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Unfallversicherung – fristwahrende Invaliditäts-Geltendmachung

LG Aachen – Az.: 9 O 250/15 – Urteil vom 23.06.2016

Die Klage wird abgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Rechtsstreits.

Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

Die Parteien sind durch einen Unfallversicherungsvertrag, dem die „Bedingungen für die MLP Unfallversicherung“ (nachfolgend: AVB) sowie die „Zusatzbedingungen für die MLP Unfallversicherung MLP Classic 2007“ (nachfolgend Zusatzbedingungen) zugrundeliegen, miteinander verbunden. Dieser Vertrag sieht gemäß Nachtrag zum Versicherungsschein vom 26.07.2011 eine Invaliditätsgrundsumme von 38.000 EUR vor. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die vorgenannten Unterlagen (Bl. 12 ff, 31 ff, 77 ff GA) Bezug genommen.

Nach Ziffer 26 der Zusatzbedingungen ist Voraussetzung für die Invaliditätsleistung abweichend von Ziffer 2.1.1.1 der AVB, dass die Invalidität innerhalb von 15 Monaten nach dem Unfall eingetreten sowie spätestens vor Ablauf einer Frist von weiteren sechs Monaten von einem Arzt schriftlich festgestellt und vom Versicherungsnehmer gegenüber der Beklagten geltend gemacht worden ist. Die Art und Höhe der Leistung richten sich nach Ziffer 1 der Zusatzbedingungen.

Die Klägerin erlitt am 24.07.2012 einen Unfall, bei dem sie mit ihrem Fahrrad auf dem Weg von zuhause zur Arbeitsstelle stürzte. Den Unfall meldete sie der Beklagten mit Schadenanzeige vom 24.07.2012. Darin führte sie zu den erlittenen Verletzungen aus (Bl. 81R GA):

„Schwere Fraktur linker Unterarm, schwere Gehirnerschütterung, totale Amnesie, Prellungen und Schürfwunde rechts an Kopf, Gesicht, Schulter, Arm und Hand“.

Mit Schreiben vom 01.08.2012 wies die Beklagte die Klägerin darauf hin, dass ein Anspruch auf Invaliditätsleistung bestehe, wenn die Invalidität innerhalb von 15 Monaten nach dem Unfall eintritt. Der Anspruch auf Invaliditätsleistung müsse innerhalb von 21 Monaten nach dem Unfall von einem Arzt schriftlich festgestellt und geltend gemacht werden.

Gemäß Aufforderung der Beklagten mit Schreiben vom 14.02.2013 legte die Klägerin dieser eine fachärztliche Bescheinigung vom 27.02.2013 vor. Darin heißt es zu den infolge des Unfalls noch bestehenden Beschwerden (Bl. 50 GA):

„Schmerzen im Bereich des linken Unterarms besonders bei Belastung; Schmerzen im Bereich einer Narbenbildung nach offene Fraktur; Instabilität mit Schmerzen im Bereich des distalen Radio-Ulnar-Gelenkes; Bewegungseinschränkung des Handgelenks links“.

Die Beklagte antwortete mit Schreiben vom 07.03.2013 (Bl. 51 GA):

„nach Erhalt des ärztlichen Berichts bestätigen wir Ihnen hiermit die fristgemäße Anmeldung von Invaliditätsansprüchen. […].“

Im Nachgang erteilte die Beklagte Aufträge, um die Höhe der Invaliditätsansprüche zu ermitteln. Im Rahmen dessen erteilte sie dem behandelnden Arzt des L2 als Erstgutachter im Mai 2014 auf dessen Anfrage mit Schreiben 22.05.2014 hin eine Kostenzusage für die Durchführung eines MRT der hirnversorgenden Gefäße sowie des Schädels der Klägerin. Ein Arztbericht wurde hierzu später nicht verfasst.

Mit E-Mail vom 27.04.2015 schilderte die Klägerin der Beklagten Schwierigkeiten im Rahmen der Abwicklung des Unfalls mit der Berufsgenossenschaft. Im Zuge dessen berichtete sie, dass das L3 versäumt habe, wohl auch der Beklagten mitzuteilen, dass ein neuro-psychologisches Gutachten vonnöten sei.

Mit Schreiben vom 08.06.2015 teilte die Beklagte der Klägerin unter anderem mit (Bl. 53 GA):

„Bitte beachten Sie, dass gemäß der vorliegenden Facharztbescheinigung lediglich Beschwerden im Bereich des linken Armes und Handgelenks von Ihrem Arzt aus dem V bestätigt wurden.

[…]

Fristablauf für die ärztliche Feststellung des Dauerschadens und der Geltendmachung eines Invaliditätsanspruchs war der 24.04.2014.

Innerhalb dieser Fristen wurden lediglich Feststellungen zur oben genannten Einschränkung des linken Armes getroffen und beim Versicherer geltend gemacht. Mit weitergehenden, telefonisch nach gemeldeten Folgeschäden können wir uns daher nicht befassen.“

Mit einem nicht näher bezeichneten Schreiben forderte die Klägerin die Beklagte unter Fristsetzung bis zum 13.07.2015 zur Abwicklung des Schadensfalles auf.

Die Beklagte hatte zwischenzeitlich ein fachchirurgisches Gutachten des Dr. K2 eingeholt, das dieser am unter dem 11.07.2015 erstattete. Die Beklagte rechnete auf der Grundlage dieses Gutachtens mit Schreiben vom 16.07.2015, eingegangen bei der Klägerin am 23.07.2015, den Invaliditätsanspruch basierend auf einer Beeinträchtigung in Höhe von 7/20 des Handwerts links ab und zahlte einen Entschädigungsbetrag in Höhe von 10.125 EUR an die Klägerin aus.

Die Klägerin behauptet, durch den Unfall auch auf neurologisch/neuropsychologischem Fachgebiet Dauerschäden erlitten zu haben, nämlich eine leichte bis mittelgradige kognitive Funktionsbeeinträchtigung im Bereich der komplexen Aufmerksamkeitsfunktionen und Gedächtnisfunktion, eine unterdurchschnittlich kurzfristige verbale Merkfähigkeit sowie ein unterdurchschnittliches Arbeitsgedächtnis. Ferner bestehe der Verdacht auf Dyskalkulie. Ihre Erwerbsfähigkeit sei dadurch um 50 % gemindert. Aufgrund der Zustimmung zu einem neurologischen Zusatzgutachten sei der Beklagten bekannt gewesen, dass sie – die Klägerin – durch den Unfall auch neurologische Defizite erlitten habe. Sie ist der Ansicht, dass nicht für jede einzelne Erkrankung aus dem Unfallereignis der Invaliditätsanspruch belegt sein müsse. Im Übrigen habe die Beklagte bereits eine vollumfängliche Akzeptanz der Anmeldungsvoraussetzungen erklärt.

Die Klägerin hat mit ihrer bei Gericht am 23.07.2015 eingegangenen und der Beklagten am 02.09.2015 zugestellten Klage zunächst beantragt, die Beklagte zu verurteilen, ihr umfassenden Versicherungsschutz aus dem Unfallereignis ohne Beschränkung auf das linke Handgelenk zu gewähren, sowie festzustellen, dass sich die Beklagte in Verzug befinde. Mit Schriftsatz vom 09.11.2015, eingegangen bei Gericht am selben Tag, hat sie unter Bezugnahme auf die Entschädigungsleistung der Beklagten erklärt, dass „der Rechtsstreit und die Klage zurückgenommen“ würden. Sie beantragt insoweit, der Beklagten die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen, im Übrigen beantragt sie, die Beklagte zu verurteilen,

1.  38.000 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 13.07.2015 zu zahlen;

2.  Die nicht festsetzbaren Rechtsanwaltsgebühren unter Freistellung der Klägerin in Höhe von 1.242,84 EUR zu zahlen.

Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

Sie ist der Ansicht, dass die Klägerin einen Invaliditätsanspruch nur wegen Beeinträchtigungen der linken Hand bzw. den linken Arms fristgerecht angemeldet habe.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach-und Streitstandes wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze und die zu den Akten gereichten Unterlagen Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Klage ist nicht begründet.

I.

1.

Die Klägerin hat gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Zahlung eines Betrages in Höhe von 38.000 EUR; ein solcher Anspruch folgt insbesondere nicht aus dem Versicherungsvertrag in Verbindung mit den Versicherungsbedingungen.

Gemäß Ziffer 26 der Zusatzbedingungen muss die Invalidität u.a. binnen 21 Monaten nach dem Unfall von einem Arzt festgestellt und gegenüber der Beklagten geltend gemacht sein. Daran fehlt es hinsichtlich der hier in Streit stehenden neurologischen Beschwerden.

Die Geltendmachung setzt den Hinweis speziell auf diejenigen Unfallfolgen voraus, die zur Invalidität führen. Eine Fristwahrung für andere als die geltend gemachten Symptome tritt nicht ein (vgl. P/M, VVG, 28. Aufl., AUB 2008 Nr. 2 Rn. 17).

Unstreitig hat die Klägerin gegenüber der Beklagten neurologische Unfallfolgen nicht ausdrücklich innerhalb der in den Versicherungsbedingungen genannten Frist mitgeteilt. Die Angaben in der Schadenanzeige und der fachärztlichen Bescheinigung beschränkten sich auf Beschwerden orthopädischer bzw. chirurgischer Art (Handgelenk, Frakturnarbenschmerzen, Bewegungseinschränkungen). Weitergehende Beschwerden werden nicht erwähnt.

Aus dem Bestätigungsschreibens der Beklagten vom 07.03.2013 folgt nichts anderes. Denn dieses konnte sich zwangsläufig nur auf die bis dahin geltend gemachten und ärztlich festgestellten Beschwerden beziehen.

Gegenteiliges ergibt sich auch nicht aus dem gegenüber dem Erstgutachter erklärten Einverständnis der Beklagten mit der Durchführung eines MRT. Denn dem Schreiben des Gutachters sind gerade keine ärztlichen Feststellungen zu den streitgegenständlichen Beschwerden zu entnehmen. Und eine Auswertung der Untersuchungsergebnisse hat es im Nachgang nicht gegeben.

2.

Da ein Anspruch in der Hauptsache nicht besteht, hat die Klägerin gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Freistellung von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten.

II.

1.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 ZPO.

Soweit die Klägerin die Klage zurückgenommen hat, waren die Kosten des Rechtsstreits nicht der Beklagten aufzuerlegen. Insbesondere ergibt sich eine solche Kostentragungspflicht auch nicht unter Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstandes nach billigem Ermessen gemäß § 269 Abs. 3 Satz 3 ZPO. Das von der Beklagten eingeholte Gutachten des Dr. K2 datiert vom 11.07.2015, bereits mit Schreiben vom 16.07.2015 hat die Beklagte ihre Abrechnung vorgenommen. Eine solche Prüf- und Abrechnungsfrist war ihr ohne Weiteres zuzubilligen.

2.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 709 ZPO.

Streitwert:   bis zum 09.11.2015:   24.000 EUR

danach:      38.000 EUR

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