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Unfallversicherung – Invaliditätsgrad Achillessehnenruptur

KG Berlin – Az.: 6 U 8/18 – Beschluss vom 27.07.2018

Gründe

Die Parteien werden darauf hingewiesen, dass beabsichtigt ist, die Berufung des Klägers gemäß § 522 Abs. 2 ZPO durch einstimmigen Beschluss zurückzuweisen, weil der Senat nach Vorberatung der Auffassung ist, dass das Rechtsmittel in der Sache offensichtlich unbegründet ist (§ 522 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO) und auch die weiteren Voraussetzungen für die vorgesehene Verfahrensweise vorliegen.

Gemäß § 513 ZPO kann die Berufung nur darauf gestützt werden, dass die Entscheidung auf einer Rechtsverletzung beruht (§ 546 ZPO) oder die nach § 529 ZPO zugrunde zu legenden Tatsachen eine andere Entscheidung rechtfertigen. Diese Voraussetzungen liegen nicht vor.

I. Der Kläger hat am 26.7.2013 eine Achillessehnenruptur rechts erlitten, wegen derer dauerhaft verbliebener Folgen ihm unstreitig eine Invaliditätsleistung aus dem mit der Beklagten abgeschlossenen Unfallversicherungsvertrag zusteht. Die Beklagte hat vorprozessual auf der Grundlage des in ihrem Auftrag erstellten Gutachtens des Dr. med. … vom 4.5.2015 (Anlage K 3) auf der Basis dessen Feststellungen und Bewertung nach dem Invaliditätsgrad für den Fuß von 40 % mit einer Funktionsbeeinträchtigung von 8/20 nach der vereinbarten Gliedertaxe (AUB 2008 Anlage K 2) bei einer Invaliditätssumme von 210.000 Euro gemäß Nachtrag vom 12.2.2013 (Anlage B 1) eine Invaliditätsleistung von 33.600 Euro (16 % aus 210.000 Euro) auf der Grundlage der Abrechnung vom 22.5.2015 (Anlage K 4) erbracht.

Mit seiner Klage hat der Kläger einen weitergehenden Betrag von 4.200 Euro – damit insgesamt 37.800 Euro – nebst außergerichtlicher Kosten geltend gemacht mit der Argumentation, die Funktionsbeeinträchtigung sei nach dem Invaliditätsgrad für das “Bein bis zur Mitte des Oberschenkels” nach der Gliedertaxe in § 2 Abs. 1 b) aa) der AUB von 45 % zu ermitteln, da die Achillessehne – wie unstreitig ist – anatomisch dem Bein und nicht dem Fuß zuzuordnen sei, so dass ihm 8/20 aus 45 %, insgesamt also 18 % aus 210.000 Euro zustünden. Die Beklagte ist dem mit dem Argument entgegen getreten, die Achillessehne sei physiologisch dem Fuß zuzuordnen, weil sich die Funktionsbeeinträchtigung dort auswirke. Jedenfalls könne der Fußwert nicht auf den Beinwert übertragen werden, bei der Bemessung nach dem hier maßgeblichen Beinwert sei allenfalls ein Grad von 1/7 gerechtfertigt (was zu einer Versicherungsleistung von nur 10 % aus 210.000 Euro führen würde). Ohnehin sei schon der Fußwert von 8/20 zu hoch angesetzt worden, er betrage tatsächlich lediglich 6/20.

Das Landgericht hat die Klage nach Verweisung des Rechtsstreits durch das Amtsgericht Köpenick, das zuvor das im November 2016 erstattete schriftliche Gutachten des Dr. med. … eingeholt hat, und nach dessen mündlicher Erläuterung vor dem Landgericht im Termin vom 11.12.2017 abgewiesen, weil der Kläger nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme für eine 16 % übersteigende Invaliditätsleistung beweisfällig geblieben sei. Zwar sei nach der Rspr. des BGH durchgängig auf den Sitz der unfallbedingten Schädigung abzustellen, es obliege jedoch der tatrichterlichen Entscheidung im Einzelfall, Wertungswidersprüche zu den pauschalierten Invaliditätsgraden der Gliedertaxe zu vermeiden. Deshalb sei es vorliegend sachgerecht, die Invalidität nach der Gliedertaxe Fuß zu bestimmen. Denn nach dem Ergebnis des Gutachtens wirke sich die Achillessehnenruptur nicht auf die Funktion der Beine, sondern des Fußes aus. Wegen des beim Kläger eingetretenen atypischen Verlaufs der erlittenen Verletzung sei auf der Grundlage der sachverständigen Bemessung eine Invalidität von 8/20 Fußwert gerechtfertigt, die die Standardempfehlung in der Fachliteratur, eine Achillessehnenruptur mit 1/14 bis 1/7 des vollen Beinwertes von 70 % (damit 5 % bis 10 %) einzuschätzen, bereits erheblich übersteige.

Unfallversicherung - Invaliditätsgrad Achillessehnenruptur
(Symbolfoto: Von Ralf Geithe/Shutterstock.com)

Der Kläger rügt mit seiner Berufung, dass die Entscheidung auf einer Fehlinterpretation der Abrechnungsgrundsätze nach den AUB beruhten. Sie sei nicht mit der Rspr. des BGH vereinbar. Die Frage, ob die Bewertung der Verletzung nach dem Fuß- oder Beinwert vorzunehmen ist, hätte auch – entgegen der Frage zu 1) in dem Beweisbeschluss des Amtsgerichts – nicht dem Sachverständigen überlassen werden dürfen, da es sich um eine rechtliche Einordnung handele. Zudem sei die Frage 2) des Beweisbeschlusses des Amtsgerichts Köpenick, ob der Grad der verletzungsbedingten Beeinträchtigung auch bei Zugrundelegung des Beinwertes 8/20 betrage, gar nicht beantwortet.

Die Beklagte verteidigt das angefochtene Urteil.

II. Die zulässige Berufung des Klägers ist offensichtlich unbegründet. Es liegen weder Rechtsfehler vor noch sind die tatsächlichen Feststellungen zu beanstanden.

1. Zwar ist dem Kläger darin zu folgen, dass nach der Rspr. des BGH bei der Anwendung der Gliedertaxe durchgängig allein auf den Sitz der unfallbedingten Schädigung (BGH, Urteil vom 1.4.2015 – IV ZR 104/13, VersR 2015, 617-619, Rn. 14 bis 18) abzustellen ist. Die verletzungsbedingte Funktionsunfähigkeit oder Funktionsbeeinträchtigung eines rumpfferneren Körperteils ist von der unfallbedingten Schädigung des rumpfnäheren Körperteils umfasst, wie sich aus der Systematik der Gliedertaxe ergibt, die den Verlust von Gliedern nach der Rumpfferne bzw. –nähe bewertet (BGH, Urteil vom 14.12.2011- IV ZR 34/11, VersR 2012, 351-354, Rn.11 f.). Der BGH hat deshalb a.a.O. für eine Verletzung des Schultergelenks entschieden, bei der es zu einer Läsion des Plexus brachialis, d.h. einer Schädigung des den Arm und die Hand versorgenden Nervengeflechts kam und eine Funktionsbeeinträchtigung des Arms und der Hand vorlag, dass Ausgangspunkt der Invaliditätsbemessung nicht der Arm oder die Hand, sondern die Schulter ist. Dies lässt sich insoweit auf den hier vorliegenden Fall übertragen, als auch hier die verletzungsbedingten Veränderungen der Achillessehne dem rumpfnäheren Bein zuzurechnen sind, die Funktionsbeeinträchtigungen jedoch im rumpfferneren Fuß auftreten. Denn die Achillessehne ist anatomisch Teil des Unterschenkels, nämlich die gemeinsame Sehne des dreiköpfigen Unterschenkelmuskels. Sie entspringt am Fersenbeinhöcker, womit sie die Kraft des dreiköpfigen Wadenmuskels auf den Fuß überträgt und damit die kraftvolle Beugung des Fußes in Richtung der Fußsohle und zu einem geringen Anteil auch die Auswärtskantung des Fußes ermöglicht, während ihre Funktion als Beugemuskel im Kniegelenk funktionell beinahe zu vernachlässigen ist (Gutachen S. 20). Die Achillessehne ist damit zwar anatomisch Teil des Unterschenkels, funktionell jedoch hauptsächlich für die Bewegung im oberen und unteren Sprunggelenk verantwortlich.

Auch wenn die Bestimmung des Invaliditätsgrades damit nach der Rspr. des BGH vorliegend wegen des Sitzes der verletzungsbedingten Schädigung im unteren Bereich des Beines grundsätzlich nach dem Beinwert zu bemessen ist, schließt dies aber nicht aus, für die Bemessung des Grades der Funktionsbeeinträchtigung der Achillessehne zu berücksichtigen, in welchem Ausmaß diese wiederum die Funktion der rumpfferneren Körperteile, hier also des Fußes, beeinträchtigt, da sich die Funktionsbeeinträchtigung notwendigerweise dort auswirkt. Denn wie vom Landgericht im angegriffenen Urteil weiter zutreffend ausgeführt, können auch nach der oben zitierten Rspr. des BGH, von der auch das Landgericht ausgegangen ist, zur Vermeidung von Wertungswidersprüchen im Rahmen der tatrichterlichen Würdigung die Wertungen der Gliedertaxe für die in ihrer Funktion beeinträchtigten Glieder oder Gliederteile herangezogen werden (so BGH, Beschluss vom 27.9.2017 – IV ZR 511/15, VersR 2018, 345). Schließlich hat es auch der BGH in dem Urteil vom 14.12.2011 a.a.O. Rn. 20 für richtig gehalten, auf die Funktionsunfähigkeit des rumpfferneren Körperteils abzustellen, wenn allein dies schon zu einem höheren Invaliditätsgrad führt als die Funktionsunfähigkeit des rumpfnäheren Körperteils. In einem solchen Fall stelle die Invaliditätsleistung für das rumpffernere Körperteil die Untergrenze der geschuldeten Versicherungsleistung dar.

2. Das erstinstanzlich eingeholte Gutachten und die darauf beruhende Entscheidung bewegen sich noch innerhalb dieses rechtlich vorgegebenen Rahmens, und die Bemessung der Invaliditätsleistung auf dieser Grundlage ist auch sachgerecht und plausibel. Denn der Sachverständige hat durchaus gesehen und seiner Beurteilung zugrunde gelegt, dass – wie er auf S. 25 ausführt – die Standard-Bemessung einer Achillessehnenruptur in der Fachliteratur mit 1/7 bis 1/14 Beinwert erfolgt, was einer Invaliditätsleistung von lediglich 5 % bis 10 % entspräche, wogegen der Kläger bereits 16 % erhalten hat. Gerade wegen des vom Sachverständigen festgestellten atypisch (negativen) Verlaufs hat er jedoch diese höhere Bewertung zugunsten des Klägers für medizinisch gerechtfertigt gehalten. Dies war im Hinblick darauf gerechtfertigt, dass nach den Feststellungen des Sachverständigen das übliche Maß übersteigende dauerhafte Folgen der Achillessehnenruptur verblieben sind, die im Wesentlichen auf die hierdurch bedingte Funktionsbeeinträchtigung des oberen und unteren Sprunggelenks zurückzuführen sind. Der Sachverständige hat zu den dauerhaft verbliebenen Einschränkungen und Beschwerden auf S. 23 ausgeführt, es bestehe weiterhin eine ausgeprägte Schmerzsymptomatik im Bereich der Achillessehne und ein deutliches funktionelles Defizit. Dieses Defizit lasse sich anhand des persistierend reduzierten Wadenumfangs, der eingeschränkten Beweglichkeit im oberen und unteren Sprunggelenk, der deutlich reduzierten Beschwielung des Zehenballens rechts und des hinkenden, unflüssigen Gangbildes ohne Abrollen des rechten Fußes objektivieren. Zudem finde sich die Achillessehne klinisch deutlich verbreitert und glaubhaft druckschmerzhaft. Auf S. 24 hat er ausgeführt, die vom Kläger angegebene Schmerzsymptomatik im Bereich des rechten Knie- und Hüftgelenks sei durch das fehlende Abrollen des rechten Fußes bedingt; hierdurch komme es zu einer Fehlbeanspruchung der gesamten Beinmuskulatur sowie des Knie- und Hüftgelenks.

Hätte der Sachverständige die beschriebenen Folgen für die Funktion des Fußes aufgrund der Achillessehnenruptur nicht berücksichtigt, so hätte – mangels einer Funktionsbeeinträchtigung des Beines selbst (vgl. die mündliche Erläuterung des Gutachtens) – die reine Invaliditätsbemessung nach der Funktionsbeeinträchtigung des rechten Beines bis zur Mitte des Unterschenkels zu einem geringeren Invaliditätsgrad führen müssen. Die Rügen des Klägers sind damit zwar im rechtlichen Ausgangspunkt abstrakt zutreffend, ihre pure Anwendung ohne Berücksichtigung der auch nach der Rspr. des BGH zulässigen, oben ausgeführten Einschränkungen und Abweichungen, würde ihm jedoch zu keiner höheren Invaliditätsleistung verhelfen. Die erstinstanzliche Tatsachenfeststellung ist auch nicht unvollständig. Denn der Sachverständige hat die Frage, ob der Grad der verletzungsbedingten Beeinträchtigung auch bei Zugrundelegung des Beinwertes 8/20 beträgt, in seinem Gutachten – wenn auch nur inzident – verneint. Der Senat ist daher im Ergebnis zu der einstimmigen Auffassung gelangt, dass auch keine Anhaltspunkte im Sinne des § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO vorliegen, die eine weitere Tatsachenfeststellung erforderlich machen würden.

II. Auch die weiteren Voraussetzungen für eine Zurückweisung der Berufung gemäß § 522 Abs. 2 Satz 1 ZPO sind erfüllt. Weder kommt der Rechtssache nach den vorstehenden Ausführungen grundsätzliche Bedeutung zu (§ 522 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 ZPO) noch erfordert die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung vorliegend eine Entscheidung des Berufungsgerichts durch Urteil (§ 522 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 ZPO), weshalb auch eine mündliche Verhandlung nicht geboten ist (§ 522 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 ZPO).

III.

Dem Kläger wird Gelegenheit gegeben, binnen zweier Wochen ab Zugang dieses Beschlusses Stellung zu nehmen oder – schon aus Kostengründen – eine Berufungsrücknahme zu erwägen. In diesem Zusammenhang weist der Senat darauf hin, dass sich im Falle der Berufungsrücknahme die Gerichtskosten auf die Hälfte reduzieren würden (vgl. KV 1222 zum GKG, dort Anlage 2).

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