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Versicherungsunterlagen – Anforderungen an den Nachweis des Zugangs

OLG Karlsruhe – Az.: 12 U 54/12 – Urteil vom 02.10.2012

Der Rechtsstreit wird, soweit er noch wegen der Ansprüche des Klägers gegen die Beklagte betreffend die fondsgebundene Rentenversicherung mit der Versicherungsvertragsnummer 4.1 912 403.12 beim Oberlandesgericht anhängig ist, bis zur Entscheidung des  Europäischen Gerichtshofs über die Vorlage des BGH vom 28.3.2012 (Az. IV ZR 76/11) ausgesetzt.

Gründe

I.

Der Kläger macht gegen die Beklagte Ansprüche aus einem fondsgebundenen Rentenversicherungsvertrag mit der Versicherungsnummer 4.1 912 403.12 sowie aus einem fondsgebundenen Lebensversicherungsvertrag mit der Versicherungsnummer 6.0 747 964.49 geltend.

Mit Teilurteil vom 21.8.2012 wurde die Berufung des Klägers betreffend die Abweisung seiner Klage auf verzinsliche Rückzahlung der Prämien für den fondsgebundenen Lebensversicherungsvertrag zurückgewiesen, auf dessen Feststellungen zum Zustandekommen der Verträge verwiesen wird. Der Senat hat mit Verfügung vom 10.7.2012 darauf hingewiesen, dass eine Aussetzung des Rechtsstreits gemäß § 148 ZPO betreffend Ansprüche des Klägers aus dem fondsgebundenen Rentenversicherungsvertrag mit der Vertragsnummer 4.1 912 403.12 in Betracht kommt.

II.

Der Rechtsstreit war wegen der Ansprüche des Klägers aus der fondsgebundenen Rentenversicherung nach § 148 ZPO auszusetzen. Die Berufung des Klägers gegen die Abweisung seiner Ansprüche aus dem fondsgebundenen Rentenversicherungsvertrag mit der Vertragsnummer 4.1 912 403.12 hat nur Erfolg, wenn er ungeachtet der Bestimmung des § 5a Abs. 2 Satz 4 VVG a.F. noch zu einem Widerspruch berechtigt war, obwohl bereits mehr als ein Jahr seit Zahlung der ersten Prämie verstrichen ist. Die Frage, ob § 5a Abs. 2 Satz 4 VVG a.F. mit Art. 15 Abs. 1 Satz 1 der Richtlinie 90/619/EWG i.V.m. Art. 31 Abs. 1 der Richtlinie 92/96/EWG vereinbar ist, bildet den Gegenstand einer Vorlageentscheidung des BGH vom 28.3.2012 zum Europäischen Gerichtshof (Az.: IV ZR 76/11), der für die Entscheidung des vorliegenden Rechtsstreits vorgreiflich ist, so dass im Hinblick darauf die Aussetzungsvoraussetzungen gegeben sind.

1. Bei dem abgeschlossenen fondsgebundenen Rentenversicherungsvertrag handelt es sich um einen Altvertrag gemäß Art. 1 Abs. 1 EGVVG, auf den für die Frage der Wirksamkeit des Vertragsschlusses das Versicherungsvertragsgesetz in der bis zum 31.12.2007 geltenden Fassung anzuwenden ist (Prölss/Martin, VVG, 28. Aufl., 2010, Art. 1 EGVVG, Rdnr. 9, 11).

2. Der Versicherungsvertrag über die fondsgebundene Rentenversicherung kam vorliegend nach dem Policenmodell gemäß § 5a Abs. 1 VVG a.F. (in der am 29.7.1994 in Kraft getretenen Gesetzesfassung) zustande.

Gemäß § 5a VVG gilt für Fall, dass der Versicherer dem Versicherungsnehmer bei Antragstellung die Versicherungsbedingungen nicht übergeben oder eine Verbraucherinformation nach § 10a VAG unterlassen hat, der Vertrag auf der Grundlage des Versicherungsscheins, der Versicherungsbedingungen und der weiteren für den Vertragsinhalt maßgeblichen Verbraucherinformationen als geschlossen, wenn der Versicherungsnehmer nicht innerhalb von 14 Tagen nach der Überlassung der Unterlagen schriftlich widerspricht. Mit Antragsstellung kam damit zunächst ein schwebend unwirksamer Vertrag zustande, dessen rückwirkende Geltung unter Einbeziehung der Allgemeinen Versicherungsbedingungen, auf die im Versicherungsschein Bezug genommen wird, vom Ablauf der Widerspruchsfrist abhing (OLG Frankfurt VersR 2005, 631; Prölss/Martin, VVG, 27. Aufl., 2004, § 5a Rdnr. 9).

3. Die 14-tägige Widerspruchsfrist des § 5a Abs. 1 Satz 1 VVG a.F. wurde dem Kläger gegenüber nicht in Lauf gesetzt. Der Beklagten ist der Nachweis nicht gelungen, dass sie dem Kläger die für den Beginn der Widerspruchsfrist erforderlichen Unterlagen, insbesondere den Versicherungsschein und das die Widerspruchsbelehrung nach § 5a Abs. 2 VVG a.F. beinhaltende Begleitschreiben vom 17.10.2007 überlassen hat. Auf die Frage einer ordnungsgemäßen Belehrung über das Widerspruchsrecht, insbesondere deren drucktechnisch eindeutigen Gestaltung kam es nicht mehr an.

a. Der Lauf der Frist beginnt gemäß § 5a Abs. 2 Satz 1 VVG a.F. erst, wenn dem Versicherungsnehmer die erforderlichen Unterlagen vollständig vorliegen und der Versicherungsnehmer bei Aushändigung des Versicherungsscheins schriftlich, in drucktechnisch deutlicher Form über das Widerspruchsrecht, den Fristbeginn und die Dauer belehrt worden ist. Dem Versicherer obliegt nach § 5a Abs. 2 Satz 2 VVG a.F. der Nachweis des Zugangs der den Fristlauf auslösenden Unterlagen.

b. Der Kläger hat den Zugang der von der Beklagten lediglich als Reproduktionen vorgelegten Unterlagen zulässig mit Nichtwissen bestritten. Zwar ist der Zugang der Versicherungsunterlagen Gegenstand der eigenen Wahrnehmung der Partei, so dass nach § 138 Abs. 4 ZPO eine Erklärung mit Nichtwissen grundsätzlich ausgeschlossen ist. Vermag sich die Partei jedoch, wie vorliegend, an einen lange zurückliegenden Alltagsvorgang nach der Lebenserfahrung glaubhaft nicht mehr zu erinnern, ist es zulässig, dass sie diesen gemäß § 138 Abs. 4 ZPO mit Nichtwissen bestreitet (Zöller/Greger, ZPO, 29. Aufl., 2012, § 138 Rdnr. 14). Der Kläger hat bei seiner Anhörung vor dem Senat glaubhaft angegeben, sich an den Zugang der Unterlagen nicht erinnern zu können und dass die Versicherungsunterlagen auch in dem zu ihrer Aufbewahrung verwendeten Ordner nicht auffindbar gewesen seien.

c. Der danach der Beklagten obliegende Nachweis des Zugangs konnte von ihr nicht geführt werden. Grundsätzlich kann der Versicherer den Zugangsnachweis auch im Wege eines Indizienbeweise führen, wenn sich aus der Gesamtschau der Indizien, insbesondere der nachgewiesenen Ablauforganisation beim Versenden der Versicherungsunterlagen, dem Fehlen von Beanstandungen bei den übrigen Versendungen am selben Tag, sowie vagen und unplausiblen Angaben des Versicherungsnehmers die Überzeugung des Gerichts ergibt, dass die Unterlagen dem Versicherungsnehmer zugegangen sein müssen (OLG Karlsruhe VersR 2006, 1625).

d. Zu ihrer Versandorganisation hat die Beklagte nicht vorgetragen. Auf eine tatsächliche Vermutung hinsichtlich des Erhalts der Unterlagen kann sich die Beklagte ebenfalls nicht berufen, da schon nicht erwiesen ist, dass der Kläger den Versicherungsschein, mit dem die Beklagte üblicherweise die Verbraucherinformationen und die Belehrung über das Widerspruchsrecht verbindet, erhalten hat (Prölss/Martin, VVG, 27. Aufl., 2004, § 5a VVG Rdnr. 54b). Vielmehr ergibt sich aus der von der Beklagten selbst vorgelegten Anlage B6, dass der Kläger bei Kündigung des Versicherungsvertrages den Originalversicherungsschein zur Wunschpolice mit der Vertragsnummer 4.1 912 403.12 mangels Erhalt nicht zurückgegeben hat. Die Beklagte hat dazu nicht weiter vorgetragen. Der Kläger selbst konnte bei seiner Anhörung vor dem Senat keine Angaben dazu machen, ob ihm der Versicherungsschein und das Policenbegleitschreiben zugegangen sind. Er hat lediglich angegeben, dass bei Kündigung des Vertrages der Versicherungsschein nicht mehr auffindbar gewesen sei.

e. Mangels nachgewiesen Zugangs der für den Fristlauf relevanten Unterlagen kam es auf die Frage einer ordnungsgemäßen Belehrung des Klägers über sein Widerspruchsrecht nach § 5a Abs. 2 Satz 1 VVG a.F. nicht mehr an.

4. Gelingt dem Versicherer der Beweis des Zugangs nicht, bestimmt § 5a Abs. 2 Satz 4 VVG a.F., dass das Widerspruchsrecht spätestens ein Jahr nach Zahlung der ersten Prämie erlischt. Das hat zur Folge, dass der zunächst schwebend unwirksame Vertrag mit Wegfall des Widerspruchsrechts rückwirkend auf den Zeitpunkt der Vertragsannahme durch den Versicherer Wirksamkeit erlangt. Nachdem der Kläger bereits ab dem 1.12.2007 regelmäßig Prämien auf den Versicherungsvertrag zahlte, war nach § 5a Abs. 2 Satz 4 VVG a.F. sein Recht zum Widerspruch bereits erloschen, als er mit Anwaltsschriftsatz vom 18.2.2011 den Widerspruch erklärte.

5. Da die Klage, wie bereits im Teilurteil vom 21.8.2012 ausgeführt, unter anderen rechtlichen Gesichtspunkten, insbesondere einer Anfechtung nach §§ 142, 119, 123 BGB oder nach §§ 280 Abs. 1, 311 Abs. 2 BGB keinen Erfolg hat, hängt die Entscheidung des Rechtsstreits davon ab, ob § 5 Abs. 2 Satz 4 VVG a.F. mit europäischem Gemeinschaftsrecht vereinbar ist.

6. Die Frage, ob Art. 15 Abs. 1 Satz 1 der Richtlinie 90/619/EWG i.V.m. Art. 31 Abs. 1 der Richtlinie 92/96/EWG  einer das Widerspruchsrecht einschränkenden Regelung wie in § 5a Abs. 2 Satz 4 VVG a.F. vorgesehen entgegensteht, ist Gegenstand einer Vorlageentscheidung des BGH vom 28.3.2012 zum Europäischen Gerichtshof (Az.: IV ZR 76/11). Sollte danach die zeitliche Beschränkung des Widerspruchsrechts in § 5a Abs. 2 Satz 4 VVG a.F. nicht mit Art. 15 Abs. 1 der Richtlinie 90/619/EWG und Art. 31 Abs. 1 der Richtlinie 92/96/EWG vereinbar sein, hätte dem Kläger noch im Februar 2011 die Möglichkeit offen gestanden, dem Zustandekommen des Versicherungsvertrages zu widersprechen. Infolgedessen wäre kein Rechtsgrund für die Leistung der Prämien gegeben und der mit der Klage geltend gemachte Rückzahlungsanspruch nach § 812 Abs. 1 Satz 1, 1. Alt. BGB gegeben. Dieser Vorlage-Entscheidung kommt damit im Hinblick auf die Erfolgsaussichten des Berufungsverfahrens Vorgreiflichkeit zu, so dass die Rechtssache nach § 148 ZPO bis zur Entscheidung des EuGH in dieser Sache auszusetzen war.

7. Auch im Übrigen kommt es entscheidungserheblich auf die Vorlagefrage an.

a. Entgegen der Rechtsansicht der Beklagten konnte der Kläger dem bereits gekündigten Vertrag nachträglich widersprechen, da die Kündigung lediglich die Rechtswirkungen des Vertrages für die Zukunft beenden, nicht jedoch, wie die Ausübung des Widerspruchsrechts nach § 5a VVG a.F., die Rechtswirkungen des Vertrages auch für die Vergangenheit beseitigen kann.

b. Ein Bereicherungsanspruch des Beklagten nach § 812 Abs. 1 Satz 1, 1. Fall BGB ist auch noch nicht verjährt und damit noch durchsetzbar, § 214 BGB.

Der Bereicherungsanspruch des Klägers unterliegt gemäß § 195 BGB einer dreijährigen Verjährungsfrist, wobei für den Fristbeginn nach § 199 Abs. 1 BGB auf die Kenntnis aller anspruchsbegründenden Tatsachen abzustellen ist. Entgegen der Rechtsansicht der Beklagten kann für den Beginn der Verjährungsfrist nicht auf den Eingang der jeweiligen Prämienzahlungen abgestellt werden. Zwar ist es zutreffend, dass die erforderliche Kenntnis des Gläubigers keine zutreffende rechtliche Würdigung voraussetzt (BGH VersR 2008, 1121). Erforderlich aber auch ausreichend ist vielmehr Kenntnis der den Ersatzanspruch begründenden tatsächlichen Umstände. Dazu gehört bei einem Bereicherungsanspruch jedoch auch die Kenntnis der Umstände, aus denen sich das Fehlen des Rechtsgrundes ergibt (Palandt/Ellenberger, BGB, 71. Aufl., 2012, § 199 Rdnr. 27). Eine Kenntnis des Klägers vor Ausübung des Kündigungsrechts mit Schreiben vom 1.12.2010 bzw. vor Konsultation seines Prozessbevollmächtigten, die am 17.1.2011 erfolgte, ist von der Beklagten nicht vorgetragen und auch nicht ersichtlich. Damit ist Verjährung jedoch nicht eingetreten, nachdem der Kläger seine Ansprüche mit Zustellung der Klageschrift am 15.11.2011 und damit noch rechtzeitig rechtshängig gemacht hat.

c. Auch eine Verwirkung kommt nicht in Betracht, § 242 BGB.

Soweit die Beklagte eine Verwirkung deshalb annehmen will, weil der Kläger einem durch die Prämienzahlungen konkludent genehmigten Vertrag nachträglich widersprochen hat, kann schon die Prämienzahlung durch den Kläger nicht als konkludente Genehmigung des schwebend unwirksamen Vertrages betrachtet werden, da der Kläger zu diesem Zeitpunkt keine Kenntnis davon hatte, dass der Versicherungsvertrag nicht wirksam geworden ist. Eine Zustimmung durch konkludentes Verhalten setzt aber voraus, dass der Zustimmungsberechtigte von der Zustimmungsbedürftigkeit des Rechtsgeschäfts wusste oder zumindest mit ihr gerechnet hat (Palandt/Ellenberger, BGB, 71. Aufl., 2012, § 182 Rdnr. 3). Der beanstandungslosen mehrjährige Prämienzahlung liegt damit weder eine Genehmigungswirkung noch das für die Verwirkung erforderliche Umstandsmoment zugrunde. Sonstige Umstände, die aus Sicht der Beklagten ein berechtigtes Vertrauen darauf hätten begründen können, der Kläger halte trotz der schwebenden Unwirksamkeit an dem Vertrag fest, hat die Beklagte nicht vorgetragen und folgen auch nicht aus der widerspruchslosen Hinnahme der Übersendung einer Wertentwicklung.

 

 

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