Übersicht
- Das Wichtigste in Kürze
- Der Fall vor Gericht
- Sturz an der Rolltreppe: Warum ein Unfall nicht immer zur Zahlung der Versicherung führt
- Der Weg vor das Gericht: Ein Mann fordert Geld von seiner Unfallversicherung
- Die entscheidende Frage: War der Unfall die alleinige Ursache für die schwere Verletzung?
- Die Rolle des Experten: Ein medizinisches Gutachten soll Klarheit schaffen
- Das Urteil des Gerichts: Keine Leistung aus der Unfallversicherung
- Die Begründung: Warum das Gericht dem Gutachter voll vertraute
- Ein Versuch des Klägers scheitert: Fragen zur Befangenheit des Gutachters
- Die Schlüsselerkenntnisse
- Häufig gestellte Fragen (FAQ)
- Welche Rolle spielen Vorerkrankungen bei Ansprüchen aus meiner privaten Unfallversicherung?
- Wann gilt ein Unfall als Ursache für eine Verletzung im Sinne der Unfallversicherung?
- Wie wird eine Verletzung medizinisch beurteilt, um einen Anspruch bei der Unfallversicherung zu prüfen?
- Wie wird der Invaliditätsgrad nach einem Unfall bestimmt und welche Bedeutung hat er für die Versicherungsleistung?
- Welche Möglichkeiten habe ich, wenn meine private Unfallversicherung die Leistung ablehnt?
- Glossar – Fachbegriffe kurz erklärt
- Wichtige Rechtsgrundlagen
- Das vorliegende Urteil
Urteil Az.: 21 O 307/23 Ver | Schlüsselerkenntnis | FAQ | Glossar | Kontakt
Zum vorliegendenDas Wichtigste in Kürze
- Gericht: LG Ingolstadt
- Datum: 28.01.2025
- Aktenzeichen: 21 O 307/23 Ver
- Verfahrensart: Schriftliches Verfahren
Beteiligte Parteien:
- Kläger: Forderte Leistungen aus einem privaten Unfallversicherungsvertrag, darunter Invaliditätskapital und eine monatliche Unfallrente, sowie außergerichtliche Rechtsanwaltskosten, da er infolge eines Sturzes eine unfallbedingte Invalidität von mindestens 50 % geltend machte.
- Beklagte: Private Unfallversicherung, die die Klageabweisung beantragte und bestritt, dass eine dauerhafte, unfallbedingte Beeinträchtigung oder eine Invalidität im Sinne der Versicherungsbedingungen vorlag.
Worum ging es in dem Fall?
- Sachverhalt: Zwischen dem Kläger und der Beklagten bestand ein Vertrag über eine private Unfallversicherung. Der Kläger stürzte im August 2020 an einer Rolltreppe und erlitt einen Teil-Patellarsehnenabriss am rechten Kniegelenk.
- Kern des Rechtsstreits: Es ging um die Frage, ob dem Kläger nach diesem Sturz Leistungen aus seinem privaten Unfallversicherungsvertrag zustanden, insbesondere ein Invaliditätskapital und eine monatliche Unfallrente, da er eine unfallbedingte Invalidität von mindestens 50 % behauptete.
Was wurde entschieden?
- Entscheidung: Die Klage wurde vollständig abgewiesen. Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
- Begründung: Das Gericht konnte sich auf Grundlage der vorliegenden Sachverständigengutachten nicht davon überzeugen, dass beim Kläger eine unfallbedingte Invalidität von mindestens 50 % eingetreten war. Der Sachverständige kam zu dem Ergebnis, dass die Patellarsehne des Klägers bereits einen erheblichen Vorschaden aufwies, der überwiegend ursächlich für die Ruptur war.
- Folgen: Der Kläger erhält keine der beanspruchten Leistungen aus der Unfallversicherung und muss die entstandenen Gerichtskosten übernehmen. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Der Fall vor Gericht
Sturz an der Rolltreppe: Warum ein Unfall nicht immer zur Zahlung der Versicherung führt
Jeder, der eine private Unfallversicherung abschließt, tut dies in der Hoffnung, im Ernstfall abgesichert zu sein. Man stellt sich vor: Nach einem Unfall, der zu einer dauerhaften gesundheitlichen Beeinträchtigung führt, zahlt die Versicherung eine vereinbarte Summe oder eine monatliche Rente. Doch was passiert, wenn die Versicherung die Zahlung verweigert? Ein Urteil des Landgerichts Ingolstadt zeigt, dass der Unfall selbst nicht immer der entscheidende Faktor ist. Manchmal spielt der Gesundheitszustand vor dem Unfall eine viel größere Rolle, als man annehmen würde.
Der Weg vor das Gericht: Ein Mann fordert Geld von seiner Unfallversicherung

Ein Mann, im Folgenden „der Kläger“ genannt, stürzte im August 2020 an einer Rolltreppe. Bei diesem Sturz riss seine Patellarsehne am rechten Knie – das ist die starke Sehne, die die Kniescheibe mit dem Schienbein verbindet. Der Kläger hatte eine private Unfallversicherung bei einem Versicherungsunternehmen, im Folgenden „die Versicherung“ genannt, abgeschlossen. Er war der Meinung, dass dieser Unfall zu einer schweren und dauerhaften körperlichen Einschränkung geführt hat. Juristen sprechen hier von einer „Invalidität“.
Aufgrund dieser angenommenen Invalidität forderte der Kläger von seiner Versicherung eine hohe einmalige Kapitalzahlung in Höhe von 93.000 Euro sowie eine lebenslange monatliche Unfallrente von 3.000 Euro. Eine solche Rente ist in vielen Unfallversicherungen vorgesehen, wenn die unfallbedingte Invalidität einen bestimmten Grad, oft 50 Prozent, übersteigt. Der Kläger argumentierte, seine Verletzung sei so schwerwiegend, dass sein Bein zu einem erheblichen Teil in seiner Funktion beeinträchtigt sei, was einen Gesamtinvaliditätsgrad von 56 % ergebe. Die Versicherung sah das jedoch anders. Sie weigerte sich zu zahlen und bestritt, dass eine derart schwere und vor allem dauerhafte Beeinträchtigung allein auf den Unfall zurückzuführen sei. So landete der Fall vor dem Landgericht Ingolstadt.
Die entscheidende Frage: War der Unfall die alleinige Ursache für die schwere Verletzung?
Das Gericht stand nun vor einer zentralen Frage: Ist der Sturz an der Rolltreppe tatsächlich die Ursache für die vom Kläger behauptete, schwere Invalidität? In der juristischen Welt nennt man diesen Zusammenhang „Kausalität“. Es muss also ein klarer Ursache-Wirkungs-Zusammenhang zwischen dem Unfallereignis und dem eingetretenen Gesundheitsschaden bestehen. Aber was war hier das genaue Problem? Die Versicherung zweifelte nicht an, dass der Kläger gestürzt war und seine Sehne gerissen ist. Der Streitpunkt war vielmehr, ob eine gesunde Sehne bei einem solchen Sturz überhaupt hätte reißen können.
Um das zu verstehen, hilft ein Alltagsvergleich: Stellen Sie sich eine alte, morsche Holzbrücke vor. Eines Tages geht eine Person darüber, und ein Brett bricht durch. War das Gewicht der Person die alleinige Ursache für den Bruch? Oder war das Brett bereits so stark vorgeschädigt, dass es ohnehin bei der geringsten Belastung gebrochen wäre? Genau diese Frage musste das Gericht für die Patellarsehne des Klägers klären.
Die Rolle des Experten: Ein medizinisches Gutachten soll Klarheit schaffen
Da ein Richter kein Mediziner ist, kann er solche komplexen Fragen nicht allein beantworten. In solchen Fällen beauftragt das Gericht einen unabhängigen Experten, einen sogenannten Sachverständigen. Dieser soll ein „Sachverständigengutachten“ erstellen, also eine fachliche Einschätzung, die dem Gericht hilft, die Fakten zu verstehen. Das Gericht beauftragte einen erfahrenen Facharzt, Prof. Dr. H., um den medizinischen Sachverhalt zu klären. Der Sachverständige untersuchte den Kläger persönlich und wertete alle medizinischen Unterlagen aus.
Das überraschende Ergebnis des Gutachtens: Eine vorbelastete Sehne
Das Ergebnis des Gutachtens war für den Kläger ernüchternd. Der Sachverständige kam zu einem klaren Schluss: Die Patellarsehne des Klägers war bereits vor dem Unfall erheblich geschädigt. Mediziner und Juristen sprechen hier von einem „Vorschaden“ oder einer „Schadensanlage“. Das bedeutet, die Sehne war schon vor dem Sturz nicht mehr intakt, sondern durch Verschleiß oder andere Prozesse so geschwächt, dass sie ihre normale Reißfestigkeit verloren hatte.
Der Experte erklärte in seinem Gutachten nachvollziehbar, dass die bei dem Sturz wirkenden Kräfte niemals ausgereicht hätten, um eine gesunde Sehne zu zerreißen. Der Sturz war also nur der letzte Auslöser, der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte. Die eigentliche und überwiegende Ursache für den Riss war laut dem Gutachter die bereits bestehende, massive Vorschädigung der Sehne.
Die Berechnung der Invalidität: Weit unter der geforderten Grenze
Aber selbst wenn man diesen Vorschaden außer Acht lassen würde, wie hoch wäre die Invalidität dann? Auch hierzu traf der Gutachter eine klare Aussage. Die vom Kläger angenommene Invalidität von 56 % sei „weit überhöht“. In den Versicherungsbedingungen gibt es oft eine sogenannte „Gliedertaxe“. Das ist eine Tabelle, die festlegt, wie viel Prozent Invalidität der Verlust oder die Funktionsunfähigkeit eines bestimmten Körperteils bedeutet. Der Kläger ging von einem „Beinwert“ von 8/10 aus, was einem hohen Grad der Funktionsunfähigkeit entspricht.
Der Sachverständige kam jedoch, selbst bei einer sehr wohlwollenden Betrachtung, zu einem ganz anderen Ergebnis. Er schätzte den verbliebenen Invaliditätsgrad auf maximal 3/20 bis 4/20 Beinwert. Umgerechnet in einen Gesamtinvaliditätsgrad liegt dieser Wert also weit unter der Marke von 50 Prozent, die für den Anspruch auf die monatliche Unfallrente notwendig gewesen wäre.
Das Urteil des Gerichts: Keine Leistung aus der Unfallversicherung
Auf Grundlage dieser eindeutigen Gutachten fällte das Gericht seine Entscheidung: Die Klage wurde vollständig abgewiesen. Das bedeutet, der Kläger erhält weder die einmalige Kapitalzahlung noch die monatliche Unfallrente von seiner Versicherung. Darüber hinaus wurde entschieden, dass der Kläger die gesamten Kosten des Rechtsstreits tragen muss.
Die Begründung: Warum das Gericht dem Gutachter voll vertraute
Warum hat das Gericht so entschieden? Die Begründung stützt sich fast ausschließlich auf die Ergebnisse des medizinischen Sachverständigengutachtens. Das Gericht erklärte, dass es keinerlei Zweifel an der Richtigkeit der Ausführungen von Prof. Dr. H. habe. Der Gutachter sei dem Gericht als äußerst gewissenhafter und genauer Experte bekannt, der seine Aufträge stets umfassend und nachvollziehbar bearbeite.
Für das Gericht war die Logik des Gutachters schlüssig: Wenn die Hauptursache für den Sehnenriss nicht der Unfall, sondern ein bereits bestehender Vorschaden war, kann der daraus resultierende Gesundheitsschaden nicht vollständig dem Unfall zugerechnet werden. Für einen Anspruch auf Leistungen aus einer Unfallversicherung muss aber gerade der Unfall die wesentliche Ursache sein. Da der Gutachter dies mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ausschloss, konnte das Gericht dem Kläger keinen Anspruch zusprechen. Die im Gutachten festgestellte, sehr viel geringere Invalidität reichte ebenfalls nicht aus, um die vertraglichen Voraussetzungen für die geforderten Zahlungen zu erfüllen.
Ein Versuch des Klägers scheitert: Fragen zur Befangenheit des Gutachters
Der Kläger versuchte noch, den Gutachter infrage zu stellen. Er reichte beim Gericht Fragen ein, die darauf abzielten, eine mögliche Voreingenommenheit des Sachverständigen zu prüfen. Ein solcher Antrag, der die Neutralität eines Experten anzweifelt, wird „Befangenheitsantrag“ genannt. Das Gericht lehnte die Vorlage dieser Fragen an den Gutachter jedoch ab.
Die Begründung dafür war zweifach. Erstens hatten die Fragen keinen inhaltlichen Bezug zu den medizinischen Beweisfragen, sondern sollten lediglich den Gutachter persönlich diskreditieren. Zweitens, und das war entscheidend, kam dieser Versuch viel zu spät. Einwände gegen einen Sachverständigen müssen frühzeitig erhoben werden, nicht erst, nachdem dieser ein für die eigene Seite ungünstiges Gutachten vorgelegt hat. Da der Kläger zudem keinen konkreten Grund für seine Zweifel nennen konnte, wies das Gericht diesen Vorstoß zurück.
Die Schlüsselerkenntnisse
Das Urteil zeigt, dass eine Unfallversicherung nicht automatisch zahlt, wenn nach einem Unfall gesundheitliche Schäden auftreten – entscheidend ist, ob der Unfall tatsächlich die Hauptursache für die Verletzung war. In diesem Fall stellte ein medizinischer Gutachter fest, dass die gerissene Sehne bereits vor dem Sturz so stark vorgeschädigt war, dass sie bei der geringsten Belastung gerissen wäre, der Unfall war also nur der letzte Auslöser. Wer eine Unfallversicherung hat, sollte wissen, dass bereits bestehende Gesundheitsprobleme den Versicherungsschutz erheblich einschränken können, selbst wenn diese vorher unentdeckt waren. Das Urteil verdeutlicht außerdem, wie wichtig unabhängige medizinische Gutachten in Versicherungsstreitigkeiten sind – deren Ergebnisse haben meist entscheidenden Einfluss auf den Ausgang des Verfahrens.
Befinden Sie sich in einer ähnlichen Situation? Fragen Sie unsere Ersteinschätzung an.

Häufig gestellte Fragen (FAQ)
Welche Rolle spielen Vorerkrankungen bei Ansprüchen aus meiner privaten Unfallversicherung?
Wenn Sie einen Unfall erleiden und aus Ihrer privaten Unfallversicherung Leistungen beanspruchen, können bereits bestehende gesundheitliche Schwächen oder Vorschäden – juristisch als „Vorerkrankungen“ oder „Gebrechen“ bezeichnet – eine wichtige Rolle spielen. Die zentrale Frage ist, ob und inwieweit diese Vorschäden den Unfall oder seine Folgen beeinflusst haben.
Der Einfluss von Vorerkrankungen: die „Mitwirkung“
Ihre private Unfallversicherung leistet grundsätzlich für Folgen, die unmittelbar und ausschließlich durch ein plötzlich von außen auf den Körper wirkendes Ereignis (den Unfall) verursacht wurden. Liegt jedoch eine Vorerkrankung vor, die an der Entstehung der Unfallfolgen beteiligt war, spricht man von einer „Mitwirkung“ dieser Vorerkrankung oder dieses Gebrechens.
Stellen Sie sich vor, Sie stürzen auf einer Rolltreppe und Ihr Knie knickt ein, wobei die Patellarsehne reißt. Wenn Ihre Patellarsehne bereits vor dem Sturz durch eine Krankheit oder einen früheren Schaden stark vorgeschädigt war und diese Vorschädigung den Sehnenriss begünstigt hat, liegt eine Mitwirkung vor. Die Versicherer bewerten dabei, in welchem prozentualen Umfang die Vorerkrankung oder das Gebrechen ursächlich für die Unfallfolgen war. Dies wird üblicherweise durch medizinische Gutachten festgestellt.
Reduzierung oder Ausschluss der Leistung
Wenn die Mitwirkung einer Vorerkrankung oder eines Gebrechens einen bestimmten Prozentsatz erreicht, der in Ihren Versicherungsbedingungen festgelegt ist (oft mehr als 25 % oder 50 %), kann die Versicherungsleistung gekürzt werden. Das bedeutet: Je höher der Anteil der Vorerkrankung an der Verletzung oder deren Folgen ist, desto stärker kann sich das auf die Höhe der Versicherungszahlung auswirken. Erreicht die Mitwirkung einen sehr hohen Prozentsatz, kann die Leistung unter Umständen sogar ganz entfallen, wenn die Vorerkrankung als die nahezu alleinige Ursache der Beeinträchtigung angesehen wird. Die genauen Grenzwerte sind in den jeweiligen Versicherungsbedingungen (AVB) festgelegt.
Die Nachweispflicht: Wer muss was beweisen?
Bei Streitigkeiten über die Mitwirkung von Vorerkrankungen ist die Beweislast ein entscheidender Punkt:
- Die Versicherung muss beweisen: Wenn die private Unfallversicherung die Leistung kürzen oder ablehnen möchte, weil sie eine Mitwirkung einer Vorerkrankung annimmt, muss sie dies zweifelsfrei nachweisen. Das bedeutet, die Versicherung muss anhand medizinischer Gutachten belegen, dass eine bestimmte Vorerkrankung oder ein Gebrechen vorlag und in welchem Umfang diese zur eingetretenen Verletzung oder deren Folgen beigetragen hat.
- Ihre Rolle als Versicherter: Auch wenn die Beweislast primär bei der Versicherung liegt, ist es für Sie wichtig, alle relevanten Informationen und medizinischen Unterlagen zu sammeln und vorzulegen, die den Unfallhergang und Ihre Gesundheitshistorie beleuchten. Dies kann dazu beitragen, Missverständnisse zu vermeiden und den Sachverhalt umfassend darzustellen.
Für Sie bedeutet das, dass bei einem Unfall mit potenzieller Mitwirkung einer Vorerkrankung eine sorgfältige medizinische Klärung des Zusammenhangs zwischen Unfallereignis und Verletzungsfolge entscheidend ist.
Wann gilt ein Unfall als Ursache für eine Verletzung im Sinne der Unfallversicherung?
Wenn Sie einen Unfall erleiden und danach eine Verletzung feststellen, ist es für die private Unfallversicherung entscheidend, ob der Unfall auch die maßgebliche Ursache für diese Verletzung war. Es genügt nicht, dass eine Verletzung nach einem Unfall auftritt; der Unfall muss sie auch tatsächlich hervorgerufen haben.
Der entscheidende Ursachenzusammenhang: Die „wesentliche Ursache“
Im Sinne der Unfallversicherung gilt ein Unfall dann als Ursache für eine Verletzung, wenn er die wesentliche Bedingung für deren Entstehung war. Das bedeutet, der Unfall muss von solcher Bedeutung für die Verletzung sein, dass sie ohne ihn entweder gar nicht, nicht zu diesem Zeitpunkt oder nicht in dieser Schwere eingetreten wäre. Man spricht hier von einem Ursachenzusammenhang.
Stellen Sie sich vor, Sie stürzen auf einer Rolltreppe und Ihr Knie knickt beim Aufprall stark ein, wodurch eine Patellarsehne reißt. Hier ist der Sturz die direkte und wesentliche Ursache für den Sehnenriss. Die Versicherung prüft, ob der Sturz die entscheidende Kraft war, die zu dieser konkreten Verletzung geführt hat.
Vorerkrankungen und der Unterschied zwischen „wesentlich“ und „gelegentlich“
Besonders wichtig wird diese Unterscheidung, wenn Vorerkrankungen oder Vorschäden vorliegen. Die Versicherung prüft dann, ob der Unfall die Verletzung tatsächlich verursacht hat oder ob er lediglich ein „Auslöser“ für einen Schaden war, der aufgrund der Vorerkrankung ohnehin kurz bevorstand oder spontan aufgetreten wäre.
- Der Unfall als wesentliche Ursache: Wenn der Unfall trotz einer Vorerkrankung die entscheidende Kraft war, die zur Verletzung führte, gilt er als wesentliche Ursache. Ihr Knie war vielleicht vorgeschädigt, aber der Sturz war die unerlässliche Kraft, die zum Riss der Patellarsehne geführt hat. Ohne den Sturz wäre der Riss (zumindest nicht so oder zu diesem Zeitpunkt) nicht passiert.
- Der Unfall als gelegentliche Ursache oder bloßer Auslöser: Gilt der Unfall lediglich als ein zufälliger oder unwesentlicher Anlass für eine Verletzung, die aufgrund einer starken Vorerkrankung auch ohne diesen Unfall jederzeit oder durch eine geringfügige, alltägliche Bewegung eingetreten wäre, dann liegt in der Regel keine wesentliche Ursache im Sinne der Unfallversicherung vor. Die Verletzung wäre also quasi „aus eigenem Antrieb“ entstanden und der Unfall war nur der sprichwörtliche „letzte Tropfen“, der das Fass zum Überlaufen brachte, aber nicht die entscheidende Ursache.
Für Sie bedeutet dies: Die Unfallversicherung zahlt, wenn der Unfall eine entscheidende Rolle bei der Entstehung Ihrer Verletzung gespielt hat und diese Verletzung nicht ohnehin aufgrund einer bereits bestehenden Erkrankung in gleicher Weise eingetreten wäre. Der Unfall muss also die Hauptverantwortung für Ihren Gesundheitsschaden tragen.
Wie wird eine Verletzung medizinisch beurteilt, um einen Anspruch bei der Unfallversicherung zu prüfen?
Die medizinische Beurteilung einer Verletzung ist der zentrale Punkt, wenn es darum geht, ob und in welchem Umfang ein Anspruch bei der Unfallversicherung besteht. Hierbei geht es nicht nur um die reine Diagnose, sondern vor allem um die Ursächlichkeit der Verletzung durch das Unfallereignis und deren Schweregrad.
Erste ärztliche Versorgung und Dokumentation
Nach einem Unfall, wie einem Sturz auf einer Rolltreppe, bei dem das Knie einknickt und die Patellarsehne reißt, erfolgt zunächst die medizinische Erstversorgung. Die behandelnden Ärzte (z.B. im Krankenhaus oder beim Orthopäden) stellen eine Diagnose und dokumentieren die Befunde. Diese anfänglichen medizinischen Unterlagen sind wichtig, da sie den Ausgangspunkt für jede weitere Beurteilung bilden. Sie beschreiben die Art der Verletzung und die direkt nach dem Unfall festgestellten Schäden.
Rolle unabhängiger medizinischer Gutachten
Die Unfallversicherung prüft die eingereichten Unterlagen. Oftmals reichen die Berichte der behandelnden Ärzte für die Entscheidung der Versicherung nicht aus, da diese Ärzte primär auf die Behandlung und nicht auf die versicherungsrechtliche Beurteilung ausgerichtet sind. Die Versicherung beauftragt dann in der Regel unabhängige medizinische Gutachter.
Diese Gutachter haben die Aufgabe, die Verletzung aus einer neutralen Perspektive zu bewerten. Sie sichten alle vorhandenen medizinischen Akten (Krankenhausberichte, Arztbriefe, Bildgebung wie Röntgen oder MRT) und führen oft eine eigene körperliche Untersuchung durch. Für Sie als Betroffene bedeutet das, dass Sie in der Regel zu einem Termin bei einem solchen Gutachter erscheinen müssen.
Zentrale Fragen der medizinischen Begutachtung
Die Gutachter beantworten für die Unfallversicherung spezifische Fragen, die entscheidend für die Anerkennung eines Anspruchs sind:
- Diagnose und Befund: Welche genaue Verletzung liegt vor? Welche Schäden sind objektiv feststellbar?
- Kausalität (Ursächlichkeit): War der Unfall die wesentliche Ursache für die Verletzung? Bei dem Beispiel des Rolltreppen-Sturzes und dem Riss der Patellarsehne wird geprüft, ob der Sturz diesen Riss direkt und hauptsächlich verursacht hat oder ob beispielsweise eine bereits bestehende Vorschädigung (wie eine degenerative Veränderung der Sehne) eine Rolle gespielt hat. Es muss eine klare und überwiegende Verbindung zwischen Unfall und Verletzung bestehen.
- Schweregrad und Dauerfolgen: Wie schwer ist die Verletzung? Sind bleibende Schäden zu erwarten, die die körperliche oder berufliche Leistungsfähigkeit beeinflussen? Dies kann die Grundlage für die Berechnung einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) sein, die über die Höhe einer möglichen Rente entscheidet.
- Verlauf und Prognose: Wie wird sich die Verletzung voraussichtlich entwickeln? Ist eine vollständige Heilung möglich oder sind dauerhafte Einschränkungen zu erwarten?
Bedeutung der Gutachten für die Entscheidung
Die Ergebnisse dieser medizinischen Gutachten sind für die Unfallversicherung maßgeblich. Sie bilden die Grundlage für die Entscheidung, ob ein Anspruch anerkannt wird, welche Leistungen gewährt werden und wie hoch diese ausfallen. Kommt es zu einem Streitfall und der Fall landet vor Gericht, ziehen auch Gerichte in der Regel eigene medizinische Sachverständige heran, um eine unabhängige Beurteilung zu erhalten. Die medizinische Expertise ist somit der Beweismittelkern in jedem Unfallversicherungsfall.
Wie wird der Invaliditätsgrad nach einem Unfall bestimmt und welche Bedeutung hat er für die Versicherungsleistung?
Der Invaliditätsgrad beschreibt, in welchem Umfang die körperliche oder geistige Leistungsfähigkeit einer Person durch einen Unfall dauerhaft eingeschränkt ist. Er ist eine zentrale Größe in der privaten Unfallversicherung, um die Höhe der Versicherungsleistung zu bestimmen.
Wie der Invaliditätsgrad festgestellt wird
Die Bestimmung des Invaliditätsgrades erfolgt in mehreren Schritten und basiert auf einer medizinischen Einschätzung.
- Medizinische Begutachtung: Nach dem Unfall und einer gewissen Zeit der Heilung wird der Zustand der verletzten Person von Ärzten begutachtet. Dabei steht nicht allein die Verletzung selbst im Vordergrund, sondern vor allem die dauerhafte Beeinträchtigung der körperlichen oder geistigen Funktionen. Es wird also bewertet, welche Funktion ein Körperteil oder Organ nach dem Unfall dauerhaft nicht mehr oder nur noch eingeschränkt erfüllen kann.
- Die Gliedertaxe: Private Unfallversicherungen nutzen zur Ermittlung des Invaliditätsgrades in der Regel die sogenannte Gliedertaxe. Dies ist eine Tabelle, die für den vollständigen Verlust oder die vollständige Funktionsunfähigkeit bestimmter Körperteile (wie Arm, Bein, Auge, Finger) feste Prozentsätze des Invaliditätsgrades vorgibt.
- Beispiel Knieverletzung: Bei einer Knieverletzung, wie sie bei einem Sturz auf einer Rolltreppe entstehen kann, wird geschaut, wie stark die Beweglichkeit des Knies dauerhaft eingeschränkt ist. Die Gliedertaxe sieht für den vollständigen Verlust des Beines beispielsweise einen bestimmten Invaliditätsgrad vor. Bei einer Teilausfall, also einer teilweisen Funktionsbeeinträchtigung, wird ein entsprechend geringerer Prozentsatz angesetzt. Wenn zum Beispiel die Beweglichkeit eines Kniegelenks um 25 Prozent eingeschränkt ist, kann dies je nach Versicherungsvertrag und Gliedertaxe einen bestimmten Invaliditätsgrad bedeuten, der dann im Verhältnis zum vollen Wert des Beines berechnet wird.
- Fehlende Werte in der Gliedertaxe: Sind Körperteile oder Funktionen betroffen, die nicht direkt in der Gliedertaxe aufgeführt sind, wird der Invaliditätsgrad nach dem Grad der Beeinträchtigung der gesamten körperlichen oder geistigen Leistungsfähigkeit bestimmt. Hier fließt die Auswirkung der Verletzung auf das gesamte Leistungsvermögen in Relation zu einem gesunden Menschen ein.
Bedeutung des Invaliditätsgrades für die Versicherungsleistung
Der festgestellte Invaliditätsgrad ist direkt entscheidend für die Höhe der Entschädigung, die die private Unfallversicherung zahlt.
- Einmalzahlungen: Die meisten Verträge sehen eine Kapitalleistung (eine einmalige Zahlung) vor. Die Höhe dieser Zahlung ergibt sich aus der vereinbarten Versicherungssumme, multipliziert mit dem festgestellten Invaliditätsgrad.
- Beispiel: Haben Sie eine Versicherungssumme von 100.000 Euro vereinbart und es wird ein Invaliditätsgrad von 20 Prozent festgestellt, so erhalten Sie 20.000 Euro (100.000 Euro × 20%).
- Invaliditätsrente: Einige Unfallversicherungsverträge bieten auch eine monatliche Invaliditätsrente an. Diese Rente wird oft erst ab einem bestimmten, im Vertrag festgelegten Schwellenwert des Invaliditätsgrades gezahlt, beispielsweise ab 50 Prozent Invalidität. Erreicht der Invaliditätsgrad diesen Wert nicht, gibt es in der Regel nur eine einmalige Kapitalleistung.
- Staffelungen (Progression): Viele Versicherungsverträge enthalten eine sogenannte Progression. Das bedeutet, dass die Leistung überproportional ansteigt, wenn ein besonders hoher Invaliditätsgrad erreicht wird. Damit soll dem Umstand Rechnung getragen werden, dass sehr schwere Invaliditäten oft besonders hohe Kosten und Einschränkungen mit sich bringen.
Die genauen Regelungen und Schwellenwerte sind immer individuell im Versicherungsvertrag festgelegt. Ein genauer Blick in die Vertragsbedingungen ist daher immer ratsam, um die spezifischen Leistungen und Bedingungen der eigenen Unfallversicherung zu verstehen.
Welche Möglichkeiten habe ich, wenn meine private Unfallversicherung die Leistung ablehnt?
Wenn eine private Unfallversicherung die Leistung nach einem Ereignis ablehnt, beginnt für den Versicherungsnehmer eine Phase, in der die Begründung der Ablehnung genau geprüft und gegebenenfalls angefochten werden kann.
Begründung der Ablehnung verstehen
Der erste Schritt ist, die Ablehnungsbegründung der Versicherung genau zu lesen und zu verstehen. Die Versicherung muss darlegen, warum sie die Leistung verweigert. Oft geht es dabei um Fragen wie:
- Liegt ein Unfall im Sinne der Versicherungsbedingungen vor?
- Gibt es einen direkten Zusammenhang zwischen dem Unfallereignis und der Gesundheitsbeeinträchtigung?
- Wurden Fristen eingehalten, beispielsweise für die Meldung des Unfalls oder die ärztliche Feststellung einer Invalidität?
- Wie wird der Grad der Invalidität bewertet?
Für Sie ist es wichtig, die genauen Gründe für die Leistungsablehnung zu kennen, um sich eine Übersicht zu verschaffen.
Widerspruch und Fristen beachten
Nach Erhalt der Ablehnung besteht meist die Möglichkeit, Widerspruch gegen die Entscheidung der Versicherung einzulegen. Dieser Widerspruch sollte schriftlich erfolgen und die eigenen Argumente und möglicherweise neue Beweise oder Erkenntnisse enthalten, die gegen die Ablehnung sprechen. Dabei sind wichtige Fristen zu beachten, die in den Versicherungsbedingungen oder gesetzlich festgelegt sein können. Die Einhaltung dieser Fristen ist entscheidend, um Ihre Rechte zu wahren. Ein gut begründeter Widerspruch sollte sich auf die Punkte der Ablehnung beziehen und diese widerlegen.
Alternative Streitbeilegung
Bevor ein gerichtliches Verfahren in Betracht gezogen wird, gibt es oft Möglichkeiten der außergerichtlichen Streitbeilegung. Dazu gehört zum Beispiel das Verfahren vor dem Ombudsmann für Versicherungen. Der Ombudsmann prüft den Fall als unabhängige und neutrale Stelle und versucht, eine faire Lösung herbeizuführen. Seine Entscheidung ist für die Versicherung bis zu einem bestimmten Streitwert bindend, für den Versicherungsnehmer jedoch nicht. Für Sie kann dies eine Möglichkeit sein, den Fall überprüfen zu lassen, ohne sofort ein Gerichtsverfahren einzuleiten.
Gerichtliche Klärung als letzter Weg
Sollten alle anderen Versuche, eine Einigung mit der Versicherung zu erzielen, scheitern, kann eine gerichtliche Klärung notwendig werden. Dies bedeutet, dass der Anspruch auf Versicherungsleistung vor einem Gericht geltend gemacht wird. Ein solches Verfahren ist in der Regel komplex und erfordert die Vorlage von Beweismitteln, beispielsweise medizinischen Gutachten oder Zeugenaussagen. Auch hierbei sind gesetzliche Verjährungsfristen zu beachten, innerhalb derer der Anspruch gerichtlich geltend gemacht werden muss. Ein Gericht prüft dann den Sachverhalt und die Rechtslage und entscheidet, ob die Versicherung zur Leistung verpflichtet ist. Ein gerichtliches Verfahren ist die letzte Möglichkeit, Ihren Anspruch durchzusetzen, wenn die Versicherung weiterhin die Leistung ablehnt.
Hinweis: Bitte beachten Sie, dass die Beantwortung der FAQ Fragen keine individuelle Rechtsberatung darstellt und ersetzen kann. Alle Angaben im gesamten Artikel sind ohne Gewähr. Haben Sie einen ähnlichen Fall und konkrete Fragen oder Anliegen? Zögern Sie nicht, uns zu kontaktieren. Wir klären Ihre individuelle Situation und die aktuelle Rechtslage.
Glossar – Fachbegriffe kurz erklärt
Invalidität
Invalidität bezeichnet eine dauerhafte körperliche oder geistige Beeinträchtigung, die nach einem Unfall zurückbleibt und die Leistungsfähigkeit des Betroffenen einschränkt. In der Unfallversicherung ist der Invaliditätsgrad entscheidend für die Höhe der Entschädigung: Je stärker die Beeinträchtigung, desto höher die Leistung. Dabei wird geprüft, wie stark ein Körperteil oder eine Funktion in seiner Nutzung dauerhaft eingeschränkt ist, beispielsweise ein teilweise funktionsunfähiges Bein. Die Bemessung erfolgt häufig nach der sogenannten Gliedertaxe, die festlegt, welche Werte bestimmten Ausfällen zugeordnet werden.
Beispiel: Wenn bei einem Knieunfall das Bein zu 50 % in seiner Funktion eingeschränkt ist, entspricht das einem Invaliditätsgrad von 50 % und beeinflusst die Versicherungsleistung entsprechend.
Kausalität
Kausalität bedeutet den ursächlichen Zusammenhang zwischen einem Ereignis (z.B. einem Unfall) und einer Verletzung oder einem Schaden. Für Ansprüche aus einer Unfallversicherung muss der Unfall die wesentliche Ursache für die Verletzung gewesen sein. Das heißt: Ohne den Unfall wäre die Verletzung so nicht oder nicht in dieser Schwere eingetreten. Dabei ist zu unterscheiden, ob der Unfall maßgeblich (wesentliche Ursache) oder nur zufällig beteiligt war.
Beispiel: Nur weil jemand nach einem Sturz eine Sehnenverletzung hat, bedeutet das nicht automatisch, dass der Unfall der Hauptgrund war – wenn die Sehne schon vorher schwer beschädigt war, könnte die Verletzung auch ohne den Sturz eingetreten sein.
Vorschaden (Schadensanlage)
Ein Vorschaden ist eine bereits bestehende, vor dem Unfall vorhandene gesundheitliche Schwäche oder Beschädigung eines Körperteils. In der Unfallversicherung wird geprüft, ob ein solcher Vorschaden die Entstehung oder den Schweregrad der Verletzung mitbeeinflusst hat. Wenn ein Vorschaden ursächlich zur Verletzung beiträgt, kann dies die Versicherungsleistung mindern oder sogar ausschließen, weil dann der Unfall nicht die alleinige Ursache ist.
Beispiel: Wenn die Patellarsehne bei einem Sturz reißt, Kollegen oder Gutachter aber feststellen, dass sie schon vor dem Unfall durch Verschleiß stark geschwächt war, spricht man von einem Vorschaden.
Gliedertaxe
Die Gliedertaxe ist eine vertraglich vereinbarte Tabelle in Unfallversicherungen, die für den Verlust oder die dauerhafte Funktionseinschränkung bestimmter Körperteile oder -funktionen feste Prozentwerte für den Invaliditätsgrad festlegt. Sie dient dazu, die Schwere der Verletzung standardisiert zu bewerten und daraus die Höhe der Versicherungsleistung zu berechnen. Fehlt für bestimmte Körperteile ein Wert, wird der Invaliditätsgrad anhand der allgemeinen funktionellen Beeinträchtigung bestimmt.
Beispiel: Wird ein Bein komplett funktionsunfähig, kann die Gliedertaxe einen Invaliditätsgrad von z.B. 70 Prozent vorsehen, bei Teilfunktionseinschränkungen entsprechend weniger.
Befangenheitsantrag
Ein Befangenheitsantrag ist ein Antrag, mit dem eine Partei die Neutralität und Unvoreingenommenheit eines Gerichts- oder Sachverständigenmitglieds anzweifelt. Wird vermutet, dass ein Gutachter voreingenommen oder befangen ist, kann so versucht werden, ihn von der Mitwirkung am Verfahren auszuschließen. Solche Anträge müssen jedoch frühzeitig gestellt und gut begründet werden, damit Gerichte sie berücksichtigen. Ein verspäteter oder unbegründeter Befangenheitsantrag wird meist abgelehnt.
Beispiel: Wenn der Kläger Zweifel an der Neutralität des medizinischen Gutachters hat, kann er einen Befangenheitsantrag stellen, um einen neuen Gutachter zu fordern – aber nur, wenn er schlüssige Gründe vorbringt und rechtzeitig reagiert.
Wichtige Rechtsgrundlagen
- Versicherungsvertragsgesetz (VVG) und Allgemeine Unfallversicherungsbedingungen (AUB): Das Versicherungsvertragsgesetz (VVG) regelt allgemein die Rechtsbeziehungen zwischen Versicherer und Versicherungsnehmer in Deutschland. Die Allgemeinen Unfallversicherungsbedingungen (AUB) sind standardisierte Vertragsbedingungen, die von den Versicherungsgesellschaften verwendet werden und detailliert festlegen, welche Ereignisse als Unfall gelten, welche Leistungen bei Invalidität gezahlt werden und unter welchen Voraussetzungen ein Anspruch besteht. Sie sind die Grundlage des individuellen Versicherungsvertrags und somit bindend für beide Parteien. → Bedeutung im vorliegenden Fall: Der gesamte Leistungsanspruch des Klägers resultiert aus seiner privaten Unfallversicherung. Die AUB definieren die Voraussetzungen für die Auszahlung der Versicherungssumme und der Rente, die im Gerichtsprozess überprüft wurden.
- Grundsatz der wesentlichen Ursache im Unfallversicherungsrecht: Im Unfallversicherungsrecht muss für einen Leistungsanspruch ein klarer Ursachenzusammenhang zwischen dem Unfallereignis und der eingetretenen Gesundheitsschädigung bestehen. Es gilt der Grundsatz, dass der Unfall die „wesentliche“ Ursache für die Schädigung sein muss, selbst wenn bereits Vorerkrankungen oder Vorschäden bestanden. Ein Unfall, der lediglich einen Vorschaden offenbart oder verstärkt, ist nur dann versichert, wenn er die überwiegende Ursache für die dauerhafte Beeinträchtigung darstellt. → Bedeutung im vorliegenden Fall: Die zentrale Streitfrage war, ob der Sturz die wesentliche Ursache für den Sehnenriss und die daraus resultierende Invalidität war, oder ob der bestehende Vorschaden die überwiegende Rolle spielte.
- Zivilprozessordnung (ZPO), insbesondere § 286 ZPO (Freie Beweiswürdigung): Die Zivilprozessordnung regelt das Verfahren vor den Zivilgerichten. Nach § 286 ZPO entscheidet das Gericht nach freier Überzeugung, ob eine tatsächliche Behauptung bewiesen ist oder nicht. Das bedeutet, das Gericht würdigt alle vorgelegten Beweismittel – wie Urkunden, Zeugenaussagen oder eben Sachverständigengutachten – umfassend und entscheidet, welche Tatsachen es für wahr hält. Die Partei, die einen Anspruch geltend macht, trägt dabei grundsätzlich die Beweislast für die anspruchsbegründenden Tatsachen. → Bedeutung im vorliegenden Fall: Der Kläger musste beweisen, dass der Unfall ursächlich für seine schwere Invalidität war. Das Gericht würdigte das Sachverständigengutachten und kam zu dem Schluss, dass der Kläger diesen Beweis nicht erbracht hatte.
- Zivilprozessordnung (ZPO), insbesondere §§ 402 ff. ZPO (Sachverständigenbeweis): Wenn zur Klärung eines Sachverhalts spezielles Fachwissen erforderlich ist, das dem Gericht fehlt, kann es einen Sachverständigen hinzuziehen. Dieser erstellt ein Gutachten, das dem Gericht als fachliche Entscheidungshilfe dient. Obwohl das Gericht nicht zwingend an die Einschätzung des Sachverständigen gebunden ist, folgt es einem schlüssigen und nachvollziehbar begründeten Gutachten in der Regel. → Bedeutung im vorliegenden Fall: Da medizinische Fragen zur Ursache des Sehnenrisses und zum Invaliditätsgrad zu klären waren, beauftragte das Gericht einen medizinischen Sachverständigen, dessen Gutachten die Grundlage für die richterliche Entscheidung bildete.
- Invaliditätsbegriff und Gliedertaxe in der privaten Unfallversicherung: In der privaten Unfallversicherung bezeichnet Invalidität eine dauerhafte Beeinträchtigung der körperlichen oder geistigen Leistungsfähigkeit infolge eines Unfalls. Die Höhe der Invaliditätsleistung wird oft anhand einer sogenannten „Gliedertaxe“ bestimmt, einer Tabelle in den Versicherungsbedingungen, die für den Verlust oder die Funktionsunfähigkeit bestimmter Körperteile feste Prozentsätze der Versicherungssumme vorsieht. Diese Taxen dienen der objektiven Bemessung des Invaliditätsgrades. → Bedeutung im vorliegenden Fall: Der Kläger forderte Leistungen basierend auf einem hohen Invaliditätsgrad. Das Sachverständigengutachten bewertete den Invaliditätsgrad jedoch unter Berücksichtigung medizinischer Standards und der Gliedertaxe als wesentlich geringer und nicht ausreichend für die geforderten Leistungen.
Das vorliegende Urteil
LG Ingolstadt – Az.: 21 O 307/23 Ver – Endurteil vom 28.01.2025
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