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Unfallversicherung – erhöhte Kraftanstrengung

OLG München – Az.: 25 U 543/19 – Urteil vom 29.11.2019

1. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Landgerichts Landshut vom 10.01.2019, Az. 74 O 2389/18, wird zurückgewiesen.

2. Die Klägerin hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.

3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Das in Ziffer 1 genannte Urteil des Landgerichts Landshut ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrages leistet.

4. Die Revision gegen dieses Urteil wird nicht zugelassen.

Beschluss

Der Streitwert wird für das Berufungsverfahren auf 22.400,00 € festgesetzt.

Gründe

I.

Die Klägerin macht Ansprüche aus einer bei der Beklagten bestehenden privaten Unfallversicherung wegen eines behaupteten Unfallereignisses vom 22.04.2015 geltend. Die Klägerin ist Versicherungsnehmerin und versicherte Person eines Unfallversicherungsvertrages. Dem Vertrag liegen die AUB/BVV Stand 01.01.2008 (Anlage K2) zu Grunde. Die Versicherungssumme beträgt 80.000 € Das versicherte Ereignis ist in Ziffer 1 der AUB/BVV wie folgt definiert:

1.3 Ein Unfall liegt vor, wenn die versicherte Person durch ein plötzlich von außen auf ihren Körper wirkendes Ereignis (Unfallereignis) unfreiwillig eine Gesundheitsbeschädigung erleidet. Die Unfreiwilligkeit wird bis zum Beweis des Gegenteils vermutet.

1.4 Als Unfall gilt auch,

1.4.1 wenn durch eine erhöhte Kraftanstrengung an Gliedmaßen oder Wirbelsäule ein Gelenk verrenkt wird oder Muskeln, Sehnen, Bänder oder Kapseln gezerrt oder zerrissen werden.

Die weiteren Regelungen gemäß 1.4.2-1.4.6 sind vorliegend nicht einschlägig.

Die Klägerin meldete das Ereignis vom 22.04.2015 mit Unfallanzeige vom 19.08.2015. Soweit im Tatbestand des Ersturteils vom 10.01.2019 (Seite 2; Blatt 44 der Akten) hierzu abweichende Feststellungen getroffen worden sind, beruht dies offensichtlich auf einem Redaktionsversehen infolge einer irrtümlichen Übernahme der diesbezüglichen Feststellungen aus dem Parallelverfahren des Landgerichts Landshut Aktenzeichen 74 O 2383/18.

Die Klägerin trägt vor, sie habe am 22.04.2015 zwischen den Sitzen ihres Cabrios nach hinten gefasst um einen dort liegenden Karton, der schwer gewesen sei, anzuheben, um an die in diesem Karton befindlichen Flyer heranzukommen. Sie habe hierbei den Karton etwas anheben wollen, hierbei sei jedoch eine entsprechende Kraftanstrengung notwendig gewesen, da die Sitzbank im Fahrzeug nach hinten geneigt gewesen sei. Durch diese erhöhte Kraftanstrengung sei es zu einem stechenden Schmerz im Bereich der rechten Schulter und im rechten Oberarm gekommen. Es liege eine erhöhte Kraftanstrengung im Sinne der Versicherungsbedingungen vor. Hieraus resultiere eine Funktionsbeeinträchtigung der rechten Schulter der Klägerin auf Dauer. Es würden sich Bewegungseinschränkungen, Schmerzen, sowie Einschränkung der Gebrauchs – und Funktionsfähigkeit der rechten Schulter zeigen. Es liege ein Invaliditätsgrad von mindestens 28 % vor.

Die Beklagte hat sowohl ein Unfallereignis als auch eine unfallbedingte Invalidität bestritten. Nach dem eigenen Vorbringen der Klägerin könne auch nicht vom Vorliegen eines Unfallereignisses im Sinne von Paragraf 1.4 der AUB ausgegangen werden. Bei der Klägerin liege eine „Frozen Schoulder“ rechts vor. Diese sei degenerativ bedingt. Es gebe keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass die Schulterproblematik auf ein Ereignis vom 22.04.2015 zurückzuführen sei. Ein frischer struktureller Erstkörperschadens sei nicht nachgewiesen worden. Unfallbedingte Invalidität werde bestritten. Eine äußere Einwirkung bzw. eine erhöhte Kraftanstrengung sei von der Klägerin nicht nachgewiesen worden.

Das Landgericht hat die Klägerin im Termin vom 10.01.2019 (Blatt 40/42 d. A.) mündlich angehört und sodann die Klage abgewiesen. Ein Unfallereignis im Sinne von Ziffer 1.3. der AVB in Form eines plötzlich von außen auf den Körper wirkenden Ereignisses durch welches diese unfreiwillig eine Gesundheitsschädigung erlitten habe, liege nicht vor. Nach dem eigenen Vorbringen der Klägerin könne hiervon nicht ausgegangen werden. Die Klägerin habe eine plan– und willensmäßig ausgeführte Bewegung geschildert, bei der sie nach ihrer Darstellung ungewollt eine Körperschädigung erlitten habe. Die stelle keine Auswirkungen von außen dar. Gewollte Kraftanstrengungen, die zu inneren Schäden führen, seien keine für die Erfüllung des Unfallbegriffs tauglichen Einwirkungen von außen. Eine besondere Eigendynamik sei von der Klägerin nicht vorgetragen worden.

Erhöhte Kraftanstrengung bedeute, dass der mit einer normalen körperlichen Bewegung naturgemäß verbundene Kraftaufwand nicht ausreiche. Erforderlich sei ein erhöhter Einsatz von Muskelkraft in der konkreten Situation. Nicht ausreichend seien die im täglichen Leben üblichen Anstrengungen. Auch wenn typische Fälle einer erhöhten Kraftanstrengung das Hantieren mit schweren Gegenständen seien, reiche beispielsweise das Verstauen von 10-20 kg im Kofferraum nicht aus, weil es sich hierbei noch um im täglichen Leben übliche Anstrengungen handele. Eine solche erhöhte Kraftanstrengung sehe das Gericht im vorliegenden Fall als nicht gegeben an. Der Versuch, eine schwere Kiste anzuheben und nach vorn zu ziehen stelle eine im täglichen Leben absolut übliche Anstrengung dar. Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten der Begründung wird auf Seite 4/7 des Ersturteils (Blatt 46/49 der Akten) Bezug genommen.

Hiergegen wendet sich die Klägerin mit ihrer form- und fristgerecht eingelegten und form- und fristgerecht begründeten Berufung. Es bestünden Zweifel an der Richtigkeit bzw. Vollständigkeit der getroffenen Tatsachenfeststellungen. Dies ergebe sich bereits daraus, dass das Erstgericht in den Entscheidungsgründen Bezug auf die Bedingungen der R. A. Unfallversicherung Bezug nehme. Streitgegenständlich seien jedoch die Bedingungen der Beklagten. Das Erstgericht habe zudem gegen Denk- und Erfahrungssätze verstoßen, weil das Anheben einer 20-25 kg schweren Kiste nur mit dem rechten Arm für die allermeisten Menschen eine nicht alltägliche erhöhte Kraftanstrengung darstelle, jedenfalls aber für die sportlich untrainierte Klägerin. Außerdem sei diese Frage, ob eine erhöhte Kraftanstrengung vorgelegen habe, wie von der Klägerin beantragt, durch die Erholung eines medizinischen Sachverständigengutachtens zu klären gewesen. Zu berücksichtigen sei, dass die Klägerin aufgrund der Haltung des nach hinten rotierenden Arms weniger Kraft im Arm gehabt habe, als bei einer vor dem Körper ausgeführten Bewegung. Daher sei durchaus ein erhöhter Muskeleinsatz erforderlich gewesen. Insoweit werde erneut beantragt, ein Sachverständigengutachten zu der Behauptung einzuholen, dass für den Versuch, den auf der Rückbank liegenden ca. 20-25 kg schweren Karton anzuheben, eine erhöhte Kraftanstrengung notwendig gewesen und es dadurch zu einer Verletzung der Schulter gekommen sei. Am 06.07.2015 sei ein Teilriss der Supraspinatussehne diagnostiziert worden. Auch daraus ergebe sich, dass eine erhöhte Kraftanstrengung vorgelegen habe. Außerdem sei das Urteil auch rechtlich fehlerhaft, weil die Frage, ob eine erhöhte Kraftanstrengung vorgelegen habe, nach Einholung eines Sachverständigengutachtens auch juristisch zu entscheiden gewesen sei und die Bewertung des Erstgerichts insoweit einen Subsumtionsfehler darstelle. Die Klägerin führt weiter aus, dass durch das Ereignis Invalidität in Form von Funktions- und Gebrauchseinschränkungen eingetreten und mit dem als Anlage K6 vorlegten Attest vom 19.07.2016 ärztlich festgestellt worden sei. Die Höhe sei mit mindestens 28 % anzusetzen. Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf die Berufungsbegründung vom 08.03.2019 (Band II; Bl.6/15 d.A.) und den Schriftsatz vom 01.08.2019 (Band II; Bl.32/35 d.A.) Bezug genommen.

Die Klägerin beantragt im Berufungsverfahren:

I. Das Urteil des Landgerichts Landshut vom 10.01.2019, Az. 74 O 2389/18, wird aufgehoben.

II. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin einen Betrag i.H.v. 22.400,00 € zuzüglich Zinsen hieraus i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 21.02.2017 zu bezahlen.

III. Darüber hinaus wird die Beklagte verurteilt, an die Klägerin zu Händen der Rechtsanwälte H., S. und Kollegen die nicht anrechenbare hälftige Geschäftsgebühr i.H.v. 633,31 € zuzüglich Zinsen hieraus i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu bezahlen.

Hilfsweise:

Die Beklagte wird verurteilt, die Klägerin gegenüber den Rechtsanwälten H., S. und Kollegen bezüglich der nicht anrechenbaren hälftigen Geschäftsgebühr i.H.v. 633,31 € zuzüglich Zinsen hieraus i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit freizustellen.

Die Beklagte beantragt: Die Berufung der Klagepartei wird zurückgewiesen.

Das Landgericht habe die Klage mit zutreffender Begründung abgewiesen. Es habe schon nach der eigenen Sachverhaltsdarstellung der Klägerin ein versichertes Unfallereignis nicht bejaht, weshalb die Rüge, Tatsachenfeststellungen seien nicht ordnungsgemäß getroffen worden, nicht nachvollziehbar sei. Die rechtliche Würdigung, ob es sich bei dem behaupteten Hergang um eine erhöhte Kraftanstrengung im Sinne von Ziffer 1.4 AUB/BVV handele, sei vom Gericht vorzunehmen gewesen. Die Feststellung des Gerichts, die von der Klägerin im Verhandlungstermin geschilderte Bewegung sei eine im täglichen Leben übliche Anstrengung, sei keine Vermutung, sondern eine rechtliche Bewertung der klägerischen Sachverhaltsdarstellung, welche im Übrigen ständig gewechselt habe. Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten der Berufungserwiderung wird auf den Schriftsatz der Beklagten vom 09.04.2019 (Bd. II, Blatt 20/24 der Akten) Bezug genommen.

Der Senat hat mit Beschluss vom 17.07.2019 (Band II; Bl. 26/31 d.A.) darauf hingewiesen, dass das von der Klägerin geschilderte Geschehen keine erhöhte Kraftanstrengung nach Ziffer 1.4 der einschlägigen Versicherungsbedingungen darstelle. Dazu hat die Klagepartei mit Schriftsatz vom 01.08.2019 (Band II, Bl. 32/35 der Akten) Stellung genommen. Der Senat hat die Klägerin in der mündlichen Verhandlung am 29.10.2019 informatorisch angehört. Auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 29.10.2019 sowie auf die gewechselten Schriftsätze der Parteien wird ergänzend Bezug genommen.

II.

Die zulässige Berufung der Klägerin ist nicht begründet. Das von der Klägerin geschilderte Geschehen erfüllt nicht den Begriff einer erhöhten Kraftanstrengung im Sinne von Ziffer 1.4.1. der Versicherungsbedingungen AUB/BVV (Anlage K 2). Soweit das Ersturteil in diesem Zusammenhang die Bedingungen R+V AUB 2012 (Anlage K1) zitiert und nicht die hier vereinbarten Bedingungen Ziff. 1.3. und Ziff. 1.4.1 AUB/BBV (Anlage K 2), dürfte dies auf einem Redaktionsversehen beruhen. An der Beurteilung ändert dies nichts. Die im Tatbestand (S.2; Bl. 7 d.A.) zitierten Bedingungen entsprechen den hier vereinbarten Bedingungen Ziff. 1.3. und Ziff. 1.4 AUB/BBV (Anlage K 2).

Nach Ziffer 1.4.1 der genannten Bedingungen gilt als Unfall auch, wenn durch eine erhöhte Kraftanstrengung an Gliedmaßen oder Wirbelsäule ein Gelenk verrenkt wird oder Muskeln, Sehnen, Bänder oder Kapseln gezerrt oder zerrissen werden.

Wie der Begriff der „erhöhten Kraftanstrengung“ zu verstehen ist, ist durch Auslegung zu ermitteln. Dabei sind allgemeine Versicherungsbedingungen so auszulegen, wie ein durchschnittlicher Versicherungsnehmer ohne versicherungsrechtliche Spezialkenntnisse, der die Versicherungsbedingungen aufmerksam liest und unter Berücksichtigung des erkennbaren Sinnzusammenhangs verständig würdigt, die Klausel verstehen würde (BGH, VersR 2016, 1177 Rz. 17; Armbrüster, Prölls/Martin, Versicherungsvertragsgesetz, 30. Auflage, Eil.1 Rz. 260 mit weiteren Nachweisen). Die Bedingungen sind dabei grundsätzlich nach dem Sprachgebrauch des täglichen Lebens auszulegen (Armbrüster, Prölls/Martin, Versicherungsvertragsgesetz, 30. Auflage, Eil.1 Rz. 271 f). Bereits aus dem Begriff „Kraftanstrengung“ wird deutlich, dass ein Einsatz von Muskelkraft vorliegen muss, der über den normalen mit jeder körperlichen Bewegung verbundenen Kraftaufwand hinausgeht. Verstärkt wird der Begriff noch einmal dadurch, dass die Kraftanstrengung „erhöht“ sein muss. Für den Versicherungsnehmer wird damit deutlich, dass nur solche Anstrengungen erfasst sind, die über die im täglichen Leben noch üblichen Anstrengungen hinausreichen (Knappmann, Prölls/Martin, Versicherungsvertragsgesetz, 30. Auflage, 810 AUB 2010 Ziffer 1 Rz. 8 ff.).

Zwar sind Versicherungsbedingungen objektiv auszulegen, die Beurteilung der Kraftanstrengung hat jedoch auch eine subjektive Komponente, da bei der Beurteilung des Krafteinsatzes auch die individuelle körperliche Konstitution eine Rolle spielt. Der Senat hat bereits im Hinweis vom 17.07.2019 ausgeführt, dass daher auch zu berücksichtigten sei, dass die Klägerin, die zum maßgeblichen Zeitpunkt gerade 50 Jahre alt geworden war und als Bezirksleiterin einer Bausparkasse tätig war, sich in einem im Wesentlichen altersentsprechenden Allgemeinzustand befand, auch wenn dem streitgegenständlichen Ereignis eine Krebserkrankung und gewisse psychische Beeinträchtigungen vorangegangen waren. Die Klägerin hat dazu zwar vorgetragen, dass mit dem Beurteilungsmaßstab kein Einverständnis bestehe. Dass der im Beschluss geschilderte Zustand der Klägerin nicht zutreffen würde bzw. ein anderer Maßstab heranzuziehen sei, hat die Klägerin jedoch nicht dargelegt. Soweit sie dazu ausführt, dass am 06.07.2015 ein Teilriss der Supraspinatussehne diagnostiziert worden sei und daraus folge, dass eine erhöhte Kraftanstrengung vorlag, enthält dies keine von dem vom Senat herangezogenen Zustand abweichende Beschreibung.

Das von der Klägerin geschilderte Geschehen ist danach nicht als erhöhte Kraftanstrengung einzuordnen. Wie bereits mit Hinweis vom 17.07.2019 dargelegt, handelt es sich vielmehr noch um eine alltagsübliche Anstrengung des täglichen Lebens. Die Klägerin hat in der mündlichen Verhandlung angegeben, dass sie einen Flyer aus der Kiste habe holen wollen. Sie habe dazu mit dem rechten Arm durch den Zwischenraum zwischen den Sitzen nach hinten gegriffen. Sie habe die Kiste etwas anheben und nach vorne ziehen wollen. Ob sie die Hand mit dem Handrücken nach oben oder unten gehalten habe, wisse sie nicht mehr, sie glaube aber, dass der Handrücken nach unten zeigte. Sie habe die Kiste nach vorne ziehen wollen, um an einen bestimmten Flyer zu kommen, der hinten in der Kiste lag. Es sei ihr aber nicht gelungen, sie nach vorne zu ziehen. Sie habe dann von oben in die Kiste hineingegriffen und habe einen Flyer erwischt. Im Ergebnis hat sich die Schilderung der Klägerin für den Senat so dargestellt, dass sie ihre Hand unter den Karton mit den Flyern geschoben und versucht hat, diesen näher zu sich herzuziehen. Um den Karton auf der Rückbank ziehen zu können, hat sie diesen an der vorderen Kante leicht angehoben. Dass sie die vordere Kante des Kartons dabei um 10 cm in die Höhe gehoben hat, wie sie weiter angab, ist nicht glaubhaft. Nach Angaben der Klägerin hat der Karton eine Länge von 90, Breite von 50/60 und Höhe von 40 cm und ein Gewicht von 25 kg gehabt. Ein Karton von dieser Größe liegt, wenn er auf der nach Angaben der Klägerin nach hinten geneigten Rückbank steht, an der Rücklehne an, so dass schon aus diesem Grund nicht nachvollziehbar ist, dass die Klägerin ihn an der vorderen Kante um 10 cm hätte anheben und damit entsprechend nach hinten kippen können. Es ist auch nicht ersichtlich, warum die Klägerin den Karton so hoch hätte anheben sollen, wo es ihr nur darum ging, den Reibungswiderstand der Rückbank abzumindern, um den Karton zu sich zu ziehen. Zwar glaubt der Senat der Klägerin, dass diese, wie von ihr zunächst geschildert, den Karton an der Vorderkante etwas anhob, um die Hand darunter zu schieben und ihn näher zu sich heranzuziehen, dabei lastete jedoch gerade nicht das volle Gewicht der Kiste auf ihrem Arm, da der Karton weiterhin überwiegend auf der Rückbank auflag. Da insofern nur ein Teil des Gewichts des Kartons tatsächlich auf ihrem Arm ruhte, verbleibt der Senat – wie schon das Erstgericht – bei der Auffassung, dass es sich insoweit um eine alltägliche und nicht um eine erhöhte Kraftanstrengung gehandelt hat, wobei dahinstehen kann, ob die Angabe eines Gewichts von 25 kg glaubhaft ist. Eine andere Beurteilung ergibt sich auch nicht aus der unergonomischen Haltung des Armes bei der Ausführung der Bewegung. Auf die Ausführungen im Hinweis des Senats vom 17.07.2019 dazu wird Bezug genommen. Der Versicherungsschutz umfasst nach seinem insoweit eindeutigen Wortlaut keine Verletzungen, die durch ungewöhnliche oder ungeschickte Bewegungen hervorgerufen werden, sondern nur solche, die durch erhöhte Kraftanstrengungen eintreten. Eine solche ist auch unter Berücksichtigung der hier angegebenen Armhaltung jedoch nicht gegeben. Das Hervorholen von Gegenständen von der Rückbank eines Autositzes ist eine häufig vorkommende, alltägliche Bewegung. Ebenso ist auch das Anheben der vorderen Kante eines auf der Rückbank befindlichen Kartons, um ihn etwas näher zu sich zu ziehen, als alltägliche Bewegung einzuordnen und sind auch nach Anhörung der Klägerin keine hinreichenden Anhaltspunkte für eine über eine solche alltägliche Bewegung hinausgehende Kraftanstrengung gegeben, weil dabei – wie dargelegt – jedenfalls keine 25 Kilo angehoben wurden.

Entgegen der Auffassung der Klägerin ist die Frage, ob das geschilderte Geschehen eine erhöhte Kraftanstrengung darstellt, allein eine juristische Fragestellung und daher nicht von einem Sachverständigen, sondern vom Gericht selbst zu beantworten. Es handelt sich schlicht um eine Subsumtion des Geschehensablaufs unter die Begrifflichkeit „erhöhte Kraftanstrengung“, nicht um die Klärung eines medizinischen Sachverhalts. Maßgeblich ist, ob ein durchschnittlicher Versicherungsnehmer davon ausgehen dürfte, dass eine derartige Eigenbewegung eine erhöhte Kraftanstrengung im Sinne der Versicherungsbedingungen darstellen würde. Dies ist eine juristische und damit vom Gericht zu klärende Frage und – wie oben dargelegt – zu verneinen. Die Frage, ob durch den Geschehensablauf ein Teilriss der Supraspinatussehne erfolgt ist, die als medizinische Frage tatsächlich von einem Sachverständigen zu klären wäre, würde sich erst anschließen, wenn in einem ersten Schritt nach Auslegung der Klausel davon auszugehen wäre, dass es sich bei der streitgegenständlichen Bewegung um eine erhöhte Kraftanstrengung gehandelt hätte. Dies ist jedoch – wie dargelegt – nicht der Fall.

Auch nach nochmaliger Überprüfung verbleibt es daher – wie bereits vom Landgericht festgestellt – dabei, dass das von der Klägerin geschilderte Geschehen keine einem Unfall gleichgestellte erhöhte Kraftanstrengung im Sinne der einschlägigen Versicherungsbedingungen darstellt. Die Berufung war daher zurückzuweisen.

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO, die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit auf §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

Die Revision war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen dafür nicht vorliegen, § 543 Abs. 2 ZPO. Die hier maßgebliche Frage, ob das geschilderte Geschehen eine erhöhte Kraftanstrengung im Sinne der Versicherungsbedingungen darstellt, unterliegt alleine einer Beurteilung im Einzelfall.

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