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Versicherungsfall und Versicherungsleistung bei Zerkratzen Autos

OLG Hamm – Az.: I-20 U 42/20 – Beschluss vom 27.04.2020

Der Senat beabsichtigt, die Berufung der Beklagten gemäß § 522 Abs. 2 S. 1 ZPO zurückzuweisen.

Es wird Gelegenheit gegeben, binnen drei Wochen Stellung zu nehmen.

Gründe

I.

Der Senat ist einstimmig davon überzeugt, dass die Berufung offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat, die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung hat, weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung auf Grund mündlicher Verhandlung erfordern und eine mündliche Verhandlung auch sonst nicht geboten ist.

Das Landgericht hat der Klage zu Recht in Höhe von 13.052,85 EUR nebst Zinsen stattgegeben. Die Berufungsangriffe der Beklagten aus der Berufungsbegründung vom 06.04.2020 (Bl. 26 ff. der elektronischen Gerichts zweiter Instanz) greifen nicht durch.

1.

Es ist ein bedingungsgemäßer Versicherungsfall eingetreten.

a)

Aufgrund des zwischen den Parteien bestehenden Versicherungsvertrages, der unstreitig eine Vollkaskoversicherung umfasst, besteht gemäß A.2.2.2.2 AKB Versicherungsschutz bei Schäden am Fahrzeug durch einen Unfall.

Zutreffend hat das Landgericht angenommen, dass ein solcher Unfallschaden – und nicht etwa nur eine mut- oder böswillige Handlung im Sinne von A.2.2.2.3 AKB – auch geltend gemacht wird, wenn der Versicherungsnehmer eine Zerkratzung des Fahrzeuglacks durch einen Dritten behauptet (BGH, Urteil vom 25.06.1997 – IV ZR 245/96, VersR 1997, 1095, juris Rn. 10; OLG Karlsruhe, Urteil vom 24.06.2015 – 12 U 421/14, r+s 2015, 599). Denn gemäß A.2.2.2.2 liegt ein Unfall vor bei einem unmittelbar von außen plötzlich mit mechanischer Gewalt auf das Fahrzeug einwirkenden Ereignis, wozu auch äußere Einwirkungen auf den Lack des Fahrzeugs gehören.

Der Argumentation in der Berufungsbegründung, es fehle an dem Merkmal der „Plötzlichkeit“, wenn der Täter das Fahrzeug nicht nur flüchtig zerkratzt, sondern über einen gewissen Zeitraum eine Vielzahl von Kratzern herbeiführt, vermag der Senat nicht zu folgen. Das Tatbestandsmerkmal der „Plötzlichkeit“ kann nicht in dem Sinne ausgelegt werden, dass es sich um ein besonders schnell ablaufendes Ereignis handeln muss (vgl. Senat, Urteil vom 26.06.1992 – 20 U 383/91, VersR 1992, 1506 für allmählich in ein Fahrzeug eindringendes Wasser; siehe auch schon BGH, Urteil vom 06.02.1954 – II ZR 65/53, NJW 1954, 596 unter 2.d und entsprechend zum Unfallbegriff in den AUB BGH, Urteil vom 16.10.2013 – IV ZR 390/12, VersR 2014, 59, juris Rn. 38 m.w.N.). Das Zerkratzen des Fahrzeuglacks durch einen Dritten tritt deshalb auch dann „plötzlich“ im Sinne von A.2.2.2.2 AKB ein, wenn sich das objektive Geschehen über einige Minuten erstreckt haben mag.

b)

Es bestehen keine Zweifel im Sinne von § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO an der Richtigkeit und Vollständigkeit der vom Landgericht festgestellten Tatsachen und an der darauf vom Landgericht gestützten Bewertung, die Klägerin habe den Eintritt eines bedingungsgemäßen Versicherungsfalls bewiesen. Vielmehr ist auch der Senat davon überzeugt, dass die Klägerin durch die Aussage der Zeugin D den ihr obliegenden (vgl. BGH, Urteil vom 05.02.1981 – IVa ZR 58/80, VersR 1981, 450) Nachweis erbracht hat, dass das Fahrzeug am 11.08.2018 in unbeschädigtem Zustand abgestellt und bei der Rückkehr zum Fahrzeug erstmals mit den Lackschäden aufgefunden wurde.

c)

Auf die in der Berufungsbegründung angestellten Erwägungen dazu, ob es sich um eine „böswillige“ Beschädigung im Sinne der AKB handelte, kommt es angesichts des Vorstehenden nicht an, da wie dargelegt ein bedingungsgemäßer Unfall eingetreten ist.

2.

Versicherungsfall und Versicherungsleistung bei Zerkratzen eines Fahrzeugs
(Symbolfoto: Von PixieMe/Shutterstock.com)

Die Beklagte hat nicht den Nachweis erbracht, dass der Versicherungsfall von der Klägerin – oder ihr zurechenbar von einem Dritten – vorsätzlich im Sinne von § 81 Abs. 1 VVG herbeigeführt wurde.

a)

Die Unfreiwilligkeit gehört nicht zum Begriff des Unfalls in der Kaskoversicherung; vielmehr hat der Versicherer den entsprechenden Vorsatz des Versicherungsnehmers als Voraussetzung einer Leistungsfreiheit gemäß § 81 VVG darzulegen und zu beweisen (BGH, Urteil vom 05.02.1981 – IVa ZR 58/80, VersR 1981, 450; OLG Naumburg, Urteil vom 07.02.2013 – 4 U 16/12, r+s 2014, 8, juris Rn. 33 f.). Auch davon ist das Landgericht zutreffend ausgegangen.

b)

Es steht nicht fest, dass der Geschäftsführer der Klägerin oder auf seine Veranlassung hin ein Dritter den Schaden vorsätzlich herbeigeführt hat.

In der Berufungsbegründung trägt die Beklagte zum Einen vor, das Schadenbild sei atypisch für eine mutwillige Beschädigung durch einen Dritten. Es sei unstimmig, dass ein Täter eine Beschädigung herbeiführe, die optisch kaum wahrnehmbar sei, wenn es ihm doch gerade darauf ankomme, einen Dritten zu schädigen. Vielmehr sei es gerade ein Indiz für ein planmäßiges Vorgehen des Eigentümers selbst, wenn ein Schaden vorliege, dessen Herbeiführung einerseits nur einen geringen Aufwand erfordere und der die Gebrauchstauglichkeit des Fahrzeugs praktisch nicht beeinträchtige, andererseits aber zu einer sehr hohen Entschädigungsleistung führe.

Zum anderen verweist die Beklagte auf Unstimmigkeiten bezüglich der Angabe des Geschäftsführers der Klägerin, wonach das Fahrzeug von Anfang an zum Weiterverkauf bestimmt gewesen sei.

Der Senat ist ebenso wie das Landgericht der Überzeugung, dass diese Umstände jedoch weder für sich genommen noch in einer Gesamtschau dazu führen, dass im Sinne von § 286 ZPO mit einer persönlichen Gewissheit, die vernünftigen Zweifeln Schweigen gebietet, eine vorsätzliche Herbeiführung durch die Klägerin selbst feststünde. Ob dies mehr oder weniger wahrscheinlich ist, kann dahinstehen, weil jedenfalls der Nachweis seitens der Beklagten nicht geführt ist.

3.

Die Beklagte ist schließlich auch nicht wegen einer Obliegenheitsverletzung der Klägerin gemäß E.2.1 AKB in Verbindung mit § 28 Abs. 2 VVG leistungsfrei.

a)

Das gilt zum Einen bezüglich der mit Anwaltsschreiben vom 09.01.2019 erteilten Auskunft, das Fahrzeug solle nicht verkauft werden (Bl. 131 der elektronischen Gerichtsakte erster Instanz, im Folgenden: eGA-I).

aa)

Zwar war die Klägerin gemäß E.1.1.3 AKB verpflichtet, die Fragen der Beklagten zu den Umständen des Schadensereignisses, zum Umfang des Schadens und zu der Leistungspflicht der Beklagten wahrheitsgemäß und vollständig zu beantworten. Das umfasst auch die Verpflichtung zur wahrheitsgemäßen Beantwortung der Frage nach einer vor dem Versicherungsfall bestehenden Verkaufsabsicht, weil auch dies ein für die Prüfung der Leistungspflicht bedeutsamer Umstand sein kann.

bb)

Es steht aber schon nach dem Vortrag der Beklagten nicht fest, ob der Geschäftsführer der Klägerin selbst die Auskunftsobliegenheit verletzt hat oder ob dies auf ein Verhalten des früheren Rechtsbeistandes der Klägerin zurückgeht und ob letzterenfalls die Voraussetzungen für eine Zurechnung dieses Verhaltens vorliegen (vgl. zur Frage der Repräsentantenstellung eines Rechtsanwaltes BGH, Urteil vom 14.08.2019 – IV ZR 279/17, BGHZ 223, 57; Prölss/Martin-Armbrüster, VVG, 30. Aufl. 2018, § 28 Rn. 119, zur Frage des Rechtsanwalts als Wissenserklärungsvertreter Prölss/Martin-Armbrüster, a.a.O., Rn. 163). Die Klägerin ist einer sie insoweit womöglich treffenden sekundären Darlegungslast nachgekommen, indem sie vorgetragen hat, die Gründe für die unvollständige Beantwortung der Frage ließen sich im Nachhinein nicht mehr aufklären, es werde sich um ein Missverständnis gehandelt haben (SS vom 18.09.2019, eGA-I 136 f.).

cc)

Im Übrigen lässt sich jedenfalls eine arglistige Obliegenheitsverletzung nicht feststellen. Daher gilt: Leistungsfreiheit scheidet auch deshalb aus, weil die Antwort („Das Fahrzeug soll nicht verkauft werden“) erkennbar nicht zu der gestellten Frage („Hatten Sie vor, das Fahrzeug vor Eintritt des Schadensereignisses vom 11.08.2018 zu verkaufen?“) passte. Angesichts der offenkundig unvollständigen und unpassenden Antwort traf die Beklagte eine Nachfrageobliegenheit (vgl. dazu z.B. Senat, Urteil vom 06.10.2004 – 20 U 61/04, VersR 2005, 1234, juris Rn. 23).

b)

Zum Anderen führt auch die Freilassung des Fragefeldes für „Augenzeugen“ und „weitere Zeugen“ in der schriftlichen Schadensanzeige (eGA-I 100 ff.) nicht zu einer Leistungsfreiheit der Beklagten.

aa)

Es kann dahinstehen, ob in objektiver Hinsicht eine Verletzung der Auskunftsobliegenheit deshalb vorliegt, weil die Frage – wie die Beklagte in der Berufungsbegründung meint – sich erkennbar auch auf Zeugen bezieht, die zwar nicht Augenzeugen des eigentlichen Unfalls (Zerkratzen) sind, sondern nur das unbeschädigte Abstellen und beschädigte Wiederauffinden des Fahrzeugs bestätigen können.

Denn jedenfalls trifft die Klägerin allenfalls der Vorwurf einfacher Fahrlässigkeit.

Ein vorsätzliches Verhalten liegt eher fern, weil es für die Klägerin nur günstig war, den Eintritt des Versicherungsfalls auch gegenüber der Beklagten durch Zeugen nachweisen zu können. Die Beklagte kann Vorsatz nicht beweisen.

Aber auch der Vorwurf grober Fahrlässigkeit scheidet aus. Denn auch wenn man annimmt, dass die Frage sich ihrem objektiven Sinngehalt nach auf jegliche Zeugen bezieht, die Angaben zu dem Versicherungsfall machen konnten, begünstigt doch die Verwendung des Begriffs „Augenzeuge“ gerade in der vorliegenden Situation ein Missverständnis des Versicherungsnehmers. Der Gedanke, dass ein Zeuge, der den eigentlichen Unfall – nämlich das Zerkratzen des Lacks – nicht beobachtet hat, kein „Augenzeuge“ in diesem Sinne ist, liegt nicht fern. Davon, dass das von der Beklagten unterstellte Verständnis der Frage jedem Versicherungsnehmer sofort und unmittelbar einleuchten müsste und ein Missverständnis einen in objektiver wie subjektiver Sicht besonders schweren Sorgfaltsverstoß darstellen würde, kann aus Sicht des Senats vor diesem Hintergrund keine Rede sein.

bb)

Auf die in der Berufungsbegründung angesprochene Frage, ob die Klägerin im Falle einer grob fahrlässigen Obliegenheitsverletzung den Kausalitätsgegenbeweis im Sinne von § 28 Abs. 3 VVG führen könnte, kommt es angesichts dessen nicht an.

II.

Auf die Gebührenermäßigung für den Fall der Berufungsrücknahme (KV Nr. 1222 GKG) wird hingewiesen.

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