OLG Karlsruhe, Az.: 9 U 53/14, Beschluss vom 09.09.2015
Der Senat erwägt eine Zurückweisung der Berufung des Klägers gegen das Urteil des Landgerichts Konstanz vom 13.03.2014 gemäß § 522 Abs. 2 ZPO. Die Parteien erhalten vor einer Entscheidung Gelegenheit zur Stellungnahme binnen drei Wochen.
Gründe
I.
Der Kläger hat zu einem unbekannten Zeitpunkt bei der Beklagten eine Kranken- und Unfallversicherung abgeschlossen, die für Auslandsreisen gelten sollte. Für den Fall der Invalidität nach einem Unfall war eine Versicherungssumme von bis zu 52.000,00 € vereinbart, die sich bei einem Verkehrsunfall im Ausland verdoppeln sollte. Für den Verlust oder die Funktionsunfähigkeit bestimmter Körperteile waren in § 26 Ziff. 3 c der vereinbarten Versicherungsbedingungen bestimmte Invaliditätsgrade vorgesehen. Für den Verlust eines Armes im Schultergelenk galt ein Invaliditätsgrad von 70 %. Die Versicherungsbedingungen enthielten in § 2 verschiedene Ausschlussklauseln, dabei in Ziff. 3 e die folgende Regelung:
„Bei den Unfallversicherungsleistungen sind zusätzlich folgende Gesundheitsschäden nicht versichert:
…
e) durch krankhafte Störungen in Folge psychischer Reaktionen.“
Der Kläger hat vorgetragen: Am 28.07.2008 sei er bei einem Verkehrsunfall in der Türkei verletzt worden. Er habe nach dem Unfall Schmerzen im linken Arm verspürt. Später sei der linke Arm verletzungsbedingt bewegungs- und funktionsunfähig geworden. Der Gesundheitsschaden sei dauerhaft. Er hat von der Beklagten Leistungen aus der Unfallversicherung in Höhe von 72.800,00 € nebst Zinsen verlangt (70 % aus der für den Fall eines Verkehrsunfalls verdoppelten Invaliditätssumme).
Die Beklagte ist der Klage entgegengetreten. Sie hat das vorgetragene Unfallgeschehen und dadurch verursachte Gesundheitsschäden des Klägers bestritten. Außerdem hat sich die Beklagte auf den Ausschlusstatbestand der „Psychoklausel“ in § 2 Ziff. 3 e der Versicherungsbedingungen berufen.
Das Landgericht hat Beweis erhoben zum Unfallablauf und hat außerdem ein Gutachten des Sachverständigen Dr. J. eingeholt zu den vom Kläger vorgetragenen Gesundheitsschäden. Das Gutachten hat bestätigt, dass der Kläger – wie von ihm geltend gemacht – seinen linken Arm nicht mehr bewegen könne. Für diese gesundheitliche Beeinträchtigung sei der Unfall ursächlich gewesen im Sinne eines auslösenden Ereignisses. Für die Beeinträchtigungen des Klägers gäbe es jedoch keine organischen Ursachen. Vielmehr handle es sich um ein psychiatrisches Krankheitsbild, nämlich um eine dissoziative Bewegungsstörung.
Das Landgericht hat mit Urteil vom 13.03.2014 die Klage abgewiesen. Auf Grund des eingeholten Sachverständigengutachtens stehe fest, dass es sich bei den Beeinträchtigungen des Klägers um eine psychisch bedingte Unfallreaktion handele. Damit seien die Voraussetzungen für die Ausschlussklausel gemäß § 2 Ziff. 3 e der Versicherungsbedingungen gegeben.
Gegen diese Entscheidung richtet sich die Berufung des Klägers. Die Voraussetzungen der „Psychoklausel“ in den Versicherungsbedingungen seien entgegen der Auffassung des Landgerichts auch dann nicht gegeben, wenn man die Feststellungen des Sachverständigen Dr. J. im erstinstanzlichen Gutachten zugrunde lege. Von einer „psychischen Reaktion“ im Sinne von § 2 Ziff. 3 e der Versicherungsbedingungen könne man nicht sprechen, wenn die Folgen der gesundheitlichen Störung dergestalt physischer Natur seien, dass der Kläger den Arm nicht mehr bewegen könne. Außerdem müsse die beim Kläger vorhandene Störung mit biochemischen und mechanischen körperlichen Mechanismen zusammenhängen, was einer Anwendung der „Psychoklausel“ entgegenstehe.
Der Kläger beantragt, unter Abänderung des am 13.03.2014 verkündeten und am 17.03.2014 zugestellten Urteils des Landgerichts Konstanz, Az. 2 O 408/10 B, die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 72.800,00 € nebst fünf Prozentpunkten an Zinsen hieraus über dem Basiszinssatz ab Rechtshängigkeit der Klage zu bezahlen.
Die Beklagte beantragt, die Berufung des Klägers zurückzuweisen.
Die Beklagte verteidigt das Urteil des Landgerichts.
Wegen des weiteren Vorbringens wird auf die gewechselten Schriftsätze verwiesen.
II.
Die zulässige Berufung des Klägers dürfte voraussichtlich keine Aussicht auf Erfolg haben. Eine Entscheidung des Senats nach mündlicher Verhandlung erscheint auch im Hinblick auf die Gesichtspunkte gemäß § 522 Abs. 2 Ziff. 2, 3, 4 ZPO nicht erforderlich. Nach vorläufiger Auffassung des Senats hat das Landgericht die Klage zu Recht abgewiesen. Dem Kläger steht ein Anspruch auf Zahlung einer Invaliditätsleistung aus dem Versicherungsvertrag nicht zu.
1. Nach der vom Landgericht durchgeführten Beweisaufnahme steht fest, dass der vom Kläger vorgetragene Verkehrsunfall am 28.07.2008 in der Türkei tatsächlich stattgefunden hat.
2. Aus dem erstinstanzlich eingeholten Gutachten des Sachverständigen Dr. J. ergibt sich außerdem, dass der Kläger einen Gesundheitsschaden erlitten hat. Er kann den linken Arm nicht mehr bewegen. Aus dem Gutachten des Sachverständigen ergibt sich, dass die Beeinträchtigungen des Klägers eine Folge des Verkehrsunfalls vom 28.07.2008 sind. Der Sachverständige sieht die Bewegungsstörungen des Klägers als eine (psychisch bedingte) Unfallreaktion an.
3. Der Kläger hat dennoch keinen Anspruch auf eine Versicherungsleistung. Denn es handelt sich bei den Bewegungsstörungen um „krankhafte Störungen in Folge psychischer Reaktionen“ im Sinne von § 2 Ziff. 3 e der Versicherungsbedingungen. Die Klausel, die den üblichen Regelungen bei Unfallversicherungen entspricht (vgl. insbesondere § 2 Abs. 4 AUB 94 sowie Ziff. 5.2.6 AUB 2010), steht einem Anspruch des Klägers entgegen.
a) Die Auslegung der streitgegenständlichen „Psychoklausel“ ist in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs geklärt (vgl. BGH, Urteil vom 23.06.2004 – IV ZR 130/03 -, zitiert nach Juris). Der Unfallversicherungsschutz greift nicht ein, wenn ein Krankheitszustand des Versicherungsnehmers „psychisch vermittelt“ ist. Dabei spielt es keine Rolle, wodurch die psychische Reaktion verursacht wurde. Entscheidend ist, dass die krankhafte Störung nur mit ihrer psychogenen Natur erklärt werden kann. Die Klausel greift hingegen nicht ein, wenn eine organische Schädigung auf Grund eines Unfalls eingetreten ist, die zu einem psychischen Leiden führt (vgl. BGH a.a.O., RdNr. 18, 19). Die Beweislast für eine „psychische Reaktion“ obliegt dem Versicherer. Die Ausschlussklausel soll dem Versicherer eine möglichst zuverlässige Tarifkalkulation ermöglichen. Daher soll der Unfallversicherungsschutz auf solche Gesundheitsschäden beschränkt werden, deren Entstehung objektiv fassbar ist (vgl. BGH a.a.O., RdNr. 28).
b) In der höchstrichterlichen Rechtsprechung ist seit der Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 23.06.2004 (BGH a.a.O.) geklärt, dass die in den Versicherungsbedingungen der Beklagten verwendete „Psychoklausel“ wirksam ist. Die Ausschlussklausel enthält keine unangemessene Benachteiligung des Versicherungsnehmers (§ 307 Abs. 1 Satz 1 BGB). Sie verstößt auch nicht gegen das Transparenzgebot (§ 307 Abs. 1 Satz 2 BGB). Zur weiteren Begründung wird auf die Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 23.06.2004 verwiesen (vgl. BGH a.a.O., RdNr. 20 ff.).
c) Die durch den Unfall verursachten gesundheitlichen Beeinträchtigungen des Klägers ergeben sich aus dem erstinstanzlichen Gutachten des Sachverständigen Dr. J.. Die – vorhandene – Bewegungsunfähigkeit des linken Arms stellt eine dissoziative Bewegungsstörung dar. Der Sachverständige hat organische Ursachen der Bewegungsstörung ausgeschlossen. Eine Fraktur und/oder Luxation im Bereich des Schultergürtels kommt nicht in Betracht. Muskelverletzungen und/oder Muskelerkrankungen scheiden aus. Auch eine neurologische Verletzung und/oder Erkrankung ist auszuschließen. Unter diesen Umständen verbleibt nur die Möglichkeit einer dissoziativen Bewegungsstörung, bei der es sich um ein psychiatrisches Krankheitsbild handelt. Die physikalische Einwirkung mechanischer Kräfte bei dem Unfall vom 28.07.2008 hat für die krankhafte Störung keine Rolle gespielt. Vielmehr handelt es sich um eine psychisch bedingte Unfallreaktion. Das Landgericht hat diese Feststellungen seiner Entscheidung zugrunde gelegt. Anhaltspunkte für Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit der Ausführungen des Sachverständigen sind nicht ersichtlich und vom Kläger in der Berufungsbegründung auch nicht geltend gemacht worden.
d) Aus den Feststellungen des Landgerichts ergibt sich die Anwendung der Ausschlussklausel gemäß § 2 Ziff. 3 e der Versicherungsbedingungen. Eine dissoziative Bewegungsstörung ist – ausgehend von den Feststellungen im erstinstanzlichen Gutachten – eine „psychische Reaktion“ im Sinne der Klausel. Der Sachverständige hat festgestellt, dass die Bewegungsunfähigkeit des Armes nicht auf einer organischen Störung beruht. Durch den Unfall hat der Kläger auch keine organische Schädigung erlitten (wie beispielsweise bei einer Hirnschädigung), die als Sekundärfolge zur Bewegungsunfähigkeit des Armes geführt hätte. Bei der dissoziativen Bewegungsstörung handelt es sich um einen ausschließlich psychisch erklärbaren Wirkungsmechanismus. Das Unfallereignis war zwar Auslöser für den Mechanismus; es gab jedoch keine organische Schädigung und keinen organischen Wirkungsmechanismus, der für die krankhafte Störung maßgeblich gewesen wäre. Entscheidend war vielmehr – wie auch bei anderen psychischen Reaktionen – eine bestimmte persönliche Disposition des Klägers. Eine dissoziative Bewegungsstörung als Folge eines Unfalls wird daher grundsätzlich von der Ausschlussklausel in den Versicherungsbedingungen der Beklagten erfasst.
e) Die Einwendungen des Klägers gegen die Argumentation des Landgerichts haben keinen Erfolg.
aa) Die „psychische Reaktion“ in der Ausschlussklausel beschreibt den Wirkungsmechanismus, der zu einer bestimmten gesundheitlichen Störung führt und nicht etwa die Störung als solche (vgl. die Auslegung der Klausel bei BGH a.a.O., RdNr. 18, 19). Eine „psychische Reaktion“ ist daher auch dann anzunehmen, wenn der psychische Wirkungsmechanismus physische Folgen hat, also insbesondere dann, wenn die Gebrauchs- und Bewegungsfähigkeit bestimmter Körperteile eingeschränkt wird. Die Rechtsprechung hat daher eine „psychische Reaktion“ im Sinne der Ausschlussklausel beispielsweise auch angenommen bei der psychisch bedingten Minderbelastbarkeit eines Beines (OLG Koblenz, Versicherungsrecht 2001, 1550), bei psychisch bedingten Schwächezuständen in einem Bein (OLG Hamm, VersR 2006, 1394), bei psychisch bedingten Sensibilitätsstörungen in den Fingern (LG Freiburg, RuS 2010, 386) und bei einer anhaltenden somatoformen Schmerzstörung (vgl. OLG Oldenburg, VersR 2011, 520).
bb) Ob und inwieweit die „psychische Reaktion“ mit bestimmten biochemischen Prozessen im Körper verbunden ist, spielt entgegen der Auffassung des Klägers keine Rolle. Entscheidend ist allein der Begriff der „psychischen Reaktion“ in den Versicherungsbedingungen. Aus dem erstinstanzlichen Gutachten des Sachverständigen Dr. J. ergibt sich, dass es sich nach fachmedizinischem Verständnis bei der dissoziativen Bewegungsstörung um einen psychischen Mechanismus handelt. Auch ein medizinischer Laie wird nach Auffassung des Senats die Bewegungsstörung des Klägers als „psychisch bedingt“ bezeichnen, wenn organische Erklärungen für die Störung ausscheiden. Entscheidend ist dieses Begriffsverständnis der „psychischen Reaktion“ in den Versicherungsbedingungen; ob und inwieweit psychische Vorgänge im Körper eines Menschen mit bestimmten biochemischen Prozessen zusammenhängen, spielt für das Begriffsverständnis keine Rolle. Eine Anwendung der Ausschlussklausel würde nur dann entfallen, wenn eine organische Ursache für die Gesundheitsstörung zumindest als Möglichkeit in Betracht käme (vgl. dazu OLG Karlsruhe – 12. Zivilsenat -, DAR 2005, 29). Eine solche Möglichkeit ist jedoch nach dem Gutachten des Sachverständigen Dr. J. auszuschließen.