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Unfallversicherung – fehlender Fristenhinweis des Versicherers – ärztliche Invaliditätsfeststellung

OLG Hamm, Az.: I-20 U 188/15, Beschluss vom 04.11.2015

Der Senat beabsichtigt, die Berufung des Klägers gemäß § 522 Abs. 2 Satz 1 ZPO zurückzuweisen.

Es wird Gelegenheit gegeben, binnen drei Wochen Stellung zu nehmen.

Das Gesuch des Klägers um Bewilligung von Prozesskostenhilfe für seine Berufung gegen das am 20.07.2015 verkündete Urteil der 15. Zivilkammer des Landgerichts Münster wird zurückgewiesen.

Gründe

I.

Der Senat ist einstimmig davon überzeugt, dass die Berufung offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat, die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung hat, weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung auf Grund mündlicher Verhandlung erfordern und eine mündliche Verhandlung auch sonst nicht geboten ist.

Die angefochtene Entscheidung beruht weder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von § 546 ZPO, noch rechtfertigen die nach § 529 ZPO zugrunde zu legenden Tatsachen eine andere, dem Kläger günstigere Entscheidung, § 513 Abs. 1 ZPO.

1. Ein Anspruch des Klägers gegen die Beklagte auf die geltend gemachte bedingungsgemäße Invaliditätsentschädigung nach § 178 Abs. 1 VVG i.V.m. Ziff. 2.1 AUB 2008 scheitert bereits daran, dass die formellen Voraussetzungen gem. Ziff. 2.1.1.1 AUB 2008 nicht erfüllt sind. Nach dieser Fristenregelung, die einer Inhaltskontrolle nach § 307 BGB stand hält (vgl. nur BGH, Urt. v. 23.02.2005, IV ZR 273/03, BGHZ 162, 210 = VersR 2005, 639), muss die Invalidität innerhalb eines Jahres nach dem Unfall eingetreten sowie innerhalb von 15 Monaten nach dem Unfall von einem Arzt schriftlich festgestellt und vom Versicherungsnehmer geltend gemacht worden sein.

Das Landgericht hat insoweit zutreffend angenommen, dass es bereits an einer hinreichenden ärztlichen Feststellung überhaupt fehlt.

Aus der ärztlichen Feststellung müssen sich die vom Arzt angenommene Ursache der Invalidität und die Art ihrer Auswirkungen auf die Gesundheit des Versicherten ergeben (BGH, Urt. v. 06.11.1996, IV ZR 215/95, r+s 1997, 84). Darüber hinaus muss die ärztliche Feststellung die Aussage enthalten, dass das Unfallereignis für den Dauerschaden ursächlich ist; die bloße Möglichkeit der Kausalität reicht nicht (BGH, Urt. v. 07.03.2007, IV ZR 137/06, juris, Rn. 11, VersR 2007, 1114; Senat, Urt. v. 27.01.2006, 20 U 156/05, juris, Rn. 45 mit weiteren Nachweisen, r+s 2007, 74). Denn die Invaliditätsbescheinigung soll dem Versicherer Gelegenheit geben, dem geltend gemachten Versicherungsfall nachzugehen und seine Leistungspflicht auf Grundlage der ärztlichen Feststellung zu prüfen. Zugleich soll sie eine Ausgrenzung von Spätschäden ermöglichen, die in der Regel nur schwer abklärbar und überschaubar sind und die der Versicherer deshalb von der Deckung ausnehmen will. Deshalb können nur die in der ärztlichen Invaliditätsfeststellung beschriebenen unfallbedingten Dauerschäden Grundlage des Anspruchs auf Invaliditätsentschädigung sein.

Unfallversicherung – fehlender Fristenhinweis des Versicherers - ärztliche Invaliditätsfeststellung
Symbolfoto: Elnur/Bigstock

Gemessen hieran ist das Schreiben Dr. med. H vom 16.04.2013 (GA I 17 = GA I 178) schon deshalb unzureichend, weil es keinerlei Aussage zur Ursächlichkeit eines Unfallereignisses für die vom Kläger geklagten gesundheitlichen Beeinträchtigungen trifft. Nichts anderes gilt insoweit für das Schreiben Dr. med. H vom 09.04.2014 (GA I 181), mit dem weder eine dauerhafte Beeinträchtigung der körperlichen oder geistigen Leistungsfähigkeit des Klägers noch der erforderliche Ursachenzusammenhang zwischen den gesundheitlichen Beeinträchtigungen des Klägers und dem angeschuldigten Unfallereignis hinreichend festgestellt wird. Die bloße Angabe, der Kläger habe „nach dem Unfall“ weiterhin Schmerzen und ein Gefühl von Steifigkeit im rechten Bein bei eingeschränkter Funktionsfähigkeit gehabt, genügt nicht.

Keiner abschließenden Entscheidung durch den Senat bedarf vor diesem Hintergrund die Frage der Fristwahrung des Attests vom 09.04.2014. Hierbei unterliegt es keinem Zweifel, dass (auch) die in den AUB statuierte Frist nicht eingehalten ist. Denn bei der Frist für die ärztliche Invaliditätsfeststellung handelt es sich um eine dem berechtigten Interesse des Versicherers an der baldigen Klärung seiner Einstandspflicht dienende Anspruchsvoraussetzung, ohne deren Einhaltung dem Versicherungsnehmer eine Invaliditätsentschädigung zu versagen ist. Demgemäß ist es aus tatsächlichen Gründen bedeutungslos, ob den Versicherungsnehmer ein Verschulden daran trifft, dass es zu einer (fristgerechten) ärztlichen Feststellung der unfallbedingten Invalidität nicht gekommen ist; umgekehrt entlastet ihn fehlendes Verschulden nicht (vgl. BGH, Urt. v. 07.03.2007, a.a.O., Rn. 10; Senat, Urt. v. 13.06.2001, 20 U 189/00, NVersZ 2001, 551).

Zwar kann sich der Versicherer auf die Verspätung der ärztlichen Feststellung und der Anmeldung der Invalidität nur berufen, wenn er beweist, dass er den Versicherungsnehmer nach der Meldung des Versicherungsfalls auf diese Fristen hingewiesen hat (§ 186 Satz 2 VVG). Die Frage, ob die Beklagte mit der Belehrung im Unfallbericht (GA I 154) ihrer Hinweispflicht genügt hat, bedarf aber keiner abschließenden Entscheidung durch den Senat. Denn auch durch einen fehlenden oder nicht ausreichenden Hinweis wird der Versicherungsnehmer nicht von der Notwendigkeit enthoben, überhaupt eine (ausreichende) ärztliche Invaliditätsfeststellung beizubringen (vgl. Senat, Beschl. v. 11.06.2014, 20 U 81/14, n.v.; Knappmann, in: Prölss/Martin, VVG, 29. Aufl. 2015, Ziff. 2 AUB 2010 Rn. 23 unter Hinweis auf das Urteil des Senats vom 27.01.2006, a.a.O.).

2. Ohnehin lässt sich aber auch ein Unfall nicht feststellen.

Dem Kläger steht daher auch kein Anspruch auf das versicherte Unfall-Tagegeld nach § 178 Abs. 1 VVG i.V.m. Ziff. 2.7 AUB 2008 zu.

Das Landgericht hat überzeugend ausgeführt, dass es bereits am erforderlichen Vollbeweis des vom Kläger behaupteten versicherten Unfallereignisses fehle, da der behauptete Sturz vom 01.05.2012 auf einen Besucherstuhl – nach Leistungsablehnung der Beklagten vom 22.08.2012 – erstmals im Anwaltsschreiben vom 30.04.2013 (GA I 16 = GA I 171) Erwähnung finde, der Kläger hingegen zuvor stets die geltend gemachten Ansprüche auf durch Faustschläge der ihn behandelnden Ärztin Dr. L auf den Oberschenkel und ein dadurch hervorgerufenes Hämatom begründet habe. Das Landgericht hat insoweit zu Recht ausgeführt, es spreche entscheidend gegen die Richtigkeit der Sachdarstellung des Klägers, dass der nunmehr behauptete Sturz weder im ärztlichen Erstbericht zur Unfallversicherung noch in seinen Angaben gegenüber den Ermittlungsbehörden Erwähnung gefunden habe und der Kläger den Sturz auch im Rahmen seiner Anhörung nicht glaubhaft nachvollziehbar habe schildern können.

Konkrete Anhaltspunkte für Zweifel an der Richtigkeit und Vollständigkeit der entscheidungserheblichen Feststellungen (§ 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO) sind nicht dargetan und auch sonst nicht ersichtlich. Voraussetzung wäre das Bestehen einer gewissen Wahrscheinlichkeit dafür, dass im Falle (erneuter) Beweiserhebung die erstinstanzlichen Feststellungen keinen Bestand haben werden, wobei es für diese Wahrscheinlichkeitsprognose schlüssiger Gegenargumente bedarf, welche die erheblichen Tatsachenfeststellungen in Frage stellen (vgl. Zöller/Heßler, ZPO, 30. Aufl. 2014, § 529 Rn. 3).

Gemessen hieran zeigt die Berufungsbegründung solche konkreten Anhaltspunkte, die einen Rechtsfehler bei der Tatsachenfeststellung als möglich erscheinen lassen, nicht auf. Das Landgericht hat im angefochtenen Urteil die für seine Überzeugungsbildung leitenden Gründe (§ 286 Abs. 1 Satz 2 ZPO) ausführlich und überzeugend dargelegt. Diese Gründe werden mit dem Hinweis, der Kläger habe aufgrund der in erster Linie für ihn wichtigen Genesung und Behandlung des Beines hierauf die allererste Priorität gesetzt, ohne sich um etwaige Leistungen des beklagten Versicherers zu kümmern (GA II 301), nicht in Frage gestellt. Auch sonst ergeben sich keine konkreten Anhaltspunkte für Zweifel an den Feststellungen des Landgerichts.

Auf die Gebührenermäßigung für den Fall der Berufungsrücknahme (KV Nr. 1222 GKG) wird hingewiesen.

II.

Da die beabsichtigte Rechtsverfolgung des Klägers aus den vorstehenden Gründen keine hinreichende Aussicht auf Erfolg im Sinne von § 114 ZPO bietet, unterliegt auch sein Gesuch um Bewilligung von Prozesskostenhilfe für die Durchführung der Berufung gegen das angefochtene Urteil der Zurückweisung.

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