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Unfallversicherung – Leistungsausschluss bei krankhaften Störungen infolge psychischer Reaktionen

LG Aachen – Az.: 9 O 166/11 – Urteil vom 15.07.2011

Die Klage wird abgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits trägt der Kläger.

Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

Zwischen den Parteien besteht ein privater Unfallversicherungsvertrag (Versicherungs-Nr.: XXX), der mit Nachtrag zum 01.05.2008 im Falle der Invalidität eine monatliche Unfall-Rente von 787,39 EUR vorsieht. Dem Vertrag zugrunde liegen die B-AUB 97. Darin heißt es u.a.

“ …

§ 1 Der Versicherungsfall

III. Ein Unfall liegt vor, wenn der Versicherte durch ein plötzlich von außen auf seinen Körper wirkendes Ereignis (Unfallereignis) unfreiwillige eine Gesundheitsschädigung erleidet.

§ 2 Ausschlüsse

Nicht unter den Versicherungsschutz fallen

IV. Krankhafte Störungen infolge psychischer Reaktionen, gleichgültig wodurch diese verursacht sind

… “

Der Kläger ist Lokführer bei der E. Am 09.06.2009 stürzte sich eine Frau in suizidaler Absicht mit ihrem Kind vor den vom Kläger geführten Zug. Mutter und Kind kamen zu Tode.

Der Kläger meldete den Vorfall umgehend bei der Beklagten. Vom 03.02.2010 bis zum 31.03.2010 befand er sich in stationärer Behandlung in der I Klinik E, einer Fachklinik für Psychotraumatologie. Ausweislich des ärztlichen Berichts vom 07.04.2010 wurden u.a. eine posttraumatische Belastungsstörung, eine mittelgradige depressive Episode und eine Angststörung diagnostiziert. Diese Diagnose wurde von einem weiteren Arzt am 28.10.2010 gegenüber dem Versorgungsamt der T B bestätigt und durch muskuläre Beschwerden im HWS-Bereich ergänzt. Hinsichtlich des Kausalzusammenhangs hoben die Ärzte der I Klinik E hervor:

„Zur Einschätzung der Kausalfrage konnte festgestellt werden, dass das von dem Patienten beklagte Beschwerdebild dem für die Posttraumatische Belastungsstörung charakteristischen Symptombild entspricht. ( … ) Aus therapeutischer Sicht ist die von uns hier vorliegende Gesundheitsstörung von Herr T L1 daher eindeutig kausal auf den o.g. Überfall zurückführbar.“

In einem ärztlichen Gutachten für die Bundesagentur für Arbeit vom 05.01.2011 wurde des Weiteren festgestellt, dass der Kläger voraussichtlich länger als 6 Monate nicht in der Lage sein werde, einer Tätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt mindestens 3 Stunden täglich nachzugehen. Mit Abhilfebescheid vom 20.07.2010 wurde durch die T B ein Grad der Behinderung von 40 bescheinigt.

Die Beklagte wurde letztmalig mit Schreiben vom 22.03.2011 und unter Fristsetzung bis zum 04.04.2011 aufgefordert, die monatliche Rentenzahlung aufzunehmen. Mit Schreiben vom 25.03.2011 verweigerte sie jegliche Leistung.

Der Kläger ist der Ansicht, dass das Geschehen vom 09.06.2009 ein bedingungsgemäßes Unfallereignis darstelle. Er behauptet, dass die dadurch verursachten Gesundheitsbeeinträchtigungen einen Invaliditätsgrad von 50% begründeten. Er ist deshalb der Ansicht, dass ihm für die vergangenen 23 Monate sowie zukünftig ein Anspruch auf die monatliche Unfall-Rente zustehe.

Der Kläger beantragt,

1. die Beklagte zu verurteilen, an ihn 18.109,97 EUR nebst 5% Zinsen über dem Basiszinssatz seit dem 05.04.2011 zu zahlen sowie

2. festzustellen, dass die Beklagte dazu verpflichtet ist, ihm eine monatliche Unfallrente in Höhe von 787,39 EUR aus der zwischen den Streitparteien bestehenden Unfallversicherung, Vers.-Nr. XXX, seit dem 09.06.2009 ohne zukünftige zeitliche Begrenzung zu zahlen.

Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

Die Beklagte ist der Ansicht, dass es bereits an einem Unfallereignis fehle. Auf jeden Fall fielen die daraus resultierenden gesundheitlichen Beeinträchtigungen gemäß § 2 IV B-AUB 97 nicht unter den Versicherungsschutz.

Wegen des weiteren Vorbringens wird außerdem auf die beiderseitigen Schriftsätze und die dazu gehörenden Anlagen Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

I.

Die zulässige Klage ist nicht begründet.

Dem Kläger steht kein Anspruch gegen die Beklagte auf Erbringung von Leistungen aus dem Unfallversicherungsvertrag der Parteien zu.

1. Nach § 1 III B-AUB 97 besteht grundsätzlich Versicherungsschutz für einen Unfall, der vorliegt, wenn der Versicherte durch ein plötzlich von außen auf seinen Körper wirkendes Ereignis (Unfallereignis) unfreiwillig eine Gesundheitsschädigung erleidet. Als Einwirkung der Außenwelt auf den Körper wird unter anderem auch eine rein sinnliche Wahrnehmung von Ereignissen (wie Hören oder Sehen) angesehen (BGH VersR 1972, 582; OLG Hamm VersR 1976, 336; OLG Saarbrücken, VersR 1005, 1276; Prölss/Martin/Knappmann, VVG, 28. Auflage 2010, § 178 Rn. 3; Grimm, Unfallversicherung, 4. Auflage 2006, AUB 99, Rn. 27). Ausgeschlossen vom Versicherungsschutz sind dagegen rein körperinnere, organische Vorgänge (BGH VersR 1962, 341, 342). Einiges spricht dafür, die visuelle Wahrnehmung eines schockierenden Ereignisses als Unfall im Sinne der Versicherungsbedingungen anzusehen, sofern dadurch Gesundheitsbeschädigungen ausgelöst werden.

2. Letztlich kann die Entscheidung dieser Frage hier dahinstehen, da für den Kläger der Versicherungsschutz jedenfalls nach § 2 IV B-AUB 97 ausgeschlossen ist. Danach fallen krankhafte Störungen infolge psychischer Reaktionen nicht unter den Versicherungsschutz, gleichgültig, wodurch diese verursacht sind. Die Klausel ist wirksam (BGH VersR 2004, 1039). Die Beweislast für das Vorliegen einer solchen psychischen (Fehl-)Verarbeitung des Unfallereignisses trägt der Versicherer (BGH VersR 2004, 1039; VersR 2004, 1449)

Dabei sind psychische Erkrankungen nicht generell vom Versicherungsschutz ausgeschlossen. Eine organische Schädigung oder Reaktion, die zu einem psychischen Leiden führt, fällt gerade nicht unter den Ausschlusstatbestand. Die seelischen Beschwerden beruhen dann nämlich nicht, wie von der Klausel wörtlich verlangt, auf einer psychischen Reaktionen, sondern sind physisch hervorgerufen (BGH VersR 2004, 1039; OLG Düsseldorf r+s 2010, 165; Prölss/Martin/Knappmann, VVG, 28. Auflage 2010, AUB 2008 Rn. 69).

Von dem Risikoausschluss erfasst sind aber Gesundheitsschädigungen infolge psychischer Reaktionen, die sowohl auf Einwirkung von außen über Schock, Schreck, Angst und Ähnliches erfolgen als auch auf unfallbedingter Fehlverarbeitung beruhen (BGH VersR 2003, 634; VersR 2004, 1039; VersR 2004, 1449; OLG Koblenz VersR 2001, 1550; NJOZ 2004, 4073, 4075; Kloth, Private Unfallversicherung, 2008, K Rn. 101). Können krankhafte Störung des Körpers nur mit ihrer psychogenen Natur erklärt werden, sind sie also rein psychisch bedingt, möchte der Versicherer keinen Versicherungsschutz übernehmen (BGH VersR 2004, 1039; VersR 2004, 1449; OLG Köln VersR 2007, 976; Grimm, Unfallversicherung, 4. Auflage 2006, AUB 99, Rn. 104).

Beim Kläger diagnostiziert wurden eine posttraumatische Belastungsstörung, eine mittelgradige depressive Episode und eine Angststörung. Diese sind rein psychisch bedingt. Es bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass den Gesundheitsschäden eine organische Gesundheitsschädigung vorausgegangen ist. Zwar kann es auch bei einer bereits manifestierten posttraumatischen Belastungsstörung zu gewissen strukturellen und funktionellen Veränderungen des Gehirns kommen. Dies lässt aber gerade nicht den Schluss zu, dass die posttraumatische Belastungsstörung kausale Folge einer unfallbedingten organischen Ersterkrankung ist. Physiologische Veränderungen dieser Art sind vielmehr nur mögliche Begleiterscheinung einer posttraumatischen Belastungsstörung infolge eines traumatisierenden Ereignisses (vgl. insbesondere OLG Düsseldorf r+s 2010, 165). Die posttraumatische Belastungsstörung selbst, genauso wie die depressive Episode und die Angststörung, sind dagegen eine rein psychische Reaktion auf das Einzelgeschehen. Gerade der posttraumatischen Belastungsstörung ist es immanent, dass sie eine Folge des belastenden Ereignisses selbst ist und grundsätzlich nicht eine Folge einer sich aus dem Unfall ergebenden organischen Erkrankung (OLG Brandenburg VersR 2006, 1251; Kloth, Private Unfallversicherung, 2008, K Rn. 102). Auch die am 28.10.2010 attestierten muskulären Beschwerden im HWS-Bereich weisen nicht darauf hin, dass den psychischen Erkrankungen eine organische Ursache zugrunde liegt. Es ist in keinster Weise ersichtlich, dass die psychischen Leiden auf diese organischen Beeinträchtigungen zurückzuführen sind. Eine kausale Verknüpfung kann insbesondere nicht den vorgelegten Krankenunterlagen entnommen werden. Vielmehr wurde durch die I Klinik E bescheinigt, dass die vorliegenden psychischen Gesundheitsstörungen „eindeutig kausal auf den o.g. Überfall zurückführbar“ sind. Die muskulären Beschwerden selbst sind zwar nicht nach § 2 IV B-AUB 97 ausgeschlossen, begründen aber gleichwohl eine Leistungspflicht der Beklagten nicht, denn eine Unfallbedingtheit wurde vom Kläger nicht dargelegt.

II.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus § 709 S. 2, 1 ZPO.

III.

Der Streitwert wird auf 44.566,27 EUR festgesetzt.

Antrag zu 1 18.109,30 EUR

Antrag zu 2 26.456,30 EUR (42 x 787,39 EUR x 80%)

 

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