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Versicherungsfall Sturm – Darlegungslast des Versicherungsnehmers –  Windstärke 8 Bft.

Oberlandesgericht Saarbrücken – Az.: 5 U 61/19 – Urteil vom 09.10.2020

I. Die Berufung der Klägerin gegen das am 4. Juni 2019 verkündete Urteil des Landgerichts Saarbrücken – 14 O 31/19 – wird zurückgewiesen.

II. Die Kosten des Berufungsverfahrens fallen der Klägerin zur Last.

III. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

V. Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 6.563,- Euro festgesetzt.

Gründe

I.

Versicherungsfall Sturm – Darlegungslast des Versicherungsnehmers -  Windstärke 8 Bft.
(Symbolfoto: Von stockphoto-graf/Shutterstock.com)

Mit ihrer am 11. März 2019 zum Landgericht Saarbrücken erhobenen Klage hat die Klägerin die Beklagte aus einer Wohngebäudeversicherung auf Entschädigung eines Sturmschadens in Anspruch genommen. Sie unterhielt bei der Beklagten unter der Versicherungsschein-Nummer … … … (BI. 96 ff. GA) einen Gebäudeversicherungsvertrag auf der Grundlage der Allgemeinen Wohngebäude-Versicherungsbedingungen (VGB 2012, Anlagenband Klägerin) für das Anwesen … pp.; Bestandteil des Vertrages war u.a. eine Sturm- und Hagelversicherung nach Maßgabe von A. § 4 VGB 2012. Die Klägerin meldete der Beklagten einen Sturmschaden an ihrem Hausdach an, wobei sie zuletzt (Bl. 2, 34 GA) angab, dass sich am 29. Oktober 2017 die Verkleidung an drei Kaminen abgelöst habe. Am 26. November 2017 erstellte der Meisterbetrieb H. GmbH für die Klägerin einen Kostenvoranschlag für ein „Bauvorhaben: Sturmschaden“ über auszuführende Dachdecker- und Klempner-Arbeiten in Höhe von 4.185,56 Euro netto = 4.980,82 Euro brutto (BI. 4 f. GA). Der von der Beklagten mit der Erstattung eines Schadensgutachtens beauftragte Sachverständige Dachdeckermeister J. B. führte am 7. März 2018 einen Ortstermin durch. In seinem Schadensgutachten vom 8. März 2018 führte er aus, dass die Kaminplatten auf der Unterkonstruktion keinen Halt hätten, weil diese aus stark angefaulten Spanplatten bestehe, dass dieser Zustand definitiv schon länger vorhanden sei und daher kein Sturmschaden eingetreten sei (Anlage B1 = Bl. 14 ff. GA). Die Klägerin beauftragte daraufhin einen Herrn M., der unter der Firma „Consulting M.“ nach eigener Darstellung „Architektur-, Immobilien und Sachverständigengutachten nach § 194 BGB“ erstattet, und der in einem Schreiben an die Klägerin vom 16. Mai 2018 (Bl. 7 GA) u.a. mitteilte, dass bei einer Besichtigung am 14. Mai 2018 „nicht wie durch vorheriger Feststellungen der Kaminkopf mit Holz verkleidet“ sei, „sondern wie es fachlich richtig ausgeführt mit einer Unterkonstruktion aus Dachlatten und einer Konterlattung zur Verankerung der Schindeln seitlich“. Wie es zur vorherigen Feststellung gekommen sei, entziehe sich seiner Kenntnis; festzuhalten verbleibe, „dass der Kamin außen die Schilden beschädigt und teilweise nicht mehr vorhanden.“ Für die Gutachtenerstellung erteilte er der Klägerin „vereinbarungsgemäß“ Rechnung vom 25. August 2018 über 1.330,- Euro netto = 1.582,70 Euro brutto (Bl. 3 GA). In einer ergänzenden Stellungnahme vom 18. Juni 2018 (BI. 22 GA) hielt der Sachverständige J. B. auch mit Blick auf diese Ausführungen an seinen früheren Feststellungen fest.

Zur Begründung ihrer auf Ersatz der in dem Kostenvoranschlag ausgewiesenen Reparaturkosten in Höhe von 4.980,82 Euro sowie „Gutachterkosten“ in Höhe von 1.582,70 Euro gerichteten Klage hat die Klägerin behauptet, aufgrund des Sturms habe sich die Verkleidung an 3 Kaminen des versicherten Gebäudes abgelöst; die Reparaturkosten beliefen sich wie in dem Kostenvoranschlag ausgewiesen auf 4.980,82 Euro (brutto). Die Beklagte ist dem entgegengetreten; unter Hinweis auf die Feststellungen des Sachverständigen J. B., wonach die Platten auf der maroden Unterkonstruktion schon länger keinen Halt mehr gehabt hätten, hat sie die Ursächlichkeit eines Sturmes für den Schaden in Abrede gestellt und behauptet, dass, selbst wenn eher zufällig anlässlich eines Sturmes mit bedingungsgemäßer Windstärke sich diese Verkleidungen gelöst hätten, dasselbe Ergebnis auch bei deutlich geringerer Windstärke eingetreten wäre.

Das Landgericht hat die Klage nach einem Hinweis auf die aus seiner Sicht fehlende Darlegung eines Sturmschadens mit dem angefochtenen Urteil abgewiesen. Die Klage sei unschlüssig, weil zu keinem Tatbestandsmerkmal der in A § 4 VGB 2012 enthaltenen Definition des Sturms irgendein Vortrag erfolgt sei und daher das Vorliegen eines Versicherungsfalles nicht geprüft werden könne. Ohnehin schulde die Beklagte mangels gesicherter Wiederherstellung weder Erstattung des Neuwertes noch die Umsatzsteuer. Auch für einen Ersatz der Rechnung des Herrn M. bestehe keine Rechtsgrundlage.

Mit ihrer gegen dieses Urteil eingelegten Berufung verfolgt die Klägerin ihr früheres Begehren uneingeschränkt weiter. Sie behauptet nunmehr, am 29. Oktober 2017 habe in Burbach ein Sturmtief mit heftigen Sturmböen geherrscht, die Windstärke 8 erreicht hätten; als sie den Schaden am Folgetag bemerkt habe, habe sie diesen umgehend ihrem Makler, der „C. A.-Service GmbH“, gemeldet, die dies an die Beklagte weitergeleitet habe. Als weiterer Schaden seien vorgerichtliche Anwaltskosten gemäß Kostennote ihres Prozessbevollmächtigten vom 26. Februar 2019 in Höhe von 650,34 Euro angefallen, die ebenfalls geltend gemacht würden.

Die Klägerin beantragt (wörtlich, Bl. 61 GA), unter Aufhebung des Urteils des Landgerichts die Klägerin zu verurteilen. An die Klägerin 6.563,- Euro nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit sowie 650,34 Euro nebst gesetzlicher Zinsen seit Klageerweiterung als vorgerichtliche Anwaltskosten zu zahlen.

Die Beklagte beantragt (Bl. 68 GA), die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigt das angefochtene Urteil. Dem weitergehenden Vortrag der Klägerin zum behaupteten Sturmereignis, zu dessen Entdeckung und unverzüglicher Meldung durch die Klägerin tritt sie entgegen (Bl. 69 GA).

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen und auf die Sitzungsniederschriften des Landgerichts vom 30. April 2019 (Bl. 31 f. GA) sowie des Senats vom 18. September 2020 (Bl. 194 ff. GA) verwiesen. Der Senat hat Beweis erhoben durch Einholung einer amtlichen Auskunft des Deutschen Wetterdienstes und eines Sachverständigengutachtens. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf die amtliche Auskunft des Deutschen Wetterdienstes vom 7. Februar 2020 (Bl. 115 ff. GA) und auf das Gutachten des Sachverständigen L. vom 25. April 2020 (Bl. 144 ff. GA) Bezug genommen.

II.

Die gemäß §§ 511, 513, 517, 519 und 520 ZPO zulässige Berufung der Klägerin hat in der Sache keinen Erfolg. Die angefochtene Entscheidung beruht weder auf einer Rechtsverletzung im Sinne des § 546 ZPO, noch rechtfertigen die nach § 529 ZPO zugrunde zu legenden Tatsachen eine andere, dem Kläger günstigere Entscheidung (§ 513 ZPO). Die Klägerin hat zwar – auch schon erstinstanzlich – einen bedingungsgemäßen Sturmschaden ausreichend dargelegt; sie hat jedoch mit der im Berufungsrechtszug durchgeführten Beweisaufnahme die vertraglichen Voraussetzungen der Eintrittspflicht der Beklagten nicht beweisen können und daher gegen die Beklagte weder einen Anspruch auf Ersatz der von ihr geltend gemachten Schadensbeseitigungskosten, noch auf Erstattung vorgerichtlicher Gutachter- und Rechtsverfolgungskosten.

1.

Entgegen der Ansicht des Landgerichts hatte die Klägerin allerdings im ersten Rechtszug ausreichend zu den vertraglichen Voraussetzungen der Eintrittspflicht der Beklagten aus der Gebäudeversicherung vorgetragen. Hierzu genügt im Rahmen der Sturm- und Hagelversicherung die Darlegung, dass versicherte Sachen zu einem konkreten Zeitpunkt nach einer der in den Versicherungsbedingungen (vgl. A § 4 Nr. 1 Buchstabe a) bis e) VGB 2012) genannten Alternativen durch Sturm (Windstärke 8 Bft.) zerstört oder beschädigt wurden. Bereits in der Klageschrift hatte die Klägerin dies behauptet, indem sie unter erkennbarer Bezugnahme auf den Versicherungsvertrag und die dortigen Anspruchsvoraussetzungen angab, aufgrund des vermeintlichen Sturmereignisses habe sich die Verkleidung an drei Kaminen des versicherten Gebäudes abgelöst und zu Schäden im Umfang der durch den Kostenvoranschlag ausgewiesenen Maßnahmen mit voraussichtlichen Reparaturkosten von 4.980,82 Euro (brutto) geführt. Auf den Hinweis des Erstrichters, dass die Klage unschlüssig sei, hat sie außerdem mit dem antragsgemäß nachgelassenen Schriftsatz vom 21. Mai 2019 die dem Vertrag zugrunde liegenden Versicherungsbedingungen vorgelegt, aus denen die Voraussetzungen des geltend gemachten Anspruchs im Einzelnen ersichtlich sind, und das Schadensdatum auf den 29. Oktober 2017 korrigiert (Bl. 34 GA nebst Anlagen). Soweit das Landgericht die Klage daraufhin mit der Begründung abgewiesen hat, die Voraussetzungen des Versicherungsfalles seien nicht schlüssig dargelegt, überspannte dies die Anforderungen an den Sachvortrag des Versicherungsnehmers. Insbesondere waren hierzu nämlich keine weitergehenden Darlegungen zu den einzelnen – im angefochtenen Urteil so bezeichneten – „Tatbestandsmerkmalen“ gemäß A § 4 Nr. 2 VGB 2012 notwendig, bei deren Vorliegen Windstärke 8 unterstellt wird. Denn diese Bestimmung beinhaltet keine zusätzlichen Voraussetzungen der vertraglichen Eintrittspflicht des Versicherers, auf die es für die Darlegung eines Versicherungsfalles zwingend ankäme, sondern Beweiserleichterungen für den Fall, dass der Versicherungsnehmer – wie regelmäßig – den Nachweis wetterbedingter Luftbewegungen in bedingungsgemäß geforderter Stärke am Versicherungsort nicht führen kann (Armbrüster, in: Prölss/Martin, VVG 30. Aufl. A § 4 VGB Rn. 1). Fehlender Vortrag dazu entbindet das Gericht deshalb nicht von der Pflicht, der – von der Beklagten hier zulässigerweise in Abrede gestellten – Behauptung der Klägerin, es habe am Schadenstag an der Schadensstelle ein bedingungsgemäßer Sturm geherrscht, nachzugehen.

2.

Gleichwohl hat das angefochtene Urteil im Ergebnis Bestand, weil die Klägerin den geforderten Nachweis eines von ihr behaupteten bedingungsgemäßen Sturmschadens nicht zu führen vermocht hat. Für den Senat verbleiben nach dem Ergebnis der im zweiten Rechtszug durchgeführten Beweisaufnahme durchgreifende Zweifel daran, dass es, entsprechend der zuletzt weiter präzisierten Darstellung der Klägerin, am 29. Oktober 2017 an dem versicherten Hausanwesen in Burbach zu einem bedingungsgemäßen Sturmereignis – als Voraussetzung für die Ersatzpflicht der Beklagten aus dem Versicherungsvertrag – gekommen ist.

a)

Was unter einem „Sturm“ zu verstehen ist, der bei bedingungsgemäßer Beschädigung versicherter Sachen nach Maßgabe von A § 4 Nr. 1 VGB 2012 zur Eintrittspflicht des Versicherers führt, wird in A § 4 Nr. 2 VGB 2012 definiert: Sturm ist hiernach eine wetterbedingte Luftbewegung von mindestens Windstärke 8 nach der Beaufortskala (Windgeschwindigkeit mindestens 62 km/Stunde). Dass diese Voraussetzung zum behaupteten Zeitpunkt am Schadensort vorlag, muss, sofern dies – wie hier – streitig ist, vom Versicherungsnehmer zur vollen Überzeugung des Gerichts nachgewiesen werden (§ 286 ZPO; vgl. Senat, Urteil vom 21. September 1994 – 5 U 160/93-11, RuS 1995, 268; Urteil vom 20. Juni 2018 – 5 U 58/17, VersR 2019, 91; OLG Hamm, NJW-RR 2001, 239; OLG Naumburg, RuS 2014, 22); hierzu kann auf die Messungen einer in der Nähe des Schadensortes gelegene Messstation zurückgegriffen werden, freilich müssen diese den erforderlichen Schluss auf die Verhältnisse am Schadensort und zum Schadenszeitpunkt mit der notwendigen Gewissheit zulassen (vgl. OLG Hamm, NJW-RR 2001, 239; Martin, Sachversicherungsrecht 3. Aufl., E II Rn. 21; Hahn, in: Beckmann/Matusche-Beckmann, Versicherungsrechts-Handbuch 3. Aufl., § 34 Rn. 58; Armbrüster, in: Prölss/Martin, a.a.O., A § 4 VGB Rn. 1). Weil dieser Nachweis in der Praxis nur selten mit der erforderlichen Gewissheit geführt werden kann, gewähren die Versicherungsbedingungen darüber hinausgehend die bereits weiter oben erwähnten Beweiserleichterungen: Ist die Windstärke für den konkreten Schadenort nicht feststellbar, wird Sturm unterstellt, wenn der Versicherungsnehmer nachweist, dass entweder (a) die Luftbewegung in der Umgebung des Versicherungsgrundstücks Schäden an Gebäuden in einwandfreiem Zustand oder an ebenso widerstandsfähigen anderen Sachen angerichtet hat oder dass (b) der Schaden wegen des einwandfreien Zustands des versicherten Gebäudes oder des Gebäudes, in dem sich die versicherten Sachen befunden haben oder mit dem versicherten Gebäude baulich verbunden sind, nur durch Sturm entstanden sein kann.

b)

Den hiernach der Klägerin obliegenden Nachweis eines bedingungsgemäßen Sturmereignisses hat diese nicht zur führen vermocht.

aa)

Nach dem Ergebnis der durchgeführten Beweisaufnahme verbleiben zunächst durchgreifende Zweifel daran, dass es am 29. Oktober 2017 an dem versicherten Anwesen in Saarbrücken-Burbach zu wetterbedingten Luftbewegungen von mindestens Windstärke 8 (= 62 km/h = 17,22 m/s) nach der Beaufortskala gekommen ist. Die Beklagte hat das dahingehende, mit der Berufung lediglich noch weiter konkretisierte und deshalb unbeschadet der Voraussetzungen des § 531 Abs. 2 ZPO zulässige Vorbringen der Klägerin nachdrücklich bestritten. Aus der vom Senat eingeholten amtlichen Auskunft des Deutschen Wetterdienstes können entsprechende Schlussfolgerungen jedoch nicht mit der nach § 286 ZPO erforderlichen Gewissheit gezogen werden, zumal auch die weiteren Umstände des Falles durchgreifend gegen diese Annahme sprechen. Bereits die in der Auskunft enthaltenen Windmessprotokolle von vier in räumlicher Nähe (ca. 13 km bis ca. 47 km) befindlichen Wetterstationen, die für den Schadenstag jeweils nur eine einzige, wenige Minuten andauernde, die geforderte Windgeschwindigkeit von mindestens 17,22 m/s auch jeweils nur minimal überschreitende Windspitze ausweist, legen diese Annahme nicht besonders nahe. So weist das Messprotokoll der räumlich nächsten, ca. 13 km nordöstlich vom Schadensort gelegenen Wetterstation in Saarbrücken-Ensheim als 10-Minuten-Werte der maximalen Windgeschwindigkeit lediglich für 7h20 bis 7h30 am Schadenstag einen Wert von 17,3 m/s aus, die mittlere Windgeschwindigkeit betrug zu dieser Zeit lediglich 11,9 m/s (Bl. 122 GA). Auch das Protokoll der – deutlich weiter entfernten – ca. 19 km nordwestlich gelegenen Wetterstation Berus enthält lediglich für 7h00 bis 7h10 einen einzigen Wert von 18,1 m/s maximale Windgeschwindigkeit; die mittlere Windgeschwindigkeit betrug für diesen Zeitraum dort nur 9,7 m/s (Bl. 125 GA). Vergleichbares gilt für die noch weiter entfernten Wetterstationen in Tholey (ca. 27 km nordöstlich) und Perl-Sinz-Renglischberg (ca. 47 km nordwestlich), wobei in Tholey zu keiner Zeit Windspitzen von 8 Bft. oder mehr gemessen wurden (Bl. 128, 131 GA). Zwar muss es nach dem – für die Auslegung von Versicherungsbedingungen maßgeblichen – allgemeinen Sprachgebrauch des täglichen Lebens (vgl. zuletzt etwa BGH, Urteil vom 29. März 2017 – IV ZR 533/15, VersR 2017, 608) für die Annahme eines bedingungsgemäßen Sturmes grundsätzlich genügen, dass dieser in irgendeinem Zeitpunkt Windstärke 8 überschreitet, so dass ein „Sturm“ in diesem Sinne auch schon die Anlauf- und Zwischenphasen umfasst, in denen Windstärke 8 noch nicht erreicht ist (Martin, a.a.O., E II Rn. 25; Hahn, in: Beckmann/Matusche-Beckmann, a.a.O., § 34 Rn. 59). Selbst dafür bestehen hier jedoch keine ausreichend gewissen Anhaltspunkte angesichts des Umstandes, dass der dafür erforderliche Wert von mindestens 17,22 m/s hier an sämtlichen genannten Messstationen allenfalls sehr kurzzeitig über jeweils weniger als 10 Minuten überhaupt erreicht und insbesondere an der nächstgelegenen Messstation in Ensheim nur äußerst knapp (im Umfange von 0,08 m/s über dem erforderlichen Grenzwert) überschritten wurde. Berücksichtigt man weiterhin, dass sich alle vier Messstationen in exponierter Höhenlage (320 m über NN oder mehr, Bl. 116 GA) befinden, während der Schadensort in einer deutlich tiefer gelegenen Innenstadtlage belegen ist (201 m über NN; Quelle: www.mapcoordinates.net), so kann ein hinreichend gesicherter Schluss, es sei am 29. Oktober 2017 an dieser Stelle zu einer wetterbedingten Luftbewegung von mindestens Windstärke 8 Bft. gekommen, daraus für den Streitfall nicht gezogen werden, wie im Termin mit den Parteien eingehend erörtert wurde. Anderer tauglicher Beweis für diese Tatsache wurde nicht angetreten; insbesondere wäre die Vernehmung der Mieter, die zu diesem Punkt allerdings nicht als Zeugen benannt wurden, grundsätzlich ungeeignet, solange – wie hier – nicht behauptet würde, diese hätten die Windstärke konkret gemessen (vgl. OLG Hamm, NJW-RR 2001, 239). Dass zum Schadenszeitpunkt Windstärke 8 am Schadensort geherrscht hat, ist mithin nicht feststellbar.

bb)

Auch die Voraussetzungen der von den Bedingungen für diese Fälle gewährten Beweiserleichterungen, bei deren Vorliegen Sturm unterstellt wird, liegen im Streitfall nicht vor. Die Darlegungs- und Beweislast hierfür trifft ebenfalls den Versicherungsnehmer (vgl. Senat, Urteil vom 20. Juni 2018 – 5 U 58/17, VersR 2019, 91; Johannsen, in: Bruck/Möller, VVG 9. Aufl. § 4 VGB 2008/2010 Rn. 18). Dass die in Rede stehende Luftbewegung am Schadenstag in der Umgebung des Versicherungsgrundstücks Schäden an konkreten Gebäuden in einwandfreiem Zustand oder an ebenso widerstandsfähigen anderen Sachen angerichtet hat (A § 4 Nr. 2 Buchstabe a VGB 2012) hat die Klägerin schon nicht behauptet, worauf das Landgericht in dem angefochtenen Urteil zu Recht aufmerksam gemacht hat. Solches folgt auch nicht aus den – insoweit jenseits seines eigentlichen Auftrages getroffenen – Feststellungen des vom Senat bestellten Sachverständigen L. in dessen Gutachten, der „auch Sturmschäden an dem angrenzenden Nachbardach“, nämlich abgelöste, nur lose aufliegende Zinkabdeckungen festgestellt hat, weil, wie er selbst ausführt, von ihm nicht festgestellt werden konnte, wann dieser Schaden am Nachbardach entstanden ist (Bl. 152 GA); zudem ist über den Zustand dieses anderen Gebäudes, insbesondere ob dieser am Schadenstag „einwandfrei“ war, ebenfalls nichts bekannt. Erst recht lassen sich solche Folgerungen nicht aus der von der Klägerin im Termin unter Beweis gestellten Behauptung ziehen, ihr Versicherungsmakler habe ihr gesagt, dass er mehrere Sturmschäden an diesem Tag gehabt habe, weil das nicht besagt, dass diese Schäden einwandfreie Gebäude oder Sachen in der Umgebung des Versicherungsgrundstücks betrafen. Gleichfalls nicht bewiesen hat die Klägerin, dass der von ihr geltend gemachte Schaden wegen des einwandfreien Zustands des versicherten Gebäudes nur durch den behaupteten Sturm entstanden sein kann (A § 4 Nr. 2 Buchstabe b VGB 2012). Nach den Feststellungen des Sachverständigen ist das nämlich – und zwar eindeutig – nicht der Fall gewesen. Dieser hat im Rahmen seines Gutachtens, insoweit auch vollumfänglich im Einklang mit den Feststellungen des von der Beklagten vorgerichtlich beauftragten Sachverständigen J. B., ausgeführt, dass sich die Dachplatten hier deshalb gelöst hätten, weil die Unterkonstruktion aus einfach aufgedübelten Spanplatten auch schon zum Zeitpunkt des behaupteten Sturmes „völlig marode“ gewesen sei und keinen Halt mehr geboten habe (Bl. 149 GA). Dies beruhe unter anderem darauf, dass die Kaminabdeckungen falsch ausgeführt seien und deshalb in den letzten 30 bis 40 Jahren ständig Regenwasser in die Konstruktion gelaufen sei; insoweit handele es sich um ein ganz typisches Schadensbild, das sich an vielen Kaminen aus dieser Zeit in gleicher Weise darstelle (Bl. 149 GA). Insgesamt sei die Dacheindeckung „so alt und marode“, dass sie nicht mehr ausgebessert werden könne (Bl. 150 GA); dementsprechend habe sich die Kaminverkleidung auch schon vor dem behaupteten Sturm in keinem ordnungsgemäßen Zustand mehr befunden, so dass derselbe Schaden auch bei deutlich geringerer Windstärke eingetreten wäre (Bl. 152 GA). Gründe, die Feststellungen des gerichtlich bestellten Sachverständigen in Zweifel zu ziehen, hat der Senat nicht. Sie stehen mit den Erkenntnissen des vorgerichtlich tätigen Sachverständigen J. B. im Einklang, bei dem es sich ebenfalls um einen öffentlich bestellten und vereidigten Sachverständigen der Handwerkskammer handelt, und sie werden durch die vollkommen inhaltsleere Stellungnahme der klägerseits beauftragten Firma „M. Consulting“ vom 16. Mai 2018 (Bl. 7 GA) nicht in Zweifel gezogen; auch hat die Klägerin gegen das Gutachten bis zuletzt nichts Durchgreifendes erinnert, dass sie es für falsch hält, genügt dazu nicht. Von daher erscheint ausgeschlossen, dass der vorliegende Schaden, dessen Ersatz die Klägerin beansprucht, wegen des einwandfreien Zustands des versicherten Gebäudes nur durch den behaupteten Sturm entstanden sein kann und kommt deshalb auch eine Anwendung dieser Beweiserleichterung im Streitfall nicht in Betracht.

3.

Fehlt es mithin vorliegend schon am Nachweis eines Versicherungsfalles, so scheiden Erstattungsansprüche der Klägerin aus dem Versicherungsvertrag bereits deshalb dem Grunde nach aus. Auf die weiteren – berechtigten – Bedenken des Landgerichts gegen die Ersatzfähigkeit des mit der Klage beanspruchten Neuwertschadens, die die Berufung nicht ausräumt, kam es daher nicht mehr an. Insoweit ist deshalb lediglich anzumerken, dass die Bedingungen dem Versicherungsnehmer den Anspruch auf Zahlung des Teils der Entschädigung, der den Zeitwertschaden übersteigt, nur gewähren, soweit und sobald er innerhalb von drei Jahren nach Eintritt des Versicherungsfalles sicherstellt, dass er die Entschädigung verwenden wird, um Sachen gleicher Art und Zweckbestimmung an der bisherigen Stelle wiederherzustellen oder wiederzubeschaffen. Dazu fehlt jedweder Vortrag, worauf schon das Landgericht und auch der Senat zuletzt nochmals hingewiesen hat, und weil nach dem Sachverständigengutachten die Dacheindeckung „so alt und marode“ ist, dass sie nicht mehr ausgebessert werden kann (Bl. 150 GA), ihr Zeitwert folglich mit „Null“ angesetzt werden müsste, wäre die in voller Höhe den Neuwertanteil betreffende Klage selbst bei Nachweis eines Versicherungsfalles auch aus diesem Grunde – derzeit – abweisungsreif gewesen. Auch für die von der Klägerin beanspruchten Nebenforderungen in Gestalt von „Gutachterkosten“ gemäß Rechnung des U. M. und der zweitinstanzlich zulässigerweise (§§ 533, 264 Nr. 2 ZPO) geltend gemachten vorgerichtlichen Rechtsanwaltsgebühren besteht unter diesen Umständen keine rechtliche Grundlage. Da die Beklagte aus der Gebäudeversicherung nicht eintrittspflichtig ist, verstieß sie mit ihrer berechtigten Weigerung, den Schaden zu ersetzen, nicht gegen ihre vertraglichen Pflichten (§ 280 Abs. 1 BGB), und ebenso wenig geriet sie der Klägerin gegenüber deswegen in Verzug (§§ 280 Abs. 1, 2, 286 BGB). Von der Klägerin getätigte Aufwendungen zur Durchsetzung ihrer vermeintlichen Forderung stellen sich deshalb – unbeschadet der hier durchaus zweifelhaften Frage der Werthaltigkeit dieser Leistungen – nicht als zweckentsprechende Maßnahmen der Rechtsverfolgung dar, deren Ersatz die Klägerin von der Beklagten beanspruchen könnte.

4.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit aus den §§ 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO.

Die Revision ist gemäß § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 und 2 ZPO nicht zuzulassen. Weder hat die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung noch erfordert die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts.

Die Wertfestsetzung beruht auf den §§ 3, 4 ZPO, §§ 47 Abs. 1 Satz 1, 48 Abs. 1 Satz 1 GKG.

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