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Vollkaskoversicherung für E-Bike

Klägerin fordert Bezahlung aus Vollkaskoversicherung für gestohlene E-Bikes.

Die Beklagte lehnt ab, da die E-Bikes nicht an einen festen Gegenstand angeschlossen waren. Die Klägerin behauptet, es sei nicht möglich gewesen, die Räder auf dem Campingplatz oder am Wohnmobil anzuschließen. Die Polizei geht davon aus, dass die Täter mit einem LKW durch einen herausgeschnittenen Zaun entkamen. Die Parteien haben den Rechtsstreit in der Hauptsache übereinstimmend für erledigt erklärt, die Klägerin verlangt nun den Restbetrag und die Befreiung von Rechtsanwaltskosten. Die Beklagte bestreitet die Forderung und behauptet, es sei möglich gewesen, die Räder an einem Baum anzuschließen oder am Wohnmobil selbst zu befestigen. […]

LG Hagen – Az.: 9 O 318/21 – Urteil vom 08.09.2022

Die Klage wird abgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Klägerin zu 67 % und die Beklagte zu 33 %.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar; für die Beklagte gegen die Klägerin jedoch nur gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des zu vollstreckenden Betrages.

Die Beklagte kann die Zwangsvollstreckung durch die Klägerin gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Tatbestand

Vollkaskoversicherung für E-Bike
(Symbolfoto: moreimages/Shutterstock.com)

Die Klägerin begehrt von der Beklagten Zahlung aufgrund eines Vollkaskoversicherungsvertrages für 2 E-Bikes.

Aufgrund eines Überlassungsvertrages zwischen der Klägerin und ihrer Arbeitgeberin, der Sparkasse , war die Klägerin zur Nutzung von 2 E-Bikes berechtigt. Die Klägerin erwarb die beiden E-Bikes unter dem 27.03.2021 und zwar einmal das KTM Cento 11 PLUS zu einem Preis einschließlich Zubehör von 3.633,94 EUR und das KTM Power Sport 12 PLUS mit Topcage und zwei Schlössern zu einem Preis von 3.575,89 EUR.

Die Sparkasse ist Leasingnehmerin eines Leasingvertrages über diese E-Bikes mit der C GmbH als Leasinggeberin. Zwischen der Leasinggeberin als Versicherungsnehmerin und der Beklagten kam ein Vollkasko-Versicherungsvertrag für Cs zustande. Versicherte Gefahr war unter anderem der Diebstahl (Diebstahl, Raub und Einbruchdiebstahl). Vertragsbestandteil wurden auch die Allgemeinen Versicherungsbedingungen der Beklagten.

Auf Seite 2 der Produktbedingung der streitgegenständlichen Vollkaskoversicherung heißt es unter

„Gibt es Deckungsbeschränkungen?“

„Voraussetzung bei Diebstahlleistung (Diebstahl, Raub und Einbruchsdiebstahl)

Zum Schutz gegen Diebstahl ist der Rahmen des BusinessBikes immer mit einem zugelassenen Fahrradschloss an einem festen Gegenstand (z. B. Laternenpfahl, Baum) anzuschließen.“

Nach der Überschrift „Welche Verpflichtungen habe ich?“ heißt es:

„Obliegenheiten

Im Versicherungsfall hat der Nutzer die Verpflichtungen zu beachten. Die Verletzung von Verpflichtungen kann den Versicherungsschutz teilweise oder vollständig gefährden. Z. B. führt das Nichtanschließen eines BusinessBikes zum vollständigen Versicherungsverlust.“

In § 13 „Obliegenheiten“ der AVB der Beklagten ist unter anderem Folgendes geregelt:

(1) Der Versicherungsnehmer hat das Objekt zum Schutz gegen Diebstahl beim Abstellen mit einem Sicherheitsschloss an einem festen Gegenstand anzuschließen. Falls ein Rahmenschloss am Objekt vorhanden ist, muss dieses ebenfalls abgeschlossen werden. Ein einfaches Sichern durch die Verwendung eines Sicherheitsschlosses genügt bei der Unterbringung des Objektes in einem verschlossenen Raum. Gemeinschaftskeller, Innenhöfe, Gärten mit Umzäunungen inkl. abschließbarem Tor oder Tiefgaragen z.B. gelten nicht als verschlossener Raum. Hier sind Möglichkeiten zu schaffen, damit das Objekt zusätzlich zum Abschließen auch angeschlossen werden kann.

In der Zeit vom 10.09.2021 bis zum 13.09.2021 verbrachte die Klägerin gemeinsam mit ihrem Ehemann ihren Urlaub auf dem D3 „See Camping Zittauer Gebirge“ und führte dort die streitgegenständlichen E-Bikes mit. Am späten Abend des 12.09.2021 kehrte beide – allerdings nicht zeitgleich – von einer längeren Fahrradtour mit den streitgegenständlichen E-Bikes zurück. Die Fahrräder wurden sodann nicht an einen festen Gegenstand angeschlossen, aber – jedes Fahrrad für sich – mit den vorhandenen Schlössern abgeschlossen.

Die Klägerin nahm die Fahrräder letztmalig am 12.09.2021 um 22:30 Uhr wahr. Als der Ehemann der Klägerin am 13.09.2021 gegen 8:30 Uhr vom Bäcker zurückkehrte, bemerkte er, dass sich die Räder nicht mehr an dem Ort befanden, an welchem sie abgestellt worden waren. Auf dem I-Weg zum Bäcker kurz nach 8:00 Uhr morgens hatte er aufgrund der frühen Uhrzeit noch keinen Blick für die angeschlossenen Räder.

Ein Zaunelement des Stahlgitterzauns des D2, der das D-Q-Platz abgrenzte, war aus der Halterung heraus geschnitten und entfernt worden. Offensichtlich hatten sich so unbekannte Dritte Y2 zum D3 verschafft und dort mehrere Gegenstände, auch die E-Bikes, entwendet. Die Klägerin erstattete bei der Polizei Strafanzeige und erhielt insoweit eine Bestätigung über die Erstattung der Anzeige.

Die Räder sind bis zum heutigen Tag nicht auffindbar. Die Polizei geht davon aus, dass die Täter mit einem größeren Lkw in die Nähe des Grenzzauns des D2 gefahren sind, den Zaun zerschnitten und sämtliche Gegenstände durch den Zaun direkt in den Lkw eingeladen und von der Örtlichkeit verbracht haben. Der D3 befindet sich in unmittelbarer Nähe zur polnischen wie auch zur tschechischen Grenze.

Die Klägerin meldete am 13.09.2021 den Schadensfall zunächst telefonisch bei der Beklagten. Darüber hinaus erstattete sie unter dem 28.09.2021 eine schriftliche Schadensanzeige bei der Beklagten. In der Schadensanzeige wurde handschriftlich vermerkt: „Leider hatten wir nicht die Möglichkeit (ohne die Räder, das Wohnmobil oder [den] Zaun oder Ähnliches zu beschädigen) die Räder an einen festen Gegenstand zu schließen. Der D3 war komplett eingezäunt und gesichert. Der Diebstahl der Räder ist nur dadurch möglich geworden, dass durch Entfernen eines kompletten Zaunelements auf dem D3 eingebrochen wurde. […]“.

Mit E-Mail vom 30.09.2021 an die Firma Y und M GmbH teilte die Beklagte mit, dass sie die Kostenübernahme vollständig ablehne. Hierzu führte sie aus, dass entgegen der vertraglichen Obliegenheiten aus den Produktbedingungen „Vollkasko“ die E-Bikes zum Zeitpunkt des Diebstahls nicht ordnungsgemäß an einem festen Gegenstand angeschlossen gewesen seien. Die Prozessbevollmächtigten der Klägerin führten daraufhin im Schreiben vom 14.10.2021 aus, dass ein Anschließen an den Zaun technisch nicht möglich gewesen sei. Darüber hinaus käme nur ein Mitverschulden von 25 % infrage, es könnte dann der Kausalitätsgegenbeweis geführt werden. Im Rahmen einer Obliegenheitsverletzung wäre der Kausalitätsbeweis von der Klägerin einfach zu führen.

Nach Rechtshängigkeit zahlte die Beklagte 1.802,46 EUR (25 % des versicherten Betrages von 7.209,83 EUR) zuzüglich Zinsen von 26,86 EUR auf ein Anderkonto der Prozessbevollmächtigten der Klägerin. Insoweit haben die Parteien den Rechtsstreit in der Hauptsache übereinstimmend für erledigt erklärt.

Die Klägerin behauptet, die beiden E-Bikes hätten nicht an einem festen Gegenstand angeschlossen werden können, da ein solcher auf dem D3 nicht zur Verfügung gestanden habe. Es seien weder Fahrradständer, Laternenmasten oder Pfosten vorhanden gewesen, an welchen die E-Bikes hätten angebracht werden können. An dem abgestellten Wohnmobil hätten die Fahrräder wegen der Besonderheit der Schlösser ebenfalls nicht befestigt werden können. Ein Anbringen der Fahrräder auf dem Fahrradträger (in 1 m Höhe, jedes Fahrrad wiegt etwa 27 kg) würde ungeachtet der Schwierigkeiten dieser Möglichkeit die Voraussetzungen der Obliegenheiten aus dem Versicherungsvertrag ebenfalls nicht erfüllen. Auf dem Fahrradträger des Wohnmobils könnten die Räder nämlich nur mit den Schlössern eines Fahrradträgers selbst abgeschlossen werden, was allerdings nach den Versicherungsbedingungen ebenfalls nicht ausreichend gewesen wäre.

Nach Zugang der Klageerwiderung führten die Prozessbevollmächtigten der Klägerin aus, dass es auf dem D3 natürlich irgendwo einen Ort gegeben habe, an dem man die E-Bikes hätte anschließen können. Dort hätten sie dann aber nicht mehr der regelmäßigen Kontrolle der Klägerin unterlegen. Im Übrigen dürfte ein Verbringen der Fahrräder über mehrere 100 m, nur um sie anzuschließen, bereits nicht zumutbar sein.

Warum die Nähe zu einer Grenze besondere Vorsicht erfordere, sei für sie, insbesondere vor dem Hintergrund der Tatsache, dass sowohl auf der einen als auch auf der anderen Seite der Grenze Gebiet der Europäischen Union liege, nicht erkennbar. Grenzkontrollen fänden dort nicht statt.

Auf der Website des D2 werde unter dem Menüpunkt „Allgemeines/Service und Sicherheit“ auf eine Einzäunung und eine Zufahrtkontrolle mit RFID-Karte verwiesen. Eine besondere Bedrohung, insbesondere vor dem Hintergrund, dass ein ganzes Zaunelement herausgetrennt werden würde, sei für die Klägerin nicht erkennbar gewesen.

Die vollständige Leistungsversagung sei mit Blick auf die – wenn überhaupt – nur geringfügige Obliegenheitsverletzung nicht angezeigt. Ein grob fahrlässiges Verschulden führe hier keineswegs zu einer Haftungsverteilung von 25 % zu 75 % zu ihren Lasten. Selbst wenn man eine grobe Fahrlässigkeit unterstellte – die mit Blick auf die vorangegangenen Punkte und die diesbezüglichen Beweisantritte nicht gegeben sei – gelangte man bestenfalls zu einer Mithaftung auf Klägerseite im Bereich von 25 %.

Im Termin zur mündlichen Verhandlung haben die Parteien den Rechtsstreit in der Hauptsache nach Erörterung der Sach- und Rechtslage in Höhe eines Teilbetrages von 1.802,46 EUR einschließlich anteiliger Verzugszinsen übereinstimmend für erledigt erklärt.

Die Klägerin beantragt nunmehr noch, die Beklagte zu verurteilen,

1. an sie 3.604,91 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz hieraus seit dem 01.10.2021 zu zahlen und

2. sie von der Forderung der Rechtsanwälte Q mbB, O2 2c, in Höhe von 627,13 EUR freizustellen.

Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

Sie meint, sie habe die Leistung zu Recht abgelehnt. Auf der ersten Seite der Versicherungsbedingungen sei eindeutig und fett gedruckt aufgeführt, dass Voraussetzung für den Versicherungsschutz der Anschluss der Räder an einen festen Gegenstand sei. Auch in ihren Versicherungsbedingungen der Beklagten sei in § 13 eindeutig geregelt, dass die Räder an einem festen Gegenstand anzuschließen seien.

Der Klägerin sei bewusst gewesen, dass es sich hierbei um eine unbedingt zu beachtende Obliegenheit des Versicherungsvertrages gehandelt habe und eine Nichtbeachtung zum Verlust des Versicherungsschutzes führe. Da es der Sinn dieser Regelung sei, die hochwertigen Fahrräder gegen Diebstahl zu schützen, hätte die Klägerin bei dem an der Grenze liegenden und offenbar nicht bewachten D3 besondere Vorsicht walten lassen müssen.

Sie bestreitet mit Nichtwissen, dass es auf dem D3 keinerlei Möglichkeit gegeben habe, die Räder anzuschließen. Wäre dies richtig, befänden sich auf dem D3 weder eine Beleuchtung der Wege mit Laternen, noch existierten Fahrradbügel oder Bäume, deren Stämme zum Anschließen geeignet wären. Dies sei sehr unwahrscheinlich. Auf diversen Bildern des D2 auf dessen Homepage sei zu erkennen, dass auf dem gesamten Q-Platz kleinere Birken und andere Bäume gepflanzt seien, welche sich sehr gut dazu geeignet hätten, die Räder dort anzuschließen. Es werde daher ausdrücklich bestritten, dass es nicht möglich gewesen wäre, einen Q-Platz in der Nähe eines solchen Baums zu erhalten und die Räder dort anzuschließen oder die Räder einige Meter vom Wohnmobil entfernt an einem solchen Baum anzuschließen.

Es sei auch nicht nachvollziehbar, dass es nicht möglich gewesen sei, die Räder am Campingmobil selbst anzuschließen. Üblicherweise würden die Räder auf einem rückwärtig angebrachten Fahrradträger transportiert. Bei der Befestigung der Räder an einem rückwärtigen Fahrradträger, wäre es auch möglich gewesen, die Räder an den Befestigungen des Fahrradträgers anzuschließen, ein solches Anschließen wäre ausreichend gewesen.

Das Argument, dass die Räder, wenn sie an dem Zaun angeschlossen gewesen wären, ebenfalls gestohlen worden wären, stelle eine bloße Vermutung dar.

Bei einer vorzunehmenden Abwägung des Verschuldensgrades der Klägerin entsprechend § 28 VVG sei eine grob fahrlässige Obliegenheitsverletzung der Klägerin gegeben, welche zu einer Verschuldensquote von mindestens 75 % führt. Es obliege der Klägerin ein geringeres Verschulden und in der Folge eine geringere Quote darzulegen und zu beweisen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die überreichten Schriftsätze und die zu den Akten gelangten Unterlagen Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die Klage ist nicht begründet.

I.

Die Klägerin hat gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Zahlung von 3.604,91 EUR aus einem Versicherungsvertrag.

1.

Sie ist allerdings grundsätzlich Inhaberin eines Anspruchs gegen die Beklagte aus dem streitgegenständlichen Versicherungsvertrag, obwohl Versicherungsnehmerin nicht die sie, sondern die C GmbH ist. Das Gericht geht hier davon aus, dass es sich bei der streitgegenständlichen Versicherung um eine kombinierte Eigen- und Fremdversicherung handelt. Ob eine Fremdversicherung vorliegt ist anhand einer Gesamtbetrachtung der Fallumstände, der Interessenlage und des Vertragszwecks zu ermitteln (vgl. BeckOK VVG/Bauerschmidt, 16. Ed. 1.8.2022, VVG § 43 Rn. 6).

Bei dem Gesichtspunkt der Interessenlage kommt es zunächst nicht darauf an, dass auch der Versicherungsnehmer – hier die C GmbH – ein eigenes wirtschaftliches Interesse an der Versicherung hat. Ein eigenes wirtschaftliches Interesse des Versicherungsnehmers an der Versicherung (z. B. die Sicherung von etwaigen Erstattungsforderungen gegen den Versicherten) schließt eine Fremdversicherung nämlich nicht aus. Der Vertrag kann eigenes und fremdes Interesse nebeneinander decken (vgl. Prölss/Martin/Klimke, 31. Aufl. 2021, VVG § 43 Rn. 3). Das eigene Interesse der Klägerin an der Versicherung ergibt sich ohne weiteres aus dem Nutzungsvertrag mit ihrer Arbeitgeberin, aus welchem wiederum unstreitig folgt, dass die Gefahr des Untergangs der Sache allein von der Klägerin getragen wird, weil sie nach Beendigung der Vertragsdauer zur Rückgabe der E-Bikes verpflichtet ist. Weiter ist darauf zu verweisen, dass die Klägerin die Versicherungsprämien und auch eine Serviceprämie zu entrichten hatte. Schließlich ist auch die Beklagte von einem eigenen Forderungsrecht der Klägerin ausgegangen, weil sie die ihrer Auffassung nach aus dem Versicherungsvertrag geschuldete Entschädigungsleistung an die Klägerin erbracht hat.

2.

Dass der Versicherungsfall eingetreten ist, ist zwischen den Parteien unstreitig. Die Klägerin hat Tatsachen vorgetragen, aus welchem sich der äußere Anschein einer Entwendung ergibt. Diese Tatsachen wurden von der Beklagten nicht bestritten.

3.

Die Beklagte durfte den Leistungsanspruch der Klägerin gemäß § 14 der AVB i.V.m. § 28 Abs. 2 S. 2 VVG um 75 % kürzen.

a) Die Klägerin hat eine Obliegenheit aus dem Versicherungsvertrag verletzt.

Insoweit ist zunächst in den Produktbedingungen (Anl. K1 zur Klage) unten geregelt, dass Voraussetzung für eine Diebstahlleistung der Anschluss des Rahmens der E-Bikes mit einem zugelassenen Fahrradschloss an einem festen Gegenstand ist.

Hierbei handelt es sich um die Regelung einer Obliegenheit und nicht um eine Risikobegrenzung wie der Wortlaut vielleicht nahelegen könnte.

Für die Abgrenzung einer (verhüllten) Obliegenheit von einer Risikobegrenzung ist nämlich nicht allein Wortlaut und Stellung einer Klausel innerhalb eines Bedingungswerks maßgeblich. Entscheidend ist vielmehr, ob sie die individualisierende Beschreibung eines bestimmten Wagnisses enthält, für das der Versicherer keinen Versicherungsschutz gewähren will, oder ob sie in erster Linie ein bestimmtes Verhalten des Versicherungsnehmers fordert, von dem es abhängt, ob er einen zugesagten Versicherungsschutz behält oder ob er ihn verliert. (vgl. BGH, Urteil vom 18. 6. 2008 – IV ZR 87/07 – NJW-RR 2008, 1411, beck-online).

Hier wird von der Klägerin ein bestimmtes Verhalten gefordert, nämlich der Anschluss des Rahmens des E-Bikes an einen festen Gegenstand. Hiervon soll es abhängen, ob die Klägerin den zugesagten Versicherungsschutz bei Diebstahl behält oder verliert.

Im Übrigen enthält § 13 der AVB der Beklagten ohne Zweifel eine vertragliche Obliegenheit.

Dass die Klägerin um das Bestehen dieser Obliegenheit wusste, wird hier vermutet.

Das Wissen um eine Obliegenheit (Bewusstsein) wird vermutet, wenn die verletzte vertragliche Obliegenheit mit einer „elementaren, allgemein bestehenden und bekannten“ Rechtspflicht identisch ist (z.B. dem Verbot des unerlaubten Entfernens vom Unfallort; Verbot des Nachtrunkes in der Kfz-Haftpflichtversicherung). Der Versicherungsnehmer muss dann nicht zusätzlich wissen, dass er auch vertraglich dem Versicherer gegenüber zur Beachtung dieser allgemeinen Verhaltensnorm verpflichtet ist. (vgl. Langheid/Wandt/Wandt, 3. Aufl. 2022, VVG § 28 Rn. 225).

Ohne Zweifel ist das Abschließen eines Fahrrades eine elementare, allgemein bestehende und bekannte Rechtspflicht. Zur Überzeugung des Gerichtes steht aber auch fest, dass der Klägerin die Notwendigkeit des Anschließens der Fahrräder an einem festen Gegenstand bekannt war. Zum einen hat sie im Rahmen ihrer Anhörung selbst angegeben, dass ihrem Ehemann und ihr bewusst war, dass es besser sei, die Fahrräder an einem festen Gegenstand anzuschließen. Dies sei auch bei dem Kauf der Fahrräder so gesagt worden. Insoweit hält es das Gericht für ausgeschlossen, dass die Verkäuferin nur allgemein darauf hingewiesen haben soll, es sei besser, die Fahrräder an einen festen Gegenstand anzuschließen. Vielmehr wird die Verkäuferin, welcher ausweislich des Kaufvertrages bekannt war, dass es sich nicht um Privatfahrräder der Klägerin handelte, auf die Produktinformationen der Versicherung hingewiesen haben. Die Klägerin hatte diese Produktinformationen auch erhalten. Sie weisen bereits auf der 1. Seite unten auf die Obliegenheit zum Anschluss an einen festen Gegenstand hin.

Andererseits ist das Gericht nicht davon überzeugt, dass die Klägerin auch die Obliegenheitsverletzung gewollt hat. Das Wollen der Obliegenheitsverletzung ist gegeben, wenn der Versicherungsnehmer die Obliegenheit kennt und entweder mit dem vorgestellten Kausalverlauf deren Verletzung erstrebt (dolus directus ersten Grades) oder die Verletzung als zwingende Folge seines Verhaltens erkennt (dolus directus zweiten Grades). Bedingter Vorsatz liegt vor, wenn der Versicherungsnehmer die Obliegenheit kennt oder jedenfalls für möglich hält und ihre mögliche Verletzung in Kauf nimmt.

(vgl. Langheid/Wandt/Wandt, 3. Aufl. 2022, VVG § 28 Rn. 226).

Vielmehr geht das Gericht davon aus, dass die Klägerin meinte, der Anschluss der Räder an einen festen Gegenstand sei auch unter Berücksichtigung der Regelung in den Versicherungsbedingungen nicht notwendig, wenn sich in unmittelbarer Nähe zu dem Abstellort des Wohnmobils keine Möglichkeit für einen solchen Anschluss befindet. Diese Ansicht hat die Klägerin auch im Rahmen der mündlichen Verhandlung zum Ausdruck gebracht.

Hierbei handelt es sich aber um einen Rechtsirrtum der Klägerin.

Ein (Rechts- oder Tatsachen-)Irrtum des Versicherungsnehmers kann dazu führen, dass ihm die Verhaltensnorm in ihrem Kerngehalt nicht bewusst ist, oder er irrtümlich annimmt, dass sein Verhalten keine Obliegenheitsverletzung darstellt. Es fehlt dann am Vorsatz, auch wenn der Versicherungsnehmer den Irrtum hätte vermeiden können.

(Langheid/Wandt/Wandt, 3. Aufl. 2022, VVG § 28 Rn. 228)

Die E-Bikes waren nach der Regelung in § 13 der AVB der Beklagten auch dann an einen festen Gegenstand anzuschließen, wenn sich dieser nicht in unmittelbarer Nähe zum Wohnmobil befindet. Hierfür spricht zunächst der Wortlaut der Bedingungen, der insoweit keine Ausnahme von dem Erfordernis zulässt. Zwar wertet wird auch eine Regelung zu einer Obliegenheit dann nicht mehr greifen, wenn deren Einhaltung für den Versicherungsnehmer unzumutbar ist. Dies ist aber nicht der Fall, wenn auf dem Gelände des D2 die Möglichkeit bestanden hat, die E-Bikes an einen festen Gegenstand anzuschließen.

Dass es auf dem D3 eine solche Möglichkeit gegeben hat, ergibt sich bereits aus dem eigenen Vorbringen der Klägerin. Diese hat zwar in der Klage noch vorbringen lassen, auf dem D3 habe ein fester Gegenstand zum Anschluss der beiden Fahrräder nicht zur Verfügung gestanden. Es seien weder Fahrradständer, Laternenmasten oder Pfosten vorhanden gewesen, an denen die Fahrräder hätten angebracht werden können. Nach Eingang der Klageerwiderung ließ die Klägerin aber ausführen, dass es auf dem D3 natürlich irgendwo einen Ort gegeben habe, an welchem man das Fahrrad hätte anschließen können. Soweit die Klägerin sodann ausführt, die Fahrräder hätten in einem solchen Fall nicht mehr ihrer regelmäßigen Kontrolle unterlegen, ist dies nach Auffassung des Gerichtes unerheblich. Auch an dem Standort, von welchem aus die Fahrräder entwendet wurden, unterlagen sie für einen geraumen Zeitraum nämlich nicht mehr der Kontrolle der Klägerin. Das Gericht teilt auch die Auffassung der Klägerin nicht, wonach ein Verbringen der Fahrräder über mehrere 100 m nicht zumutbar sei. Die Klägerin ist dem Vorbringen der Beklagten, wonach sich auf dem gesamten D3 kleinere Birken und andere Bäume gefunden haben, welche gut geeignet gewesen wären, die Räder anzuschließen, nicht substantiiert entgegengetreten. Auch wenn nicht bekannt ist, wann die Bilder auf der Webseite des D2 angefertigt wurden, und ob sie damit den Zustand zur Zeit der Entwendung der Räder wiedergeben, kann doch nicht angenommen werden, dass sich auf dem gesamten D3 keine Bäume gefunden haben, an denen die Räder hätten angeschlossen werden können. Unter Berücksichtigung des Wertes der E-Bikes von mehr als 5.000 EUR, der den Wert von Fahrrädern ohne Elektromotor beträchtlich übersteigt, ist auch das Zurücklegen einer Strecke von mehr als 100 Meter zumutbar, um einen Diebstahlschutz durch das Anschließen dieser E-Bikes an einem festen Gegenstand zu ermöglichen. In diesem Zusammenhang ist auch darauf hinzuweisen, dass das Faltschloss, welches von der Klägerin genutzt wurde, im Hinblick auf seine starren Teilstücke sicherlich nicht für den Anschluss an jeden Gegenstand geeignet war. Es ist aber nicht ersichtlich, warum man mit diesem Faltschloss nicht zumindest die beiden Räder hätte miteinander verbinden können. Ausweislich der vorgelegten Rechnung befand sich an dem von dem Ehemann der Klägerin genutzten Fahrrad ein Rahmenschloss, an welchem eine längere Fahrradkette angebracht werden konnte. Diese Fahrradkette verfügt über die Möglichkeit, eine Schlaufe mit einem flexiblen Durchmesser herzustellen (vgl. insoweit die Fotos des Herstellers auf der Webseite https://mobil.abus.com/at/Unterwegs/Schloesser/Rahmenschloesser/Rahmenschlosskette-ACH-6KS-100-schwarz-ohne-Tasche?close_to=220648 abgerufen am 07.09.2022), die sich aufgrund der Konstruktion für Gegenstände mit verschiedenen Durchmessern eignet. Es wäre also durchaus möglich gewesen, mit dem Faltschloss beide Fahrräder zusammenzuschließen und dann über das Rahmenschloss und die vorhandene Kette das von dem Ehemann der Klägerin genutzte Fahrrad an einen festen Gegenstand anzuschließen.

Das Gericht erachtet den nicht erfolgten Anschluss der Fahrräder an einen festen Gegenstand, zumindest in der vorgenannten Art und Weise, als grob fahrlässig.

In einem solchen Fall kann der Versicherer seine Leistung in einem zur Schwere des Verschuldens entsprechenden Verhältnis kürzen.

Hierbei sind u.a. folgende Faktoren berücksichtigungsfähig:

Die objektive Differenz zwischen dem geforderten Verhalten und dem vom Versicherungsnehmer an den Tag gelegten Verhalten. Hier hat die Klägerin nicht nur den Anschluss an einen festen Gegenstand unterlassen, vielmehr wurden die Räder nicht einmal miteinander verbunden. Weiterer Faktor für die Bemessung ist die objektive Vermeidbarkeit des Fehlverhaltens. Wie oben dargestellt war das Fehlverhalten objektiv vermeidbar. Auch die mögliche Schadensträchtigkeit des konkret an den Tag gelegten Verhaltens bezogen auf die Gesamthöhe des versicherten Risikos ist ein Faktor, der bei der Bemessung berücksichtigt findet. Hier ist von einer hohen Schadensträchtigkeit auszugehen, weil die Entwendung eines Fahrrades, welches mittels eines qualitativ hochwertigen Schlosses an einem festen Gegenstand angeschlossen ist, einen wesentlich höheren Aufwand darstellt, als die Entwendung von Fahrrädern, die nicht mit einem solchen Gegenstand verbunden sind. Dies kommt – wie vermutlich im vorliegenden Fall – insbesondere zum Tragen, wenn die Täter die Fahrräder aufladen und abtransportieren.

Insgesamt erscheint eine Kürzung um 75 %, wie von der Beklagten vorgenommen, angemessen.

Dass ein Versicherungsfall auch ohne sein obliegenheitswidriges Verhalten eingetreten wäre, hat der Versicherungsnehmer – hier die versicherte Person – nachzuweisen (vgl. Langheid/Wandt/Wandt, 3. Aufl. 2022, VVG § 28 Rn. 293). Dieser Nachweis ist nicht geführt. Es steht nicht fest, dass die Entwendung auch durchgeführt worden wäre, wenn die E-Bikes an einem festen Gegenstand angeschlossen gewesen wären. Vielmehr ist unter Zugrundelegung der Vermutung der Polizei davon auszugehen, dass die Räder aufgeladen worden sind. Wie oben bereits ausgeführt, wäre es für die Täter wesentlich aufwendiger gewesen, die verwendeten relativ hochwertigen Schlösser zunächst aufzubrechen, um die Fahrräder aufladen zu können. Es ist nicht auszuschließen, dass sie dann insgesamt von der Entwendung abgesehen hätten.

II.

Weitere Anspruchsgrundlagen sind nicht ersichtlich.

III.

Mangels Hauptforderung hat die Klägerin auch keinen Anspruch auf Erstattung von Verzugszinsen oder außergerichtlicher Anwaltskosten.

IV.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 91a, 91 ZPO.

Soweit die Parteien den Rechtsstreit in der Hauptsache übereinstimmend für erledigt erklärt haben hätte die Klägerin aller Voraussicht nach obsiegt. Wie oben dargelegt erscheint eine Reduzierung um 75 % angemessen. Dann hatte die Klägerin allerdings einen Leistungsanspruch i.H.v. 25 % der Versicherungssumme.

Die Vollstreckbarkeitsentscheidung beruht auf §§ 708 Nr. 11, 709, 711 ZPO.

V.

Der Streitwert wird

a) für den Zeitraum bis zum auf 5.407,37 EUR und

b) für den Zeitraum hiernach auf 4.170,25 EUR.

Maßgebender Zeitpunkt für den Wert einer teilweisen – übereinstimmenden – Erledigungserklärung ist der Eingang der Erledigungserklärung bei Gericht. Für den Zeitraum danach ist streitwertbestimmend der restliche nicht erledigte Hauptsachebetrag zuzüglich der auf die Erledigungserklärung anfallenden anteiligen Kosten.

 

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