KG Berlin – Az.: 6 U 28/11 – Beschluss vom 10.06.2011
In dem Rechtsstreit … wird die Klägerin gemäß § 522 Abs. 2 Satz 2 ZPO darauf hingewiesen, dass beabsichtigt ist, ihre Berufung gegen das Urteil der Zivilkammer 7 des Landgerichts Berlin vom 1. Februar 2011 durch einstimmigen Beschluss zurückzuweisen.
Gründe
I.
Die Voraussetzungen für eine Zurückweisung der Berufung der Klägerin nach § 522 Abs. 2 Satz 1 ZPO sind erfüllt, weil die Berufung keine Aussicht auf Erfolg hat, der Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung zukommt und auch die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts durch Urteil nicht erfordern.
Die Berufung der Klägerin ist nicht begründet, da das Landgericht die Klage zu Recht abgewiesen hat mit der Begründung, die Klägerin habe aus dem unstreitigen Unfall vom 26.2.2006 keinen Anspruch gegen die Beklagte auf die aus dem Unfallversicherungsvertrag geltend gemachte Invaliditätsleistung. Die Entscheidung ist rechtsfehlerfrei auf der Grundlage einer zutreffenden Tatsachenfeststellung ergangen. Die mit der Berufung geltend gemachten Rügen greifen nicht durch.
1. Dem Versicherungsvertrag liegen gemäß Versicherungsschein vom 1.12.2004 die Allgemeinen Unfallversicherungs-Bedingungen HM-AUB 2000 zugrunde (Anlage B 1). Danach kann neben weiteren Leistungsarten im Versicherungsschein – wie hier u. a. neben einem Krankenhaustagegeld – eine Invaliditätsleistung vereinbart werden, deren Voraussetzungen in Ziffer 2.1.1 bestimmt sind. Danach muss die versicherte Person durch den Unfall auf Dauer in ihrer körperlichen oder geistigen Leistungsfähigkeit beeinträchtigt sein. Weitere Voraussetzung ist, dass die Invalidität innerhalb von fünfzehn Monaten nach dem Unfall eingetreten und innerhalb von fünfzehn Monaten nach dem Unfall von einem Arzt schriftlich festgestellt und vom Versicherungsnehmer bei der Beklagten geltend gemacht worden ist. Diese Bestimmung hält der Inhaltskontrolle gemäß § 307 BGB Stand.
Bei diesen dreifachen Fristen handelt es sich nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs um Anspruchsvoraussetzungen bzw. Ausschlussfristen, die bezwecken, dass der Versicherer nicht für Spätschäden, die in der Regel schwer aufklärbar und unübersehbar sind, eintreten muss. Sie gefährden den Vertragszweck nicht und stellen keine unangemessene Benachteiligung des Versicherungsnehmers dar (§ 307 Abs. 1 Nr. 2 BGB), auch wenn die zeitlichen Begrenzungen im Einzelfall schwere Nachteile für den Versicherten bewirken können und die Begrenzungen der Leistungspflicht allein im Interesse des Versicherers liegen sollte. Soweit die Klägerin geltend macht, aufgrund des beispiellosen medizinischen Fortschritts in den vergangenen 20 Jahren hätten sich die Maßnahme zur Rekonvaleszenz so verbessert, dass die medizinische Praxis bestrebt sei, dem Eintritt des Dauerschadens mit vielfältigen Behandlungsmethoden zu begegnen und der Grundsatz “Rehabilitation vor Pflege” gelte, was auch bei der Bestimmung einer angemessenen Ausschlussfrist Berücksichtigung finden müsse, führt dies zu keiner anderen Beurteilung. Denn es muss grundsätzlich der Entscheidung des Versicherers überlassen bleiben, welchen Versicherungsschutz mit welchem Umfang er anbietet, solange das Leistungsversprechen hinreichend klar ist und der Vertrag nicht ausgehöhlt wird (BGH, Urteil vom 19.11.1997 – IV ZR 348/96 -, BGHZ 137, 174). Daran hat der Bundesgerichtshof auch in neueren Entscheidungen festgehalten (vgl. Urteil vom 23.2.2005 – IV ZR 273/03 -, BGHZ 162, 210, Rz. 16 zitiert nach Juris; Urteil vom 7.3.2007 – IV ZR 137/06 – VersR 2007, 1114, Rz. 10). Der Senat hat keinen Anlass, hiervon abzuweichen.
Die Fristenregelung genügt auch den Anforderungen des Transparenzgebotes (§ 307 Abs. 1 S. 2 BGB), wonach die Bestimmung klar und verständlich sein muss. Die vorliegende Bestimmung über die Voraussetzungen der Invaliditätsleistung stimmt im Wesentlichen überein mit der Bestimmung, über die der Bundsgerichtshof in dem Urteil vom 23.2.2005 a.a.O zu befinden hatte. Danach bestehen keine Bedenken, dass die Fristen bei der Beschreibung der Leistungsarten und deren Voraussetzungen geregelt sind. Denn der Versicherungsnehmer kann sich die Lektüre dieser Bestimmungen nicht ersparen, wenn er über den Versicherungsschutz, der ihm zusteht, auch nur in groben Zügen informiert sein will. Es ist auch unschädlich, wenn die Voraussetzungen für den Anspruch auf Versicherungsschutz nicht an einer Stelle in den Bedingungen zusammenhängend dargestellt sind, zumal dies wegen der vielfältigen und unterschiedlichen Leistungen, die bei einem Unfall vereinbart werden können und in den Bedingungen näher ausgestaltet sind, weder einfach noch besonders nahe liegend für einen Versicherungsnehmer wäre, der verschiedene Leistungen vereinbart hat. Schließlich hat der Bundesgerichtshof dort zu dem Argument Stellung genommen, dass dem Versicherungsnehmer durch die Regelung der nach dem Unfall zu erfüllenden Obliegenheiten an anderer Stelle der Bedingungen – u. a., unverzüglich einen Arzt beizuziehen – der Blick verstellt werde und demgegenüber ausgeführt, dem aufmerksam lesenden Versicherungsnehmer werde nicht entgehen, dass diese Obliegenheit den Zweck habe, die Unfallfolgen möglichst zu mindern, und er werde aus Wortlaut und Sinnzusammenhang erkennen, dass die Obliegenheiten mit den für die Invaliditätsleistung geltenden Fristen nichts zu tun haben.
Diese Erwägungen treffen auch auf die vorliegend vereinbarten Bedingungen zu, in denen unter Ziffer 7. die nach dem Unfall zu beachtenden Obliegenheiten und die Folgen im Falle ihrer Nichtbeachtung geregelt sind. Soweit das OLG Hamm in dem Urteil vom 19.10.2007 – 20 U 215/06 – (VersR 2008, 811) dort – nicht entscheidungserhebliche – Zweifel an der Wirksamkeit der Fristen für die Invaliditätsleistung im Hinblick darauf geäußert hat, dass sich der Versicherungsnehmer durch das Inhaltsverzeichnis und die Überschriften zu der Annahme verleiten lassen könnte, er habe nach dem Unfall lediglich die bei den Obliegenheiten geregelten Verhaltensanforderungen zu erfüllen, steht dies nicht im Einklang mit der vorzitierten Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, wonach sich der Versicherungsnehmer die Lektüre der Bestimmungen über die Invaliditätslistung nicht ersparen kann. Auch wenn ein entscheidungserheblicher Unterschied wegen des Inhaltsverzeichnisses und der Überschrift “Was ist nach einem Unfall zu beachten (Obliegenheiten)?” zwischen den der Entscheidungen des Bundesgerichtshofs und der Entscheidung des OLG Hamm zugrunde liegenden Bedingungen bestünde, hätte dies keine Auswirkungen auf den vorliegenden Rechtsstreit. Denn anders als in den Bedingungen, die dem OLG Hamm vorliegen, folgt dieser Unterschrift nicht nur der Eingangssatz “Ohne Ihre Mitwirkung und die der versicherten Person können wir unsere Leistung nicht erbringen”, diesem geht vielmehr im ersten Halbsatz nunmehr der folgende Hinweis voraus: “ Nach einem Unfall sind nicht nur die jeweilige Leistungsvoraussetzungen (z. B. die Fristen in Ziffer 2.1.1) nebst Einschränkungen, Versicherbarkeit und Ausschlüssen (Ziffern 2 ff.) zu prüfen, sondern auch Obliegenheiten zu beachten; denn ohne Ihre Mitwirkung …..”. . Der Auffassung der Klägerin, dass auch dieser Hinweis nicht den Anforderungen an das Transparenzgebot nicht genüge, da er grob verkürzt, in Klammern versteckt und damit irreführend sei, vermag sich der Senat nicht anzuschließen, da sich der Versicherungsnehmer spätestens nach diesem Hinweis der Lektüre der Ziffer 2.1.1 widmen muss.
2. Die Beklagte schuldet die geltend gemachte Invaliditätsleistung auch nicht unter dem Gesichtspunkt der gewohnheitsrechtlichen Vertrauenshaftung. Eine Vernehmung des von der Klägerin benannten Zeugen G durch das Landgericht bedurfte es nicht.
Die auf Erfüllung gerichtete gewohnheitsrechtliche Vertrauenshaftung kann den Versicherer zur Gewährung des Versicherungsschutzes gemäß den unzutreffenden Vorstellungen des Versicherungsnehmers bei Vertragsschluss verpflichten, wenn der Versicherungsagent bei der Darstellung des Umfangs der Versicherungsschutzes bei der Anbahnung oder bei dem Abschluss des Vertrages seine Aufklärungspflicht verletzt hat und den Versicherungsnehmer kein erhebliches eigenes Verschulden an seiner Fehlvorstellung trifft (vgl. BGHZ 40, 22). Darum geht es hier nicht.
3. Der Klägerin steht auch kein Schadenersatzanspruch gemäß §§ 280 Abs. 1, 278 BGB in Höhe der Klageforderung wegen einer ihr etwaig zuzurechnenden Pflichtverletzung des Agenten G als ihres Erfüllungsgehilfen bei der Entgegennahme von Unterlagen zur Einreichung bei der Beklagten zu.
aa) Soweit die Klägerin einen Beratungsfehler auf die Behauptung stützt, die Abwicklung habe nach der Absprache mit dem Zeugen G erfolgen sollen, welcher auch die Erklärungen und Atteste entgegen genommen und erklärt habe, die Unterlagen würden genügen, sie brauche sich keine Sorgen zu machen, alles gehe seinen Gang, hätte der Zeuge nicht in dem ihm von der Beklagten übertragenen Pflichtenkreis und damit nicht als ihr Erfüllungsgehilfe gehandelt. Denn der Agent hat nicht die Aufgabe, die Schadensregulierung vorzunehmen oder auch nur beratend vorzubereiten. Er gilt gemäß § 43 VVG a. F. lediglich als bevollmächtigt, die Anzeigen, welche während der Versicherung zu machen sind, sowie sonstige das Versicherungsverhältnis betreffende Erklärungen entgegen zu nehmen. Diese Vollmacht ist vorliegend zudem gemäß Ziffer 18.1 der Bedingungen beschränkt worden. Dort ist bestimmt, dass alle für die Beklagte bestimmten Anzeigen und Erklärungen gegenüber der Hauptverwaltung oder der in der Versicherungsurkunde bezeichneten Geschäftsstelle (schriftlich) abzugeben sind. Diese Beschränkung ist wirksam (vgl. BGH, Urteil vom 24.3.1999 –IV ZR 90/98 -, VersR 1999, 710, Tz. 63 ff.). Eine etwaige Unkenntnis wäre grob fahrlässig, da auch im Versicherungsschein S. 3 ein entsprechender Hinweis enthalten ist. Der Zeuge G war damit allenfalls Empfangsbote (vgl. OLG Hamm VersR 2008, 908).
bb) Unabhängig von der fehlenden Vollmacht des Zeugen G liegt auch unter Zugrundelegung des Vorbringens der Klägerin ein Beratungsfehler des Zeugen nicht vor. Denn die Klägerin hat erstinstanzlich behauptet, dem Zeugen die Diagnose Morbus Sudeck und die drohende dauernde Bewegungseinschränkung mitgeteilt zu haben. Die Mitteilung der Diagnose Morbus Sudeck bedeutet nicht, dass bereits ein Dauerschaden vorliegt, sondern – für Personen mit medizinischem Fachwissen, das der Agent nicht haben muss – nur, dass bei einer solchen Erkrankung häufig mit einer irreversiblen Schädigung zu rechnen ist, wenn sie im Bereich der Hand auftritt. Eine drohende Invalidität ist aber einer bereits eingetretenen nicht gleichzusetzen und genügt nicht für die Entstehung eines Anspruchs auf Invaliditätsleistungen. Da auch ein Hinweis des Zeugen auf die Fristen gemäß Ziffer 2.1.1 den Verlauf der Erkrankung – regelmäßig in drei Stadien, deren Zeitdauer unterschiedlich sein kann – nicht hätte beeinflussen und beschleunigen können, ist das Vorbringen der Klägerin nicht schlüssig, da sie schon nicht behauptet, dass die Invalidität vor Ablauf der 15- Monatsfrist eingetreten sei.
cc) Es kommt deshalb auch nicht darauf an, ob der Zeuge den ihn überreichten Unterlagen, die die Klägerin auch in der Berufungsbegründung nicht näher spezifiziert, den Eintritt der Invalidität hätte entnehmen können. Auch wenn man insoweit unterstellen würde, dass die Klägerin dem Zeugen sämtliche mit der Klageschrift eingereichten Unterlagen übergeben hätte, hätte der Zeuge keiner dieser Unterlagen eine unfallbedingte drohende Invalidität innerhalb der Fünfzehnmonatsfrist entnehmen können, wie im angefochtenen Urteil S. 5 im Einzelnen zutreffend ausgeführt.
dd) Auch aus der Tatsache, dass die Klägerin dem Zeugen G überhaupt ärztliche Unterlagen über die Folgen ihres Sturzes auf das Handgelenk am 24.2.2006 zum Zwecke der Einreichung bei der Beklagten überreichte und Leistungen bei der Beklagten einforderte, kann nicht hergeleitet werden, dass sie diesem gegenüber zum Ausdruck brachte, auch Invaliditätsleistungen geltend machen zu wollen. Denn die Klägerin hat auch die Leistungsart Krankenhaustagegeld vereinbart. Um dieses zu erhalten, bedurfte es des Nachweises des unfallbedingten stationären Aufenthalts. Diesem Nachweis diente die mit der Klageschrift eingereichte ärztliche Bescheinigung über zwei stationäre Krankenhausbehandlungen der Klägerin im Mai und Juli 2006 vom 7.8.2006 auf einem Formular der Beklagten. Auch aus den weiteren Unterlagen ergibt sich nicht, dass die Klägerin innerhalb der Fünfzehnmonatsfrist eine Invaliditätsleistung geltend machte. Diese Unterlagen waren gar nicht darauf gerichtet, eine Invalidität festzustellen, sondern bescheinigten die Arbeitsunfähigkeit bzw. stationäre Krankenhausaufenthalte. Entgegen ihrem Vorbringen in der Berufungsbegründung hat die Klägerin mit ihrer anfänglichen Unfallanzeige die Invaliditätsleistung nicht geltend gemacht und auch noch gar nicht geltend machen können; denn zu diesem Zeitpunkt war der Verlauf ihrer Verletzungen noch in keiner Weise absehbar. In der Unfallanzeige vom 7.3.2006 teilte sie lediglich mit, einen Arbeitsunfall erlitten zu haben und bat um die Übersendung von Unterlagen, um “meine Unfallversicherung in Anspruch zu nehmen”. In dem daraufhin erhaltenen, von der Klägerin am 14.3.2006 ausgefüllten Formular teilte sie mit, dass sie auf den Rücken gestürzt sei, sich mit den Händen stützen wollte und dabei die rechte Hand verletzte, die nicht gebrochen sei; der sie behandelnde Arzt J bescheinigte eine schwere Handgelenksdistorsion und eine Arbeitsunfähigkeit vorerst bis zum 31.3.2006 (Anlage B 3). Aus der Zeit bis zum Ablauf der Frist datiert sonst nur noch der ärztliche Zwischenbericht vom 4.5.2006 des Unfallkrankenhauses Berlin, in dem zu Beginn der ersten Krankenhausbehandlung eine akute CRPS (neue Bezeichnung für den Morbus Sudeck: Compex regional pain Syndrom) mitgeteilt wird, und dass über die Dauer der Arbeitsunfähigkeit noch keine Prognose abgegeben werden kann.
4. Der Einholung eines Sachverständigengutachtens über den behaupteten Dauerschaden bedurfte es damit nicht. Auch die Verletzung von Hinweispflichten ist nicht ersichtlich.
II.
Die Klägerin erhält Gelegenheit, zu dem vorstehenden Hinweis innerhalb von 2 Wochen Stellung zu nehmen, wobei im Kosteninteresse die Rücknahme der Berufung erwogen werden mag.