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Unfallversicherung – Inhaltsanforderungen an eine ärztliche Invaliditätsfeststellung

LG Berlin, Az.: 23 O 120/13, Urteil vom 08.07.2015

1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

3. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe des jeweils zu vollstreckenden Betrages zuzüglich 20 % vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

Die Parteien streiten über Ansprüche aus einem privaten Unfallversicherungsvertrag.

Unfallversicherung - Inhaltsanforderungen an eine ärztliche Invaliditätsfeststellung
Symbolfoto: Von Rocketclips, Inc. /Shutterstock.com

Zwischen den Parteien bestand gemäß Versicherungsschein vom 22.9.2004 und Nachtrag vom 15.9.2005 zur Nr. PU … eine Dynamische Unfallversicherung, nach der eine lebenslange Monatsrente iHv. 530,- € ab einem Invaliditätsgrad von 50 % versichert war (Anlage K 1). Dem Vertrag lagen die „… AUB 2000“ zugrunde (Anlage K 2).

Mit Schreiben vom 3.1.2011 meldete der Kläger der Beklagten einen „Arbeitsunfall“ (Anlage B 1).

Die Beklagte übersandte dem Kläger daraufhin unter dem 12.1.2011 u.a. ein Unfallanzeigeformular. In dem knapp 1 1/2 Seiten langen, in einheitlichem Text gestalteten Anschreiben heißt es auf Seite 1 unten, Seite 2 oben:

„In dem beigefügten Informationsblatt geben wir Ihnen wichtige Hinweise, insbesondere zu Fristen, die Sie beachten müssen.

Auf die Frist für den Nachweis der Invalidität (15 Monate) möchten wir Sie besonders aufmerksam machen. Für den Fall einer unfallbedingten Invalidität bitten wir Sie daher, rechtzeitig vor Ablauf dieser Frist für die Erstellung eines ärztlichen Attestes zu sorgen.“

In dem Informationsblatt mit der fettgedruckten und in größerer Schrift als der folgende Text gestalteten Überschrift „Bitte beachten Sie folgende Hinweise zum Versicherungsschutz Ihrer Unfallversicherung“ heißt es unter der genauso gestalteten Überschrift „Invaliditätsleistung“ u.a.:

„Ein Anspruch auf Invaliditätsleistung besteht, wenn (…) die Invalidität (…)

– (…) innerhalb von 15 Monaten nach dem Unfall von einem Arzt schriftlich festgestellt (…) worden ist.

Wird die Frist für die ärztliche Feststellung der Invalidität versäumt, besteht kein Anspruch auf Invaliditätsleistung …“

Wegen weiterer Einzelheiten der Schreiben wird auf die Anlage K 4 verwiesen.

Wegen des Inhalts der vom Kläger unter dem 23.1.2011 abgegebenen Schadenmeldung wird auf die Anlage B 2 Bezug genommen.

Unter dem 8.2.2011 verwies die Beklagte nochmals auf ihre Belehrung vom 12.1.2011 und übersandte dem Kläger einen Vordruck für eine ärztliche Invaliditätsfeststellung (Anlage B 3).

Mit Schreiben vom 21.10.2011 übersandte die Beklagte dem Kläger den „gewünschten Vordruck“ in Form einer Schweigepflichtsentbindungserklärung und verwies auf die Beachtung der Informationen vom 12.1.2011 (Anlage K 15).

Der Kläger übersandte der Beklagten eine mit Datum vom 22.11.2011 unterzeichnete Schweigepflichtsentbindungserklärung (Anlage B 4).

Unter dem 23.1.2012 lehnte die Beklagte Leistungen wegen fehlender fristgerechter ärztlicher Invaliditätsfeststellung ab (Anlage K5/B 5).

Mit Datum vom 1.2.2012 bescheinigte Dr. … auf einem Formular der Beklagten eine Invalidität von 50 % oder mehr des rechten Armes des Klägers (Anlage K 6).

Mit Schreiben vom 22.2.2012 (Anlage K 7) wandte sich der Kläger gegen die Ablehnung.

In einem unfallchirurgisch-orthopädischen Gutachten vom 22.3.2012 im Auftrag der … kam Dr. … zu einer dauernden Funktionseinschränkung des rechten Armes des Klägers von 5/10 Arm (Anlage K 3).

Auf ein Schreiben seines Prozessbevollmächtigten vom 14.9.2012 (Anlage K 8) antwortete die Beklagte unter dem 18.10.2012 (Anlage K 9) u.a.:

„… Herr … bat dann im Oktober 2011 um die Übersendung eines Formulars, damit er eine Invaliditätsleistung geltend machen kann. Das Formular sowie eine Schweigepflichtsentbindungserklärung wurden ihm am 21.10.11 mit dem Hinweis auf unser Schreiben vom 12.01.2011 übersandt. Die Entbindung von der Schweigepflicht schichte Ihr Mandant am 28.11.2011 an uns zurück und informierte ebenfalls, dass die ärztliche Bescheinigung am 16.12.2011 an uns versandt werden wird. …“

Der Kläger behauptet im Wesentlichen, am 6.10.2010 habe sich seine Bohrmaschine verkantet und dadurch sei seine rechte Hand gegen die Decke geschlagen, was zu einer Prellung des rechten Handgelenks und einer Überdehnung der rechten Schulter geführt habe. Er habe letztlich ein CRPS an der rechten Hand und eine frozen shoulder rechts erlitten. Da er den rechten Arm praktisch nicht mehr einsetzen könne, liege eine Invalidität von mindestens 50 % vor.

Er meint, eine bedingungsgemäße ärztliche Invaliditätsfeststellung enthalte insbesondere das „Handchirurgische Konsilium“ vom 20.5.2011 wegen dessen Inhalt auf die Anlage K 17 verwiesen wird, aber auch der „Austrittsbericht“ der Rehaklinik … vom 6.6.2011 wegen dessen Einzelheiten auf das Anlagenkonvolut K 16 Bezug genommen wird. Er habe im Übrigen aufgrund der dem Schreiben vom 12.1.2011 beigefügten Information davon ausgehen dürfen, dass die Beklagte sich um eine Untersuchung kümmern werde. Die Klausel in Nr. 2.1.1.1 „… AUB 2000“ über die ärztliche Invaliditätsfeststellung sei intransparent. Jedenfalls könne sich die Beklagte aufgrund der missverständlichen Belehrung und ihres Verhaltens auf den Fristablauf nicht berufen.

Der Kläger beantragt, die Beklagte zu verurteilen, an ihn eine monatliche Unfallrente iHv. 530,- € seit dem 1.10.2010 zu zahlen.

Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Parteien wird auf den vorgetragenen Inhalt der gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

Es ist Beweis erhoben worden über die Behauptungen des Klägers durch Beschluss der Kammer vom 28. Mai 2014 (Bl. 153 f.) durch Einholung eines Sachverständigengutachtens. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das Gutachten des Sachverständigen Dr. Schauwecker vom 30. August 2014 verwiesen.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Klage hat keinen Erfolg.

Dem Kläger steht gegen die Beklagte der geltend gemachte Anspruch auf Zahlung von monatlichen Renten iHv. 530,- € seit dem 1.10.2010 nicht aus dem zwischen den Parteien geschlossenen Unfallversicherungsvertrag iVm. „… AUB 2000“ zu.

Es fehlt an einer anspruchsbegründenden, rechtzeitigen ärztlichen Invaliditätsfeststellung nach Nr. 2.1.1.1 „…-AUB 2000“. Danach muss die Invalidität „innerhalb von 15 Monaten nach dem Unfall von einem Arzt schriftlich festgestellt sein“.

1. Eine solche Feststellung erfolgte aufgrund des angeblichen Unfalls vom 6.10.2010 bis zum 6.1.2011 nicht.

Dabei sind nach der Rechtsprechung des BGH keine hohen Anforderungen an die ärztliche Invaliditätsfeststellung zu stellen (grundlegend BGH v. 19.11.1997 – IV ZR 348/96 – VersR 1998, 175). Gemessen am Zweck der fristgebundenen ärztlichen Feststellung genügt es vielmehr, wenn diese Feststellung die Schädigung sowie den Bereich, auf den sich diese auswirkt, ferner die Ursachen, auf denen der Dauerschaden beruht, so umreißt, dass der Versicherer bei seiner Leistungsprüfung den medizinischen Bereich erkennen kann, auf den sich die Prüfung seiner Leistungsverpflichtung erstrecken muss und vor der späteren Geltendmachung völlig anderer Gebrechen oder Invaliditätsursachen geschützt wird (zuletzt BGH v. 1.4.2015 – IV ZR 104/13 – VersR 2015, 617). Notwendig ist danach insbesondere die ärztliche Feststellung eines Dauerschadens und dessen Ursache. Solche ärztliche Feststellungen im Hinblick auf den rechten Arm bzw. die rechte Schulter des Klägers liegen bis zum 6.1.2011 nicht vor.

Das „Handchirurgische Konsilium“ der Rehaklinik … vom 20.5.2011 (Anlage K 17) geht über eine Befunderhebung nicht hinaus und verhält sich vor allem nicht zu einem Dauerschaden des Klägers. Für einen „Kurzbericht“ vom 1.6.2011 und den „Austrittsbericht“ vom 6.6.2011 der Rehaklinik … gilt dasselbe; in Letzterem heißt es abschließend lediglich „Der Verlauf dürfte langwierig sein“, was mit einem Dauerschaden nicht gleichbedeutend ist. Auch aus den eingereichten Berichten der Uniklinik … folgt nichts anderes.

2. Die Invaliditätsfeststellung Dr. … vom 1.2.2012 (Anlage K 6) ist zu spät.

a) Die Beklagte ist auch nicht daran gehindert, sich auf das Versäumen der Frist nach § 186 S. 2 VVG „zu berufen“, da sie nach § 186 S. 1 VVG mit Schreiben vom 12.1.2011 nebst beigefügtem Informationsblatt ordnungsgemäß auf die zu beachtenden Fristen hingewiesen hat. Der Hinweis ist inhaltlich und formal nicht zu beanstanden.

aa) Die Schreiben weisen insbesondere auf die Frist zur ärztlichen Invaliditätsfeststellung als solche und deren Bedeutung für den Anspruch hin. Unmissverständlich wird dort ausgeführt, dass beim Versäumen der Frist kein Anspruch auf Invaliditätsleistungen besteht.

bb) Einer besonderen Hervorhebung des Hinweises bedurfte es nicht. Der Hinweis darf nur nicht im sonstigen Text untergehen (vgl. dazu z.B. Knappmann in Prölss/Martin, 29. Aufl. 2015, § 186 VVG Rn. 3; Rixecker in Römer/Langheid, 4. Aufl. 2014, § 186 VVG Rn. 3, Marlow in Veith/Gräfe, 2. Aufl. 2015, § 8 Rn. 296). Schon seinem Wortlaut nach verlangt § 186 S. 1 VVG anders als §§ 19Abs. 5 S. 1, 28 Abs. 4 VVG keine „gesonderte Mitteilung in Textform“, sondern einen Hinweis „nur“ in Textform. Auch Sinn und Zweck der Regelung, eine Informationsobliegenheit des Versicherers zu statuieren, um der Gefahr der Nichtbeachtung der verhaltensgebundenen Fristen zu begegnen, ist schon dadurch genügt, dass der Hinweis aus den Bedingungen herausgestellt wird und so gestaltet ist, dass der durchschnittliche VN ihn in zumutbarer Weise zur Kenntnis nehmen kann. Dafür muss er nicht besonders hervorgehoben sein (so insges. Marlow aaO.). Diesen Anforderungen genügt der Hinweis hier.

b) Der Beklagten ist ein Berufen auf das Fristversäumnis auch nicht nach § 242 BGB aus Gründen des Rechtsmissbrauchs versagt. Entgegen der Auffassung des Klägers hat sie nicht erklärt, ein Gutachten einzuholen oder sonst den Eindruck erweckt, der Kläger müsse sich um die Frist zur ärztlichen Invaliditätsfeststellung nicht kümmern.

aa) Entsprechendes folgt nicht aus dem gleichzeitigen Hinweis im Informationsblatt auf die vertraglich vereinbarte Untersuchungsobliegenheit. Hier wird unter der gesonderten Überschrift „Auskunfts- und Aufklärungsobliegenheiten“ auf nach Eintritt des Versicherungsfalles bestehende Obliegenheiten des Versicherungsnehmers hingewiesen, die dem Vertrag entnommen werden können und dort lediglich stichpunktartig zusammengestellt sind; u.a. auch die sog. Untersuchungsobliegenheit. Aus der Sicht eines verständigen Empfängers liegt es fern, daraus zu folgern, die Beklagte werde Untersuchungen veranlassen, die es entbehrlich machen, dass sich der versicherte selbst um Invaliditätsfeststellungen kümmern muss. Bei den Obliegenheiten handelt es sich um Pflichten des Versicherungsnehmers gegenüber dem Versicherer und nicht umgekehrt. Zudem wäre anderenfalls der gleichzeitige Hinweis auf die Frist zur ärztlichen Invaliditätsfeststellung sinnlos.

Im Übrigen hatte der persönlich im Termin am 20.5.2015 angehörte Kläger offensichtlich auch gar keine Fehlvorstellungen über die Frist. Er gab an, immer wieder mit der Beklagten gesprochen zu haben, weil er die Frist wohl nicht werde einhalten können. Auf Nachfrage der Kammer, ob er die Frist im Blick gehabt habe, erklärte er ausdrücklich: „Na ja, klar“.

bb) Das Vorbringen des Klägers, er sei davon ausgegangen, die Beklagte werde ein Gutachten einholen, genügt als solches nicht. Maßgebend kann nur sein, ob die Beklagte diesen Eindruck auch in zurechenbarer Weise erweckt hat. Dazu hat der Kläger aber nichts vorgetragen. Allein seine Angaben gegenüber der Beklagten, die … werde ein Gutachten einholen, das er nachreichen werde, begründen ein der Beklagten vorwerfbares Verhalten nicht. Dasselbe gilt auch für den Umstand, dass die Beklagte nach mehrfacher Anforderung durch den Kläger diesem unter dem 21.10.2011 ein Formular mit einer Schweigepflichtsentbindungserklärung übersandt hat (vgl. Protokoll vom 20.5.2015, Bl. 190). Daraus lässt sich jedenfalls nicht entnehmen, die Beklagte werde nun selbst ein Gutachten einholen. Während der Kläger und sein Prozessbevollmächtigter im Termin angaben, der Kläger habe das Formular zur Schweigepflichtsentbindungserklärung mehrfach bei der Beklagten angefordert und erklärt, er werde die Frist nicht einhalten können, trägt er im nachgelassenen Schriftsatz vom 15.6.2015 vor, die Beklagte habe um deren Übersendung gebeten und die Einholung eines Gutachtens angekündigt. Unabhängig davon, dass er sich damit in Widerspruch zu seinen Erklärung im Termin setzt, ohne dies plausibel zu machen, sollte nach seinem neuen Vorbringen zuvor noch die Liste der ihn behandelnden Ärzte eingereicht werden. Dass und wann er diese eingereicht hat, trägt er aber nicht vor, so dass auch insoweit der Kläger nicht darauf vertrauen durfte, die Beklagte werde ein Gutachten einholen und er müsse sich um eine ärztliche Invaliditätsfeststellung kümmern. Im Übrigen hat die Beklagte den Kläger wiederholt auf die Notwendigkeit einer ärztlichen Invaliditätsfeststellung hingewiesen, zuletzt mit Schreiben vom 21.10.2011.

2. Entgegen der Auffassung des Klägers begegnet die Klausel in Nr. 2.1.1.1 „…-AUB 2000“ zur ärztlichen Invaliditätsfeststellung keinen Wirksamkeitsbedenken. Der BGH hat dies sowohl für materielle Wirksamkeit als auch die Transparenz vergleichbarer Klauseln geklärt (BGH v. 19.11.1997 – IV ZR 348/96 – VersR 1998, 175; v. 23.2.2005 – IV ZR 273/03 – VersR 2005, 639; v. 20.6.2012 – IV ZR 39/11 – VersR 2012, 1113). Die Kammer schließt sich dem ohne weiteres an.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 S. 1 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 709 S. 1 und 2 ZPO.

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