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Unfallversicherung: Selbststrangulation ohne Suizidabsicht – Ausschluss durch „Eingriff am Körper“?

Ein Leistungsausschluss in der privaten Unfallversicherung führte zu einem erbitterten Streit vor Gericht. Dabei forderte die Familie eines jungen Mannes von dessen Versicherer Leistungen, nachdem eine gewollte Selbststrangulation furchtbar schiefgegangen war und schwere Hirnschäden verursachte. Die Versicherung lehnte die Zahlung jedoch ab und berief sich auf eine Klausel, die „Eingriffe am Körper“ vom Versicherungsschutz ausschließt. War der dramatische Ausgang dieses Experiments ein versicherter Unfall oder ein vom Vertrag ausgenommener, selbst herbeigeführter „Eingriff“?

Zum vorliegenden Urteil Az.: 8 U 2209/18 | Schlüsselerkenntnis | FAQ  | Glossar  | Kontakt

Das Wichtigste in Kürze

  • Gericht: OLG Nürnberg
  • Datum: 24.10.2019
  • Aktenzeichen: 8 U 2209/18
  • Verfahren: Klageverfahren
  • Rechtsbereiche: Versicherungsrecht, Unfallversicherungsrecht

Beteiligte Parteien:

  • Kläger: Die Inhaberin einer privaten Unfallversicherung, die für ihren Sohn Ansprüche aus der Versicherung geltend machte. Sie bestritt eine absichtliche Strangulation und führte an, dass es sich um ein unfreiwilliges Erhängen handelte.
  • Beklagte: Die private Unfallversicherung, die die Leistungspflicht ablehnte, da die Schädigung des Sohnes als „Eingriff am Körper“ unter einen vertraglichen Ausschluss falle.

Worum ging es genau?

  • Sachverhalt: Der versicherte Sohn der Klägerin erlitt eine schwere Gehirnschädigung, nachdem er sich mittels eines Seils selbst strangulierte, nachdem er zuvor gezielt Videos zu diesem Thema angesehen hatte. Die Klägerin forderte Leistungen aus der privaten Unfallversicherung ihres Sohnes, was die Versicherung ablehnte.

Welche Rechtsfrage war entscheidend?

  • Kernfrage: Ist ein Unfallversicherungsschutz ausgeschlossen, wenn die versicherte Person eine Gesundheitsschädigung durch eine gezielte Selbststrangulation erleidet, die nicht in Suizidabsicht erfolgt, aber unter den Ausschlusskatalog für „sonstige Eingriffe am Körper“ gemäß den Allgemeinen Unfallversicherungs-Bedingungen (AUB 2014) fällt, auch wenn der genaue Hergang der Strangulation von der ursprünglichen Absicht abweicht oder die Kontrolle verloren wird?

Wie hat das Gericht entschieden?

  • Berufung zurückgewiesen: Das Oberlandesgericht wies die Berufung der Klägerin zurück und bestätigte das Urteil des Landgerichts, das die Klage abgewiesen hatte.
  • Kernaussagen der Begründung:
    • Ausschluss durch „Eingriff am Körper“: Eine gezielt herbeigeführte Selbststrangulation erfüllt den Ausschlussgrund „sonstige Eingriffe am Körper“ gemäß den Allgemeinen Unfallversicherungs-Bedingungen (AUB 2014), unabhängig von Suizidabsicht oder anderen Motiven.
    • Unerheblichkeit des genauen Hergangs: Der Ausschluss greift auch dann, wenn der genaue Hergang der Strangulation von der ursprünglichen Absicht abweicht oder die Kontrolle verloren wurde, da sich die spezifische Gefahr des Eingriffs verwirklicht hat.
    • Ausreichende Indizien: Die Feststellung des Landgerichts, dass der Sohn die Strangulation gezielt herbeigeführt hatte, wurde als bindend angesehen, basierend auf dem Auffinden in einer Strangulierungsschlinge und dem vorherigen Ansehen von Videos über gezielte Strangulationen.
  • Folgen für die Klägerin/den Kläger:
    • Die Klägerin erhielt keine Versicherungsleistungen.
    • Die Klägerin muss die Kosten des Berufungsverfahrens tragen.

Der Fall vor Gericht


Was passiert, wenn ein Unfall absichtlich herbeigeführt wurde – aber das Ergebnis ein Versehen war?

Stellen Sie sich vor, Sie schließen eine private Unfallversicherung ab. Die Idee dahinter ist einfach: Wenn Ihnen durch ein plötzliches, unvorhergesehenes Ereignis – einen Unfall – ein dauerhafter Schaden entsteht, erhalten Sie eine vereinbarte Geldsumme. Doch was passiert, wenn die Grenze zwischen Unfall und absichtlicher Handlung verschwimmt? Ein Urteil des Oberlandesgerichts Nürnberg befasst sich genau mit einem solchen tragischen Grenzfall, bei dem ein junger Mann eine gefährliche Handlung an sich selbst vornahm, die furchtbar schiefging.

Wie kam es zu dem tragischen Vorfall?

Ein Mann auf gebundenem Stuhl symbolisiert Unfallversicherung Strangulation und Ausschluss bei Eingriffen.
Unfallversicherung: Wann Selbststrangulation und Eingriffe vom Schutz ausgeschlossen sind und was Sie dazu wissen sollten. | Symbolbild: KI-generiertes Bild

Im Mai 2016 wurde der Sohn der Klägerin im Treppenhaus seines Zuhauses leblos aufgefunden. Er hing mit dem Hals in einer Schlinge an einem Seil, das er selbst am Treppengeländer befestigt hatte. Durch den Sauerstoffmangel erlitt er eine schwere und dauerhafte Gehirnschädigung. Die Ermittlungen ergaben, dass der Sohn unmittelbar vor dem Vorfall auf seinem Smartphone gezielt nach Videos einer Selbststrangulation gesucht und sich diese angesehen hatte. Es handelte sich um Darstellungen, bei denen sich Personen absichtlich die Luftzufuhr abschnitten, um einen bestimmten Effekt zu erzielen.

Die Mutter, die für ihren Sohn eine Unfallversicherung abgeschlossen hatte, meldete den Vorfall der Versicherung, um die vereinbarte Summe für den eingetretenen Invaliditätsfall – einen Zustand, in dem eine Person dauerhaft körperlich oder geistig beeinträchtigt ist – in Höhe von 273.000 Euro zu erhalten.

Warum weigerte sich die Versicherung, die Kosten zu übernehmen?

Die Versicherung lehnte die Zahlung ab. Sie berief sich auf eine Klausel in ihrem Vertragswerk, den sogenannten Allgemeinen Unfallversicherungs-Bedingungen (AUB 2014). Das sind quasi die „Spielregeln“ des Versicherungsvertrags, die für alle Kunden gelten.

In diesen Regeln gab es einen sogenannten Leistungsausschluss. Das bedeutet, es gibt bestimmte Situationen, in denen die Versicherung nicht zahlen muss, auch wenn ein Schaden eingetreten ist. Die entscheidende Regel (Ziffer 5.2.3 AUB 2014) besagte, dass kein Versicherungsschutz für „Gesundheitsschäden durch … sonstige Eingriffe am Körper der versicherten Person“ besteht.

Aber was ist ein „sonstiger Eingriff am Körper“? Man kann es sich wie eine geplante Handlung vorstellen, die bewusst auf den eigenen Körper einwirkt. Ein klassisches Beispiel wäre eine Schönheitsoperation. Diese ist ein gewollter Eingriff und kein Unfall. Die Versicherung argumentierte, dass die Selbststrangulation des Sohnes genau solch ein geplanter „Eingriff“ war und daher nicht versichert sei. Selbst wenn er nicht sterben wollte, so habe er die Strangulation doch absichtlich begonnen.

Wie entschied das erste Gericht und was waren die Gründe?

Der Fall landete zunächst vor dem Landgericht Regensburg. Die Mutter argumentierte, es sei ein tragischer Unfall gewesen. Ihr Sohn habe sich nicht absichtlich strangulieren wollen. Vielmehr sei der Bürostuhl, auf dem er stand, weggerollt, was zu dem unfreiwilligen Erhängen geführt habe.

Das Landgericht folgte dieser Sichtweise jedoch nicht und wies die Klage ab. Die Richter waren überzeugt, dass der Sohn einen bewussten „Eingriff“ an seinem Körper vorgenommen hatte. Aber wie kamen sie zu dieser Überzeugung? Sie stützten sich auf mehrere Indizien – also Anzeichen, die auf eine bestimmte Tatsache hindeuten:

  • Die Internetrecherche: Der Sohn hatte gezielt nach Videos gesucht, die eine freiwillige Strangulation zeigten. Das deutet auf eine geplante Nachahmung hin.
  • Der gekonnte Knoten: Das Seil war fachmännisch geknotet, was gegen eine zufällige Verwicklung spricht.
  • Die Handlung selbst: Sich ein Seil um den Hals zu legen und es an einer erhöhten Position zu befestigen, ist eine gezielte Handlung, um eine bestimmte körperliche Funktion – die Atmung – zu beeinträchtigen.

Das Gericht entschied: Auch wenn das katastrophale Ergebnis nicht gewollt war, war der Beginn der Handlung – die Strangulation einzuleiten – ein bewusster Akt. Und genau dieser bewusste Akt fällt unter den Leistungsausschluss als „Eingriff am Körper“.

Weshalb ging die Mutter gegen das erste Urteil vor?

Die Mutter wollte dieses Urteil nicht akzeptieren und legte Berufung ein. Das bedeutet, sie bat ein höheres Gericht – in diesem Fall das Oberlandesgericht (OLG) Nürnberg –, die Entscheidung des ersten Gerichts zu überprüfen.

Ihre Argumente blieben im Kern dieselben:

  • Die Versicherung habe nicht beweisen können, dass ihr Sohn sich absichtlich strangulieren wollte.
  • Medizinische Befunde zeigten keine typischen Strangulationsmerkmale am Hals, was gegen eine vollständig durchgeführte, absichtliche Strangulation spreche.
  • Der umgekippte Stuhl sei ein starkes Indiz für einen Unfallhergang. Der Sohn habe den Halt verloren, anstatt sich absichtlich fallen zu lassen.

Die Versicherung hielt dagegen: Die Schaffung einer derart gefährlichen Situation sei bereits der entscheidende Punkt. Es sei plausibel, dass der Sohn den Stuhl sogar absichtlich wegstieß, um die Strangulation einzuleiten.

Warum hat auch das Oberlandesgericht die Klage abgewiesen?

Das Oberlandesgericht Nürnberg bestätigte die Entscheidung des Landgerichts und wies die Berufung der Mutter zurück. Die Richter erklärten, dass die Beweiswürdigung der ersten Instanz nicht zu beanstanden sei. Es gäbe keine konkreten Anhaltspunkte, die an der Richtigkeit der Feststellungen zweifeln ließen.

Die Richter des OLG machten deutlich: Die Kombination aus der Internetrecherche nach Strangulationsvideos und dem tatsächlichen Anbringen einer Schlinge am Hals lässt kaum einen anderen Schluss zu, als dass der Sohn gezielt eine Strangulation herbeiführen wollte. Ob dies aus Neugier, zur Erregung oder aus anderen Gründen geschah, sei dabei rechtlich unerheblich.

Die Handlung selbst – das gezielte Ansetzen zur Strangulation – war der entscheidende „Eingriff“. Damit war der Ausschlussgrund aus dem Versicherungsvertrag erfüllt.

Spielt es eine Rolle, wenn der Sohn die Kontrolle verloren hat?

Dies ist der vielleicht kniffligste Punkt des Falles und die zentrale Frage, die das Gericht beantworten musste. Die Mutter argumentierte ja, dass selbst wenn ihr Sohn etwas ausprobieren wollte, der eigentliche Schaden durch einen Kontrollverlust – das Wegrollen des Stuhls – und damit durch einen Unfall entstanden sei.

Das Gericht verneinte dies jedoch mit einer klaren juristischen Logik. Um das zu verstehen, hilft ein Vergleich: Stellen Sie sich vor, ein Arzt führt eine geplante Operation durch (ein „Eingriff“). Während der OP zittert seine Hand, er rutscht ab und verletzt den Patienten schwer. Obwohl das Abrutschen ein Versehen war, ist die Verletzung eine direkte Folge des Operationsrisikos. Niemand würde sagen, die Verletzung habe nichts mit der OP zu tun.

Genauso argumentierte das Gericht hier:

  • Der Sohn hat durch das Vorbereiten der Strangulation eine spezifische und hohe Gefahr geschaffen. Dies war der bewusste „Eingriff“.
  • Der eingetretene Hirnschaden ist die direkte Verwirklichung genau dieser Gefahr. Es war kein zufälliger, von der Handlung losgelöster Unfall, wie etwa ein plötzlicher Herzinfarkt während des Experiments.
  • Deshalb ist es unerheblich, ob der Ablauf exakt wie geplant verlief oder ob durch einen Fehler die Kontrolle verloren ging. Der innere Zusammenhang zwischen dem gewollten Eingriff (Strangulation beginnen) und dem Schaden (Folgen der Strangulation) bleibt bestehen.

Das Gericht erklärte, dass der Zweck der Ausschlussklausel genau darin besteht, solche selbstgeschaffenen, kalkulierten Risiken von der Versicherungspflicht auszunehmen. Ein Unfall im Sinne der Versicherung ist ein von außen kommendes, unfreiwilliges Ereignis. Ein bewusst eingeleiteter Eingriff, der außer Kontrolle gerät, ist genau das nicht.

Daher musste die Versicherung nicht zahlen. Die Klage der Mutter wurde endgültig abgewiesen.



Die Schlüsselerkenntnisse

Das Urteil des Oberlandesgerichts Nürnberg verdeutlicht, dass die bewusste Einleitung einer gefährlichen Handlung den Unfallcharakter auch dann ausschließen kann, wenn das konkrete Schadensergebnis ungewollt eintritt.

  • Bewusste Risikoschaffung begründet Leistungsausschluss: Das Gericht stellte fest, dass bereits das gezielte Vorbereiten einer Strangulation einen „sonstigen Eingriff am Körper“ darstellt, auch wenn keine Suizidabsicht vorlag. Entscheidend war die Kombination aus vorheriger Internetrecherche zu Strangulationsvideos und der tatsächlichen Umsetzung der gefährlichen Handlung.
  • Kontrollverlust hebt Kausalzusammenhang nicht auf: Daraus folgt, dass ein nachträglicher Kontrollverlust während einer bewusst eingeleiteten riskanten Handlung den inneren Zusammenhang zwischen Eingriff und Schaden nicht durchbricht. Der eingetretene Hirnschaden war die direkte Verwirklichung der durch die Strangulation geschaffenen spezifischen Gefahr, unabhängig davon, ob der genaue Ablauf wie geplant erfolgte.
  • Motivation für den Eingriff ist rechtlich unerheblich: Das Urteil bestätigt, dass die Beweggründe für einen bewussten Körpereingriff – sei es Neugier, Experimentierfreude oder andere Motive – für die Anwendung von Ausschlussklauseln ohne Bedeutung sind, solange die Handlung gezielt vorgenommen wurde.

Diese Entscheidung stärkt die Position von Unfallversicherern bei der Abgrenzung zwischen versicherten Unfällen und bewusst herbeigeführten risikoreichen Situationen, selbst wenn tragische ungewollte Folgen eintreten.


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Häufig gestellte Fragen zu versicherungsrechtlichen Themen

Häufig gestellte Fragen (FAQ)

Wann gilt eine selbst herbeigeführte Körperverletzung noch als versicherter Unfall?

Ein Unfall im Sinne der privaten Unfallversicherung ist grundsätzlich ein Ereignis, das plötzlich, von außen und unfreiwillig auf den Körper einwirkt und eine Gesundheitsschädigung verursacht. Auch wenn Sie selbst eine Handlung ausführen, kann die daraus resultierende Körperverletzung unter bestimmten Voraussetzungen als versicherter Unfall gelten. Entscheidend ist dabei, ob die Verletzung selbst unfreiwillig und unerwartet eintritt.

Der Kern: Die Unfreiwilligkeit der Verletzung

Für die Frage, ob eine selbst herbeigeführte Körperverletzung als Unfall gilt, kommt es darauf an, ob die Verletzung selbst unfreiwillig war. Ihre eigene Handlung, die zur Verletzung führt, kann durchaus gewollt sein. Die nachfolgende Schädigung muss jedoch unerwartet und unbeabsichtigt eintreten.

Stellen Sie sich vor, Sie gehen Treppen und stolpern über Ihre eigenen Füße. Der Gang über die Treppe ist eine gewollte Handlung. Das Stolpern und der daraus resultierende Sturz mit einer Verletzung sind jedoch plötzlich und nicht beabsichtigt. In diesem Fall wäre die Verletzung in der Regel als versicherter Unfall anzusehen, da der Sturz und die Schädigung unfreiwillig waren. Ähnlich verhält es sich, wenn Sie beim Sport eine ungeschickte Bewegung machen und sich dabei unabsichtlich verletzen, ohne dass eine äußere Kraft direkt einwirkt. Auch hier wäre der Unfall meist versichert, da die Verletzung selbst nicht gewollt war.

Abgrenzung zu Vorsatz und bloßer Überanstrengung

Eine Verletzung ist kein versicherter Unfall, wenn sie vorsätzlich herbeigeführt wird. Wenn jemand sich absichtlich selbst verletzt (vorsätzliche Selbstschädigung), ist dies niemals ein versichertes Ereignis. Hier fehlt es an der Unfreiwilligkeit der Verletzung.

Auch Verletzungen, die ausschließlich durch eine innere Ursache oder eine reine Überanstrengung entstehen, ohne dass ein plötzlich von außen wirkendes Ereignis hinzukommt, sind oft nicht als Unfall im Sinne der Versicherungsbedingungen anzusehen. Wenn Sie beispielsweise beim Heben eines schweren Gegenstandes einen Bandscheibenvorfall erleiden, der rein auf die Anstrengung zurückzuführen ist und nicht auf ein plötzliches Umknicken oder Fallen des Gegenstandes, liegt in der Regel kein versicherter Unfall vor. Die Versicherungen fordern hier oft, dass ein „plötzlich von außen wirkendes Ereignis“ als Ursache der Gesundheitsschädigung feststellbar ist.

Für Sie bedeutet das: Die entscheidende Frage für die Anerkennung eines Unfalls bei selbst herbeigeführten Handlungen ist, ob die Verletzung unerwartet und unbeabsichtigt eingetreten ist und ob ein plötzliches, von außen wirkendes Element (wie ein Stolpern, Ausrutschen oder eine unkontrollierte Bewegung) die Gesundheitsschädigung verursacht hat, selbst wenn die ursprüngliche Handlung von Ihnen gewollt war.


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Welche Bedeutung haben Ausschlussklauseln wie „Eingriffe am Körper“ in der Unfallversicherung?

Ausschlussklauseln wie „Eingriffe am Körper“ sind ein zentraler Bestandteil von Unfallversicherungsverträgen. Sie definieren Bereiche, in denen der Versicherungsschutz in der Regel nicht greift, selbst wenn ein Gesundheitsschaden entsteht. Ihr Hauptzweck ist es, bestimmte Risiken, die nicht dem klassischen Unfallbegriff entsprechen oder vom Versicherungsnehmer bewusst eingegangen werden, vom Versicherungsschutz auszunehmen.

Was sind „Eingriffe am Körper“?

Unter „Eingriffe am Körper“ verstehen Versicherer im Allgemeinen bewusste und gezielte Maßnahmen, die in den Körper vorgenommen werden und nicht durch ein plötzliches, von außen einwirkendes Ereignis verursacht wurden. Dazu zählen typischerweise:

  • Medizinische Behandlungen: Operationen, Injektionen, Diagnosestiche (wie eine Biopsie), oder zahnärztliche Eingriffe.
  • Ästhetische oder freiwillige Eingriffe: Schönheitsoperationen, Tätowierungen, Piercings, Haartransplantationen.
  • Weitere körperliche Veränderungen: Dazu können auch das Einsetzen von Implantaten oder andere nicht-unfallbedingte Veränderungen gehören.

Die genaue Definition und Reichweite einer solchen Klausel hängt immer von der konkreten Formulierung im jeweiligen Versicherungsvertrag ab, meist in den Allgemeinen Unfallversicherungsbedingungen (AUB) zu finden.

Abgrenzung zum versicherten Unfallereignis

Für Sie als Versicherungsnehmer ist die Abgrenzung zum versicherten Unfallereignis von großer Bedeutung. Ein Unfall wird in der Unfallversicherung in der Regel als ein plötzlich von außen auf den Körper wirkendes Ereignis definiert, das unfreiwillig eintritt und einen Gesundheitsschaden verursacht.

Stellen Sie sich vor: Sie stolpern und brechen sich ein Bein. Die dadurch notwendige Operation zur Versorgung des Bruchs ist ein „Eingriff am Körper“. Die Kosten oder Folgen dieser Operation wären in der Regel versichert, weil der Bruch (der Unfall) die Ursache war und der Eingriff eine notwendige Konsequenz des versicherten Unfallereignisses darstellt.

Ganz anders ist die Situation, wenn der „Eingriff am Körper“ selbst die Ursache des Gesundheitsschadens ist und nicht die Folge eines Unfalls. Wenn Sie beispielsweise eine Schönheitsoperation vornehmen lassen und dabei Komplikationen auftreten, die zu einem Gesundheitsschaden führen, wäre dies meist nicht durch die Unfallversicherung gedeckt. Hier ist der Eingriff selbst das schadenauslösende Ereignis und fällt unter die Ausschlussklausel, da er weder plötzlich noch unfreiwillig von außen auf den Körper eingewirkt hat.

Praktische Auswirkungen für Versicherungsnehmer

Die Kenntnis dieser Ausschlussklauseln ist für Sie von entscheidender Bedeutung, um den Umfang Ihres Versicherungsschutzes zu verstehen. Sie verdeutlichen, dass nicht jede Beeinträchtigung der körperlichen Gesundheit nach einem medizinischen oder freiwilligen Eingriff automatisch ein Fall für die Unfallversicherung ist. Es geht immer darum, ob der Eingriff selbst die Ursache des Schadens ist oder lediglich eine notwendige Folge eines zuvor eingetretenen und versicherten Unfalls.

Es ist daher ratsam, Ihre individuellen Versicherungsbedingungen genau zu prüfen, um zu wissen, welche spezifischen Handlungen und deren Folgen von Ihrem persönlichen Versicherungsschutz ausgenommen sein könnten.


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Verliere ich den Versicherungsschutz, wenn eine riskante Handlung außer Kontrolle gerät?

Ja, unter bestimmten Umständen können Sie den Versicherungsschutz verlieren, selbst wenn der Schaden durch einen unabsichtlichen Kontrollverlust entsteht. Der Kernpunkt liegt in der Frage, ob Sie durch Ihr eigenes, bewusstes Handeln eine spezifische Gefahr geschaffen haben, die sich dann verwirklicht hat.

Wenn die Gefahr selbst erschaffen wurde

Stellen Sie sich vor, Sie entscheiden sich bewusst für eine Handlung, die von Natur aus ein hohes, spezifisches Risiko birgt – zum Beispiel, indem Sie absichtlich auf ein sehr schmales Geländer in großer Höhe steigen, um etwas zu erreichen oder einfach zum Spaß balancieren. Wenn Sie dabei das Gleichgewicht verlieren und stürzen, ist der Sturz selbst (der Kontrollverlust) zwar möglicherweise nicht beabsichtigt gewesen. Aber der Schaden entsteht direkt aus der bewusst eingegangenen und selbst geschaffenen spezifischen Gefahr des Balancierens auf dem schmalen Geländer.

Die Versicherungslogik sieht hier oft einen direkten Zusammenhang zwischen Ihrer absichtlichen Risikobegründung und dem späteren Schaden. Es wird argumentiert, dass der Schaden eine unmittelbare Folge der von Ihnen willentlich geschaffenen gefährlichen Situation ist. Es geht nicht darum, ob Sie den Sturz oder die Verletzung wollten, sondern darum, dass Sie die Situation geschaffen haben, in der der Schaden als direkte Konsequenz der spezifischen Gefahr eintreten konnte.

Die Bedeutung des ursächlichen Zusammenhangs

Für Versicherungen ist der ursächliche Zusammenhang (die Kausalität) entscheidend. Deckt eine Versicherung beispielsweise „Unfälle“ ab, so muss der Schaden Folge eines plötzlichen, von außen einwirkenden und unwillkürlichen Ereignisses sein. Wenn Sie jedoch selbst die konkrete Gefahr ins Leben rufen, aus der der Schaden entsteht, wird die Kette der Ereignisse anders bewertet. Der „Unfall“ (der Kontrollverlust) wird dann als die bloße Verwirklichung des von Ihnen initiierten spezifischen Risikos betrachtet.

Das bedeutet für Sie: Wenn eine Handlung an sich derart gefahrengeneigt ist, dass der eingetretene Schaden als die typische und direkte Folge der spezifischen Gefahr angesehen werden kann, die Sie absichtlich herbeigeführt haben, kann der Versicherungsschutz ausgeschlossen sein. Dies gilt selbst dann, wenn der unmittelbare Anlass des Schadens (der Kontrollverlust, das Versehen) selbst nicht gewollt war. Es ist die bewusste Entscheidung zur riskanten Handlung, die hier im Vordergrund steht, nicht der unabsichtliche Moment des Kontrollverlusts. Versicherungsverträge können Klauseln enthalten, die Schäden ausschließen, die auf einer solchen eigenverantwortlichen Risikobegründung basieren.


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Sind Verletzungen durch selbst geschaffene Gefahren in der privaten Unfallversicherung abgedeckt?

Die private Unfallversicherung leistet grundsätzlich für Unfälle, die Ihnen widerfahren. Ein Unfall ist dabei meist als ein plötzlich von außen auf Ihren Körper wirkendes Ereignis definiert, das unfreiwillig eintritt und eine Gesundheitsschädigung verursacht. Die Frage, ob Verletzungen durch sogenannte „selbst geschaffene Gefahren“ abgedeckt sind, hängt entscheidend davon ab, ob Ihr Verhalten als Grobe Fahrlässigkeit oder gar als Vorsatz einzustufen ist und was Ihr Versicherungsvertrag dazu vorsieht.

Wann der Versicherungsschutz greifen kann

Grundsätzlich sind auch Unfälle, die durch ein gewisses eigenes Risiko oder eine normale Unachtsamkeit entstehen, vom Versicherungsschutz erfasst. Wenn Sie beispielsweise beim Sport stolpern und sich verletzen, ist dies in der Regel abgedeckt, da dies ein typisches, akzeptiertes Risiko der Aktivität darstellt. Viele Freizeitaktivitäten bergen naturgemäß Risiken, die von einer Unfallversicherung im Grundsatz mitversichert sind, solange sie nicht extrem oder mutwillig herbeigeführt werden.

Der Ausschluss bei grober Fahrlässigkeit oder Vorsatz

Der Versicherungsschutz kann jedoch entfallen oder gekürzt werden, wenn der Unfall auf grobe Fahrlässigkeit zurückzuführen ist oder wenn Sie ihn vorsätzlich herbeigeführt haben.

  • Vorsatz: Haben Sie den Unfall absichtlich herbeigeführt, um sich zu verletzen (was im privaten Bereich selten vorkommt und extrem unwahrscheinlich ist), besteht keinerlei Anspruch. Das bedeutet, der Schaden wird bewusst und willentlich herbeigeführt.
  • Grobe Fahrlässigkeit: Hier liegt die Komplexität. Grobe Fahrlässigkeit bedeutet, dass Sie die im Verkehr erforderliche Sorgfalt in ungewöhnlich grobem Maße außer Acht gelassen haben. Sie haben nicht bedacht, was jedem sofort hätte einleuchten müssen. Wenn Sie zum Beispiel nachweislich stark alkoholisiert einen waghalsigen Sprung von einer Brücke versuchen, der zu schweren Verletzungen führt, könnte dies als grobe Fahrlässigkeit gewertet werden. Die Versicherungsgesellschaft könnte dann die Leistung kürzen oder im Extremfall ganz verweigern.

Besondere Vereinbarungen im Versicherungsvertrag

Viele Versicherungsverträge enthalten spezifische Regelungen oder Ausschlüsse für bestimmte risikoreiche Aktivitäten oder Sportarten.

  • Risikosportarten: Aktivitäten wie Base-Jumping, Freeclimbing ohne Sicherung oder illegale Autorennen sind oft explizit vom Versicherungsschutz ausgenommen oder erfordern eine spezielle Zusatzvereinbarung. Prüfen Sie immer die Allgemeinen Unfallversicherungsbedingungen (AUB) Ihrer Police. Wenn Sie Hobbys mit einem erhöhten Risiko ausüben, ist es wichtig zu wissen, ob diese vom aktuellen Vertrag umfasst sind oder ob eine Erweiterung notwendig wäre.
  • Bestimmte Umstände: Auch Unfälle unter dem Einfluss von Drogen oder extrem hohem Alkoholeinsatz sind häufig vom Versicherungsschutz ausgeschlossen, da hier die Fähigkeit zur Risikobewertung stark beeinträchtigt ist und ein hohes Maß an grober Fahrlässigkeit vorliegen kann.

Praktische Auswirkungen für Sie

Wenn Sie Hobbys oder Aktivitäten nachgehen, die ein gewisses Risiko bergen, ist es entscheidend, Ihre Versicherungsbedingungen genau zu kennen. Für Sie bedeutet das:

  • Sorgfaltspflicht: Gehen Sie Risiken nicht mutwillig oder extrem leichtsinnig ein. Ein gewisses Restrisiko bei Freizeitaktivitäten ist normal und oft versichert, aber extremes, bewusstes und leichtfertiges Herbeiführen einer Gefahr kann den Versicherungsschutz gefährden.
  • Vertragsprüfung: Überprüfen Sie, ob Ihre speziellen Hobbys oder die Art und Weise ihrer Ausübung von Ihrem Versicherungsschutz erfasst sind oder ob es Ausschlüsse gibt. Manche Versicherer bieten spezielle Bausteine für Extremsportarten an.
  • Dokumentation: Im Falle eines Unfalls kann es wichtig sein, die Umstände des Geschehens präzise zu dokumentieren, um Missverständnisse bezüglich der Unfallursache oder eines möglichen grob fahrlässigen Verhaltens zu vermeiden.

Die Gerichte prüfen im Einzelfall sehr genau, ob wirklich eine grobe Fahrlässigkeit vorlag und ob diese ursächlich für den Unfall war. Nicht jede Unachtsamkeit oder jeder Fehler führt automatisch zum Verlust des Versicherungsschutzes. Es muss sich um ein besonders schwerwiegendes Fehlverhalten handeln, das als grob fahrlässig bewertet wird.


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Wie stellen Gerichte fest, ob eine Handlung bewusst oder zufällig war?

Gerichte müssen oft entscheiden, ob eine Handlung absichtlich (bewusst) oder unabsichtlich (zufällig) erfolgte, da dies für die rechtliche Bewertung entscheidend ist. Gerade wenn keine direkte Aussage des Betroffenen möglich ist, müssen Gerichte aus einer Vielzahl von Informationen ein klares Bild gewinnen.

Die Bedeutung der Absicht

Ob eine Handlung bewusst oder zufällig war, ist für das Recht von großer Bedeutung. Im Strafrecht macht es einen riesigen Unterschied, ob jemand vorsätzlich (absichtlich) gehandelt hat oder ob etwas nur versehentlich geschehen ist. Auch im Zivilrecht, etwa bei der Frage, wer für einen Schaden haftet, spielt der Wille eine Rolle. Für Sie bedeutet das: Die Absicht beeinflusst maßgeblich, welche Rechtsfolgen eine Handlung nach sich zieht.

Die Ermittlung durch Beweismittel

Da ein Gericht nicht in den Kopf eines Menschen schauen kann, werden Rückschlüsse auf die Absicht aus den Umständen und verschiedenen Beweismitteln gezogen. Man spricht hier oft von Indizien, also Hinweisen, die in ihrer Gesamtheit ein klares Bild ergeben. Stellen Sie sich vor, das Gericht setzt ein Puzzle zusammen, bei dem jedes Beweisstück ein Teilchen ist.

Zu den wichtigsten Arten von Beweismitteln, die Gerichte heranziehen, gehören:

  • Vorbereitende Handlungen: Gab es Anzeichen dafür, dass die Handlung geplant wurde? Dazu können zum Beispiel Internetrecherchen zu bestimmten Themen, der Kauf spezieller Gegenstände, das Verfassen von Nachrichten, Notizen oder Briefen gehören.
  • Art und Weise der Ausführung: Die Art, wie eine Handlung ausgeführt wurde, kann Aufschluss geben. War sie präzise und zielgerichtet, oder eher chaotisch und unkontrolliert? Wurden beispielsweise Sicherheitsvorkehrungen umgangen oder wurden Gegenstände auf eine bestimmte Weise platziert?
  • Äußere Umstände und Verlauf: Das Gericht berücksichtigt das gesamte Umfeld und den zeitlichen Ablauf. Dazu gehören:
    • Zeugenaussagen: Was haben Zeugen vor, während und nach dem Vorfall beobachtet?
    • Spuren am Tatort: Fingerabdrücke, DNA, die Position von Gegenständen, Beschädigungen.
    • Videoaufnahmen: Überwachungskameras können wichtige Einblicke liefern.
    • Medizinische Gutachten: Sie können helfen zu beurteilen, ob Verletzungen oder der Zustand einer Person mit einem bestimmten Handlungsablauf übereinstimmen.
    • Verhalten der Person vor und nach dem Vorfall: War die Person auffällig, nervös oder hat sie versucht, Spuren zu verwischen?
  • Psychologische und psychiatrische Gutachten: In bestimmten Fällen können Sachverständige die psychische Verfassung einer Person beurteilen und Hinweise auf deren Steuerungsfähigkeit oder Absichten geben, ohne jedoch direkt eine Aussage über die Absicht zu treffen.

Die Beweislast

Die Beweislast regelt, welche Partei vor Gericht die relevanten Tatsachen beweisen muss. Im deutschen Recht gilt der Grundsatz: Wer eine rechtlich relevante Behauptung aufstellt, muss diese in der Regel auch beweisen.

  • Im Strafrecht: Die Staatsanwaltschaft muss dem Gericht beweisen, dass der Angeklagte die Tat begangen hat und falls relevant, dass er vorsätzlich gehandelt hat. Hier gilt der wichtige Grundsatz „In dubio pro reo“ – im Zweifel für den Angeklagten. Das bedeutet, wenn nach Ausschöpfung aller Beweismittel noch erhebliche Zweifel an der Schuld oder der Absicht des Angeklagten bestehen, muss das Gericht zugunsten des Angeklagten entscheiden.
  • Im Zivilrecht: Derjenige, der einen Anspruch geltend macht (z.B. Schadensersatz), muss die Voraussetzungen dieses Anspruchs beweisen, einschließlich der Absicht oder Fahrlässigkeit des anderen, wenn diese für den Anspruch relevant sind.

Für Sie bedeutet das: Das Gericht trifft seine Entscheidung nicht aufgrund von Vermutungen, sondern auf der Grundlage von überprüfbaren Fakten und Beweismitteln, die die Parteien vorlegen und die das Gericht würdigt. Diese Beweismittel müssen stark genug sein, um das Gericht von der Richtigkeit einer Behauptung zu überzeugen.


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Hinweis: Bitte beachten Sie, dass die Beantwortung der FAQ Fragen keine individuelle Rechtsberatung darstellt und ersetzen kann. Alle Angaben im gesamten Artikel sind ohne Gewähr. Haben Sie einen ähnlichen Fall und konkrete Fragen oder Anliegen? Zögern Sie nicht, uns zu kontaktieren. Wir klären Ihre individuelle Situation und die aktuelle Rechtslage.


Glossar – Fachbegriffe kurz erklärt

Allgemeine Unfallversicherungs-Bedingungen (AUB)

Die Allgemeinen Unfallversicherungs-Bedingungen (AUB) sind die standardisierten Vertragsbedingungen, die Versicherungsunternehmen für die private Unfallversicherung verwenden. Sie legen die Rechte und Pflichten von Versicherer und Versicherungsnehmer fest und regeln detailliert, welche Ereignisse als Unfall gelten und welche Leistungen im Schadensfall erbracht werden. Die AUB sind somit die Grundlage des individuellen Versicherungsvertrags und definieren den Umfang des Versicherungsschutzes.

Beispiel: Wenn Sie eine private Unfallversicherung abschließen, sind die Bedingungen, unter denen die Versicherung im Falle eines Unfalls zahlt oder nicht zahlt, in den Allgemeinen Unfallversicherungs-Bedingungen (AUB) genau beschrieben.

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Berufung

Die Berufung ist ein Rechtsmittel, mit dem eine Partei die Überprüfung eines erstinstanzlichen Urteils durch ein höheres Gericht beantragt. Sie ermöglicht eine erneute umfassende Prüfung des Sachverhalts und der rechtlichen Bewertung durch die zweite Instanz. Ziel der Berufung ist es, das ursprüngliche Urteil auf Rechts- oder Tatsachenfehler zu überprüfen und gegebenenfalls aufzuheben oder abzuändern.

Beispiel: Die Mutter legte Berufung ein, weil sie mit der Entscheidung des Landgerichts Regensburg nicht einverstanden war und das Oberlandesgericht Nürnberg bat, den Fall erneut zu prüfen.

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Beweislast

Die Beweislast ist die rechtliche Verpflichtung einer Partei in einem Gerichtsverfahren, eine bestimmte Tatsache zu beweisen, um eine für sie günstige Entscheidung zu erreichen. Wenn eine Partei die ihr obliegende Beweislast nicht erfüllen kann, geht dies zu ihren Lasten, und die von ihr behauptete Tatsache wird als nicht existent behandelt. Grundsätzlich muss die Partei, die einen Anspruch geltend macht oder eine Behauptung aufstellt, die dafür erforderlichen Tatsachen beweisen.

Beispiel: Wenn eine Versicherung behauptet, dass der Schaden vorsätzlich herbeigeführt wurde und deshalb nicht zahlen muss, liegt die Beweislast für diese Behauptung bei der Versicherung.

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Grobe Fahrlässigkeit

Grobe Fahrlässigkeit ist ein besonders schwerwiegendes Fehlverhalten, bei dem die erforderliche Sorgfalt in ungewöhnlich hohem Maße außer Acht gelassen wird. Eine Person handelt grob fahrlässig, wenn sie nicht beachtet, was jedem in der jeweiligen Situation sofort hätte einleuchten müssen. Es liegt ein elementarer Denkfehler vor oder eine ganz naheliegende Überlegung wurde nicht angestellt. Bei grober Fahrlässigkeit kann der Versicherungsschutz gekürzt oder vollständig entfallen, da ein solches Verhalten oft bewusst in Kauf genommen wird.

Beispiel: Wer stark alkoholisiert mit dem Auto fährt und einen Unfall verursacht, handelt in der Regel grob fahrlässig, da die Gefahr offensichtlich ist und bewusst ignoriert wurde.

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Indizien

Indizien sind Tatsachen, die nicht direkt den Hauptbeweis für eine rechtlich relevante Tatsache darstellen, aus denen sich aber Rückschlüsse auf diese Haupttatsache ziehen lassen. Gerichte stützen sich auf eine Kette von Indizien, wenn ein direkter Beweis (z.B. Geständnis, Videoaufnahme) nicht vorliegt. Erst die Gesamtschau aller Indizien muss das Gericht von der Richtigkeit einer Behauptung überzeugen.

Beispiel: Im vorliegenden Fall waren die Internetrecherche des Sohnes nach Strangulationsvideos, die Art des Knotens am Seil und die gezielte Handlung der Selbststrangulation wichtige Indizien dafür, dass es sich um einen bewussten „Eingriff am Körper“ handelte.

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Leistungsausschluss

Ein Leistungsausschluss ist eine Klausel in einem Versicherungsvertrag, die bestimmte Risiken oder Schadensereignisse explizit vom Versicherungsschutz ausnimmt. Sie legt fest, in welchen Fällen die Versicherung trotz Eintritt eines Schadens nicht zur Leistung verpflichtet ist. Ein Leistungsausschluss dient dazu, den Umfang des Versicherungsschutzes klar zu definieren und unkalkulierbare Risiken oder bestimmte, vom Versicherungsnehmer bewusst eingegangene Gefahren auszuschließen.

Beispiel: Die Klausel in den AUB, die „Gesundheitsschäden durch … sonstige Eingriffe am Körper der versicherten Person“ vom Versicherungsschutz ausschließt, ist ein typischer Leistungsausschluss.

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Vorsatz

Vorsatz bezeichnet das bewusste und gewollte Handeln oder Unterlassen einer Person mit dem Ziel, einen bestimmten Erfolg (z.B. eine Verletzung oder einen Schaden) herbeizuführen oder diesen zumindest billigend in Kauf zu nehmen. Im Gegensatz zur Fahrlässigkeit liegt hier eine Absicht des Täters vor. Bei vorsätzlicher Herbeiführung eines Schadens durch den Versicherungsnehmer entfällt der Versicherungsschutz in der Regel vollständig.

Beispiel: Wenn jemand absichtlich eine Scheibe einschlägt, um einen Einbruch vorzutäuschen und Versicherungsleistungen zu kassieren, handelt er vorsätzlich.

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Wichtige Rechtsgrundlagen


  • Der Unfallbegriff in der privaten Unfallversicherung: Eine private Unfallversicherung leistet typischerweise dann, wenn der versicherten Person durch ein plötzlich von außen auf ihren Körper wirkendes Ereignis unfreiwillig eine Gesundheitsschädigung zugefügt wird. Die genaue Definition und die Abgrenzung von anderen Schadensereignissen sind meist in den Versicherungsbedingungen detailliert festgelegt. Entscheidend ist hierbei die Unfreiwilligkeit und das äußere Einwirken.

    → Bedeutung im vorliegenden Fall: Die zentrale Frage war, ob die schweren Hirnschäden des Sohnes als Folge eines versicherten Unfalls im Sinne dieser Definition anzusehen waren, obwohl er die Ausgangshandlung selbst vornahm.

  • Allgemeine Unfallversicherungs-Bedingungen (AUB) und vertragliche Leistungsausschlüsse: Die AUB sind die Standardvertragsbedingungen, die von Versicherern verwendet werden und den Inhalt des Versicherungsvertrags im Detail festlegen. Sie enthalten oft sogenannte Leistungsausschlüsse, die bestimmte Situationen oder Ursachen vom Versicherungsschutz ausnehmen, auch wenn ansonsten ein Schaden vorliegt. Solche Klauseln dienen dazu, Risiken zu begrenzen, die der Versicherer nicht abdecken möchte.

    → Bedeutung im vorliegenden Fall: Die Versicherung berief sich auf eine spezifische Klausel (Ziffer 5.2.3 AUB 2014), die Gesundheitsschäden durch „sonstige Eingriffe am Körper der versicherten Person“ vom Versicherungsschutz ausschloss.

  • Abgrenzung zwischen Unfall und bewusstem „Eingriff am Körper“: Während ein Unfall ein unfreiwilliges, plötzlich eintretendes Ereignis ist, meint ein „Eingriff am Körper“ eine geplante und gezielte Handlung, die willentlich auf den eigenen Körper einwirkt. Dies umfasst Handlungen, deren Risiko bewusst in Kauf genommen wird, selbst wenn die schlimmen Folgen nicht beabsichtigt waren. Die Abgrenzung ist entscheidend dafür, ob der Ausschlussgrund greift.

    → Bedeutung im vorliegenden Fall: Das Gericht musste beurteilen, ob die Selbststrangulation des Sohnes, auch wenn die katastrophale Folge nicht gewollt war, als ein solcher bewusster „Eingriff am Körper“ zu qualifizieren war, der den Versicherungsschutz ausschloss.

  • Gerichtliche Beweiswürdigung und Indizienbeweis: Im Zivilprozess ist es Aufgabe des Gerichts, die präsentierten Beweismittel und Indizien zu bewerten und daraus Schlüsse für den tatsächlichen Sachverhalt zu ziehen. Wenn direkte Beweise für eine Tatsache fehlen, kann das Gericht seine Überzeugung auch auf eine Reihe von Indizien stützen, die in ihrer Gesamtheit einen plausiblen Rückschluss auf den Sachverhalt zulassen.

    → Bedeutung im vorliegenden Fall: Die Gerichte folgerten aus der Internetrecherche des Sohnes, dem fachmännischen Knoten und der gezielten Einleitung der Strangulation, dass ein bewusster „Eingriff“ vorlag, obwohl keine direkte Aussageabsicht des Sohnes bekannt war.

  • Kausalität und Zurechnung bei selbstgeschaffener Gefahr: Im Recht ist die Kausalität der ursächliche Zusammenhang zwischen einer Handlung oder einem Ereignis und einem eingetretenen Schaden. Wenn jemand bewusst eine spezifische und hohe Gefahr schafft, indem er einen bestimmten Eingriff vornimmt, und sich dann genau das Risiko verwirklicht, das mit dieser Handlung untrennbar verbunden ist, wird der Schaden dieser ursprünglichen Handlung zugerechnet. Es ist dann unerheblich, ob der genaue Ablauf oder das Ausmaß des Schadens beabsichtigt war oder ob die Kontrolle über die Handlung verloren ging.

    → Bedeutung im vorliegenden Fall: Das Gericht argumentierte, dass der Hirnschaden die direkte Verwirklichung der vom Sohn bewusst eingeleiteten und selbstgeschaffenen Gefahr der Strangulation war, auch wenn der Stuhl weggrollte und er die Kontrolle verlor.


Das vorliegende Urteil



OLG Nürnberg – Az.: 8 U 2209/18 – Urteil vom 24.10.2019


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