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Unfallversicherung – fehlerhafte Invaliditätsermittlung durch Gerichtsgutachter

BGH

Az.: IV ZR 320/12

Beschluss vom 11.12.2013

Auf die Beschwerde des Klägers wird die Revision gegen das Urteil des 7. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main vom 2. Oktober 2012 zugelassen.

Das vorgenannte Urteil wird gemäß § 544 Abs. 7 ZPO aufgehoben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Streitwert: 39.880,88 €

Gründe

I. Der bei der Beklagten unfallversicherte Kläger verlangt eine höhere Versicherungsleistung nach einem am 30. Dezember 2004 erlittenen

Skiunfall Foto
Symbolfoto: DRF Luftrettung

, der bei ihm unstreitig zu einem Dauerschaden an der linken Schulter geführt hat. Die Beklagte hat dem Kläger vorgerichtlich unter Zugrundelegung einer Invalidität von 1/5 des in der vereinbarten Gliedertaxe ausgewiesenen Armwertes von 70% (§ 2 Nr. 1.2 a AUB 1 99-L) 21.474,32 € gezahlt. Der Kläger beansprucht weitere 39.880,88 €, die er als zusätzliche Versicherungsleistung unter Zugrundelegung eines Invaliditätsgrades von 3/7 des Armwertes errechnet hat.

Die Klage ist in den Vorinstanzen erfolglos geblieben.

Das Berufungsgericht hat ausgeführt, der gerichtlich bestellte Sachverständige, der einen Invaliditätsgrad von 1/10 des Armwertes ermittelt hat, und – ihm folgend – das Landgericht hätten nicht ausreichend berücksichtigt, dass bei teilweiser Einschränkung der Beweglichkeit eines Schultergelenks der Invaliditätsgrad nur anhand dieser Einschränkung bestimmt werden müsse und eine verbliebene Funktionsfähigkeit körperfernerer Teile des Arms nicht zu berücksichtigen sei (Senatsbeschluss vom 12. Dezember 2007 – IV ZR 178/06, VersR 2008, 483 Rn. 4; Senatsurteil vom 24. Mai 2006 – IV ZR 203/03, VersR 2006, 1117 Rn. 18 ff.; vgl. auch Senatsurteile vom 9. Juli 2003 – IV ZR 74/02, VersR 2003, 1163 unter II 2 und vom 17. Januar 2001 – IV ZR 32/00, VersR 2001, 360 unter 2 a). Deshalb seien die Bewertungsvorschläge der vom Sachverständigen zugrunde gelegten Tabelle (aus Rompe/Erlenkämper, Begutachtung der Haltungs- und Bewegungsorgane 3. Aufl. 1998), die für die Versteifung im Schultergelenk Invaliditätsgrade von 4/10 bis 1/2 des Armwertes vorsehe, zu korrigieren. Ihr liege die rechtlich unzutreffende Vorstellung zugrunde, ein im Schultergelenk versteifter Arm führe zu einem geringeren Invaliditätsgrad als ein vollständig verlorener Arm. Anderenfalls könne der Invaliditätsgrad bei vollständiger Versteifung des Schultergelenks nicht hinter dem vollen Armwert zurückbleiben. Sehe die Tabelle für diesen Fall stattdessen nur eine Invalidität von der Hälfte des Armwertes vor, müsse dieser Wert mithin verdoppelt werden. Gleiches gelte entsprechend auch für die mit Teileinbußen korrespondierenden 2 Tabellenwerte. Habe – woran das Berufungsgericht nach § 529 ZPO gebunden sei – der Sachverständige beim Kläger eine Teilbeweglichkeit des linken Arms bei Vor- und Seithebung bis 120¡ festgestellt und die Invalidität anhand der genannten Tabelle auf 1/10 des Armwertes bemessen, ergebe sich bei der gebotenen Verdoppelung ein Invaliditätsgrad von 1/5 des Armwertes. Das könne das Gericht auch ohne sachverständige Hilfe ermitteln, da lediglich eine rechnerische Anpassung der vom Sachverständigen für zutreffend erachteten Tabellenwerte erfolge.

Offenbleiben könne, ob die Feststellung der Bewegungseinschränkung allein auf das Schulterkugelgelenk zu beschränken sei. Zwar habe der Sachverständige die verbliebene Beweglichkeit des Arms unter Berücksichtigung des gesamten Schultergürtels des Klägers untersucht, dabei aber keine Bewegungseinschränkungen in den übrigen Teilen des Schultergürtels festgestellt. Daraus ergebe sich, dass die festgestellten Einschränkungen allein auf der Verletzung des eigentlichen Schultergelenks beruhten.

II. Die hiergegen gerichtete Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers führt gemäß § 544 Abs. 7 ZPO zur Zulassung der Revision, zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht. Letzteres hat das Recht des Klägers auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) verletzt, weil es weder seinem Antrag auf eine weitergehende Begutachtung unter den zutreffend geänderten rechtlichen Prämissen stattgegeben noch den gerichtlich bestellten Sachverständigen ergänzend angehört hat.

Stellt – wovon das Berufungsgericht im Streitfall zutreffend ausgegangen ist – das Urteil der Vorinstanz infolge schwerwiegender Fehler bei der Feststellung des entscheidungserheblichen Sachverhalts keine hinreichende Entscheidungsgrundlage dar, muss das Berufungsgericht neue Feststellungen treffen. Dabei hat es den Vortrag und die Beweisanträge der Parteien zur Kenntnis zu nehmen und prozessordnungsgemäß zu bescheiden (vgl. dazu Senatsurteil vom 13. Mai 2009 – IV ZR 211/05, VersR 2009, 1213 Rn. 15 m.w.N.). Dem genügt die Verfahrensweise des Berufungsgerichts nicht.

Der bereits in erster Instanz gerichtlich bestellte Sachverständige hat eine Bewegungseinschränkung der linken Schulter des Klägers festgestellt, die ein Anheben des Arms auf den Bereich zwischen 90¡ und 120¡ zulasse, und dieser anhand der genannten Tabelle einen Invaliditätsgrad von 1/10 des Armwertes zugeordnet. Dabei ist er in Unkenntnis der oben genannten Senatsrechtsprechung ersichtlich davon ausgegangen, anders als beim vollständigen Verlust eines Arms im Schultergelenk mindere bei einem lediglich in seiner Funktionsfähigkeit beeinträchtigten Schultergelenk die erhalten gebliebene Funktionsfähigkeit der körperferneren Teile des Arms (Ellenbogengelenk und Hand) den in der Gliedertaxe ausgewiesenen Invaliditätsgrad. Auch die vom Sachverständigen herangezogene Tabelle geht ersichtlich davon aus, wie insbesondere der Umstand belegt, dass einer vollständigen Versteifung des Schultergelenks lediglich ein Invaliditätsgrad des halben Armwertes zugeordnet wird.

Für die Berufungsentscheidung kam es demgegenüber bei zutreffendem Verständnis der Gliedertaxe darauf an, die Invalidität des Klägers allein anhand der Funktionseinschränkung des Schultergelenks zu bestimmen. Hierfür war das bisherige Gutachten ohne weitere Aufklärungsbemühungen des Berufungsgerichts nicht verwertbar.

Das Berufungsgericht hätte daher, nachdem der Kläger eine neue Begutachtung beantragt hatte, diesem Antrag stattgeben, zumindest aber den bisherigen Sachverständigen anhören und ihn mit den Bedenken gegen sein bisheriges Gutachten konfrontieren müssen (vgl. auch Senatsbeschluss vom 12. Dezember 2007 – IV ZR 178/06, VersR 2008, 483 Rn. 8, 9).

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