die Klägerin ist Eigentümerin des Kraftfahrzeuges mit dem amtlichen Kennzeichen xxx, welches bei dem Beklagten unter der Versicherungsscheinnummer xxx kaskoversichert ist. Vereinbart ist eine Selbstbeteiligung von 300 € in der Vollkaskoversicherung. Dem Vertrag liegen die Allgemeinen Bedingungen für die KFZ-Versicherung (AKB) des Beklagten zu Grunde.

Ziff. A.2.2.2.2 AKB für die Vollkaskoversicherung lautet:

„Versichert sind Schäden am Fahrzeug durch Unfall. Ein Unfall ist ein unmittelbar von außen plötzlich mit mechanischer Gewalt auf das Fahrzeug einwirkendes Ereignis.

[…]“

Ziff. A.2.5.1.1 AKB lautet:

„Bei Totalschaden, Zerstörung oder Verlust des Fahrzeugs zahlen wir den Wiederbeschaffungswert unter Abzug eines vorhandenen Restwerts des Fahrzeugs. […]“.

Ziff. A.2.5.3.2 lautet:

„Bei Beschädigung des Fahrzeugs ersetzen wir die Kosten für das Abschleppen vom Schadenort, bis zur nächstgelegenen für die Reparatur geeigneten Werkstatt.

[…]“.

Ziff. A.2.9.1 lautet:

„Kein Versicherungsschutz besteht für Schäden, die Sie vorsätzlich herbeiführen. Bei grob fahrlässiger Herbeiführung des Schadens sind wir berechtigt, unsere Leistung in einem der Schwere Ihres Verschuldens entsprechenden Verhältnis zu kürzen, allerdings nur, soweit es sich […] um die Herbeiführung des Versicherungsfalls infolge des Genusses alkoholischer Getränke oder anderer berauschender Mittel handelt.“

Die Klägerin befuhr am 28.09.2019 gegen 4:00 Uhr morgens mit dem vorgenannten Fahrzeug das Autobahndreieck Nonnweiler der BAB 1 aus Saarbrücken kommend in Fahrtrichtung Trier auf dem Übergang von der BAB 1. Das Fahrzeug kam ins Rutschen, geriet über den Grünstreifen und kollidierte dort mit einem Baum, wodurch das Fahrzeug erheblich beschädigt wurde.

Zum Unfallzeitpunkt war es dunkel und die Fahrbahn aufgrund von Regen nass. Bei der Klägerin wurde zum Entnahmezeitpunkt um 7:37 Uhr eine Blutalkoholkonzentration von 0,85 Promille festgestellt.

Am klägerischen Fahrzeug entstand ein Schaden in Höhe von 11.970,00 € (Wiederbeschaffungswert abzüglich Restwert). Abzüglich der Selbstbeteiligung in Höhe von 300 € wurde der Beklagte durch anwaltliche Schreiben vom 10.10.2019 und 15.10.2019 zur Regulierung eines Betrages von 11.670,00 € aufgefordert, in letzterem Schreiben unter Fristsetzung bis zum 31.10.2019. Mit Schreiben vom 28.11.2019 lehnte der Beklagte jedwede Regulierung ab.

Mit ihrer Klage hat die Klägerin die Erstattung ihres Fahrzeugschadens sowie angefallener Abschleppkosten in Höhe von 507,09 € begehrt.

Sie hat behauptet, sie habe, da ein anderes Fahrzeug vor ihr grundlos eine starke Bremsung vorgenommen habe, eine Gefahrenbremsung vornehmen müssen. Dabei sei ihr Fahrzeug ins Rutschen gekommen. Der Unfall sei daher nicht auf ihre Alkoholisierung zurückzuführen, sondern hätte auch einem nüchternen Straßenverkehrsteilnehmer passieren können. Anzeichen einer Alkoholisierung seien nicht zu erkennen, insbesondere sei am Unfallort eine normale Unterhaltung durch die Polizei mit der Klägerin möglich gewesen. Sie habe lediglich aufgrund des Unfalls unter Schock gestanden und daher zu weinen begonnen und an Atemnot und Panik gelitten.

Der Beklagte ist der Klage entgegengetreten. Bei der Klägerin habe nicht nur relative, sondern auch absolute Fahruntüchtigkeit vorlegen. Der Unfall sei auf überhöhte Geschwindigkeit und die Alkoholisierung der Klägerin zurückzuführen. Bei dem klägerseits behaupteten Unfallhergang handele es sich um eine reine Schutzbehauptung, vielmehr habe die Klägerin das Fahrzeug aufgrund ihrer Alkoholisierung nicht sicher führen können. Schon aus der Äußerung „die Windschutzscheibe sei nur noch rot gewesen“ ergäben sich Ausfallerscheinungen, die zu dem Unfall geführt hätten.

Betreffend die Schadenshöhe rügt der Beklagte, dass in der Rechnung des Abschleppunternehmers nicht versicherte Einstellkosten enthalten seien.

Das Landgericht hat die Klägerin persönlich angehört, die Akte der Zentralen Bußgeldbehörde, Az. 301003676, zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemacht und Beweis erhoben durch Vernehmung der Zeugen PK W., PK’in A. und Frau M. sowie durch Einholung eines rechtsmedizinischen Gutachtens des Sachverständigen Univ.-Prof. D..

Mit dem zur Berufung angefallenen Urteil, auf dessen Inhalt auch hinsichtlich der darin enthaltenen Feststellungen gemäß § 540 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO Bezug genommen wird, hat das Landgericht der Klage bis auf einen Teil der Abschleppkosten nahezu vollumfänglich stattgegeben. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, dass der Beklagte nicht gem. Ziff. A.2.9.1 AKB i.V.m. § 81 Abs. 2 VVG aufgrund einer grob fahrlässigen Herbeiführung des Versicherungsfalls leistungsfrei geworden sei. Dem Beklagten sei es nicht gelungen, die Ursächlichkeit der Alkoholbeeinflussung der Klägerin für den streitgegenständlichen Unfall zur Überzeugung des Gerichts nachzuweisen. Eine absolute Fahruntüchtigkeit sei bei der Klägerin nicht gegeben und Ausfallerscheinungen seien nicht festzustellen gewesen. Soweit die unfallaufnehmenden Polizeibeamten glasige und gerötete Augen sowie eine nuschelnde Aussprache festgestellt hätten, könnten diese Symptome auch vom Weinen der Klägerin bzw. ihrem Unfallschock herrühren. Selbst wenn eine alkoholbedingte Einschränkung der Seh- und Reaktionsfähigkeit vorgelegen hätte, habe sich diese nicht in einem Fahrfehler manifestiert. Vielmehr sei durch die Beweisaufnahme nachgewiesen, dass die Klägerin bei nasser Fahrbahn im Dunklen nach einem Bremsvorgang von der Straße abgekommen sei, nachdem ein vorausfahrendes Fahrzeug plötzlich gebremst habe. Ein Anscheinsbeweis etwa für einen geringen Abstand sei gerade nicht gegeben, da die Klägerin die Kollision mit dem vorausfahrenden Fahrzeug gerade habe vermeiden können.

Hiergegen wendet sich der Beklagte mit seiner am 23. Februar 2022 zum Senat eingelegten Berufung und verfolgt sein auf Klageabweisung lautendes Begehren weiter. Er rügt die Beweiswürdigung des erstinstanzlichen Gerichts als fehlerhaft. Diese sei in ihrer Argumentation nicht nur widersprüchlich, sondern verstoße auch gegen Denkgesetze. Selbst wenn man den klägerseitigen Vortrag eines vorausfahrenden, plötzlich bremsenden Fahrzeugs als zutreffend unterstelle, habe sich ein alkoholbedingter Fahrfehler realisiert. Denn ohne die Alkoholisierung wäre die Klägerin nicht ins Schleudern geraten und von der Fahrbahn abgekommen. Jedenfalls hätte der angebotene Sachverständigenbeweis hinsichtlich der Fragestellung, ob die Klägerin hinsichtlich ihres Seh- und Reaktionsvermögen derart beeinträchtigt gewesen sei, dass es zum Unfall gekommen sei, eingeholt werden müssen. Weiterhin habe das Landgericht verkannt, dass die seitens des Zeugen PK W. festgestellte verwaschene Aussprache der Klägerin bereits eine relevante Ausfallerscheinung darstelle.

Der Beklagte beantragt, das am 11.2.2022 begründete Urteil des Landgerichts Saarbrücken, Az.: 14 O 11/20, aufzuheben und die Klage abzuweisen

Die Klägerin beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigt unter Aufrechterhaltung ihres erstinstanzlichen Vorbringens das angefochtene Urteil.

Der Senat hat die Klägerin informatorisch angehört und Beweis erhoben durch erneute Vernehmung der Zeugin M.. Hinsichtlich des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf die Sitzungsniederschrift vom 21.09.2022 (Bl. 265 ff. d.A.) Bezug genommen.

Wegen des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie die Sitzungsniederschriften des Landgerichts vom 03.08.2020 (Bl. 103 ff d.A.) und 21.09.2020 (Bl. 122 ff. d.A.) sowie des Senats vom 21.09.2022 (Bl. 265 ff. d.A.) verwiesen.

II.

Die gem. §§ 511, 513, 517, 519 und 520 ZPO zulässige Berufung ist begründet. Das Landgericht hat der Klage zu Unrecht – nahezu vollumfänglich – stattgegeben. Nach dem im Berufungsrechtzug zugrunde zu legenden Sach- und Streitstand kann sich der Beklagte mit Erfolg auf eine Leistungsfreiheit gem. Ziff. A.2.9.1 AKB i.V.m. § 81 Abs. 2 VVG wegen einer grob fahrlässigen Herbeiführung des Versicherungsfalls berufen.

1.

Als Rechtsgrundlage des geltend gemachten Anspruchs auf Ersatz des Fahrzeugschadens und der Abschleppkosten kommt – wie das Landgericht im Ausgangspunkt zutreffend angenommen hat – hier nur der zwischen den Parteien bestehende Kraftfahrtversicherungsvertrag Nr.: xxx-xxx in Betracht, aus dem der Klägerin gem. Ziff. A.2.5.1.1, AKB im Falle eines Unfalls i.S.v. Ziff. A.2.2.2.2, AKB ein Anspruch auf Erstattung des Wiederbeschaffungswerts abzüglich des Restwerts bei einem Totalschadens i.S.v. Ziff. A.2.5.1.5, AKB sowie auf Erstattung der Abschleppkosten unter den Voraussetzungen von Ziff. A.2.5.3.1, AKB zusteht. Der Eintritt eines Unfalls als Versicherungsfall ist ebenso unstreitig wie der Eintritt eines wirtschaftlichen Totalschadens am versicherten Fahrzeug der Klägerin.

2.

Soweit das Landgericht jedoch die Leistungsfreiheit des Beklagten gem. Ziff. A.2.9.1 AKB i.V.m. § 81 Abs. 2 VVG wegen einer grob fahrlässigen Herbeiführung des Versicherungsfalls verneint hat, greift die Berufung die diesbezüglichen Feststellungen mit Erfolg an. Denn die erstinstanzlich durchgeführte und in zweiter Instanz zum Teil wiederholte Beweisaufnahme lässt diesen Schluss bei verständiger Würdigung ihres Ergebnisses nicht zu.

a.)

Ziff. A.2.9.1 AKB sieht das Recht des Versicherers vor, die Leistung in einem der Schwere des Verschuldens des Versicherungsnehmers entsprechenden Verhältnis zu kürzen, allerdings (nur) bei grob fahrlässiger Herbeiführung des Schadens infolge des Genusses alkoholischer Getränke oder anderer berauschender Mittel. Damit schränken die Bedingungen der Beklagten die Regelung des § 81 Abs. 2 VVG in zulässiger Weise zugunsten des Versicherungsnehmers ein (vgl. Brandenburgisches Oberlandesgericht, Urteil vom 8. Januar 2020 – 11 U 197/18, juris).

b.)

Grob fahrlässig i.S.v. Ziff. A.2.9.1 AKB i.V.m. § 81 Abs. 2 VVG handelt, wer die im Verkehr erforderliche Sorgfalt in besonderem Maße außer Acht lässt; wer nicht beachtet, was unter den gegebenen Umständen jedem einleuchten musste (BGH, Urteil vom 11. Mai 1953 – IV ZR 170/52, BGHZ 10, 14; Senat, Urteil vom 2. Oktober 2019 – 5 U 106/18, VersR 2020, 216). Das Führen eines Fahrzeugs im Zustand der absoluten Fahruntüchtigkeit (d.h.: mit einer BAK von mehr als 1,1 ‰) stellt einen schwerwiegenden Verstoß gegen grundlegende Verhaltensregeln des Straßenverkehrsrechts dar und ist grundsätzlich objektiv und subjektiv als grob fahrlässig anzusehen (BGH, Urteil vom 22. Juni 2011 – IV ZR 225/10, BGHZ 190, 120 = VersR 2011, 1037; Senat, Urteil vom 28. Januar 2009 – 5 U 698/05-102, VersR 2009, 1068; LG Saarbrücken, RuS 2016, 343). Demgegenüber muss der Versicherer in den Fällen relativer Fahruntüchtigkeit alkoholtypische Fahrfehler oder sonstige Ausfallerscheinungen beweisen, die den Schluss auf die alkoholbedingte Herbeiführung des Versicherungsfalls rechtfertigen (BGH, Urteil vom 5. Dezember 1990 – IV ZR 13/90 – VersR 1991, 289; Senat, Urteil vom 22. November 2000 – 5 U 563/00-46 – ZfSch 2001, 214; Urteil vom 7. April 2004 – 5 U 688/03 – ZfSch 2004, 323). Dabei sind die Anforderungen an die Beweiskraft entsprechender Hinweise umso geringer, je näher die Blutalkoholkonzentration an dem Grenzwert von 1,1 ‰ liegt (Senat, Urteil vom 7.April 2004 – 5 U 688/03 – ZfSch 2004, 323; Urteil vom 28. Januar 2009 – 5 U 698/05 – VersR 2009, 1068; OLG Düsseldorf, Urteil vom 20. April 2004 – 4 U 132/03, ZfSch 2004, 520; OLG Hamm, Urteil vom 25. August 2010 – I-20 U 74/10, juris). Als typische alkoholbedingte Fahrfehler sind etwa das Abkommen von der Straße ohne ersichtlichen Grund bei einfacher Verkehrssituation (Brandenburgisches Oberlandesgericht, Urteil vom 8. Januar 2020 – 11 U 197/18, juris; OLG Hamm, Urteil vom 30. Januar 1981 – 20 U 229/80, VersR 1981, 924), aber auch das deutlich verspätete Erkennen von Hindernissen oder Gefahrenmomenten und die damit verbundene verzögerte oder überzogene Reaktion des alkoholisierten Fahrers gewertet worden (vgl. die Nachweise bei Klimke in Prölss/Martin, VVG, 31. Aufl. 2021, AKB 2015 A.2.9 Rdn. 52).

b.)

Gemessen an diesen Voraussetzungen steht auf Grundlage der erstinstanzlichen Beweisaufnahme zunächst fest, dass die Klägerin zum Zeitpunkt des Unfalles – ganz erheblich – alkoholisiert war. Nicht zu beanstanden ist, dass das Landgericht eine rein durch die Blutalkoholkonzentration von 1,1 ‰ indizierte absolute Fahruntüchtigkeit verneint hat. Die Blutalkoholbestimmung durch das Institut für Rechtsmedizin am Unfalltag ergab zum Zeitpunkt der Blutentnahme um 7:37 Uhr einen BAK-Mittelwert von 0,85 ‰. Zu ihrem Alkoholgenuss, insbesondere zur Trinkmenge, zur Verteilung der Trinkmenge über den Trinkzeitraum sowie zum Trinkende konnte die Klägerin keine genauen Angaben machen. Während sie gegenüber einem vernehmenden Polizeibeamten angab, mehrere Cola-Bier getrunken zu haben, schilderte die Klägerin in ihrer informatorischen Anhörung vor dem Senat zunächst in der Bar „C.“ einen Cocktail namens Zombie und später in der Diskothek „S.“ „Malibu-Multi“ getrunken zu haben, ohne jedoch genau zu wissen wie viele. Bei Letzterem handele es sich um ein Mischgetränk bestehend aus 2 cl Malibu-Likör und Multivitaminsaft. Dieses Getränk habe sie damals sehr gerne zu sich genommen. Sie könne aber nicht mehr sagen, ob das auch an diesem Abend der Fall gewesen sei (Bl. 265 d.A.). Angesichts dessen konnte weder die Trinkmenge, das Trinkverhalten noch das Trinkende bei der Blutalkoholbestimmung als bekannt vorausgesetzt werden. Beweisrechtlich ist in diesem Zusammenhang zu beachten, dass der Versicherer die Voraussetzungen des Risikoausschlusses des § 81 Abs. 2 VVG (vorsätzliche oder grob fahrlässige Herbeiführung des Versicherungsfalls) und damit die von dem Maß der Alkoholisierung und ihren Umständen abhängige Vorwerfbarkeit aber auch die für die Quotenbildung entscheidende Schwere des Verschuldens, die ihrerseits vom Grad der Alkoholisierung abhängen kann, beweisen muss. Daher muss zunächst (mangels anderer gerichtlicher Feststellungen) in der Vollkaskoversicherung von der dem VN günstigsten Berechnung ausgegangen werden. Das bedeutet, dass forensisch ein Ende der Alkoholaufnahme unmittelbar vor dem Unfall und damit das Einsetzen der Resorption erst unmittelbar vor dem Unfall, also ein „Aufbau“ der BAK erst „nach“ dem Unfall anzunehmen ist. Eine rückrechnende Erhöhung des BAK-Wertes ist also tatsächlich nur bei Entnahme einer Blutprobe nach Ablauf von 2 Stunden nach dem Unfall überhaupt erlaubt. Von da an ist dann ein Alkoholabbau von 0,1 ‰ pro Stunde anzunehmen (anschaulich Rixecker in ZfSch 2014, 334, 335; LG Kaiserslautern, Urteil vom 7. Februar 2014 – 3 O 323/13 –, juris). Gemessen daran ist vorliegend nach verständiger Würdigung der Ausführungen des Sachverständigen Prof. D. eine Mindestblutalkoholkonzentration von 0,85 ‰ zum Unfallzeitpunkt anzunehmen. Zudem ist es weder seitens der Berufung gerügt noch in sonstiger Hinsicht zu beanstanden, dass das Landgericht zum Unfallzeitpunkt eine maximale Blutalkoholkonzentration von 0,99 ‰ zugrunde gelegt hat.

c.)

Steht damit fest, dass die Klägerin mit zumindest 0,85 ‰ und maximal 0,99 ‰ eine noch der relativen Fahruntüchtigkeit entsprechende Blutalkoholkonzentration zum Unfallzeitpunkt aufgewiesen hatte und mithin nicht von einer rein durch die Blutalkoholkonzentration von 1,1 ‰ indizierten absoluten Fahruntüchtigkeit ausgegangen werden kann, hat die Klägerin dennoch in grob fahrlässiger Weise i.S.v. gem. Ziff. A.2.9.1 AKB i.V.m. § 81 Abs. 2 VVG den Versicherungsfall herbeigeführt. Denn sie hat schwerwiegend gegen grundlegende Verhaltensregeln des Straßenverkehrsrechts verstoßen. Zu ihnen zählt das Verbot, sich in deutlich alkoholisiertem Zustand ans Steuer eines Kraftfahrzeugs zu setzen und am öffentlichen Straßenverkehr teilzunehmen. Denn nach § 24 a Abs. 1 StVG galt auch zum Zeitpunkt des Versicherungsfalls als – gewichtig sanktionierte – Ordnungswidrigkeit, wer im Straßenverkehr ein Kraftfahrzeug führt, obwohl er 0,25 mg/l oder mehr Alkohol in der Atemluft oder 0,5 Promille oder mehr Alkohol im Blut oder eine Alkoholmenge im Körper hat, die zu einer solchen Atem- oder Blutalkoholkonzentration führt. Damit hat die Klägerin in objektiver und subjektiver Hinsicht schwer schuldhaft gehandelt (vgl. Senat, Urteil vom 7. April 2004 – 5 U 688/03-66, VersR 2004, 1262; Urteil vom 28. Januar 2009 – 5 U 698/05 – 102, juris).

Während allerdings – wie bereits dargelegt – in Fällen absoluter Fahruntüchtigkeit ein Anscheinsbeweis für die vom Versicherer zu beweisende Ursächlichkeit der Alkoholisierung für den Versicherungsfall spricht, muss der Versicherer in Fällen relativer Fahruntüchtigkeit alkoholtypische Ausfallerscheinungen beweisen, die den Schluss auf die alkoholbedingte Herbeiführung des Versicherungsfalls rechtfertigen (BGH, Urteil vom 5.Dezember 1990 – IV ZR 13/90 – VersR 1991, 289; Senat, Urteil vom 22.November 2000 – 5 U 563/00-46 – ZfSch 2001, 214; Urteil vom 28. Januar 2009 – 5 U 698/05 – 102 –, juris; Urteil vom 9. September 2022 – 5 U 2/22, VersR 2022, 1296). Dabei genügt zur Entkräftung des dann auch in den Fällen relativer Fahruntüchtigkeit geltenden Anscheinsbeweises für den ursächlichen Zusammenhang zwischen der alkoholbedingten Fahruntüchtigkeit und dem Unfall (Senat, Beschluss vom 20. April 2020 – 5 U 18/20; OLG Karlsruhe, Urteil vom 5. Januar 1989 – 12 U 49/89, juris; BeckOK VVG/Klimke, 16. Ed. 1.8.2022, VVG § 81 Rn. 101; Knappmann VersR 2000, 11 (14)) nicht jede beliebige Erklärung des Versicherungsnehmers, durch welche alkoholunabhängige Ursache es zu dem Unfall gekommen sein soll. Vielmehr muss die Darlegung des Versicherungsnehmers, mit der er belastet ist, einen alkoholunabhängigen Geschehensverlauf plausibel erklären. Er muss – mit zunehmender Höhe des Blutalkoholgehaltes gewichtigere – Anhaltspunkte dafür geben, dass eine andere Erklärung des Unfallverlaufs als seine alkoholbedingte Verursachung nicht fernliegt, sondern eine denkbare Möglichkeit darstellt (Senat, Urteil vom 7. April 2004 – 5 U 688/03, ZfSch 2004, 323; Senat, Urteil vom 28. Januar 2009 – 5 U 698/05 – 102, juris).

aa)

Der Klägerin ist es nicht gelungen eine solche plausible Erklärung zu geben. Vielmehr kommen im Streitfall erhebliche Fahrfehler dazu, die typischerweise durch Alkoholgenuss bedingt sind (vgl. BGH, Urteil vom 24. Februar 1988 – IVa ZR 193/86, VersR 1988, 734) und in der gebotenen Gesamtschau die Annahme rechtfertigen, dass hinreichende Beweisanzeichen für eine Fahruntüchtigkeit infolge Alkohols vorliegen. In ihrer informatorischen Anhörung hat die Klägerin angegeben, sie sei in Begleitung der Zeugin M. bei dem Autobahndreieck Nonnweiler gefahren, als ein Auto vor ihr stark gebremst habe. Alle Bremsleuchten hätten rot geleuchtet, die gesamte Windschutzscheibe sei „nur noch rot gewesen“ (Bl. 104 d.A.). Das Fahrzeug sei relativ dicht vor ihr gewesen, genau wisse sie dies allerdings nicht mehr (Bl. 105 d.A.) Sie habe aber noch rechtzeitig reagieren und entsprechend stark abbremsen können. Aufgrund der nassen Fahrbahn sei sie dann ins Schleudern gekommen und von der Fahrbahn geraten. Sie habe in jedem Fall noch rechtzeitig reagieren können, sonst wäre sie in das vor ihr fahrende Auto hineingefahren. Sie könne sich nicht vorstellen, dass sie schnell gefahren sei. Sie denke so zwischen 70 und 80 km/h. An die zu sich genommene Alkoholmenge könne sich nicht mehr erinnern. Sie habe sich jedoch noch fahrbereit gefühlt, sie habe das wohl unterschätzt habe. Sie sei davon ausgegangen noch unter der 0,5 Promille Grenze zu sein und sich in der Lage gefühlt, sicher zu fahren (Bl. 104 d.A.). In ihrer ergänzenden informatorischen Anhörung durch den Senat wiederholte die Klägerin weitestgehend ihre Darstellungen in erster Instanz. Ergänzend schilderte sie auf die Frage, ob sie sich Gedanken betreffend ihre Fahrtüchtigkeit gemacht habe, dass damals alles so schnell gegangen sei und sie sich ehrlich gesagt nicht so richtig Gedanken gemacht habe. Zum Unfall selbst ergänzte sie, dass sie meine, das vorausfahrende Fahrzeug zum ersten Mal gesehen zu haben, als sie aus der Autobahn rausgefahren sei (Bl. 266 d.A.). Die konkrete Unfallstelle konnte sie anhand ihr vorgelegter Lichtbilder jedoch nicht zeigen. Auf Vorhalt, dass sie im Zuge der informatorischen Befragung durch die Polizei angegeben habe, dass sie hätte schneller reagieren bzw. bremsen müssen, räumte die Klägerin zwar ein, diese Äußerung so abgegeben zu haben, relativierte sie jedoch dahingehend, dass sie sich in diesem Moment sehr große Vorwürfe gemacht habe, da sie durch ihr Verhalten auch die Zeugin M. gefährdet habe (Bl. 266 d.A.).

bb)

Dieser seitens der Klägerin behauptete Unfallhergang ist für den Senat, ohne dass erhebliche Fahrfehler hinzukommen, die typischerweise durch Alkoholgenuss bedingt sind, nicht nachvollziehbar. Einerseits gibt die Klägerin an, mit einer moderaten Geschwindigkeit von 70-80 Km/h gefahren zu sein. Andererseits habe sie einen Auffahrunfall auf das vermeintlich vor ihr fahrende Fahrzeug nur mit einer Gefahrenbremsung vermeiden können und sei deshalb ins Schleudern geraten und von der regennassen Fahrbahn abgekommen. Die Zugrundelegung dieser Darstellung lässt allerdings nur den Schluss zu, dass die Klägerin entweder nicht den erforderlichen Sicherheitsabstand zu dem vorausfahrenden Fahrzeug eingehalten hat – diesbezüglich gibt sie selbst an, relativ dicht dahinter gewesen zu sein (Bl.105 d.A.) -, unaufmerksam gewesen ist oder ihr Bremsverhalten nicht den Geschwindigkeits- und Straßenverhältnissen angepasst hat. Angesichts dessen ist dieser Unfallhergang vernünftigerweise nur durch die Alkoholisierung der Klägerin zu erklären. Kommt nämlich ein alkoholisierter Fahrer ohne ersichtlichen Grund bei zu bewältigenden Verkehrssituationen von der Fahrbahn ab, so spricht dies für einen durch Fahruntüchtigkeit infolge Alkohols bedingten Unfall; insbesondere sprechen das zu späte Erkennen eines Bremsmanövers des vorausfahrenden Fahrzeugs, sowie die Fehleinschätzung der Straßenverhältnisse für eine alkoholbedingte Unfallverursachung.

cc)

Gründe, die die Überzeugung von einem alkoholbedingten Fahrfehler der Klägerin erschüttern könnten, liegen bei sachgerechter Beurteilung aller Umstände des vorliegenden Falles nicht vor. Hinweise auf unfallursächliche technische Mängel waren weder behauptet noch ersichtlich. Die allgemeine Möglichkeit, dass auch einer nüchternen Person der Unfall hätte unterlaufen können, reicht zur Erschütterung eines alkoholbedingten Fahrfehlers nicht aus (BGH, Urteil vom 24. Februar 1976 – VI ZR 61/75, VersR 1976, 729; Urteil vom 30. Oktober 1985 – IVa ZR 10/84, VersR 1986, 141; vgl. auch BGH, Urteil vom 8. Juli 1957 – II ZR 177/56, VersR 1957, 509). Solche Fahrfehler gibt es nämlich nicht (Heß/Höke, in: Beckmann/Matusche-Beckmann, Versicherungsrechts-Handbuch 3. Aufl., § 30 Rn. 50). Vielmehr muss gerade im konkreten Fall die ernsthafte und nicht bloß theoretische Möglichkeit bestehen, dass der Unfall durch eine andere Ursache herbeigeführt worden ist, die auch ein nüchterner Fahrer nicht hätte vermeiden können; dass mithin die alkoholbedingte Fahruntüchtigkeit nicht ursächlich für das konkrete Unfallereignis war (vgl. OLG Naumburg, Urteil vom 16. September 2004 – 4 U 38/04, VersR 2005, 1233; OLG Düsseldorf, Urteil vom 13. Juni 2000 – 4 U 140/99, juris).

Der objektive Unfallverlauf ist anschaulicher Ausdruck eines alkoholbedingt typischen Fehlverhaltens, für das es sonst keinen ernsthaften anderen Grund gibt. Der behauptete Umstand eines vorausfahrenden stark bremsenden Fahrzeugs allein reicht hierfür nicht aus. Es ist kein Grund ersichtlich, warum der Unfall nicht mit der Trunkenheit der Fahrerin zu erklären ist bzw. der dafür spricht, dass sie die Gefahrenlage auch nüchtern nicht gemeistert hätte. Bereits nach eigenen Angaben der Klägerin konnte sie rechtzeitig reagieren und durch starkes Abbremsen eine Kollision mit dem vorausfahrenden Fahrzeug verhindern. Die Verkehrssituation, der sie ausgesetzt war, stellte angesichts dessen kein Hindernis dar, das die Klägerin auch ohne den Einfluss von Alkohol nicht hätte bewältigen können. Allein der Umstand, dass die Straße nass gewesen ist, ist nicht geeignet, die Ursächlichkeit der alkoholbedingten Fahruntüchtigkeit auszuschließen. Dass auch verkehrstüchtige Kraftfahrer bisweilen auf unsicherem bzw. nassem Straßenbelag verunglücken und/oder wegen unangepasst überhöhten Tempos aus einer Kurve getragen werden, stellt die Kausalität des Alkohols nicht in Frage (vgl. OLG Frankfurt, Urteil vom 14. April 1988 – 3 U 24/87 –, juris); vielmehr ist nach den Umständen davon auszugehen, dass die Klägerin ohne ihren vorherigen Alkoholgenuss allgemein vorsichtiger gefahren wäre und den Unfall dann auch unter dieser Prämisse vermieden hätte (vgl. OLG Naumburg, Urteil vom 16. September 2004 – 4 U 38/04, VersR 2005, 1233).

dd)

Dieser Annahme kann die Klägerin schließlich auch nicht entgegenhalten, dass sie nach dem Unfall keine Ausfallerscheinungen gehabt habe. Ungeachtet der Frage, ob dieser Umstand überhaupt geeignet ist, die Beweiskraft der vorgenannten Fahrfehler zu entkräften (vgl. hierzu OLG Karlsruhe, Urteil vom 15. April 2014 – 9 U 135/13 –, juris), kann vorliegend ein gänzliches Fehlen von Ausfallerscheinungen nicht festgestellt werden. So kann den polizeilichen Feststellungen entnommen werden, dass die Klägerin stark gerötete, glasige Augenbindehäute und eine leicht verwaschene Aussprache gehabt habe (Bl. 20 BA). Daneben waren als alkoholtypische Verhaltensweisen aber auch ein übersteigertes Panikverhalten nach dem Unfall verbunden mit Atemnot und starkem Weinen feststellbar. Zudem gab die Klägerin an, geglaubt zu haben noch unter der „0,5 Promille- Grenze“ gewesen zu sein und sich in der Lage gefühlt zu haben, sicher zu fahren. Dies zeugt nicht nur von ihrer mangelnden Selbstprüfung und Fehleinschätzung im Hinblick auf ihre eigene Fahrfähigkeit, sondern ist auch eine typische Folge des Alkoholkonsums (vgl. KG Berlin, Urteil vom 5. Juni 1998 – 6 U 4987/96 –, juris; Klimke in Prölss/Martin VVG, 31. Aufl.., A 2.9. AKB 2015 Rn. 54 m.w.N.), die in subjektiver Hinsicht zur Annahme eines Verhaltens führt, bei dem ein gegenüber einfacher Fahrlässigkeit gesteigertes Verschulden festzustellen ist (OLG Stuttgart, Urteil vom 6. Dezember 1988 – 12 U 108/88 –, juris; KG Berlin, Urteil vom 5. Juni 1998 – 6 U 4987/96 –, juris; Klimke in Prölss/Martin VVG, a.a.O.).

ee.)

Auch die Erkenntnisse aus der weiteren Beweisaufnahme erlauben zur Überzeugung des Senats keine plausible Erklärung eines alkoholunabhängigen Geschehensverlaufs. Insbesondere war die Aussage der Zeugin M. nicht nur wenig ergiebig, sondern vielmehr offensichtlich ergebnisbezogen und in sich widersprüchlich. So konnte die Zeugin keine konkreten Angaben zum Trinkverhalten und zur Trinkmenge der Klägerin machen, demgegenüber wusste sie jedoch noch genau, dass ihr die Klägerin vor Fahrtantritt überhaupt nicht betrunken vorkam (Bl. 268 d.A.). Auch ihre Angaben zum Unfallhergang waren unergiebig. Als der Unfall passiert sei, sei sie gerade am Handy gewesen und habe entsprechend ihren Kopf geneigt. Aus den Augenwinkeln habe sie aber rote Lichter sehen können, wie bei einer Bremsung. Dann habe die Klägerin auch schon eine starke Bremsung gemacht und sie sei durch den Airbag „ausgeknockt“ worden. Erst auf Vorhalt ihrer Äußerung in der amtlichen Ermittlungsakte (Bl. 22 BA), wonach der vorausfahrenden Pkw ohne erkennbaren Grund eine Vollbremsung gemacht habe und sie daraufhin „Ping Pong“ mit den Leitplanken gespielt hätten, vermochte sich die Zeugin an eine Kollision mit der Leitplanke zu erinnern. Von einer Kollision mit der Leitplanke bzw. einer beschädigten Leitplanke war allerdings weder in der Unfalldarstellung der Klägerin noch in den Feststellungen der unfallaufnehmenden Polizeibeamten die Rede. Auch die Erklärung der Zeugin, warum sie sagen könne, dass der vorausfahrenden Pkw ohne erkennbaren Grund gebremst habe, war weder plausibel noch nachvollziehbar. Sie gab an, zwar auf ihr Handy geschaut, jedoch schon vorher mitbekommen zu haben, dass da nichts gewesen sei. Näher befragt konnte sie zu dem vorausfahrenden Fahrzeug jedoch keine konkreten Angaben machen. Weder vermochte sie anzugeben, in welchem Abstand das Auto vorausgefahren sei, noch wann sie das vorausfahrende Fahrzeug zum ersten Mal gesehen habe (Bl.268 RS). Schließlich konnte sie nicht einmal angeben, ob das von ihr wahrgenommene vorausfahrende Fahrzeug, tatsächlich das Fahrzeug gewesen sei, dessentwegen die Klägerin die behauptete Vollbremsung durchgeführt habe (Bl. 269 RS).

ff)

Aus alldem ist zu schließen, dass der Versicherungsfall durch die Alkoholisierung der Klägerin herbeigeführt worden ist. Ein nüchterner Fahrer hätte sich nachts bei regennasser Fahrbahn einem vorausfahrenden Fahrzeug nicht so stark angenähert, dass er selbst zu einer Starkbremsung gezwungen worden wäre bzw. hätte sein Bremsverhalten so gewählt, dass er durch das Bremsen nicht die Kontrolle über sein Fahrzeug verlöre. Dass auch nüchterne Fahrer gelegentlich bei Bremsungen auf nasser ins Schleudern geraten und von der Straße abkommen, steht dem nicht entgegen. Denn im konkreten Fall steht fest, dass die alkoholisierte Klägerin die gebotene Vorsicht in hohem Maße missachtet hat und damit einen Fahrfehler begangen hat, der typischerweise Folge einer erheblich gesteigerten Risikobereitschaft mit einer deutlichen Senkung der Hemmschwelle durch Alkohol ist. Insoweit bedurfte es auch vorliegend keiner weiteren Beweisaufnahme durch Einholung eines Sachverständigengutachtens zu der Frage, ob die Klägerin hinsichtlich ihres Seh- und Reaktionsvermögen derart beeinträchtigt gewesen ist, dass es zum Unfall gekommen ist.

d.)

Der Umstand, dass die Klägerin den Versicherungsfall alkoholbedingt grob fahrlässig herbeigeführt hat, führt vorliegend dazu, dass ihr Anspruch gegen den Beklagten vollständig entfällt. Unter Berücksichtigung der Schwere des Verschuldens (Ziff. A.2.9.1 AKB i.V.m. § 81 Abs. 2 AKB § 81 Abs. 2 VVG) ist keine Kürzung der Versicherungsleistung, sondern ein vollständiges Entfallen der Leistungspflicht der Klägerin anzunehmen.

aa.)

Bei der Kürzung der Versicherungsleistung gemäß § 81 Abs. 2 VVG sind sämtliche Umstände des Einzelfalls abzuwägen. Dies gilt grundsätzlich auch bei alkoholbedingter Fahruntauglichkeit (vgl. BGH, Urteil vom 22. Juni 2011 – IV ZR 225/10, juris). In der Praxis spielt dabei allerdings die jeweilige Blutalkoholkonzentration eine erhebliche Rolle, da bei einem höheren BAK-Wert in der Regel von einem entsprechend höheren Verschulden auszugehen ist (OLG Karlsruhe, Urteil vom 15. April 2014 – 9 U 135/13 –, juris). Eine Leistungskürzung des Versicherers auf Null ist in besonderen Ausnahmefällen möglich, was beispielsweise bei der Herbeiführung des Unfalls im Zustand absoluter Fahruntüchtigkeit in Betracht kommt. Grund dafür ist, dass sich derartige Fälle in der Regel im Grenzgebiet zwischen grober Fahrlässigkeit und bedingtem Vorsatz bewegen und das Führen eines Kraftfahrzeugs in alkoholbedingt fahruntüchtigen Zustand nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zu den schwersten Verkehrsverstößen überhaupt gehört (BGH, Urteil vom 22. Juni 2011 – IV ZR 225/10, juris; Senat Urteil vom 9. September 2022 – 5 U 2/22 VersR 2022, 1296; OLG Hamm, Beschluss vom 17. Juli 2021 – I-20 U 29/21, juris). Zwar ist auch in Fällen absoluter Fahruntüchtigkeit immer eine Abwägung der Umstände des Einzelfalls erforderlich, sodass nicht pauschal in jedem Fall von Fahruntüchtigkeit eine Leistungskürzung auf Null vorzunehmen ist (BGH, Urteil vom 22. Juni 2011 – IV ZR 225/10, juris). Eine Leistungsfreiheit des Versicherers kommt aber jedenfalls dann in Betracht, wenn in einem Fall relativer Fahruntüchtigkeit die Blutalkoholkonzentration nicht weit von der absoluten Fahruntüchtigkeit entfernt ist und sich der Alkohol erheblich auf den Eintritt des Unfalls ausgewirkt hat, ohne dass Umstände vorgetragen sind, die den Vorwurf der groben Fahrlässigkeit jedenfalls im subjektiven Bereich in milderem Licht erscheinen lassen (OLG Hamm, Beschluss vom 17. Juli 2021 – I-20 U 29/21, juris).

bb)

Gemessen daran war vorliegend von einer vollständigen Leistungsfreiheit der Beklagten auszugehen. Die Blutalkoholkonzentration war – wie dargelegt – nicht weit von der absoluten Fahruntüchtigkeit entfernt. Mildernde Umstände waren nicht ersichtlich. Vielmehr war im subjektiven Bereich erschwerend zu berücksichtigen, dass die Klägerin ihre Alkoholisierung keiner kritischen Selbstprüfung unterzogen hat bzw. diese vollkommen unterschätzt hat. Das Verhalten der Klägerin war daher einer Vorsatzsituation angenähert, sodass die Annahme einer Leistungsfreiheit der Beklagten vorliegend angezeigt ist.

III.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit aus den §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

Die Revision ist gemäß § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 und 2 ZPO nicht zuzulassen. Weder hat die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung noch erfordert die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts.

Die Wertfestsetzung beruht auf den §§ 3, 4 ZPO, §§ 47 Abs. 1 Satz 1, 48 Abs. 1 Satz 1 GKG.

Hinweis: Informationen in unserem Internetangebot dienen lediglich Informationszwecken. Sie stellen keine Rechtsberatung dar und können eine individuelle rechtliche Beratung auch nicht ersetzen, welche die Besonderheiten des jeweiligen Einzelfalles berücksichtigt. Ebenso kann sich die aktuelle Rechtslage durch aktuelle Urteile und Gesetze zwischenzeitlich geändert haben. Benötigen Sie eine rechtssichere Auskunft oder eine persönliche Rechtsberatung, kontaktieren Sie uns bitte.

Unsere Hilfe im Versicherungsrecht

Egal ob Ihre Versicherung die Zahlung verweigert oder Sie Unterstützung bei der Schadensregulierung benötigen. Wir stehen Ihnen zur Seite.

 

Rechtsanwälte Kotz - Kreuztal

Wissenswertes aus dem Versicherungsrecht

Urteile aus dem Versicherungsrecht

Unsere Kontaktinformationen

Rechtsanwälte Kotz GbR

Siegener Str. 104 – 106
D-57223 Kreuztal – Buschhütten
(Kreis Siegen – Wittgenstein)

Telefon: 02732 791079
(Tel. Auskünfte sind unverbindlich!)
Telefax: 02732 791078

E-Mail Anfragen:
info@ra-kotz.de
ra-kotz@web.de

Rechtsanwalt Hans Jürgen Kotz
Fachanwalt für Arbeitsrecht

Rechtsanwalt und Notar Dr. Christian Kotz
Fachanwalt für Verkehrsrecht
Fachanwalt für Versicherungsrecht
Notar mit Amtssitz in Kreuztal

Bürozeiten:
MO-FR: 8:00-18:00 Uhr
SA & außerhalb der Bürozeiten:
nach Vereinbarung

Für Besprechungen bitten wir Sie um eine Terminvereinbarung!